ANN 20.12.2007

Urheberrechtsnovelle - Jetzt noch Nutzungsrechte sichern!

Klaus Graf

sichern!

x-post: H-Soz-u-Kult

Von Klaus Graf, RWTH Aachen
E-Mail: <klausgrafgooglemail.com>

Ein besonderes "Dezemberfieber" hat Teile der deutschen Wissenschaft
befallen. Open-Access-Anhänger bangen: Wieviele Wissenschaftler werden
sich bis zum Jahresende motivieren lassen, dem für sie zuständigen
Open-Access-Schriftenserver einfache Nutzungsrechte ihrer älteren, vor
1995 erschienenen Fachpublikationen einzuräumen? Reicht das womöglich
für eine deutsche Mini-Ausgabe "Cream of Science"? Cream of Science ist
ja das einzigartige Open-Access-Projekt unserer niederländischen
Nachbarn, die es geschafft haben, etwa 60 Prozent der über 48.000
wissenschaftlichen Publikationen der Forscher-Elite, nämlich von 229
prominenten Hochschullehrern, kostenfrei im Repositorien-Verbund DAREnet
bereit zu stellen.[1]

Über die Urheberrechtsänderung zum 1. Januar 2008 und die Empfehlung der
DFG und vieler Universitäten, unbedingt die im kommenden § 137 l
Urheberrechtsgesetz vorgesehene Jahresfrist für einen Widerspruch
gegenüber den Verlagen zu wahren, habe ich in H-SOZ-U-KULT Ende August
2007 berichtet.[2] Unmittelbar darauf hatte der Ilmenauer Bibliothekar
und Jurist Eric Steinhauer eine zündende Idee: Der Widerspruch gegenüber
den Verlagen bringt kein einziges Dokument automatisch in die
Hochschulschriftenserver. Werden (nicht-ausschließliche) Nutzungsrechte
aber vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2008 einem Dritten eingeräumt,
unterbleibt der automatische Anfall der Rechte der früheren "unbekannten
Nutzungsarten" an die Verlage. Der Autor muss sich in diesem Fall
überhaupt nicht beim Verlag melden oder einen Widerspruch einlegen.
Kommt der Verlag auf ihn zu, kann und sollte er diesem eine digitale
Publikation gestatten. Der Verlag gewinnt aber nicht automatisch das
ausschließliche Nutzungsrecht, denn ein Nutzungsrecht liegt ja bereits
rechtmäßig bei einem Dritten. Und dieser Dritte sind die
Hochschulschriftenserver und fachlichen Repositorien![3]

Leider haben die Bibliotheken diese elegante Idee nur sehr zögerlich
aufgegriffen. Erst in der zweiten Novemberhälfte haben einige
Hochschulleitungen und Bibliotheken die Wissenschaftler der Universität
gebeten, formlos dem Hochschulschriftenserver noch bis zum Jahresende
einfache Nutzungsrechte an allen vor 1995 erschienenen Fachpublikationen
zu übertragen.[4] Am 6. Dezember haben DINI und das Aktionsbündnis
"Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
(http://www.urheberrechtsbuendnis.de) einen Rundbrief versandt, in dem
sie alle Wissenschaftler dringend aufriefen, den Stichtag 31.12.2007
nicht verstreichen zu lassen und ihrem zuständigen Schriftenserver die
Nutzungsrechte einzuräumen.[5] Eine kleine Sammlung von Antworten auf
aktuelle Fragen zum Thema hat das Projekt open-access.net
(http://www.open-access.net) zur
Verfügung gestellt.[6]

Fast alle deutschen Universitäten unterhalten einen
Open-Access-Schriftenserver, an den die Rechteeinräumung bis zum 31.
Dezember formlos gerichtet werden kann. Die ihn betreibende
Universitätsbibliothek bestätigt dann dem Autor die Rechteübertragung.
Damit kann dieser später gegenüber einem Verlag belegen, dass er die
Online-Rechte vor Inkrafttreten des Gesetzes einem Dritten eingeräumt
hat. Es ist nicht erforderlich, die Schriften noch 2007 zu
digitalisieren oder zugänglich zu machen. Schriftenserver und Autoren
können 2008 in aller Ruhe sich über die Modalitäten der Einstellung
einigen: Ob der Autor selbst scannt und hochlädt oder ob die Bibliothek
für ihn digitalisiert.

In Hochschulschriftenservern können grundsätzlich immer nur die
Angehörigen der Hochschule publizieren. Wer nicht einer Hochschule
angehört, hat aber die Möglichkeit, die Rechte einem fachlichen
Repositorium zu übertragen. Im Bereich der Kunstgeschichte betreibt die
Universitätsbibliothek Heidelberg einen solchen Server: ART-Dok.[7] Für
die Geschichtswissenschaft existiert noch kein fachliches Repositorium.
Um aber auch Historikerinnen und Historikern ohne universitäre Anbindung
die Möglichkeit zu bieten, ihre Fachpublikationen vor 1995 durch eine
solche Rechteeinräumung "Open Access" zugänglich zu machen, ruft Gudrun
Gersmann (Paris), die Mitbegründerin von historicum.net, dazu auf, dass
die Autoren der "Bayerischen Staatsbibliothek als Betreiberin des
geschichtswissenschaftlichen Informationsportals historicum.net" ein
einfaches Nutzungsrecht einräumen sollen.

