Anm. der Redaktion:
Zwei Protestschreiben gegen den Verkauf von Handschriften aus der
Landesbibliothek Karlsruhe.
[1] H-Germanistik
[2] Verband deutscher Kunsthistoriker: Offener Brief an den
Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg
[1]_____________________________________________________________________
From: H-GERMANISTIK [Markus Malo] <maloh-germanistik.de>
Subject: Ausverkauf in der Badischen Landesbibliothek
Schlußverkauf in der Badischen Landesbibliothek
Anfang letzter Woche wurden zufällig und parallel zu den Feierlichkeiten
zum 200. Geburtstag des Großherzogtums baden und des Königreichs
Württemberg Pläne der baden-württembergischen Landesregierung unter
Ministerpräsident Günter Oettinger bekannt, wesentliche Teile der
Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe zu
veräußern. Mit dem geschätzten Erlös von 70 Millionen Euro soll ein
Vergleich mit dem Haus Baden geschlossen werden, der es der ehemaligen
Herrscherfamilie des Landes Baden erlaubt, die Sanierung des letzten
verbliebenen großen Besitzes der Familie, Schloß Salem am Bodensee, zu
finanzieren (30 Millionen Euro) und den Rest des Verkaufserlöses in eine
Stiftung einzubringen, in deren Besitz das Schloß übergehen würde und die
den weiteren Unterhalt des Schlosses sichern soll (40 Millionen Euro). Die
Familie von Baden erhielte Wohnrecht in diesem Schloß.
Das Land Baden-Württemberg hat diesem merkwürdigen Handel zugestimmt, um
sich Rechtssicherheit in einem lange schwelenden Streit zu erkaufen.
Anders als im württembergischen Landesteil hat in Baden – so die
überraschenderweise übereinstimmende Argumentation von Land und Familie –
nie eine rechtsverbindliche Trennung von staatlichem Eigentum und
fürstlichem Privatvermögen stattgefunden, so dass seit der Abdankung des
Großherzogs 1918 immer wieder Eigentumsansprüche der Familie von Baden auf
die in Landesbesitz befindlichen Kunstschätze geltend gemacht wurden. Zu
den Kunstschätzen gehören neben den jetzt zum Verkauf stehenden ca. 3.500
Handschriften der Badischen Landesbibliothek noch zahlreiche weitere
Kunstwerke in Karlsruher Museen im Gesamtwert von über 300 Millionen Euro.
Da das Land befürchtet, in einem Rechtsstreit mit der ehemals
großherzoglichen Familie zu unterliegen und dann einen wesentlich höheren
(finanziellen, nicht kulturellen!) Verlust zu erleiden, hat es diesem
Vorschlag zugestimmt und fügt damit Wissenschaft und Kultur in Deutschland
einen nicht zu beziffernden Schaden zu. Dieser Schaden wie auch der aus
einem solchen Verhalten resultierende Imageschaden für das Land scheint
der Regierung aber nicht relevant zu sein gegenüber den möglichen
finanziellen Verlusten, die man im Fall eines verlorenen Rechtsstreits zu
gewärtigen hätte. Der Ministerpräsident höchstselbst hat diese Position in
einem Interview vertreten.
Mittlerweile hat sich breiter Widerstand gegen diese Position der
baden-württembergischen Landesregierung formiert, der sich nicht nur aus
badischem Lokalpatriotismus speist. Auch die internationale scientific
community zeigt sich mittlerweile empört über den Ausverkauf der
kulturellen Identität eines keinesfalls verarmten deutschen Bundeslands
wie ein Leserbrief englischer und amerikanischer Kunsthistoriker in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. September 2006 zeigt. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) hat in einer Pressemitteilung vom 27.
