korporativer Siegel im Spätmittelalter - Gießen
01/06
x-post: H-Soz-Kult
[english version below]
Siegel - Bild - Gruppe.
Visualisierungsstrategien korporativer Siegel im Spätmittelalter
Justus-Liebig-Universität Gießen
Margarethe-Bieber-Saal
Ludwigstraße 34
13.01.2006-14.01.2006
Deadline: 08.08.2005
Das Siegel war bis ins Hochmittelalter hinein ausschließlich
persönliches Zeichen seines Inhabers bzw. seiner Inhaberin. Die
Identität dieser Person wurde auf dem Siegel durch das Zusammenspiel von
Textumschrift und Bild generiert. Seit etwa 1100 und verstärkt ab dem
13. Jahrhundert legten sich jedoch auch Gruppen Siegel zu. Zentren
dieser Aneignung waren insbesondere die Städte, wo sich immer mehr
weltliche und geistliche Gruppen an der auf Schriftlichkeit basierenden
Rechtskommunikation beteiligten.
Somit war die bis dahin bestehende Äquivalenz zwischen der
siegelführenden Person und dem sie repräsentierenden Siegelbild obsolet
geworden. Vielmehr wurde in korporativen Siegelbildern eine
Eigendefinition des korporativen Selbstverständnisses der
siegelführenden Gruppe vorgenommen. Deren Ikonographie oszillierte
zwischen der Rezeption der Personensiegel und dem Aufbrechen von deren
engen Darstellungskonventionen. Nehmen wir beispielsweise die
Stadtsiegel: je nach Entstehungskontext wurden unterschiedlichste
Lösungen gefunden, um die Idee der communitas im Bildsystem Siegel
umzusetzen. So konnte in ikonographischer Anlehnung an Personensiegel
der Stadtherr oder -patron die Gemeinschaft ebenso repräsentieren, wie
verschiedene Formen von Architektur- oder Gruppendarstellungen. Die
Schwierigkeit eine communitas in einem Bild zu erfassen, stellt die
Frage nach dem Verhältnis von dargestelltem Fragment zur Totalität der
zu repräsentierenden Gruppe.
Die bislang erst rudimentär erforschten spätmittelalterlichen
Gruppensiegel bieten mit ihren komplexen Bildstrukturen ein
hervorragendes Feld, den Dialog zwischen den Geschichts- und
Bildwissenschaften über ein Medium in Gang zu setzen, das aus Text und
Bild Identität konstituierte. Wir laden interessierte
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Universitäten, Museen und
Archiven ein, ihre Forschungsergebnisse auf der Gießener Tagung zu
präsentieren, um so miteinander ins Gespräch zu kommen. Mögliche
Beiträge (in Deutsch, Englisch oder Französisch; 30 bis 45 Minuten
Länge) könnten sich mit einer der folgenden Fragestellungen
beschäftigen:
- wie werden in korporativen Siegeln spätmittelalterliche Ideen von
Gruppenidentität visualisiert?
- welche Rolle spielt dabei die Darstellung des Fragmentarischen
(Körperteile, Architektur) zur Vergegenwärtigung des Ganzen?
- wie setzen sich Gruppensiegel mit den ikonographischen Traditionen der
bisherigen Personensiegel auseinander?
- wie reagieren die alten siegelführenden Eliten auf die Siegelaneignung
von Gruppen?
- aus welchen Bildgattungen und -medien sind Motivtransfers in die
Siegelbildikonographie zu beobachten?
- in welchem Verhältnis stehen Siegelbilder zu anderen Formen der
spätmittelalterlichen Repräsentation?
- ist in korporativen Siegelbildern Geschlechterdifferenz faßbar?
- wie wirkt die Reproduzierbarkeit des Siegelbildes auf
dessen Gestaltung?
- wie werden Siegel und ihr Gebrauch in anderen Bildmedien reflektiert?
- wie werden Siegel und ihre Bildlichkeit in juristischen, theologischen
und literarischen Kontexten thematisiert?
------
Up to the Higher Middle Ages seals were considered to be personal signs
of their holders exclusively. Image and inscription on the seal's
surface generated the holder's identity. Only after 1100 and more
frequently from the 13th century on corporations got themselves seals
too. This process of appropriation mainly took place in urban
environments, where written legal communication involved more and more
clerical as well as secular groups.
As a consequence the identity between the seal's holder and the person
represented on it became obsolete. Instead, the images on common seals
defined the corporative status of the holding group. Their iconography
oscillated between adopting pictorial traditions of earlier personal
seals and breaking them down. Take city seals: depending on the
particular object's context of production, differing solutions were
found to visualize the idea of communitas. An urban community could be
represented by an image of the city's patron or lord thus following the
convention of personal seals. On the other hand, it could also be
represented by various forms of visualizing architecture or groups.
These strategies of visual appropriation, fragmentation and
rearrangement raise issues of how to cover communitas in its corporative
entirety.
Late medieval common seals with their complex iconography provide an
ideal basis for an interdisciplinary discussion on media, which
constitute social identity by combining text and image. In past research
this issue has been largely understudied. To fill this gap we invite
scholars from various institutions, such as universities, museums and
archives, to contribute a paper to the Gießen conference. Papers (in
German, English or French; 30 to 45 mins.) might recognize questions
such as
- how did images on common seals visualize the idea of communitas?
- how did depictions of fragments such as limbs or architectural
elements represent the corporative entirety?
- did common seals' images deal with iconographic traditions of personal
seals?
- how did the old elites of seal holders react to the groups'
appropriation?
- from which artistic sources did transfers of iconography take place?
- what ties common seals to other forms of pictorial representation of
groups in the Later Middle Ages?
- do images of common seals recognize gender?
- did reproducibility influence the composition of sigillographic
images?
- in which way do other works of art depict seals and their usage?
- how do legal, theological and literary sources reflect common seals
and their images?
-----
Kurze Exposés (max. 200 Wörter) können bis zum 8. August 2005 per Post
oder E-mail an folgende Adresse gesandt werden:
Short proposals (max. 200 words) can be send via e-mail or by regular
mail to the following address until 8th August:
Dr. Markus Späth
Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Kunstgeschichte
Otto-Behaghel-Str. 10 G
D-35394 Gießen
Tel.: +49 (0641) 9928284
Fax: +49 (0641) 9928289
E-mail: markus.spaethkunst.geschichte.uni-giessen.de
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden bis Ende August
benachrichtigt. Es werden Drittmittel zur Finanzierung der Reise- und
Übernachtungskosten der Vortragenden beantragt.
You will receive definite answer until end of August. We apply for
funding in order to cover the expense of the participants.
---
Markus Späth
markus.spaethkunst.geschichte.uni-giessen.de
Reference:
CFP: Siegel - Bild - Gruppe (Giessen13-14 Jan 06). In: ArtHist.net, Jul 15, 2005 (accessed Mar 27, 2025), <https://arthist.net/archive/27380>.