CFP 19.03.2021

Objekt:Listen (Wolfenbüttel, 4-6 Nov 21)

Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, 04.–06.11.2021
Eingabeschluss : 15.04.2021

Joëlle Weis

Objekt:Listen. Medialität von Dingverzeichnissen in der Frühen Neuzeit

Mit Dinglisten lässt sich Besitztum rekonstruieren, die Zirkulation von Gegenständen und (Objekt-)Wissen nachverfolgen und Konsumverhalten studieren. Entsprechend großes Interesse ziehen solche Aufzählungen in der Provenienz-, Handels- bzw. Konsum- und Leseforschung seit vielen Jahren auf sich. Es kann als Ausdruck dieses besonderen Stellenwerts der Liste für die Forschung betrachtet werden, dass sich heute auch die Digital Humanities dafür interessieren. In diesem Kontext werden textlich überlieferte Sammlungen visuell rekonstruiert. Im Sinne einer kulturellen Erweiterung traditioneller Ansätze wird dank des material turns darüber hinaus seit einigen Jahren dafür geworben, stärker auf die Objektbeschreibungen zu schauen und nach den sozialen, narrativen und epistemischen Logiken der Darstellung und ihrer Wirkmächtigkeit für die materielle Ausgestaltung unserer Welt zu fragen.

Auch Listen insgesamt erfreuen sich seit einigen Jahren größerer Aufmerksamkeit. Spätestens seit Umberto Ecos Kulturgeschichte der Liste und des Katalogs sind wir herausgefordert jenseits der einzelnen Einträge zu blicken, um die narrative Logik des „Undsoweiters“ einerseits und die (Un-)Möglichkeit des Ordens von Wissen andererseits zu erkennen. Listen können nicht entscheiden, wie wir sie lesen, aber sie treffen Vorentscheidungen für uns, und so arbeiten andere, stärker wissensgeschichtlich orientierte Studien auch das epistemische Potential von solchen Verzeichnissen und Katalogen heraus, etwa für die Organisation und Zugänglichkeit von Sammlungen und Archiven.

Schließlich haben Listen auch einen festen Platz in der Diskussion um das Signum der Vormoderne, in der sie häufig als Zeichen einer Zeitenwende reklamiert werden: Listen zählen wie andere „little tools of knowledge“ als Instrumente der Wissensorganisation, die den Weg in die Moderne begleitet, wenn nicht gar geebnet haben. Die Forderung nach einer Beherrschbarkeit von Wissen und Dingen durch eine geordnete, objektivierte und rationalisierte Verzeichnung prägte das Aufklärungsjahrhundert. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert wurden Wissenschaft und Gesellschaft in Hinblick auf ihre Techniken des Sammelns und Speicherns von Wissen vermessen und beurteilt. Entsprechend rief man die Moderne bereits als eine „Zeit der Liste“ aus (so der Bandtitel: „Le temps des listes. Représenter, savoir et croire à l’époque moderne ”, 2018). Die Geschichte des Listenwesens ist so wesentlich mit Modernisierungsdebatten verknüpft.

Die geplante Tagung möchte diese Perspektiven zusammenführen und erweitern, in dem sie aus einer praxeologischen Perspektive das Verhältnis von Akteuren, „Datenspeicher“ und den darin enthaltenen „Daten“ für die Frühe Neuzeit genauer in den Blick nimmt: Die von uns geplante Tagung zielt darauf ab, die Liste in den Kontext diverser sozialer, kultureller und ökonomischer Praktiken der Frühen Neuzeit zu stellen und dabei ihre Medialiät aufzudecken. Dazu gehört die Frage, wie die Listen ihre Benutzung vorgeben, ihre Nutzer*innen steuern und damit eine genuine Handlungsmacht im Sinne Bruno Latours entfalten. Das übergeordnete Ziel dabei ist, genauer als bisher geschehen die kommunikative und epistemische Leistung solcher Verzeichnisse in ihren sozialen Bezügen zu analysieren und die Entwicklung ihrer Bedeutung im Verlauf der Frühen Neuzeit zu erhellen (Verhältnis von Präsenz- und Distanzmedialität).

Drei Themenkomplexe stehen im Zentrum, die jeweils mit Blick auf die Frage nach der Eigenart von frühneuzeitlichen Konstellationen erforscht werden:

1) Produktionstechniken und Verwahrung der Listen: Unter welchen Umständen wurden diese angefertigt und zu welchen Zwecken? Mit welchen Strategien sollten die Listen Informationen vermitteln? Welche Narrative wurden angewendet? Nach welchen Prinzipien wurde Objektwissen in den Listen (re-)produziert? Wie wurde das Wissen über Dinge und ihre Werte verwahrt und zugänglich gemacht?
2) Die agency der Listen und die Interaktion: Welche Bedeutung spielt die Liste in performativen Kontexten, wie und wo wurden die Listen genutzt? Welche zeitlichen und räumlichen Distanzen musste die Liste überbrücken? Wie steuern Listen die Interaktion zwischen den Akteuren und in Relation auf die Dinge und ermöglichen so die Kommunikation?
3) Intermedialität von Listen: Wie interagieren Objektlisten mit anderen Texten? Wie werden intermediale Relationen hergestellt? Welche unterschiedlichen Ebenen von Beschreibung und Beobachtung sind zu erkennen, wie wird zitiert und referenziert?

Zur Bewerbung bitten wir um entsprechende Abstracts (im Umfang von maximal 500 Wörtern) und einen kurzen Lebenslauf (maximal 150 Wörter), die bis zum 15.04.2021 an Joëlle Weis (weishab.de) oder Elizabeth Harding (hardinghab.de) eingesandt werden sollen.

Die Tagung wird organisiert vom Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel und der Herzog August Bibliothek und findet vom 4. bis 6. November in Wolfenbüttel statt.

Quellennachweis:
CFP: Objekt:Listen (Wolfenbüttel, 4-6 Nov 21). In: ArtHist.net, 19.03.2021. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/archive/33622>.

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