CFP 24.02.2003

Francesco Bianchini 1662-1729 (Augsburg, 11.-13.9.03)

Anke Sczesny

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser Institut fuer Europaeische Kulturgeschichte der Universitaet Augsburg
veranstaltet vom 11.-13. September 2003 eine Tagung zu "Francesco Bianchini
(1662-1729) und die europaeische gelehrte Welt um 1700", bei der
international renommierte Wissenschaftler vortragen werden.

Francesco Bianchini (1662-1729)
und die europaeische gelehrte Welt um 1700

Tagung am Institut fuer Europaeische Kulturgeschichte
Augsburg, 11.-13. September 2003

Francesco Bianchini gehoert zu den herausragenden Gestalten der europaeischen
gelehrten Welt am Beginnn des 18. Jhs. Geboren in Verona, gelangte er nach
Studien in Bologna und Padua durch Protektion des Kardinals Pietro
Ottoboni, des spaeteren Alexander VIII., in die wissenschaftlichen Zirkel
Roms und zu eintraeglichen Positionen an der Kurie. Unter Clemens XI. uebte
er auch diplomatische Funktionen aus und reiste in paepstlichem Auftrag nach
Frankreich und England. Als presidente delle antichità di Roma besass er
Einfluss auf die Vatikanischen Museen und die Ausgrabungen im Kirchenstaat,
als Vertrauter des Kardinals Alessandro Albani beriet er ihn bei dessen
Sammeltaetigkeit. Ein eigenes Museo Ecclesiastico im Vatikan blieb in der
Planung. In seiner Funktion als Sekretaer der Congregazione del Calendario
zeigte er sich fuer die Kalenderreform und die Konstruktion des Meridians in
S. Maria degli Angeli verantwortlich. Sein wissenschaftliches Werk reicht
von astronomischen Schriften ueber eine unvollendete Istoria universale -
sein wohl bekanntestes Werk - bis zur aufwendigen Publikation
archaeologischer Ausgrabungen. Diese Leistungen fanden bereits zu seinen
Lebzeiten internationale Beachtung. Als Ehrenmitglied der koeniglichen
Akademien in Paris und London korrespondierte er mit den fuehrenden
Gelehrten und Wissenschaftlern seiner Zeit, so mit Leibniz oder Newton,
dessen Lichtexperimente er als einer der ersten auf dem Kontinent
vorfuehrte. In seinem Verstaendnis beruhte wissenschaftlicher Fortschritt auf
internationalem freien Austausch. Die von Muratori geplante, national
ausgerichtete Accademia Letteraria d'Italia, als deren Sekretaer er
ausersehen war, lehnte er aus diesem Grunde ab.

Die weitverzweigten Forschungsinteressen des Universalgelehrten Bianchini
eroeffnen ein ganzes Panorama fruehneuzeitlicher Bildungs-, Wissenschafts-
und Institutionengeschichte. Bianchinis intellektuelle Spannweite ist nicht
nur an seinen teilweise erst postum erschienenen Schriften abzulesen. Die
Biblioteca Capitolare in Verona und die Biblioteca Vallicelliana in Rom
beherbergen grosse Teile seines umfangreichen Nachlasses, darunter
ausfuehrliche Reiseberichte und ein ganzes Konvolut an Korrespondenzen mit
namhaften europaeischen Gelehrten, die entscheidende Einblicke in den
Wissenstransfer innerhalb der europaeischen Gelehrtenrepublik geben.
Erhalten sind zudem Akademie-Vortraege, astronomische Beobachtungen sowie
umfangreiche Manuskripte und Zeichnungen durchgefuehrter wie geplanter
Vorhaben.

Bianchinis Leben und Werk fuegt sich in unterschiedlicher Weise in die
erkenntnis-, wahrnehmungs- und wissenschaftstheoretischen Kontroversen und
forschungspraktischen Errungenschaften seiner Zeit ein. Bianchini
propagierte die UEberlegenheit der Bild- gegenueber den Schriftquellen sowohl
im Sinne der historischen Wahrheitsfindung (quellenkritisches Studium) als
auch hinsichtlich der aus der Antike abgeleiteten Gedaechtnis- und
Wahrnehmungstheorien (erkenntnistheoretische Ansaetze). Die
"Wissenschaftliche Revolution" hatte begonnen, neue Formen und
Erkenntnisansprueche, Theorien und experimentelle Praktiken in den
verschiedenen Laendern Europas an der Schwelle zur Neuzeit durchzusetzen.
Die "Historische Aufklaerung" brachte gleichzeitig ein Wahrheitspostulat in
die Geschichtsschreibung ein, das zu einer systematischen Erfassung und
Erforschung bis dahin vernachlaessigter oder wenig beachteter Artefakte
fuehrte. Bewusst stellte sich Bianchini in den Dienst dieses
wissenschaftlichen "Fortschrittes", des neuen Erkenntnisideals und der auch
in den Publikationen verstaerkt visuell gefuehrten Diskussion. Neben der
Forschung galt seine Aufmerksamkeit insbesondere der Vermittlung von
Wissen, bei der das Bild sowohl als Beleg wie als mnemotechnische Stuetze
von zentraler Bedeutung ist. Beide Aspekte - das Objekt als historischer
Beleg und dessen Bild als Gedaechtnisstuetze - vereinten sich in der
Konzeption des nie vollendeten Museo Ecclesiastico. Doch Bianchinis
Positionen beleuchten nicht nur seine persoenlichen UEberzeugungen. Da er
zeitlebens durch entsprechende Positionen an der roemischen Kurie finanziell
gesichert und damit auch abhaengig blieb, spiegeln seine Aktivitaeten
zugleich das spezifische Klima des roemischen Kirchenstaates und der
paepstlichen Kunst- und Kulturpolitik wider: speziell Clemens XI.
(1700-1721), dessen Pontifikat von den Krisen des Spanischen Erbfolgekrieg
gezeichnet war, bemuehte sich intensiv darum, die Vereinbarkeit von Wissen,
Glauben und Herrschaft unter Beweis zu stellen.

