CFP 26.10.2011

Ansätze moderner Bild-Epistemologie im Werk D. Grünbeins (Düsseldorf, Jun 2012)

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 28.–29.06.2012
Eingabeschluss : 20.11.2011

Dr. Christoph auf der Horst, Dr. Miriam Seidler

Bilder, Bildlichkeit und Bildtheoretisches: Ansätze einer modernen Bild-Epistemologie im Werk Durs Grünbeins

Seit den 1960er Jahren in der Bildforschung und in der Wissenschaftsgeschichte seit den 1990er Jahren stehen der Bildbegriff und allgemein Bildtheorien in fruchtbarer Diskussion. Ist in der neuen und sich innerhalb als auch außerhalb der Kunstgeschichte betriebenen Bildforschung ein vielfältiges Spektrum an "symboltheoretischen" (Goodman), "semiotischen" (Peirce), "rezeptionsästhetischen" (Kemp), "bildpragmatischen" (Böhm) oder "anthropologischen" (Belting) Zugängen zu finden, so wird auch in der Wissenschaftsgeschichte mit der Beschreibung von Bildern als "sozio-technischen Konstrukten" (Rheinberger) oder in Anlehnung an den Diskurs-Begriff von "Viskursen" (Knorr-Cetina) die Bedeutung von Bildern diskutiert. Ein kennzeichnendes Merkmal dieser Forschungen ist, dass dabei Disziplinen in eine wechselseitige und produktive Nähe rücken, die bislang nur in strikter Trennung voneinander arbeiteten: "(...) als hätte es die Kluft der 'zwei Kulturen' nie gegeben" (Böhm, 2001). Diese Nähe von Natur- und Humanwissenschaften, in der die Gemeinsamkeiten von wissenschaftlichem und künstlerischem Bild herausgehoben werden und die Differenz von epistemischer und ästhetischer Erkenntnis zunehmend eingeebnet wird, stellt die Frage, inwieweit eine neue Bild-Epistemologie denkbar oder sichtbar wird.

Für die Tagung stellt sich daher der Frage, ob die Ergebnisse der jüngeren Forschungen zu Bild, Bildlichkeit und Bildertheorien es erlauben, von einem eigenständigen ikonischen Erkenntnismodell zu sprechen bzw. inwiefern bereits die Konturen eines neuen Erkenntnisparadigmas, eines „dritten Weges“ sichtbar werden. Die hier notwendige Fokussierung soll mit der Beschränkung der Fragestellung auf das Werk des Dichters Durs Grünbein geleistet werden, das voller wissenschaftshistorischer, erkenntnistheoretischer, anthropologischer und poetologischer Hinweise auf Bemerkungen, Überlegungen und Ansätze zu einer Bild-Epistemologie ist und gewissermaßen auf einem erkenntnistheoretischen „dritten Weg“ unterwegs ist:
In „Galilei vermisst Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen“ rekonstruiert Grünbein in einem wissenschaftshistorisch zu nennenden Aufsatz die dichotomische Trennung in die zwei Kulturen der sinnlichen und bildhaften Erkenntnis, die fatalerweise die Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit bestimmt. In dem Aufsatz „Ameisenhafte Größe“ steckt er sein Feld erkenntnistheoretisch ab, wenn er „für den dritten Weg einer Suche nach positiver Erkenntnis auf dem Feld seiner Kunst“ und dafür plädiert, dass „der Dichter aufs neue unmittelbar, wie Leonardo sagt, Schüler der Erfahrung (Hervorhebung Grünbein) sein soll“. Im Sinne einer literarischen Anthropologie identifiziert sich Grünbein in der Büchner-Preisrede mit dem „Dichter, der seine Prinzipien der Physiologie abgewinnt“, wie auch das Gedicht „irreduzibel (...) zuletzt (als) ein Vexierbild physiologischen Ursprungs, ähnlich dem Nervensystem, der Anatomie und dem Knochenbau“ definiert ist. So überrascht es dann auch nicht, dass Grünbein in dem Aufsatz „Ameisenhafte Größe“ den „dritten Weg“ zu verfolgen poetologisch als „verdammte() Hausaufgabe() des Dichters“ bezeichnet und in der „Neurologie die Poetik der Zukunft“ versteckt sieht („Mein babylonisches Hirn“).
Neben diesen unsystematisch und keinesfalls umfassend zusammengestellten Hinweisen auf Ansätze einer Bild-Epistemologie bei Durs Grünbein finden sich bereits vereinzelte Forschungsergebnisse, vor allem aus literaturwissenschaftlicher Sicht (Riedel, 1999; Frühwald , 2004; Bremer/Lampart/Wesche, 2007; Leeder, 2007; Kuhlmann/Meierhofer 2011; Ertel, 2011 etc.), die der Thematisierung von wissenschaftlicher Erkenntnis im Werk Grünbeins mit mehr oder weniger intensiver Berücksichtigung von bildtheoretischen Fragen nachgehen. Gleichwohl bleibt eine systematische Beschäftigung bislang desiderat, und auch eine umfassende Untersuchung der Schriften (Prosa, Lyrik, Essays) Durs Grünbeins unter dem Gesichtspunkt einer Bild-Epistemologie steht bislang aus. Deshalb soll in der hier angekündigten Tagung das sich zeigende bildliche/bildhafte Erkenntnisparadigma im Werk Grünbeins im interdisziplinären Zugriff und mit unterschiedlichen methodischen Zugängen beschrieben, analysiert und im Hinblick auf sein Potenzial bewertet werden.

