CFP 19.05.2020

Deposita. Eine Form der Kulturgutverlagerung (Bern, 11-12 Mar 21)

Kunstmuseum Bern, 11.–12.03.2021
Eingabeschluss : 30.06.2020

Esther Heyer

Deposita. Eine Form der Kulturgutverlagerung und ihre Bedeutung für die Schweizer Museen (1933 bis 1960)

Eine Tagung des Kunstmuseums Bern
Veranstaltungsorte: Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee

2012 brachte der sogenannte „Kunstfund Gurlitt“ das Thema NS-Raubkunst mit neuer Wucht in die breite Öffentlichkeit. Mit der Annahme des Erbes von Cornelius Gurlitt durch das Kunstmuseum Bern gerieten der Handel und der museale Umgang mit NS-Raubkunst auch in der Schweiz erneut in Diskussion und führte dazu, dass Provenienz- und Sammlungsforschung gegenwärtig inhaltlich wie methodisch neu bestimmt, Fragen zu Zirkulation und Erwerb von Artefakten abgesteckt und damit auch museumsethische und rechtliche Grundsätze neu konturiert werden. Die Rolle der Museen und das Agieren ihrer Mitarbeiter bei den Verlagerungen von Kunst- und Kulturgütern infolge der nationalsozialistischen Verfolgung respektive des Kunst- und Kulturgutraubes ist hingegen weiterhin ein Desiderat.

Provenienzrecherchen widmen sich zumeist einzelnen Werken oder gehen nach Sammlungsgruppen vor, mit dem Ziel, die jeweils individuellen Eigentümerwechsel und Werkverlagerungen zu rekonstruieren. Die Bewertung einer Indizienlage erfordert hingegen auch historische Urteilskraft. Oftmals sind der jeweilige historische Kontext respektive die Disposition der Akteure ausschlaggebend für die Bewertung einer Sachlage. Relationen zwischen Institutionen, ihren Mitarbeiterinnen und Sammlerinnen möchten wir im Rahmen einer Tagung und anhand einer spezifischen Kategorie der Kulturgutverlagerung im Zeitraum 1933 bis 1945 analysieren: Kunstwerke, die ausserhalb des deutschen Herrschaftsbereichs als Deposita in Museen eingelagert worden sind.

In der Vergangenheit konzentrierte sich die Auseinandersetzung mit Deposita in den Jahren 1933 bis 1945 auf sogenanntes Fluchtgut. Dabei wurden Fragen nach dem Museum als Akteur im Austausch mit Händlern, Sammlern und Emigranten allenfalls angedeutet. Die Beziehungen von Museen, Sammlern und Kunstmarkt, die Wechselwirkungen politischer Rahmenbedingungen und individueller Handlungsmöglichkeiten fanden keine Berücksichtigung: Wie erfolgten Ankäufe, Vermittlung an den Kunsthandel, Vermeidung von Zollgebühren durch die Form der Leihgaben und Ausstellungsexponaten? Die Namen bekannter Depositäre sind regelmässig Gegenstand der Provenienzrecherche, von Vorträgen oder Publikationen, die Vielzahl der Deposita allein in Schweizer Museen ist bisher nicht thematisiert worden. Ebenso steht eine vergleichende Untersuchung von Deposita in Schweizer und anderen Museen ausserhalb des deutschen Herrschaftsgebietes im Zeitraum von 1933 und 1945 aus.

Der komparative Ansatz berührt folgende Themenfelder:
- Strukturen, Mechanismen und Motivation: Welche Gründe verleiteten die Depositäre zur Ausfuhr der Kunstwerke? Welche Motive leiteten die Akteure der Institutionen bei Annahme oder Ablehnung von Deposita? Wer fungierte möglicherweise als Vermittler? Wie werden lokale Entscheide gefällt und wie manifestierten sie sich national und international?
- Das Museum als Exilort?: Welche Beziehungen bestehen zwischen der Verlagerung, der antisemitischen Propaganda, rechtlicher Diskriminierung und konkreter Verfolgung? In welchem Rechtsverhältnis stehen verfolgte Depositäre und Schweizer Institutionen?
- Präsenz und Nachwirkungen: Waren die deponierten Werke in den Institutionen und für die Öffentlichkeit präsent? Wie materialisieren sich Deposita und welche Relevanz entfalten sie bis heute? Welche Deposita erfolgten in der Nachkriegszeit und inwiefern bestimmen sie die Profilierung von Museen auch in der Gegenwart mit? Welche historischen und politischen Narrative gehen damit einher?

