Nachruf auf Robert Suckale (30. Oktober 1943 – 13. Februar 2020)
Die deutsche Kunstgeschichte verliert gerade die Generation von Wissenschaftlern, die ihr seit den 1970er Jahren eine neue Richtung gegeben haben. Zwei Monate nach Martin Warnke ist nun Robert Suckale am 13. Februar 2020 im Alter von 76 Jahren nach langem schwerem Leiden in Berlin verstorben.
Auf dem Festkolloquium zum 60. Geburtstag Suckales, das gleichzeitig die Feier seines von der Krankheit erzwungenen Abschieds von seiner Lehrtätigkeit an der TU Berlin war, sprach 2003 ein nachdenklicher Willibald Sauerländer davon, wie er jene Generation vehement ideologiekritisch und sozialhistorisch argumentierender Forscher empfand, die um 1970 „verstörte Kunsthistoriker“ hinterließ (so Helmut Schneider damals in der ZEIT über den legendären Kölner Kunsthistorikertag jenes Jahres): Teils beängstigend, teils unsolide, teils berechtigt im Aufstehen gegen eine affirmative Fachtradition, teils bewundernswert in ihrer kritischen Energie und ihren emotionalen Möglichkeiten. Nun aber, aus der Perspektive des Jahres 2003, als Motoren einer notwendigen und produktiven Entwicklung, die dem Fach Kunstgeschichte seine gesellschaftliche Legitimation gerettet bzw. wiedergegeben hat.
Robert Suckale, über den Sauerländer da auch sprach, war in jenem mythischen Jahr 1970 bei Wolfgang Braunfels in München mit einer Arbeit promoviert worden, deren Titel wenig in dieses Bild zu passen scheint – „Stilbildung und Stilwandel der Madonnenstatuen der Île-de-France zwischen 1230 und 1300“. Seine Beschäftigung mit der Kunst dieser Zeit und dieses Raums nahm bald aber eine andere Richtung. Sein zusammen mit Dieter Kimpel 1985 publiziertes, innerlich wie äußerlich schwergewichtiges Buch „Die gotische Architektur in Frankreich 1130–1270“ erklärte einen Baustil auf neuartige Weise: Etwa aus den politischen Konstellationen, sozialen Situationen, ökonomischen Voraussetzungen und Innovationen der Bautechnik heraus. Es beginnt bezeichnenderweise mit einem Kapitel über Türen und Eingänge von Kirchen, wo die Vorgängergeneration von der Lichtmystik schwadroniert hatte. Bis heute ist es das Standardwerk zum Thema.
Das Thema „Form“ und „Stil“ hat Suckale über dem sozialhistorischen und funktionsgeschichtlichen Ansatz, der das innovative Projekt seiner Generation war, bei dem aber mancher das Kunstwerk aus dem Blick verloren hatte, nie vergessen. Der eine oder andere Aufsatz, in dem er – scheinbar ganz old school – um Datierungen einzelner Skulpturen rang, könnte auf den ersten Blick in diesem Œuvre verwundern. Auf den zweiten Blick steht dahinter aber ein Anliegen, das er nie in einem großen methodologischen Essay expliziert, aber in exkurshaften Kapiteln von Büchern ausgebreitet hat. Seinen 1993 veröffentlichten Band „Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern“ würde man – dem Titel nach – nicht unbedingt aufschlagen, um methodologisch Grundlegendes zu suchen. Man kann es dort aber finden: Suckale postuliert in einem zentralen Abschnitt, Stil als historische Kategorie zu etablieren und versucht damit Stilanalyse als präzises Verfahren weniger zu retten denn neu zu etablieren. Nebenbei wird etwa über Bild und Körper reflektiert, lange vor dem Körper-Boom in der Kunstwissenschaft.
Stil und Funktion – so auch der Titel der 2003 publizierten Sammlung seiner kleineren Schriften – gehören in seinem Œuvre zusammen. Funktionsgeschichtlich gedacht waren nicht nur seine Studien zur Architektur, sondern auch die vielen Beiträge zur frömmigkeitsgeschichtlichen Dimension von Bildern. Sein 1977 im Städel-Jahrbuch erschienener Aufsatz zu den „Arma Christi“ nahm als erster den so vielbenutzten wie heiklen Begriff des „Andachtsbildes“ kritisch auseinander, um ihn als bildfunktional zu präzisierenden neu zusammenzusetzen. Dieser Beitrag wurde zur Anregung für viele, die die religiöse Dimension von Bildern neu durchdachten. Darunter etwa Jeffrey Hamburger, mit dem sich eine intensive Zusammenarbeit entwickelte, u.a. zur Buchkunst und zum Bildgebrauch in Frauenklöstern, die auch zu großen Ausstellungsprojekten führten wie „Krone und Schleier“ (2005).
