CFP 10.03.2020

Tierstudien 19/2021: Migration

Neofelis-Verlag Berlin
Eingabeschluss : 15.07.2020

Jessica Ullrich

Tierstudien 19/2021: Migration

Herausgeben von Jessica Ullrich und Frederike Middelhoff

Wenn Tiere Landesgrenzen überschreiten und ihren Aufenthaltsort ‚in die Fremde‘ verlegen, vollzieht sich dieser Vorgang selten ohne Konsequenzen. Folgenreich sind solche Wanderungen und damit verschränkte Vorstellungen von Migration zumeist nicht nur für die Tiere selbst. Vielmehr bleiben häufig auch ökologische, soziale, politische, rechtliche, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge von Tierwanderungen nicht unberührt. Diesen komplexen Relationen und ihren verwandten Problemlagen rund um das Thema Migration von und mit Tieren wollen wir in der kommenden Ausgabe von Tierstudien nachgehen.

Oft wird Tiermigration allein aus biologischer Perspektive mit der Mobilität zwischen unterschiedlichen saisonalen oder lebenszyklischen Habitaten von Tieren in Verbindung gebracht, seien es die weltumspannenden Wanderungen von Zugvögeln und Bartenwalen oder die spektakulären Massenmigrationen von Monarchfaltern, Lachsen und Flughunden. Im Fokus stehen zuweilen auch kulturell oder ökonomisch orientierte Wanderungstraditionen, die Menschen und Tiere gemeinsam gestalten, wie es in nomadischen Gruppierungen oder in der Wanderweidewirtschaft zu beobachten ist. Allerdings sind Tiere genau wie Menschen häufig auch krisenhaft von Vertreibungen betroffen und gezwungen, ihre Habitate zu verlassen und neue Lebensräume aufzusuchen, um ihr Leben zu retten, Nahrung und Schutz zu finden oder sich fortpflanzen zu können. Jagddruck, kriegerische Handlungen, Naturkatastrophen, Umweltzerstörung oder der anthropogene Klimawandel sind indes nur einige der Gründe, warum Tiere migrieren oder ihre traditionellen Migrationsrouten verändern müssen.

Bei genauerem Hinsehen wird zudem augenfällig, dass sich die Formen, Effekte und Geschichte(n) menschlicher Migration in vielen Fällen ohne Tiere gar nicht erzählen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Tiere MigrantInnen begleiten, sich mit Geflüchteten im Exil einrichten oder von Auswandernden zurückgelassen werden. Maßgeblich ist das Verhältnis von Tieren und Migration aber selbst in solchen Fällen, in denen Tiere per Schiff, Lastwagen oder im Flugzeug über Staatsgrenzen transportiert und als Nutztier, Schmuggelgut, Bio-Waffe, Jagdbeute oder Gefährten außerhalb ihres bisherigen Lebensraums akklimatisiert werden. Zuweilen geht dieses Umsiedeln und ‚Einbürgern‘ von Tieren, das oftmals tief in kolonialgeschichtliche Zusammenhänge verstrickt ist, mit gravierenden ökologischen Folgeerscheinungen einher, wie u.a. das Beispiel der Kaninchen in Australien oder der Grauhörnchen in Europa belegt. Deutlich wird in diesem Kontext nicht zuletzt, dass Tiere und ihr Wanderverhalten der menschlichen Expansion und Mobilität – sowohl historisch als auch gegenwärtig – auf vielerlei Weise zum Opfer fallen, z.B. auch in Form von Roadkill oder Vogelschlag. Mithin lässt sich das Aussterben bestimmter Tierarten von der Ausbreitung bestimmter Menschengruppen nicht trennen. Verhindert, eingeschränkt oder erschwert wird tierliche Migration aber auch durch menschengemachte Strategien und Techniken, z.B. durch Zäune, Strom- und Windkraftanlagen, durch hygienische oder konservatorische Maßnahmen.

