CFP 14.09.2021

The Power of Sources in Architecture Research and Practice (Berlin, 9-11 Mar 22)

Berlin, 09.–11.03.2022
Eingabeschluss : 15.10.2021

Sandra Meireis, Berlin

[English version below]

Die Macht der Quellen in Architekturwissenschaft und -praxis

Der Zugang zu Quellen, sowie zu Wissen und Information, wandelt sich mit der Globalisierung und Digitalisierung fundamental. Das betrifft auch den Prozess der Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Menge der Quellen erhöht sich, ihre Vielfältigkeit nimmt zu und die Verbreitung steigt. Wenngleich Quellen immer verfügbarer werden, bestehen weiterhin geographische und ökonomische Ungleichheiten in der Zugänglichkeit. Haben wir es mit einer Art globalen Scheinzugänglichkeit von Quellen zu tun, da weiterhin wirtschaftliche und soziale Bedingungen von Forschenden darüber entscheiden, ob ein Archiv aufgesucht oder nur mit einer kuratierten Auswahl bereits digitalisierter Quellen gearbeitet werden kann? Globalisierung und Digitalisierung werfen Fragen in Wissenschaft und Forschung auf, die sowohl die Nutzung und Rezeption von Quellen als auch ihre Archivierung und Hierarchisierung betreffen. Auch die Architektur als globalisierte und digitalisierte Wissenschaft und Praxis muss die Quellenfrage neu stellen. Das 8. Forum Architekturwissenschaft will entlang der vier Themenfelder Handlungsmacht & Politiken, Kanon & Episteme, Materialität & Medialität, Rezeption & Produktion die Macht der Quellen im Kontext der Architektur untersuchen.

(1) Handlungsmacht & Politiken
Quellen unterliegen Deutungshoheiten. Sie können Machtverhältnisse und Transferleistungen sowohl offenbaren als auch verbergen. Die Quelle ist auf diese Weise nicht nur Objekt, sondern zugleich Subjekt der Forschung. Sie lässt sich vielleicht geduldig für ein Argument nutzen, während sie sich an anderer Stelle gegen bestimmte Auslegungen sträubt oder ihnen gar aktiv entgegentritt. Die Handlungsmacht der Quelle steht allerdings in Abhängigkeit zu den Institutionen des Archivierens und Erschließens: Wer sammelt welches Material? Was davon wird wann zugänglich gemacht? Nach welchen Kriterien werden Bestände abgelegt, geordnet und katalogisiert? Was wird folglich digitalisiert und in welcher Qualität und auf welchem Speichermedium dauerhaft verfügbar gehalten? Beim Archivieren spielen Finanzierung, Interessenvertretung und technische Ausstattung stets eine große Rolle. Sammlungsstätten, Forschungsinstitutionen und Fördermittelgebende bestimmen, welche Quellenzugänglichkeit entsteht, d. h. welche Quelle auch wirklich „gelesen“ und bearbeitet werden kann und welche nicht. Vor dem Hintergrund eines solchen Gefüges aus Agierenden und Interessen stellt sich infolgedessen die Frage nach der Handlungsmacht und den Politiken der Quelle. Zu was verleiten uns Quellen? Welche Widerstände entfalten sie? Inwiefern verändert sich das Verständnis von Quellen, wenn die Anzahl der verschiedenen Deutungen rasant steigt oder wenn sich die Quellen von ihrem Entstehungskontext lösen und global zirkulieren?