Überhaupt brannte Robert Suckale für die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse und Diskurse, und zwar an Menschen mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen – ob in Museen, Volkshochschulen oder amerikanische Elitehochschulen, ob durch populäre Kunstführer oder das legendäre von Werner Busch in den 1980er Jahren initiierte Funkkolleg Kunst. Und natürlich in der Universität: Seine Schülerschaft ist kaum überschaubar, fast bis an das Ende seines Lebens hat er Arbeiten betreut, weit über 100 Dissertationen. Deren Themenspektrum reicht von der frühmittelalterlichen Buchmalerei bis zum Film und entspricht der Spannweite seiner Lehre, in der er niemals nur Mediävist war. Seine Begeisterung für die Werke und für die Arbeit, sie zu entschlüsseln und zu erklären, war ansteckend. Ebenso seine Demut ihnen gegenüber. Dass Verstehen-Wollen harte Arbeit ist, haben seine Studierenden schnell begriffen. So lernte er in Bamberg als etablierter Professor in der Volkshochschule Tschechisch – in dem Bewusstsein, nur so die Kunst Böhmens angemessen studieren und begreifen zu können. Und die müsse man kennen, um die Kunstgeschichte Europas zu verstehen: Auch das lernte man von ihm, und zwar schon lange vor dem Fall der Berliner Mauer, als dieses Thema noch marginalisiert war. Die Erforschung der Kunstgeschichte Ostmitteleuropas verdankt ihm viel; auf der einen Seite durch zahlreiche Beiträge zur Buch- und Tafelmalerei dieser Region, auf der anderen Seite durch institutionelles Engagement. So setzte er sich maßgeblich für die Gründung des Leibniz-Instituts für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig ein.
Einst scherzte Robert Suckale, er werde sicher niemals einer dieser einflussreichen Kunsthistoriker mit Markencharakter, denn dafür interessiere er sich einfach für viel zu vieles. Die internationalen Auszeichnungen, die er später bekam, lassen diese kleine Koketterie im milden Licht der Rückschau erscheinen – Directeur d’études an der École des hautes études en sciences sociales in Paris, Visiting professor an der Harvard University, Richard Krautheimer Professor der Biblioteca Hertziana in Rom, Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton, Ehrendoktorwürde des Courtauld Institute der Universität London, um nur einige zu nennen. Was aber sein Interesse für „zu vieles“ betrifft, ist sicher, dass sich das Themenspektrum nur schwer in Kürze umreißen lässt. Und nachhaltige Spuren hat sein Engagement an allen Orten hinterlassen, an denen er wirkte. Ob an der Universität Bamberg, an der er ab 1980 das Fach Kunstgeschichte an der neu gegründeten Universität aufbaute, sich intensiv um die Etablierung der heute dort sehr erfolgreichen Ausbildung in Denkmalpflege und Bauforschung bemühte, aber auch Substantielles zur Erforschung der fränkischen Kunst beitrug (zuletzt sein monumentales zweibändiges Werk „Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer“, 2009). Oder in Berlin, wohin er 1990 berufen wurde und zusammen mit Wolfgang Wolters die Gründung des Schinkelzentrums betrieb, mit den Museen ebenso kooperierte wie die Bauten der Technischen Universität mit einem studentischen Projekt erforschte. An welchen Ort auch immer Robert Suckale kam, er hat sich ganz auf ihn eingelassen.
Seine voranschreitende Krankheit setzte diesem ungeheuren Wissens- und Tatendrang immer engere Grenzen. Mit bewundernswerter Hartnäckigkeit hat er ihr jedoch bis zuletzt seine wissenschaftliche Produktion abgerungen, dabei aufopferungsvoll unterstützt von seiner Frau und kunsthistorischen Sparringspartnerin Gude Suckale-Redlefsen. Der Blick zurück auf das Lebenswerk und auf seine wissenschaftlichen Anfänge als Teil der eingangs erwähnten Generation könnten an dies erinnern: Vieles von dem, was heute handbuchförmige kunsthistorische Methodik ist, die Studierenden der 2020er Jahre kommod und selbstverständlich vermittelt wird, ist erst vor wenigen Jahrzehnten erkämpft worden.
Peter Schmidt, Universität Hamburg
Quellennachweis:
Robert Suckale (1943–2020). In: ArtHist.net, 27.02.2020. Letzter Zugriff 18.04.2025. <https://arthist.net/archive/22728>.