CONF 19.05.2005

Gesichter auftragen (Darmstadt 3-4 Jun 05)

Christine Taxer

Gesichter auftragen ­
Dekorative Kosmetik im Spannungsfeld moderner Bildkultur

3. und 4. Juni 2005

Technische Universität Darmstadt

Konzeption und Leitung
PD Dr. Christian Janecke (Vertretungsprofessur Kunstgeschichte an der HfG
Offenbach)
für die Wella Stiftungsdozentur an der TU Darmstadt

Ziel der Tagung ist nicht die modegeschichtliche Erörterung einschlägiger
Schminkstile, sondern das Schminken als solches, die damit jeweils
getroffenen Entscheidungen zum temporären, kosmetisch bewirkten
ŒGesichtsbild¹. Aus kunst-, bild-, kultur- und literaturwissenschaftlicher,
sowie soziologischer und philosophischer Warte wird gefragt, wie sich im
Zuge der Moderne diverse, z.T. gegensätzliche kulturelle Kräfte zum
Schminken positionierten. Exemplarisch erörtert werden die unterschwellig
bis explizit weltanschaulich, religiös, moralisch oder ästhetisch
motivierten Haltungen, die diesbezüglich zu Ablehnung, Vorbehalt oder
Befürwortung tendierten, und vor deren Hintergrund alltäglich dezente oder
auch extravagante Schminkpraktiken, schließlich auch deren kreative oder
subversive Aneignungen verständlicher werden.
Die wandelbaren Schönheitsideale samt der damit im Austausch stehenden
Vermessungen, Bewertungen und Vergleiche des Körpers nach Maßgaben von
Physiognomik und Anthropometrie wurden in erster Linie auf das Gesicht
bezogen. Insofern nun Dekorative Kosmetik explizit der Verschönerung, gar
der Verwandlung und weniger der Pflege des Gesichts dient, gerät sie in die
Nähe solcher Diskurse. Zumal heutige digitale Konstruktion neuer oder
hybrider Gesichter rekapituliert und verfeinert jene ŒÜberarbeitung¹ von
Gesichtern, wie sie vormals Sache der Techniken und Instrumente Dekorativer
Kosmetik war. Das digital geschminkte "Bild des Gesichts" kann auf ein
Œeigentliches¹ Gesicht darunter verzichten bzw. damit verschmelzen -
verbreitet über die Medien wirkt es seinerseits normativ auf kosmetische
Praktiken zurück.
Diesen Optimalisierungen und auch Optionalisierungen des Gesichts
konfrontiert sich eine seit der frühen Moderne ambivalente Haltung gegenüber
Dekorativer Kosmetik:
Im Zuge bürgerlichen Authentizitätszwangs prägten sich bis heute fortlebende
Aversionen gegen ein Schminken aus, das entweder nur auf der Bühne oder
dezent bis selbstverleugnend im Alltag als legitim erschien. Zugleich konnte
seit Baudelaire im Schminken gerade ein Exempel für den notwendigen Schein,
für eine ŒWahrheit der Oberfläche¹ gesehen werden. Und so wurde noch in den
Anfangsjahrzehnten des 20. Jahrhunderts sowohl das Lob der per Schminke
erreichbaren Verstellung, des Artifiziellen als Rückberufung auf ältere,
letztlich aristokratische Ideale des distanten Scheins laut, als auch die
lebensreformerisch, expressionistisch, später neusachlich und schließlich
völkisch getönte Wendung auf das vermeintlich Œnatürlich Schöne¹, das
kosmetischer Nachhilfe nicht bedürfe.
Auch konnte gerade das vermeintlich Verruchte oder Kokette des geschminkten
Gesichts als das Begehrenswerte favorisiert werden, wie es sich etwa in den
Stereotypen vom Vamp oder der Femme fatale manifestiert. Die Verhandlung
solcher Motive, Aversionen und Sehnsüchte wird auch Sache der Literatur,
z.B. bei Hoffmannsthal, Thomas Mann und Gottfried Benn - auf denkwürdige
Weise kulminierend in der Werk und Person umfassenden Selbstinzenierung der
Autorin Gisela Elsner.
Aus weniger bekenntnishafter Sicht auf ein Für und Wider Dekorativer
Kosmetik treten sodann auch andere Möglichkeiten in den Blick: So kann dem
"Akt" des Schminkens selbst, nämlich als einer allmorgentlichen
ŒSelbsthervorbringung¹ möglicherweise genau so große Bedeutung zukommen wie
dem "Resultat". Oder das Schminken wird als künstlerische Handlung, als ein
Farbauftrag auf bereits vorhandenen Gesichtern, Körpern, gar Tierpräparaten
sichtbar - wobei zu fragen bleibt, ob solch ein schminkender Farbauftrag
z.B. auf einem Porträt nun nur als Teil der Darstellung zu begreifen ist
(weil eben die "Porträtierte" geschminkt war) oder ob er erkennbar Zutat im
Sinne einer farblich malerischen Kommentierung bleibt (so als wäre nun das
"Porträt" oder auch nur die "physische Leinwand des Bildes" davon
gezeichnet).

Programm
Freitag, 3. Juni 2005
Wella Museum Darmstadt, Berliner Allee 65, 64274 Darmstadt

18.00
Eröffnungsvortrag: Die Matrix der Kosmetik. Vom vermessenen zum errechneten
Gesicht
Prof. Dr. Gabriele Werner (Universität für angewandte Kunst, Wien)

Begrüßung mit Empfang und Führung durch das Museum

Samstag, 4. Juni 2005
Lichtenberg-Haus der TU Darmstadt, Dieburger Straße 241, 64287 Darmstadt

9.30 ­ 10.15
Begrüßung
Prof. Dr. Angela Paul-Kohlhoff (TU Darmstadt)

Einführung in das Thema der Tagung
PD Dr. Christian Janecke (HfG Offenbach)

10.15 ­ 11.00
Das Gesichtsbild als Akt
Prof. Dr. Petra Gehring (TU Darmstadt)

Kaffeepause

11.30 ­ 12.15
Schminken: die Person zwischen Natur und Maske
Prof. Dr. Gernot Böhme (Darmstadt)

12.15 ­ 13.00
Authentizität und Kosmetik seit Baudelaires "Lob der Schminke"
Dr. Annette Geiger (UdK Berlin)

Mittagspause

14.00 ­ 14.45
Geschminkte Tiere. Über Signalfarben im Medienzeitalter
Dr. des. Petra Lange-Berndt (Universität Trier)

Kaffeepause

15.00 ­ 15.45
Gesichtsbilder lesen: Schminken in der Literatur
PD Dr. Gesa Dane (Georg August-Universität Göttingen)

15.45 ­ 16.30
Make-up als Mimikry: Die Gesichter der Autorin Gisela Elsner (1937-1992)
Dr. Christine Künzel (Universität Hamburg)

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Informationen: www.tu-darmstadt.de/gesichter-auftragen
Kontakt: gesichter-auftragengmx.de

Quellennachweis:
CONF: Gesichter auftragen (Darmstadt 3-4 Jun 05). In: ArtHist.net, 19.05.2005. Letzter Zugriff 10.05.2025. <https://arthist.net/archive/27224>.

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