(2) Kanon & Episteme
Seit dem Entstehen der Disziplinen Architektur- und Kunstgeschichte sind Quellen mit der Frage der Kanonbildung verbunden, denn es werden Wissenshierarchien und Bewertungsparadigmen für einen bestimmten Zeitraum festgeschrieben. Doch kanonische Wissenstatbestände wie Stilformeln und Leitfiguren ändern sich bzw. stehen immer wieder in der Kritik. So werden gegenwärtig einfache bipolare Modelle der Wissensgliederung und damit Weltanschauung wie Nord-Süd, Ost-West, Zentrum-Peripherie, oder die Geschlechterbinarität zurecht infrage gestellt. Doch auch ein globaler Ansatz ist kritisch zu hinterfragen, wenn er auf das Aufstellen eines „Weltkanons“ hinausläuft, denn kann es einen solchen überhaupt geben und wäre er erstrebenswert? Im besten Fall blickt eine Globalgeschichte der Architektur auf die Herkunft und Mobilität von Quellen, Formen, Praktiken, Materialien, Arbeitskräften etc. In Bezug auf die Architekturwissenschaft stellt sich die Frage, inwieweit die Integration unterschiedlicher Fächerkulturen zu offenen und vielfältigen oder zu spezifischen und fokussierten Kanons führen kann. Brauchen wir beispielsweise noch vermeintlich universell angelegte Architekturtheorieanthologien oder geben die Summe spezifischer Reader zu feministischen, postkolonialen, marxistischen etc. Architekturtheorien die Pluralität des Architekturdiskurses zeitgemäßer wieder?

(3) Materialität & Medialität
Architektur als Wissenschaft und Praxis produziert und referiert, entsprechend ihrer immanenten Multidisziplinarität, auf eine große materielle und mediale Vielfalt von Quellen: Gebäude, Zeichnungen,
Modelle, Texte, Fotos, Materialproben, Musterbauteile, Kritiken, Filme bis hin zur Alltagskommunikation. Der Umgang mit dieser Quellenvielfalt ist in Wissenschaft und Praxis ambivalent. Einerseits fokussieren ganze Narrative auf einem Quellentyp, z. B. frühneuzeitliche Traktate, andererseits kann sich in der wissenschaftlichen Bearbeitung die Notwendigkeit ergeben, ein ganzes Set verschiedener Quellentypen heranzuziehen, z. B. in der Architektursoziologie. Nachdem z. B. innerhalb der Architektur längst auch Oral History und ihre Zugriffe auf subjektive Erzählungen einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs liefern, sollte das Quellenverständnis nicht längst auf digitale Hinterlassenschaften wie E-Mails, Tweets oder Posts ausgeweitet werden? Was bedeutet es für die Arbeit von Architekturwissenschaftler:innen, genauso für Archivar:innen und Kurator:innen, wenn sich Teile der Material- und Medienlandschaft innerhalb weniger Jahrzehnte durch Computertechniken verändern und zu digitalen, multimedialen Archiven werden? Wichtige Instanzen wie Datenschutz und Rechte von Urheber:innen sowie die sich laufend verändernden technischen Standards erschweren die Archivierung, den Zugriff und die Lesbarkeit digitaler Quellen. Damit stellen sich neue Fragen nach Objektivität, Authentizität und Vertraulichkeit, z. B. wie die Fälschung von Dokumenten und die propagandistische Quellenbereitstellung verhindert werden können. Wie wirken sich die Veränderungen in der Medien- und Materiallandschaft auf die Vermittlungsleistung von Quellen aus?

(4) Rezeption & Produktion
Nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gestalterische Arbeitsprozesse werden von gesammelten Quellen beeinflusst. Die Geschichte der Architektur zeigt, dass sich Architekturschaffende zu allen Zeiten in unterschiedlicher Intensität auf das Referenzieren stützten. Architektur ist ohne das Bezugnehmen, d. h. ohne die Nutzung von Quellen zur Inspiration schwer denkbar. Somit ist die Quellenfrage auch eine Frage der Architekturpraxis und ihrer Entwurfsbezüge. Entwürfe sind oft als Erzählungen angelegt, wobei Fakten und Fiktionen sich vermischen. Wir fragen daher, wie aus Referenzen Entwürfe werden und welche Quellensammlungen ihnen zugrunde liegen. Darüber hinaus werden in der Architekturpraxis Quellen nicht nur recherchiert, genutzt und interpretiert, sondern neue Formen von Quellen hergestellt. Praktiken wie das Critical Mapping oder die architektur-forensische Aufbereitung von Daten zeigen, wie Spuren und Informationen in Quellen übersetzt werden, die wiederum Erkenntniszusammenhänge und Wertzuschreibungen mit sich bringen. Diese neu entstandenen Quellen können den Ausganspunkt für Entwürfe bilden oder gar als Beweise in Gerichtsprozessen fungieren. Wie werden in der architektonischen Praxis Quellen rezipiert? Und wie werden Architekturpraktiken und die gebaute Architektur selbst wieder zu neuen Quellen?

