Das Meer in der Kammer. Maritime Themen und Materialien in Kunstkammern der Frühen Neuzeit
Als Raum globaler Handlungswege, als Erholungsort, aber auch als Schauplatz menschlicher Tragödien in Migrationsbewegungen und nicht zuletzt in den Auswirkungen von Klimawandel und Umweltverschmutzung ist das Meer in den vergangenen Jahren zu einem intensiv diskutierten Thema auch der Geistes- und Sozialwissenschaften geworden, dessen öffentliche Relevanz sich nicht zuletzt in groß angelegten Ausstellungen zur historischen und aktuellen Bedeutung der Weltmeere spiegelt.
Die projektierte Tagung soll zu diesem Diskurs aus der Perspektive der Kunstgeschichte mit der Fragestellung beitragen, wie das Meer im Sammlungskontext frühneuzeitlicher Kunst- und Wunderkammern repräsentiert wurde. Der oft konstatierte theoretische Anspruch dieser Sammlungen, ein Abbild der Welt im Sammlungsraum zu schaffen, bietet in Hinsicht auf das Meer eine spannungsreiche Dynamik, galt dieses doch in seiner Unermesslichkeit und ständigen Bewegung als einer bildlichen Darstellbarkeit eigentlich entzogen. Dennoch nahm das Meer eine zentrale Bedeutung in der frühneuzeitlichen Sammlungspraxis ein, indem es in einzelnen Objekten, oft auch in allegorischer Form repräsentiert wurde. So konnte die räumliche Organisation von Kunstkammern etwa vom Gegenüber von Land und Meer bzw. der Elemente Erde und Wasser bestimmt werden; prominente Sammlungsstücke wie Benvenuto Cellinis Saliera veranschaulichen dieses Gegenüber in Personifikationen. Charakteristische Materialien des frühneuzeitlichen Kunsthandwerks wie Korallen und die Gehäuse von Perlbooten und Turboschnecken stammen aus dem Meer; in vielen Fällen verweist ihre künstlerische Bearbeitung auf diese Herkunft, indem etwa Gravuren auf den Gehäusen oder Figuren in den Fassungen maritime Themen zeigen. Konkret wird die Darstellung des Meeres in Kunstkammern in der Einbindung von Präparaten maritimer Fauna in die Sammlungen; zu nennen sind hier etwa die Zähne von Narwalen, aber auch Trockenpräparate von Haien und Rochen. Berühmte Sammler wie Erzherzog Ferdinand II. engagierten überdies Künstler, um mimetisch anspruchsvolle Bilder von Flora und Fauna der Meere herstellen zu lassen, in denen die Verbindung zwischen Sammlungspraxis und theoretischer Fundierung durch die zeitgenössische Naturgeschichte besonders anschaulich hervortritt.
Das hohe Interesse an der Kunstkammer als historischer Sammlungsform hat seit den neunziger Jahren die wissenschaftliche Aufarbeitung der originalen Bestände zahlreicher Kunstkammern gefördert und damit wichtige Grundlagen für die weitere Forschung geschaffen. Wesentliche Motivationen für dieses Interesse bestanden darin, im historischen Zusammenspiel von Kunstwerken mit Naturalien, wissenschaftlichen Instrumenten und exotischen Objekten ein Selbstverständnis der Kunstgeschichte als historischer Bildwissenschaft zu prüfen, in Theorien und Anlagen historischer Sammlungen eine methodische Orientierung im Umgang mit dem weltweilten Bilderfluss der digitalen Medien und nicht zuletzt Anreize für zeitgenössische Ausstellungsformen stark diverser Objekte zu suchen. Thematische Schwerpunkte der jüngeren Kunstkammerforschung bildeten anschließend daran etwa die Frage nach der globalen Zirkulation von Bildern und Bildformen in der Frühen Neuzeit, nach Stil und Aussagekraft technischer Bilder in den Bereichen zoologischer, botanischer und mineralogischer Illustrationspraktiken sowie nach dem Verhältnis von Naturformen zu bildnerischen Praktiken. Hier soll die projektierte Tagung methodisch anknüpfen.
Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an den wissenschaftlichen Nachwuchs (Doktorand_innen bzw. Post-Docs) im Bereich der Kunstgeschichte, doch sind Beiträge benachbarter Disziplinen wie der Ethnologie und der Wissenschaftsgeschichte ausdrücklich willkommen. Die Beiträge sollen in Fallstudien auf die folgenden Fragestellungen reagieren:
- Welche Bedeutung hatte das Meer für den räumlichen Aufbau bzw. die theoretische Konzeption einzelner Sammlungen?
- Stellten maritime Themen und Materialien Zusammenhänge im Gefüge einzelner Sammlungen her?
- Wie wurden das Meer bzw. maritime Objekte in Sammlungstraktaten behandelt?
- Welche Rolle spielten Bilder für die wissenschaftliche Erfassung maritimer Objekte und wie verhielten sie sich zum dargestellten natürlichen Material?
- Welche wissenschaftlichen Theorien zur Entwicklung und Gestalt des Meeres fanden einen Niederschlag in Sammlungen und Sammlungsobjekten?
- Welche maritimen Materialien wurden für einzelne Sammlungsstücke verwendet?
- Welche ikonographischen Bezüge stellen einzelne Objekte zum Meer her?
- Welche Vorstellungen des Meeres, etwa als Abyssos, aber auch als Handelsroute, vermochten einzelne Objekte hervorzurufen?
- (Wie) stellten außereuropäische Objekte in Kunstkammern das Meer dar?
Die Beiträge können auf Deutsch oder Englisch gehalten werden und sollen eine Vortragsdauer von 30 Minuten nicht überschreiten. Um Abstracts von rund 300 Wörtern und einen kurzen Lebenslauf wird bis zum 20.12.2019 gebeten:
robert.bauernfeindphilhist.uni-augsburg.de
Quellennachweis:
CFP: Das Meer in der Kammer (Augsburg, 2-3 Apr 20). In: ArtHist.net, 22.09.2019. Letzter Zugriff 22.11.2024. <https://arthist.net/archive/21620>.