ANN 09.10.2002

Grenzbespielungen (HGB Leipzig, 25.-27.10.02)

Simone Eberhardt

Grenzbespielungen.

Performativitaet und Uebergangszonen

Tagung

25. -27. Oktober 2002

Hochschule fuer Grafik und Buchkunst Leipzig

Waechterstr. 11

04107 Leipzig

Raum 2.41

Roger M. Buergel (Ausstellungsmacher und Autor, Wien)

Farida Heuck (Kuenstlerin, Muenchen/Ljubiljana)

Ralf Homann (Kuenstler, Weimar)

Angela Melitopoulos (Videokuenstlerin, Koeln)

Ruth Noack (Kunsthistorikerin, -kritikerin, Kuratorin, Wien)

Gerald Raunig (Philosoph und Kunsttheoretiker, Wien)

Juliane Rebentisch (Philosophin und Kunstkritikerin, Berlin)

Irit Rogoff (Bildwissenschaftlerin, London)

Ruth Sonderegger (Philosophin, Amsterdam)

Hito Steyerl (Videomacherin und Autorin, Berlin)

Manuela Unverdorben (Kuenstlerin, Muenchen/Ljubiljana)

Im Zentrum der Tagung internationaler KuenstlerInnen und
WissenschaftlerInnen steht die zum Raum erweiterte Grenze, die sich
so als Ort fuer Handlungen und Verhandlungen anbietet. Verstanden als
ein "Zwischenraum", soll damit an den um Grenzen gefuehrten Diskurs
der 90er angeknuepft werden; an die Stelle der Grenz-Uebertretung
wird allerdings der produktive Umgang mit dem Grenzraum, an dem die
dies- und jenseits herrschenden Gesetze außer Kraft gesetzt sind bzw.
sich ueberlappen, treten. In welcher Form sich kuenstlerische Arbeit
dieses topographisch ebenso wie metaphorisch verstandenen
"Zwischenraums" bedienen und ihn zur Neubestimmung aesthetischer,
sozialer, oekonomischer, und politischer Verhaeltnisse nutzbar machen
kann, wird aus unterschiedlichen kuenstlerischen und
wissenschaftlichen Perspektiven - denen der Kunstgeschichte, Kultur-
und Bildwissenschaften, Kultursoziologie, Philosophie und der
Theaterwissenschaften - untersucht.

Die Tagung setzt die Thematik des Ausstellungs- und
Veranstaltungsprogramms "Spacing the Line" fort, das die Galerie der
HGB im April 2002 zeigte.

Konzeption: Beatrice von Bismarck

Assistenz: Simone Eberhardt

Der Eintritt ist frei

Programm

Freitag, 25. Oktober

14:30 Begruessung: Klaus Werner
14:45 Einfuehrung: Beatrice von Bismarck

15:30 Juliane Rebentisch

Politische Kunst und aesthetische Subjektivitaet

Im Zentrum der avantgardistischen Ueberschreitungen von Kunst auf
Leben steht die Suche nach einem anderen Publikum. Und zwar nicht
einfach nur im Sinne einer Erweiterung der Zielgruppe von Kunst,
sondern auch im Sinne der Provokation einer qualitativ anderen Art
der Kunstbetrachtung als jene, die man mit dem buergerlichen
Kunstpublikum verband. Es ging mithin immer auch um den Angriff auf
eine letztlich im Dienste der buergerlichen Selbstvergewisserung
stehende leer formalistische, vermeintlich "interesselose"
Kontemplation. Besonders die politische Kunst der letzten Dekade
macht diesen kritischen Einsatz explizit. Wenn in dieser auffallend
haeufig identitaetspolitische Issues bearbeitet wurden, so hat dies
jenseits bestimmter Diskurskonjunkturen unter anderem einen Grund in
der kuenstlerischen Opposition gegen die Vorstellung eines
universal-neutralen Subjekts der aesthetischen Erfahrung.
Demgegenueber appelliert engagierte Kunst heute offensichtlich an je
konkrete Subjekte. Gerade deshalb aber laesst sich von diesen
Arbeiten, so die These, weniger etwas ueber die gesellschaftliche
Verfasstheit von Subjekten denn etwas ueber die Verfasstheit
aesthetischer Subjektivitaet lernen.