Trotz dieses ungewoehnlich breit gefaecherten Lebenswerkes und seiner
weitreichenden Anerkennung zu Lebzeiten, trotz der hervorragenden
archivalischen UEberlieferung blieb Bianchini bisher in den juengeren
Forschungen zur Wissenschafts- und Kulturgeschichte des fruehen 18. Jhs.
weitgehend ausgespart. Seine Person und seine Werke werden nur vereinzelt
erwaehnt. Vergebens sucht man bisher eine umfassende Studie, eine
Monographie oder eine Ausstellung, wie sie fuer Athanasius Kircher, Bernard
de Montfaucon oder Bianchinis nur wenig juengeren Landsmann Scipione Maffei
vorliegen.

Diese Luecke moechte ein international und ueberdisziplinaer konzipiertes
Kolloquium schliessen, das auf Initiative des Faches Klassische Archaeologie
im Institut fuer Europaeische Kulturgeschichte (IEK) in Augsburg stattfinden
soll. Das Projekt wurde durch eine augsburger Dissertation zum Museo
Ecclesiastico angeregt. Ganz in der Tradition des IEK soll dabei auf die
Beteiligung von Fachkollegen aus unterschiedlichen Wissensgebieten von der
Geschichte der Naturwissenschaften ueber die Geschichte und
Geschichtstheorie im allgemeinen bis zur Rezeptionsgeschichte der Antike
Wert gelegt werden. Ein Teil der Beitraege soll sich ganz konkret auf
unterschiedliche Projekte und Arbeiten Bianchinis beziehen, in anderen soll
sein Oeuvre in den allgemeinen Kontext des wissenschaftlichen Diskurses
seiner Zeit, insbesondere auch in seinem europaeischen Horizont eingeordnet
werden. Folgende Themenkreise sollen mit unterschiedlicher Gewichtung in
die Diskussion einbezogen werden:

- Das Verhaeltnis von Schrift, Bild und Objekt: Wissenschafts- und
erkenntnistheoretische Kontroversen

- Bildnerische (Re-)Produktion und visuelle Vermittlung von Wissen

- Vernetzung, Verwaltung und Speicherung von Wissen

- Die europaeische Gelehrtenrepublik: Interaktion und Wissenstransfer

- Die roemische Kunst- und Kulturpolitik um 1700

Wegen der spezifischen fachlichen Praegung der Ausrichter (Archaeologe und
Kunsthistorikerin) wird jedoch dem Objekt als Zeugnis und seiner Abbildung
als Beleg, Teil der Erkenntnis und Grundlage weiterer Diskussion besondere
Bedeutung zukommen. Das Interesse am Medium Bild durchzieht Bianchinis Werk
wie ein roter Faden, gleichgueltig ob es um die Wiedergabe der Oberflaeche
des Planeten Venus oder die Publikation eines archaeologischen Befundes geht.

Francesco Bianchini verkoerpert in seiner Person den vielfaeltigen
wissenschaftlichen Aufbruch der Zeit um 1700. Das Kolloquium soll daher
nicht nur dem faszinierenden Universalgelehrten sondern auch diesem
intellektuellen Neuanfang gelten.

Sprachen: Deutsch, Englisch, Franzoesisch, Italienisch

Kontaktadressen:

Professor Dr. Valentin Kockel Brigitte Soelch M.A.
Klassische Archaeologie
Wissenschaftliche Volontaerin
Universitaet Augsburg Museum fuer Neue Kunst
Universitaetsstrasse 10 Lorenzstrasse 9
D - 86150 Augsburg D - 76135 Karlsruhe

valentin.kockelphil.uni-augsburg.de soelchzkm.de

Vorlaeufige Liste der Vortragenden

Gabriele Bickendorf, Augsburg
Susan Dixon, Univ. of Tulsa
Astrid Dostert, Cottbus
Meinrad v. Engelberg, Darmstadt
Irene Favaretto, Padova
Tamara Griggs, Stanford
John L. Heilbron, Burford
Christopher Johns, Univ. of Virginia
Paolo Liverani, Vatikanstadt
Valentin Kockel, Augsburg
François de Polignac, Paris
Alain Schnapp, Paris
Brigitte Soelch, Karlsruhe
Erich Tremmel, Augsburg

Interessierte Wissenschaftler aller Disziplinen sind herzlich eingeladen,
an diesem internationalen Kolloquium teilzunehmen und auch noch Vorschlaege
fuer eigene Vortraege einzureichen. In diesem Fall sind Kurzdarstellungen der
Beitraege (einseitig) bis zum 1. Mai 2003 an eine der beiden unten genannten
Adressen zu richten.

Dr. Anke Sczesny
Kulturmanagement

Institut fuer Europaeische Kulturgeschichte, Universitaet Augsburg
Eichleitnerstr. 30
86159 Augsburg

Tel.: 0821/598-5843
Fax: 0821/598-5850

Besuchen Sie unsere Homepage:
http://www.uni-augsburg.de/institute/iek/

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Quellennachweis:
CFP: Francesco Bianchini 1662-1729 (Augsburg, 11.-13.9.03). In: ArtHist.net, 24.02.2003. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/25476>.

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