Mit Tierwanderungen wird darüber hinaus auf vielfältige Art und Weise Politik gemacht: Vor- und Darstellungen von einheimischen und invasiven Arten sind oft von rassistischer Rhetorik und xenophoben Ressentiments gegen Neozoen durchzogen, Übergänge zwischen der Diskriminierung von eingewanderten Tieren und menschlichen ImmigrantInnen sind fließend. Zudem werden Konzepte wie ‚Heimat‘ und ‚Exotik‘, ‚Indigene‘ und ‚Invasoren‘ häufig unter Verweis auf Tiere und ihre Wanderungen geschärft oder überhaupt erst hervorgebracht. Von migrierenden Tieren ist häufig aber auch dort die Rede, wo es um Identitätskonzepte menschlicher MigrantInnen geht, die sich z.B. im Zugverhalten von Tieren spiegeln oder gemeinsam mit in einer fremden Umgebung heimisch zu werden versuchen. Konstruiert und reflektiert werden diese Selbstentwürfe dabei häufig in literarischen und künstlerischen Zusammenhängen, in denen der Wanderung von Tieren nicht nur eine symbolische Bedeutung, sondern auch ein existenzieller Wert zugeschrieben wird.

Diese und verwandte Themenfelder gilt es ausgehend von einem weiten Migrationsbegriff in der kommenden Ausgabe von Tierstudien zu beleuchten. Gesucht werden dabei sowohl historisierende Ansätze als auch philosophische, diskursanalytische, soziologische oder psychologische Untersuchungen, die dem Verhältnis von Tieren und Migration im Allgemeinen, den Wanderungen von Tieren, Menschen und Tieren sowie den Darstellungen und Figurationen von diesen Wanderungen im Speziellen nachspüren. Folgende Fragestellungen können hier u.a. als Ausgangpunkt dienen: Welche Gefahren und Chancen bestehen bei der tierlichen Durchquerung und Überschreitung räumlicher Ordnungen? Was sagt der Weg, den ein Tier einschlägt, über dessen Agency aus? Welche Entwicklung durchleben Tiere auf ihren Wanderungen? Was bedeutet es für Tiere im Exil zu leben? Inwieweit sind tierliche MigrantInnen für Tier-Mensch-Beziehungen und kulturgeschichtliche Zusammenhänge relevant? Wie beeinflussen spezifische Formen digitaler Registrierung (u.a. über Tracking-Halsbänder, GPS-Technik oder Animal Tracker App) und medialer Repräsentation (z.B. in der Forschung und in der Presse, aber auch in Literatur, Kunst, Film, Theater und Performance) von Tierwanderungen die Wahrnehmungen tierlicher Mobilität und die Vorstellung vom „Internet der Tiere“? Und wie geben KünstlerInnen in Texten, Bildern, Filmen und in der Musik der Migration von und mit Tieren eine ästhetische Form?

Beiträge aus allen Fachbereichen, u.a. im Anschluss an die Migrations- und Mobilitätsforschung, die Animal Geography und die Multispecies Ethnography sind willkommen.


Abstracts von nicht mehr als 2.000 Zeichen senden Sie bitte bis zum 15. Juli 2020 an jessica.ullrichneofelis-verlag.de und frederike.middelhoffgmail.com.

Die fertigen Texte dürfen eine Länge von bis zu 22.000 Zeichen haben (inklusive Leerzeichen und Fußnoten) und müssen bis zum 1. November 2020 eingereicht werden. Danach gehen sie zur Peer Review an den wissenschaftlichen Beirat von Tierstudien. Auf Grundlage der Gutachten des wissenschaftlichen Beirats wird über die Annahme der Texte zur Veröffentlichung entschieden.

Erscheinungsdatum für die angenommenen Texte ist Anfang April 2021.

Quellennachweis:
CFP: Tierstudien 19/2021: Migration. In: ArtHist.net, 10.03.2020. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/archive/22826>.

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