Wir freuen uns über Abstracts in Deutsch oder Englisch (max. 2.500 Zeichen) für Vorträge (20 min), die zu den skizzierten Themenfeldern Stellung beziehen. Bitte senden Sie zusätzlich einen kurzen CV (max. 500 Zeichen) bis zum 15. Oktober 2021 an: forum8architekturwissenschaft.net

Die Benachrichtigung über die Annahme der Beiträge erfolgt Anfang November 2021. Wir bitten um die Zusendung eines vorläufigen Beitragsmanuskripts bis zum 1. März 2022, das im Kreis der Mitwirkenden bereits vorab zirkuliert werden kann.

Basierend auf der Tagung ist eine Publikation geplant.

Das Forum Architekturwissenschaft ist eine Veranstaltung des Netzwerks Architekturwissenschaft e.V.(www.architekturwissenschaft.net). Als Plattform des wissenschaftlichen Austauschs und der Vernetzung greift es in regelmäßigem Turnus relevante Themen der Architekturwissenschaft auf. Dabei möchte es einen Architekturdiskurs über Disziplingrenzen hinweg anstoßen und unterschiedliche Forschungspraktiken und -methoden in einen Dialog bringen.

Hinweis
Das Forum ist als eine Präsenzveranstaltung geplant; vorbehaltlich des Pandemieverlaufs ist ein Online-Format angedacht. Abhängig von dieser Entwicklung, bemühen wir uns um eine Unterstützung bei ggf. anfallenden Reisekosten.

Veranstalter
Netzwerk Architekturwissenschaft e.V. in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin und der Berliner Hochschule für Technik.

Konzeption & Organisation
Sandra Meireis, Frederike Lausch, Klaus Platzgummer und Eva Maria Froschauer

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[English version]

The Power of Sources in Architecture Research and Practice

Access to sources, knowledge, and information is going through fundamental changes as globalisation and digitalisation evolve. The same changes apply to the process of gaining new academic insights. As the amount of sources increases (as well as their diversity and general distribution), there are still fundamental differences in accessibility, depending on one’s geographic and economic position. What role do economic and social factors play in a researcher’s possibility to visit an archive, or simply to make due with a curated and digitalised selection of sources? In this call for papers, matters of usage, reception, archivisation, and hierarchical structure of sources are questioned. This also applies to architecture as a globalised and digitalised academic discipline and practice – an issue that architecture must address. The 8th Forum of Architectural Science will examine the power of sources in four thematic aspects: Agency and Politics, Canon and Episteme, Materiality and Mediality, and Reception and Production.

(1) Agency & Politics
Sources are subject to the prerogative of interpretation. They can unearth as well as conceal power relations, and transfer bias. One could use the source easily for one argument, whereas for another it could show resistance or even contradiction. The agency of the source is dependent on the institutions of archivisation and indexation: Who gathers the material? Which part of it is made accessible and when? Which criteria are in place when parts of archives are disposed, organised, and catalogued? What would subsequently be digitised, in which quality, and through which medium made accessible? In the process of archivisation, finances, special interests, and technical abilities always play a significant role. Collectors, research institutions, and the distributors of funding decide which kinds of source accessibility is created; that is, which source would actually be read and academically addressed, and which would not. This vast array of factors, social actors and interests, which dictate whether or not a source would be made accessible, makes the question of agency and politics behind the source an acute one. What do sources tempt us to do? What resistances do they unleash? To what extent does our understanding of a source change as the number of interpretations significantly increases, and as we uproot the source from the context of its creation and allow it to circulate globally?

