Internationale Tagung: Türkenkriege und Adelskultur in Ostmitteleuropa vom
16. bis zum 18. Jahrhundert
Leipzig, GWZO, 23.-25. Oktober 2008
Das Erleben osmanischer Besatzung, der Status als Vasallenstaat, als
konkurrierende Macht oder schlicht als Nachbarstaat hat sich den einzelnen
Ländern Ostmitteleuropas der Frühen Neuzeit in verschiedener Weise
eingeprägt. Trotz der zweifellos realen Auseinandersetzung erscheint die
Rede von einer globalen Konfrontation von Orient und Okzident in diesem
Zusammenhang unangemessen. Im Gegenteil - hier traten Formen des
kulturellen Transfers geradezu notwendigerweise auf. Die Reaktionen
insbesondere der verschiedenen Gruppen des ostmitteleuropäischen Adels auf
die osmanische Expansion erstreckten sich in einem Spannungsfeld von
realer Furcht, taktischem Kalkül, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem
Arrangement sowie pragmatischer religiöser Toleranz bis hin zu einer
Integration orientalischer Motive in die eigenen Repräsentationskulturen.
Die konkreten Erscheinungen dieses Spannungsfeldes erforscht das
interdisziplinäre Projekt "Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa.
Vergleichende Studien zu Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen"
am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur
Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig. Die angekündigte, im Rahmen des
Projekts organisierte Tagung geht der Frage nach, auf welche Weise und in
welchen Formen die Expansion des osmanischen Reiches in weite Bereiche der
Adelskultur Mitteleuropas einging.
Als zeitliche Eckpunkte dürfen zum einen die für die Beziehungen zwischen
Europa und dem Osmanischen Reich einschneidende Einnahme Belgrads 1521
sowie die Schlacht von Mohács 1526 gelten. Zum anderen wäre das
entscheidende Kippmoment im Kräfteverhältnis der Mächte - der Entsatz der
belagerten Stadt Wien 1683 - zu nennen. In dessen Folge können, wenn auch
nicht immer gegenläufige, so doch zumindest grundlegend veränderte
Entwicklungen in der Auffassung der Türkenkriege beobachtet werden,
die im "langen" 18. Jahrhundert in eine fast schematische Türkenmode bzw.
einen allgemeinen Orientalismus mündet.
Der hohe wie der niedere Adel verfügten als politisch beteiligte Schichten
über ein ausgeprägtes Standesbewusstsein. Die Gruppen standen aber nicht
selten in einem spannungsreichen Verhältnis zu den herrschenden Häusern,
gerade bei konfessionellen Differenzen, wie es in Böhmen der Fall war. So
bewegten sich die kulturellen Verbindungen zumeist zwischen Adaption der
Hofkultur des Habsburger Kaiserhauses einerseits und der Abgrenzung von
ihr andererseits, so dass den einzelnen Adelsfamilien und ihrer
Ausrichtung eingehendere Untersuchungen gebühren.
Der Begriff der "Adelskultur" umfasst alle Lebensbereiche, was sich auch
im Zusammenhang der Konfrontation mit der osmanischen Expansion zeigt. So
zeitigten die Türkenkriege konkrete wirtschaftliche Auswirkungen, deren
Nutznießer einige Adlige waren, die sich z.B. des Einsatzes von Gefangen
auf ihren Gütern bedienten. Zudem eröffneten sich ihnen neue Möglichkeiten
in Handel und Gewerbe, etwa mit türkischen Luxusgütern oder deren
Nachbildungen.
Ein weiterer wesentlicher Bereich, der sich auf das adlige Leben
Ostmitteleuropas auswirkte, waren die Aufstiegsmöglichkeiten, z.B. im
Zusammenhang mit dem diplomatischen Dienst. Hierbei spielten auch
persönlichen Erfahrungen von Reisen und höfischem Zeremoniell an den
einzelnen Höfen einen wichtige Rolle für die Perzeption.
Daneben sind in besonderem Maße die vielfältigen schriftlichen und
bildlichen Quellen künstlerischer und repräsentativer Natur in den Blick
zu nehmen, die je nach Ausprägung eine Instrumentalisierung der
Kriegteilnahme, eine mehr oder weniger starke symbolische Überhöhung der
Beteiligten als Türkensieger und eine dauerhafte Verankerung in der
kollektiven Erinnerung anstrebten. In welchen Punkten verfolgten
Reiseliteratur, Tagebücher, Flugschriften etc. die gleiche Richtung wie
etwa architektonische und figürliche Denkmäler, Medaillen und
Schlachtendarstellungen? Worin unterscheiden sie sich? Wie wirken sie?
Welche Rolle spielte die (orientalische) Musik und die theatralische
Inszenierung der osmanischen Kultur - bzw. des Bildes, das man sich von
ihr machte - in der ungarischen, siebenbürgischen, böhmischen oder
polnisch-litauischen Adelskultur? Auch das sich entwickelnde
Sammlungswesen käme als Gegenstand in Betracht. Neben der Frage nach den
jeweiligen Zielsetzungen zwischen Information, Legitimation und Propaganda
wären im Einzelnen auch die Zielgruppen offenzulegen, um eine
differenzierte Rezeptionsgeschichte der Türkenkriege zu beleuchten.
Vom Arbeitsschwerpunkt des GWZO-Projekts ausgehend, soll in den
Tagungsbeiträgen den Ländern Ostmitteleuropas besondere Aufmerksamkeit
gewidmet werden. Das Gebiet der habsburgischen Kronländer, Polen-Litauen,
die osmanisch besetzten Gebiete Ungarns, Siebenbürgen und die Balkanländer
waren zugleich Grenzraum, aber gerade dadurch auch eine der wichtigsten
Kontaktzonen zum Osmanischen Reich.
Daneben sind jedoch ebenso Referate zu anderen Regionen willkommen, die
sich in direktem oder indirektem Kontakt mit dem Osmanischen Reich und
Ostmitteleuropa befanden (Frankreich, Italien). Auf diese Weise können
übergreifende Merkmale, kulturelle Topoi, aber auch Brüche in den
europäischen Adelskulturen transparent werden.
Als Konferenzsprachen sind Englisch und Deutsch vorgesehen.
Themenvorschläge (1-2 S.) richten Sie bitte bis zum 30.5.2008 per E-Mail
an Sabine Jagodzinski M.A. oder Dr. des Robert Born.
Kontakt:
Sabine Jagodzinski M.A.
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas
(GWZO) an der Universität Leipzig e.V.
Luppenstr. 1b
D-04177 Leipzig
http://www.uni-leipzig.de/gwzo
Tel.: +49/0341/97 35 589
Fax: +49/0341/97 35 569
Mail: jagodzinskirz.uni-leipzig.de
Dr. des. Robert Born
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas
(GWZO) an der Universität Leipzig e.V.
Luppenstr. 1b
D-04177 Leipzig
http://www.uni-leipzig.de/gwzo
Tel.: +49/0341/97 35 582
Fax: +49/0341/97 35 569
Mail: rbornrz.uni-leipzig.de
Quellennachweis:
CFP: Tuerkenkriege und Adelskultur (Leipzig, 23-25 Oct 08). In: ArtHist.net, 31.03.2008. Letzter Zugriff 22.12.2024. <https://arthist.net/archive/30257>.