The shape that matters! Form als medientheoretischer Grundbegriff
Eine Arbeitstagung des Forschungsprojekts "Mediennarrationen und
Medienspiele" des DFG-FK 615 "Medienumbrüche" der Universität Siegen
Spätestens seit den Avantgardebewegungen um 1900 steht die Ästhetik vor
der begrifflichen Herausforderung, einen Sachverhalt zu denken, den man
mit Adorno als "Verfransung der Künste" bezeichnet kann. Mit dem
digitalen Medienumbruch um 2000 hat sich diese Herausforderung nochmals
verschärft: Auch die ästhetisch konservativen Unterhaltungskünste
geraten nun in den Sog einer scheinbar freien Kombinatorik heterogener
Gestaltungsprinzipien.
So wird z. B. im Computerspiel systematisch das Spektrum
kinematographischer Formen benutzt um abstrakte Spielherausforderungen
narrativ zu rahmen und zu konkretisieren. Umgekehrt tauchen typische
Computerspielformen wie der Levelwechsel oder die Game
Over/Restart-Sequenz in Spielfilmen auf und erzeugen dort eigentümliche
Portaldramaturgien und Formen des rundenbasierten Erzählens. Ähnliche
Form-Migrationen lassen sich in der Popularmusik beobachten, wenn mit
Verfahren des Samplings und des Sound-Designs Songfragmente und
Klangcharakteristiken de- und rekontextualisiert werden.
Die medialen Formen kreuzen aber nicht nur die Gattungsgrenzen der
Unterhaltungsmedialität. Auch in den Gebrauchsmedien geraten die
medialen Formen in Bewegung: Heute präsentiert etwa das Display eines
Mobiltelefons in demselben medialen Rahmen Kontrollsignale, private
Schnappschüsse, öffentliche Informationen und Videospielfelder, und es
beginnen sich mediale Dispositive einer augmented reality abzuzeichnen -
z. B. im Bereich der Head-up Displays -, in denen selbst die kategoriale
Opposition von physikalischer Genesis und semiotischer Geltung
zusammenzufallen scheint.
Phänomene wie diese sind trotz des medienwissenschaftlichen Interesses
an 'Intermedialität' und 'Vernetzung' noch kaum auf den Begriff gebracht
worden. Die Prinzipien, Potenziale und Grenzen der medialen ars
combinatoria werden in der Praxis digitaler Medienproduktion gleichsam
experimentell getestet, ohne dass die Medienreflexion nachhaltig auf die
Ergebnisse reagieren würde. Das scheint nicht zuletzt an
grundbegrifflichen Leerstellen zu liegen: Die Medienwissenschaften
kennen nur wenige medienübergreifende Konzepte, mit denen die Migration
medialer Formen artikuliert und erklärt werden könnte. Was offenbar
fehlt, ist eine hinreichend differenzierte Theorie medialer Formen.
Die Arbeitstagung "The Shape that Matters! Form als medientheoretischer
Grundbegriff" möchte unterschiedliche medientheoretische und
medienphilosophische Ansätze ins Gespräch bringen um das
Anforderungsprofil einer solchen Theorie zu schärfen und bestehende
Formkonzepte auf ihre Aufschlusskraft zu prüfen.
Programm
Fr, 22.02.2008
13:30 - 13:45: Begrüßung
13:45 - 14:00: Rainer Leschke u. Jochen Venus: Einführung
14:00 - 15:00: Georg Christoph Tholen (Basel): Form oder Rahmen.
Differenztheoretische Bestimmungen der Medialität.
15:00 - 16:00: Lambert Wiesing (Jena): Der Form-Begriff der formalen
Ästhetik
16:00 - 16:30: Pause
16:30 - 17:30: Matthias Vogel (Wien): Formen in Medien und Medien als
Formen.
17:30 - 18:30: Rainer Leschke (Siegen): Medien und Formen. Überlegungen
zu einer medienmorphologischen Rekonstruktion medialer Dispositive
20:00: Gelegenheit zum gemeinsamen Abendessen
Sa, 23.02.2008
9:00 - 10:00: Jochen Venus (Düsseldorf): Zeichen, Formen, Praktiken.
Über drei irreduzible Perspektiven der Medienreflexion
10:00 - 11:00: Hartmut Winkler (Paderborn): Formalsprachen:
'Konstruktion'? 'Reine Form'?
11:00 - 11:30: Pause
11:30 - 12:30: Niels Werber (Bochum): Visuelle Semantik. Zum Problem
visueller Medien und Formen in der Systemtheorie
12:30 - 13:30: Benno Wagner (Siegen): Der himmlische Baumeister und der
akademische Affe. Form und Signal bei Kafka
13:30: Mittagessen/Abreise
Weitere Infos unter www.medienmorphologie.de
Quellennachweis:
CONF: The shape that matters! (Siegen, 22-23 Feb 08). In: ArtHist.net, 28.01.2008. Letzter Zugriff 10.05.2025. <https://arthist.net/archive/29959>.