September 2006 das Land Baden-Württemberg bereits aufgefordert, den Zugang
zu diesen Handschriften, die mit DFG-Mitteln erschlossen und katalogisiert
worden sind, für die Wissenschaft auch künftig sicherzustellen, weil sie
fürchtet, dass die Handschriften durch den Verkauf an Privatsammler
künftig der wissenschaftlichen Nutzung entzogen werden könnten. Darüber
hinaus besteht die Gefahr der Zerschlagung eines historisch gewachsenen
Ensembles durch den Einzelverkauf der mehr als 3.500 in Frage kommenden
Handschriften. Auch für die einzelnen Handschriften besteht Gefahr; sie
könnten nach dem Verkauf zerlegt werden, um enthaltene Illustrationen
einzeln weiterverkaufen zu können. Der Handschriftenexperte und ehemalige
Leiter der Handschriftenabteilung der Württembergischen Landesbibliothek,
Prof. Dr. Felix Heinzer (Freiburg), hat aus diesen Gründen die von der
Landesregierung an ihn herangetragene Einladung zur Mitarbeit an einer
Expertengruppe, die den Verkauf vorbereiten soll, abgelehnt.
Die Diskussion um den geplanten Verkauf der Handschriften sowie die
Dokumentation der bislang zu diesem Thema erschienenen Zeitungs- und
Zeitschriftenartikel, offenen Briefe usw. ist in zahlreichen
Mailinglisten, Weblogs und Webseiten im Internet zu verfolgen. Eine
Auswahl einschlägiger Internetadressen, die sich dieser Aufgabe widmen,
befindet sich am Ende dieser Mail.
Diejenigen, die den Erhalt der Sammlung unterstützen möchten, können dies
durch Unterzeichnung eines offenen Briefs an den Ministerpräsidenten und
die Landesregierung von Baden-Württemberg tun. Den Wortlaut des offenen
Briefes findet sich unter der URL
http://cgi-host.uni-marburg.de/~mrep/brief/ ; hier können Sie sich per
Mail an kleinkstaff.uni-marburg.de diesem offenen Brief anschließen.
Weblinks, über die weitere Informationen zu diesem Thema zur Verfügung
gestellt werden:
http://www.blb-karlsruhe.de -
Dokumentation über Presseberichte,
Presserklärungen usw. zum geplanten Ausverkauf
Weblogs:
http://archiv.twoday.net/
http://log.netbib.de/
Mailinglisten
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/date1.html - Über das
Listenarchiv kann die Diskussion in der bibliothekarischen
Fachöffentlichkeit verfolgt werden. Das Archiv ist tagesaktuell.
http://www.aedph.uni-bayreuth.de/mediaevistik.htm - Leider wird das Archiv
dieser Liste nur monatlich aktualisiert, d.h. um die Debatte hier
nachzuverfolgen, muß die Liste abonniert werden.
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From: Verband Dt. Kunsthistoriker <infokunsthistoriker.org>
Subject: Offener Brief zum drohenden Verkauf Karlsruher Handschriften
An den
Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg
Herrn Günther H. Oettinger
Staatsministerium Baden-Württemberg
Richard-Wagner-Straße 15
70184 Stuttgart
Offener Brief: Zum drohenden Verkauf Karlsruher Handschriften
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
der Verband Deutscher Kunsthistoriker protestiert aufs Schärfste gegen den
Plan der baden-württembergischen Landesregierung, kostbare Handschriften
aus der Landesbibliothek Karlsruhe zu verkaufen, um mit dem erhofften
Erlös das großherzogliche Haus Baden zu entschulden und zugleich damit den
denkmalpflegerischen Erhalt des ehemaligen Zisterzienserklosters Salem zu
sichern, das seit 1802 dem Haus Baden gehört und weiterhin als Wohnsitz
dienen soll.
Es ist höchst zweifelhaft, ob dem Haus Baden überhaupt ein Besitzrecht an
den von ihm beanspruchten beweglichen Kunst- und Bibliotheksgütern
zusteht, die auch vor 1918 nicht Privatbesitz der Großherzöge waren. Die
gestern in der FAZ (Nr. 227, S. 37) veröffentlichte Beurteilung des
Heidelberger Steuer- und Finanzrechtlers Mußgnug widerspricht mit sehr
eindeutiger Begründung der derzeit von der baden-württembergischen
Landesregierung geäußerten Auffassung.