(2) Canon & Episteme
Since the emergence of the disciplines of architecture and art history, sources have been linked to the question of canon formation, because knowledge hierarchies and evaluation paradigms are established for a certain period of time, e. g. the Eurocentric perspective. However, canonical knowledge, such as stylistic formulas andmotifs, change or are repeatedly criticised. As we can observe today with the questioning of simplistic polar models of knowledge such as north-south, east-west, centre-periphery, or gender-binarity, the polaric interpretation of knowledge is being received with increasing criticism. But even an supposedly unbiased approach could be critically questioned if it amounts to the establishment of a “world canon”—for can there be such a thing at all and would it be desirable? At best, a global history of architecture looks at the origins and mobility of sources, forms, practices, materials, labour, etc., but with regard to architectural studies, the question arises, to what extent can the integration of different subject cultures lead to open/diverse or to specific/focused canons? For example, do we still need supposedly universal anthologies of architectural theory, or does the sum of specific readers on feminist, postcolonial, Marxist, etc. architectural theories reflect the plurality of the discipline?

(3) Materiality & Mediality
As a multidisciplinary science, architecture produces and refers to a large variety of sources: buildings, sketches, models, texts, photos, material samples, standardised construction parts, critiques, movies, and even everyday communication. How to approach such a diverse spectrum of sources is an ambivalent matter both in practice and in academia. While some scholars tend to focus on one kind of source (for example early modern treatises), some studies require a broader variety of sources, most notably in the field of sociology of architecture. It is, by now, common practice to treat oral history and subjective accounts of individuals as acceptable contributions to scientific discourse. Should we not apply the same standards to digital material such as emails, tweets, or posts? Within a few decades large parts of material and medial landscape have been changed by the advances of computer science—digitised, and taken the form of multimedia archives. What changes does this hold for the work of architecture scholars, as well as for archivists and curators? Other instances such as privacy laws and copyrights also limit the accessibility of sources. Furthermore, the constant changes in technical standards make archivisation, access, and legibility of digital sources difficult. Other relevant questions are ones of objectivity, authenticity, and trustworthiness (for example, how can one prevent the forging of documents and propagandistic distribution of sources?). How does this change from the material to the medial affect the way different sources convey knowledge?

(4) Reception & Production
Not only scholarly work is influenced by referencing sources. Creative working processes are equally affected, i. e. architecture, as we know it, is unimaginable without frequent referencing and the usage of sources. In the history of architecture, many architects have used academic references to various degrees to support their design claims. The question of sources is therefore very relevant for the practice of architecture and how architects form their initial concepts and raw drafts. These drafts often take the shape of a story, whereby facts and invention blend together. We therefore ask the question, how do references lay the foundation for architectural innovation, and which collection of sources do they stem from? In the practice of architecture, sources are not only researched, utilised and interpreted, they are also produced and are given new forms. Practices such as Critical Mapping and architectural forensic processing of records show how data can be transformed into sources, and how these sources can imply a connection between various insights, and value attributions. These new forms of sources could, in turn, act as the starting point of new architectural drafts, or even be brought as evidence in court. How does practical architecture receive and adopt sources? And how do practices of architecture and built architecture become, in turn, sources themselves?

We are looking forward to receive abstracts in German or English (max. 2.500 characters incl. spacing) for lectures (20 min), which comment on the topics outlined above. Please also send a short CV (max. 500 characters) not later than October 15, 2021 to: forum8architekturwissenschaft.net

The notification of the acceptance of the contributions will take place beginning of November 2021. We kindly ask you to send us a draft paper by March 1, 2022, which can be shared among the fellow presenters in
advance.

A publication is planned.

The Forum Architekturwissenschaft is an initiative of the Netzwerk Architekturwissenschaft e.V. (www.architekturwissenschaft.net). As a platform for scientific exchange and networking, it regularly addresses relevant topics in architectural science. In doing so, it wants to promote the reflection on architecture beyond disciplinary boundaries and bring different research practices and methods into dialogue.

Note
The forum is planned as a live event; subject to pandemic developments, an online format is envisaged. Depending on this development, we will seek support for any travel costs that may be incurred.

Organizer
Netzwerk Architekturwissenschaft e.V. in cooperation with Technische Universität Berlin and Berliner Hochschule für Technik.

Concept & Organization
Sandra Meireis, Frederike Lausch, Klaus Platzgummer und Eva Maria Froschauer

Quellennachweis:
CFP: The Power of Sources in Architecture Research and Practice (Berlin, 9-11 Mar 22). In: ArtHist.net, 14.09.2021. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/34751>.

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