Abgesehen von institutions- und sammlungshistorischen Fragestellungen möchten wir dazu anregen, fallspezifische nationale Binnenperspektive im Sinne einer wechselseitig verflochtenen transnationalen Beziehungsgeschichte zu weiten und die Aktionsräume tragender Netzwerke von musealen Akteuren, Sammlern und Händlern zu bestimmen. Welche Sammler verlagern ihren Kunstbesitz in die Schweiz, welche in andere Länder? Welche Rolle nehmen Händler, Politiker oder Künstler als Vermittler ein, welche bei der Veräusserung oder Verlagerung von ins Ausland verbrachter Werke? Welche politisch-rechtlichen Faktoren werden bei der Aus- respektive Einfuhr ersichtlich? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Schutz und Wertsteigerung? Welche Aussagen über die Besonderheiten dieser Umstände in der Schweiz kann eine vergleichende Ebene der Analyse von Deposita jüdischer Sammler in Museen beispielsweise in Frankreich oder Israel hervorheben?

Im Rahmen der Konferenz soll der wissenschaftliche Austausch von Museen und anderen Forschungseinrichtungen vertieft werden. Deswegen richtet sich der Call for Papers an Wissenschaftler*innen an Museen, Universitäten und Hochschulen sowie Doktoranden, die sich mit Fragen nationalsozialistischer Verfolgungspolitik, ihren Auswirkungen auf Kulturgutverlagerungen respektive -veräusserungen und interdisziplinären Fragen der Sammlungsforschung auseinandersetzen. Erwünscht sind Beiträge, welche sich verfolgungs- und kriegsbedingter Deposita widmen und die kulturpolitischen, rechtlichen und ethischen Ebenen einbeziehen: Fallstudien zu Sammlungen oder Einzelwerken, die als Deposita in Schweizer Museen gelangten, Sammler*innen und Händler*innen, die in diese Prozesse involviert waren, Museen und Museumsmitarbeiter, die diese Abläufe koordinierten. Darüber hinaus sind Analysen der Mechanismen, beispielsweise die Auswirkung auf die Ausstellungspraxis und Neuausrichtung des Museums, die Wertbeeinflussung von Sammlungen und einzelnen Kunstwerken sowie die Vermittlung an den Kunstmarkt willkommen.

Die Tagung ist Teil der Provenienz- und Sammlungsforschung am Kunstmuseum Bern. Neben Konvoluten und Einzelobjekten stehen dabei die Sammlungsentwicklung und die massgeblichen Akteure innerhalb ihres kulturellen und politischen Beziehungsgeflechts im Mittelpunkt.

Vorschläge für einen Tagungsbeitrag von ca. 20-30 Minuten mit Titel und Abstract im Umfang von einer Normseite (max. 3000 Zeichen) sowie CV bitte bis zum 30.06.2020 zu richten an:

Kunstmuseum Bern
Abteilung Provenienzforschung
z. Hd. von Frau Esther Heyer, M.A
E-Mail: esther.heyerkunstmuseumbern.ch

Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch

Ein Entscheid über die Einladung zur Tagung erfolgt im September 2020. Das Abgabedatum der Vortragsmanuskripte ist der 28.02.2021. Die Beiträge werden im Anschluss an die Tagung publiziert, entsprechend sollten die Beiträge bis zum 30.04.2021 vorliegen.

Quellennachweis:
CFP: Deposita. Eine Form der Kulturgutverlagerung (Bern, 11-12 Mar 21). In: ArtHist.net, 19.05.2020. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/archive/23123>.

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