Doch selbst im gegenteiligen Falle wäre es Pflicht und Ehrensache des
verantwortlichen Ministerpräsidenten, eine derart beispiellose und
barbarische Zerstreuung wertvollsten, gewachsenen Kulturgutes unter allen
Umständen zu verhindern.
Denn Sie, Herr Ministerpräsident, tragen in der Gegenwart und vor der
Zukunft des Ihrer Obhut anvertrauten Landes dafür Verantwortung, die mehr
als tausend Jahre umspannenden Zeugnisse seiner kulturellen Eigenart und
auch die Zeugnisse der weitgreifenden, die heutigen Landesgrenzen weit
überschreitenden kulturellen Interessen zu bewahren, die sich in dem
Karlsruher Bücherbestand von größtem ideellen Wert manifestieren.
Solche Sammlungsbestände besitzen, wie man in den Geschichtswissenschaften
seit langem erkannt hat, ihren besonderen Wert in der gewachsenen,
vielschichtigen Einheit. Diese stellt ein bedeutendes historisches Zeugnis
in sich dar, das für alle Zeiten zerstört würde durch den Verlust auch nur
weniger Handschriften, so wie eine kostbare Krone durch das Herausbrechen
einzelner Perlen und Steine an materiellem und ideellem Wert entscheidend
verlöre.
Und was wäre die Plünderung der einzigartigen Karlsruher
Handschriftensammlung für ein Beitrag zur kulturgeschichtlichen
Gleichberechtigung der badisch-schwäbischen Geschwisterschaft, wenn der
ehemals württembergische Bibliotheksbesitz gottseidank unanfechtbar in der
Stuttgarter Landesbibliothek erhalten bleibt?
Als 1980 die kostbare Bibliothek des Hauses Oettingen-Wallerstein bedroht
war, fand die bayerische Staatsregierung unter Franz Josef Strauß eine
intelligente Mischfinanzierung, mit der die Bibliothek – zu einem damals
schon sehr stattlichen Preis ! – vollständig für die Universität des
schwäbischen Landesteils in Augsburg und damit für das gemeinsame
kulturelle Gedächtnis gerettet wurde. Das war in einem Land, das
gleichzeitig an einem wirtschaftlich hochanspruchsvollen und wie wir sehen
erfolgreichen Strukturwandel arbeitete, selbstverständlich. Sollte so
etwas nicht auch heute in Ihrem Bundesland nicht nur möglich, ja vielmehr
obligatorisch sein?
Wirtschaft und Kultur, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, sind – und
waren – immer zwei Seiten derselben Medaille, und für die Kultur waren
immer auch hohe wirtschaftliche Opfer zu bringen, die sich freilich reich
verzinsen.
Bei entsprechend gewachsenem Bewußtsein für das, was auf dem Spiel steht
und angesichts des drohenden Verlustes an kultureller Identität und
internationalem Ansehen müßte in einem so sprichwörtlich kreativen Lande
wie dem Ihren doch auch in der Regierung soviel Phantasie zu entwickeln
sein, wie nötig ist, um den vollständigen Erhalt der Karlsruher
Bücherschätze zugleich mit dem von Kloster Salem sicherzustellen. Das
können nicht nur die Bürger Ihres Landes von Ihnen erwarten, dazu fordert
auch die Fachöffentlichkeit Sie dringendst auf!
Im Namen der Mitglieder des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker
Hochachtungsvoll
gez. Prof. Dr. Georg Satzinger
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Wer etwaige weitere Protestmaßnahmen namentlich unterstützen möchte, teile
dies bitte unter Angabe von Namen und Anschrift unter folgender
E-Mail-Adresse mit:
unterschriftkunsthistoriker.org
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
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Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V.
Geschäftsstelle
c/o Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn
Regina-Pacis-Weg 1
D-53113 Bonn
Kontakt:
Tel. +49 (0)228 739091
Fax. +49 (0)228 734810
infokunsthistoriker.org
Homepage:
http://www.kunsthistoriker.org
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Quellennachweis:
ANN: Ausverkauf in der Badischen Landesbibliothek. In: ArtHist.net, 30.09.2006. Letzter Zugriff 22.12.2024. <https://arthist.net/archive/28536>.