17:00 Gerald Raunig

Mikropolitiken der Grenze. <Spacing the Line> revisited

In kritischer Abgrenzung zu allen moeglichen Hypes von Grenze und
Grenzueberschreitung in diversen kuenstlerischen und aktivistischen
Kontexten soll der Versuch unternommen werden, entlang einiger
Begrifflichkeiten von Félix Guattari und Gilles Deleuze konkrete
Beispiele zu bringen, in denen Mikropolitiken der Grenze produktiv
gemacht werden konnten. Mit einer leichten Revidierung der Kategorie
<Spacing the Line> sollen Ueberlegungen einhergehen, die vor allem
die Herstellung von Oeffentlichkeiten in und durch Kunstpraxen
thematisieren. [www.republicart.net]

18:30 - 19:00 Pause

19:00 Eroeffnung der Ausstellung "Grenzbespielungen. Performativitaet
und Uebergangszonen"

mit: Stephanie Kiwitt, Oliver Kossack, Carsten Moeller, Kilian
Schellbach, Clemens von Wedemeyer, Diana Wesser und "Spatium. 16.
Forum Typografie"

Samstag, 26. Oktober

9:30 Farida Heuck, Ralf Homann, Manuela Unverdorben

Border Arrangements. Kunst und politisches Symbolmanagement

Mit der Tatsache, dass sich politische Prozesse in das Feld durch
Medien vermittelter, und damit symbolischer Auseinandersetzung
verschoben haben, ergeben sich nicht nur neue Möglichkeiten für
Künstlerinnen als ,Symbolhandwerker'. Die veränderten medialen und
symbolischen Bedeutungsproduktionen, die eben gerade im politischen
Handeln immer mehr an Bedeutung erlangen, können als direkte
Ansatzpunkte einer künstlerischen Praxis gesehen werden. Diese Praxis
setzt sich nicht nur mit der Symbolik von Grenze auseinander, sondern
hinterfragt auch direkt den Grenzverlauf zwischen Kunst und Politik.

11:00 Ruth Sonderegger

Ueber die mehrfachen Grenzen zwischen Theorie und Praxis - mit
staendiger Ruecksicht auf das Theater von René Pollesch

Es geht um zwei gut bewachte Grenzen: einerseits um die Grenze
zwischen der (philosophischen) Kunsttheorie, die bis heute um die
Frage kreist, ob ein allgemeiner Begriff von Kunst - und welcher -
verteidigt werden kann, und der kuenstlerischen Praxis in ihrer
konstitutiven Pluralitaet; andererseits um die Grenze zwischen der
kuenstlerischen (und kunsttheoretischen) Praxis und ihrem
nichtaesthetischen Außen: der "Praxis-Praxis". Die Theaterarbeiten
von René Pollesch, die beanspruchen, im Zwischenreich von
kuenstlerischen und nicht-kuenstlerischen Praktiken stattzufinden,
werden dabei im Zentrum stehen.

12:30 Filmpraesentation

Angela Melitopoulos: Passing Drama, 1999, 66 Min.

13:30 - 14:30 Pause

14:30 Angela Melitopoulos

Digitale Montage und Weben: Eine Oekologie des Gehirns fuer
Maschinen-Subjektivitaeten. (Sound Performance-Vortrag)

Das Video "Passing Drama" reflektiert das Hoerbild der
Familiengeschichte von Angela Melitopoulos. Die Flucht als Motiv der
Erzaehlung wurde zu einem filmischen Thema ueber Erzaehlung und
Gedaechtnis selbst. Das Video als Performance vorzustellen, in der
die im Video miteinander verwobenen Zeitebenen mit aktuellen Sounds
(ungekuerzte Sprachaufnahmen Originalgeraeusche, Musik, Texte aus der
Materialsammlung, Texte von Angela Melitopoulos und Maurizio
Lazzarato) live gemischt werden, soll zu dem gegenwaertigen und
offenen Prozess zurueckfuehren, aus dem die narrative Struktur
geboren wurde: im nicht-linearen Montageprozess. Diese Rueckfuehrung
in den offenen Zeitraum der Buehne ermoeglicht es, an die
unterschiedlichen Vergangenheiten, die in der Arbeit existieren,
anzuknuepfen. Es ist der Versuch, eine Spur entstehen zu lassen, die
zurueck in die eigene Geschichte fuehrt, deren Wahrnehmung aber auch
durch die Nutzung medialer Apparate geformt wurde, die Moeglichkeiten
der Subjektivierung und Vermittlung mitbestimmen.