Für eine flächendeckende Mobilisierung der Wissenschaftler ist die Zeit
vor der Weihnachtspause viel zu knapp. Die meisten werden von der
Möglichkeit der Rechteeinräumung nichts mehr erfahren oder erst Anfang
2008, wenn es für den hier beschriebenen Weg zu spät ist. 2008 müssen
Wissenschaftler, die Verlage daran hindern wollen, dass diese ihnen
mittels eines ausschließlichen Nutzungsrechtes eine
Open-Access-Publikation ihrer älteren Studien verbieten, möglichst bald
gegenüber dem Verlag widersprechen. Der Verlag kann eine digitale
Nutzung aufnehmen, wenn er den Autor unter der letzten bekannten Adresse
davon unterrichtet. Dann hat der Autor drei Monate Zeit für einen
Widerspruch. Es liegt auf der Hand, dass bei älteren Veröffentlichungen
der Anteil der Briefe, die an den Verlag unzustellbar zurückgehen, sehr
hoch sein dürfte. Daher empfehlen Urheberrechtsbündnis und DINI den
Wissenschaftlern, möglichst innerhalb der ersten drei Monate von 2008
Widerspruch bei den Verlagen einzulegen.

Als "Schlag ins Wasser" sehen Open-Access-Anhänger die späte Kampagne
trotzdem nicht. Sie setzt ein Zeichen für Open Access, macht die
Repositorien, die ja dem "grünen Weg" von Open Access entsprechen[8],
bekannter und verdeutlicht, dass die Hochschulleitungen hinter Open
Access stehen und die eigenen Schriftenserver unterstützen. Weltweit
beklagen Open-Access-Aktivisten die schwache Resonanz der Repositorien
bei den Wissenschaftlern. Als Königsweg, sie mehr zu füllen, gelten
ausdrückliche Verpflichtungen (Mandate) seitens der Hochschulen und
Förderorganisationen. Bei deutschen Universitäten verbaut aber
Verfassungsrecht nach Ansicht vieler Juristen diesen Weg: Universitäten
dürfen ihre Wissenschaftler nicht zwingen, Open Access zu
veröffentlichen.

Bereits jetzt lässt sich absehen, dass durch die Aktion in absehbarer
Zeit eine große Anzahl wertvoller Fachbeiträge, etwa ältere
Habilitationsschriften, kostenfrei im Internet einsehbar sein werden.
Denn bei den (vergleichsweise wenigen) Universitäten, die ihre
Wissenschaftler um Nutzungsrechte gebeten haben, ist die bisherige
Resonanz durchaus positiv. Von der Universitätsbibliothek Bielefeld
verlautete etwa: "Der Rücklauf ist inzwischen so gewaltig, dass wir für
das Beschaffen, Scannen und Einstellen der Dokumente im nächsten Jahr
wahrscheinlich zusätzliche Hilfskräfte einstellen müssen."[9]

(Die freie Verbreitung dieses Textes mit Quellenangabe ist gestattet.)

Anmerkungen:
[1] <http://www.creamofscience.org/>
(12.12.2007).
[2] Graf, Klaus, Urheberrechtsnovelle - Implikationen für die
Wissenschaft, in: H-Soz-u-Kult, 29.08.2007,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=930>
(12.12.2007). Siehe auch meinen Beitrag zum gleichen Thema: Neues
Urheberrecht: Autoren müssen reagieren, in: Kunstchronik 60 (2007), S.
530-523 (Themenheft Open Access), in ergänzter Form online:
<http://archiv.twoday.net/stories/4477889/> (12.12.2007).
[3] Eric Steinhauer, § 137 l UrhG und die Rolle der Bibliotheken,
<http://bibliotheksrecht.blog.de/2007/09/03/s_137_l_urhg_und_die_rolle_der_bibliothe~2915206>
(14.12.2007)
[4] Lückenhafte Liste von Informationsseiten:
<http://archiv.twoday.net/stories/4474892/>. Exemplarisch die Seite der
Humboldt-Universität Berlin:
<http://edoc.hu-berlin.de/e_info/copyright.php>
[5] <http://www.urheberrechtsbuendnis.de/docs/Rundbrief1207.html>
(12.12.2007) mit Mustertexten.
[6]
<http://open-access.net/de/austausch/news/news/anzeige/aktuelle_fragen_zur_recht/>
(12.12.2007).
[7] <http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/> (12.12.2007).
[8] Ulrich Herb, Die Farbenlehre des Open Access, in: Telepolis vom
14.10.2006 <http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23672/1.html>
(12.12.2007).
[9] Laufende Berichterstattung unter
<http://archiv.twoday.net/topics/Open+Access/> (12.12.2007).

Quellennachweis:
ANN: Urheberrechtsnovelle - Jetzt noch Nutzungsrechte sichern!. In: ArtHist.net, 20.12.2007. Letzter Zugriff 10.05.2025. <https://arthist.net/archive/29933>.

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