16:00 Roger M. Buergel / Ruth Noack

Was ist das Verhaeltnis von (politischem) Populismus und (kuenstlerischem)

Hermetismus?

Buergel und Noack interessiert die Entsprechungen zwischen den
Organisationsformen der Global Justice-Bewegung und aesthetischer
Relationalitaet. Mit der proklamierten Wiedergewinnung des
Politischen geht ein grundsaetzliches Ueberdenken von
Beziehungsformen einher, das die Gruendung von Institutionen ebenso
betrifft wie die Einschaetzung von Mitmenschen. Die Versuchung ist
groß, gewisse Lektionen aesthetischer Relationalitaet (etwa die
Lektion radikaler Kontingenz) auf diese neuen Beziehungsformen zu
uebertragen. Das Medium dieser Uebertragung - der Ort, wo sich
Realitaet und Repraesentation treffen und scheiden - nennen Buergel
und Noack Ausstellung.

17:30 - 18:00 Pause

18:00 Filmpraesentation

Hito Steyerl: Die leere Mitte, 1998, 62 Min.

Sonntag, 27. Oktober

10:00 Hito Steyerl

Grenzraum und Ausnahmezustand

Nach Giorgio Agamben wird der Raum des Ausnahmezustands durch eine
Zone der "Ununterschiedenheit zwischen Innen und Außen, Chaos und
normaler Situation" charakterisiert, durch den und von dem aus in der
Entscheidung ueber die Ausnahme die Norm konstituiert wird. Der Raum
dieser Grenze ist im Film "Die leere Mitte" als der leere Raum
zwischen den Grenzen des ehemaligen Todesstreifens bestimmt. Im
leeren Raum zwischen den Grenzen, dort wo die Imperien sich
gegenueberstanden, verdichten sich die verschiedenen konkurrierenden
Machtansprueche von Nation und Kapital. Dort koennen aber auch
verschuettete Spuren kolonialer und minoritaerer Praesenzen geborgen
werden. Dieser Raum der Grenze bildet die Rueckseite der euphorischen
poststrukturalistischen Entwuerfe von Hybriditaet, Karneval und
fluiden Nomadismen.

11:30 Irit Rogoff

Spaces of Visual Créolité

Zwei Erbschaften sollen ueberdacht werden: zum einen Henri Lefebvres
Konzept der sozialen Produktion von Raum mit seinen
widerspruechlichen raeumlichen Bewohnungen, die um die Macht
streiten, und zum anderen die Fusionen von "Hybriditaet" mit ihren
Produktionen neuer kultureller Subjekte. Derzeit scheint es
wesentlich zu sein, auf den grenzenlosen Verwicklungen zu bestehen,
in denen wir Urspruenge und Hybride nicht von einander trennen
koennen, sondern vielmehr zu verstehen beginnen, dass wir schon immer
Teil eines performativen Vermischungsprozesses waren. In diesem
Stadium liegt das Gewicht des Arguments darauf, - aehnlich wie Teile
des Arguments der documenta XI, - zu betonen, dass es keinen Ort
außerhalb kultureller Differenz gibt.

anschließend Abschlussdiskussion

Die Tagung wurde ermoeglicht durch die Susanne und Michael Liebelt
Stiftung, Hamburg.

Mit freundlicher Unterstuetzung der Galerie für zeitgenoessische
Kunst, Leipzig, und des Hotel Inter-Continental Leipzig.

Hochschule fuer Grafik und Buchkunst Leipzig

Waechterstr. 11, 04107 Leipzig

Tel. +49 (0) 341 2135 - 133
Fax +49 (0) 341 2135 - 101
pressehgb-leipzig.de
www.hgb-leipzig.de/grenzbespielungen

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Simone Eberhardt
Lokstedter Weg 35
20251 Hamburg

Fon+Fax: 040-41303998
Mobil: 0171-3547436

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Quellennachweis:
ANN: Grenzbespielungen (HGB Leipzig, 25.-27.10.02). In: ArtHist.net, 09.10.2002. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/archive/25240>.

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