Die Tagung wird folgendes Grundgerüst haben:
(A) Durs Grünbeins theoretische Modelle
Diese Sektion macht es sich zur Aufgabe zu erarbeiten, wie Grünbein sich in seinen Schriften und als Person in Interviews zum Thema „Bildlichkeit“ und „dritter Weg“ äußert. Dabei können ebenso seine Begriffe und Konzepte erarbeitet werden, so wie er sie in den Redeweisen von der „Anschauung“, der „Imagination“ als „maximale, farbenreichste Erkenntnis“, dem „vorwegnehmendem Wissen“ etc. artikuliert bzw. wie sie sich im Zusammendenken von Sinneswahrnehmung, Erkenntnis und anschaulichem Stil/bildhafter Sprache zeigen.

(B) Kontexte und Hintergründe
In diesem Bereich soll nach den Traditionen, Quellen und Vorbildern gefragt werden, aus denen sich Grünbeins Denken der Bildlichkeit und der Anschauung speist. Gewünscht sind hier Beiträge, die eine Verhältnisbestimmung Grünbeins etwa zur Tradition der romantischen Beziehung von Literatur und Wissenschaft (Novalis) leisten, oder Grünbeins Rezeption von Hugo von Hoffmansthal „Chandos-Brief“ diskutieren. Erwünscht sind v.a. auch Vorträge, die über bekannte Zusammenhänge von Grünbeins Werk mit der Phänomenologie Edmund Husserls und Maurice Merleau-Pontys etwa, oder Walter Benjamins Begriff des Denkbildes, Gilles Deleuzes’ Begriff des Perzepts, Gerard Manley Hopkins „Inbild“ (Inscape), Ezra Pounds „Image“ und „Ideogramm“, Goethes „anschauende Urteilskraft“, oder Ossip Mandelstams „Training der analytischen Sehkraft“ hinausgehend neue innovative Ansätze für die Interpretation der Grünbeinschen Bild-Epistemologie fruchtbar machen. Dies gilt auch für die für Grünbein sehr gut belegten personalen Affinitäten zu Georg Büchner oder Gottfried Benn.

(C) Wissenschaften
Auf der Tagung soll in einer eigenen Sektion untersucht werden, welche Bedeutung Grünbeins Rezeption und Auseinandersetzung mit den Wissenschaften der Gegenwart (Neurologie, Physiologie, Anatomie etc.) und der Geschichte (Descartes, Darwin etc.) für seine Konzeption einer Bild-Epistemologie hat. Hier wird auch Grünbeins literarische Anthropologie bzw. seine auf den Körper bezogene Anthropologie thematisch werden, bei der zu fragen ist, wie dieses Vermögen der Anschauung, des Bilddenkens etc., das dem Poeten und Dichter eine eigene „wissenschaftliche“ Erkenntnis beschert, definiert ist.

(D) Bilder, Bildlichkeit und Bildtheoretisches
Diese Sektion will Grünbeins spezifische Formen einer Bildverwendung (Tropen) und -beschreibung (Ekphrasis) ebenso untersuchen, wie seine Verwendung historischer und zeitgenössischer Bilder in seinen Texten (Medizin, Naturwissenschaften etc.). In diesem Bereich soll auch gefragt werden, ob es im Hinblick auf das Denken eines „dritten Weges“ eine Zäsur im Werk Grünbeins gibt und wodurch diese (biographisch, theoretisch) motiviert ist bzw. in welcher Gestalt sich der „dritte Weg“ in den jüngeren Schriften Grünbeins weiterentwickelt.

(E) Bild-Epistemologie in Literatur und Erkenntnistheorie
In der Zusammenschau dieser Sektionen soll dann Grünbeins „dritter Weg“ im Verhältnis zu der Herangehensweise anderer „poetae docti“ (Hans Magnus Enzensberger, Raoul Schrott, Ulrike Draesner, Thomas Kling, Franz Josef Czernin, Barbara Köhler etc.) untersucht werden. Abschließend soll ein Vergleich mit modernen Erkenntnistheorien Grünbeins Ansatz und sein mögliches Potenzial bewerten.

Abstracts von ca. 2000 Zeichen (ohne Leerzeichen) mit Vorschlägen für einen Vortrag und zusätzlich bio- und bibliografische Angaben zu Ihrer Person übersenden Sie bitte bis zum 20.11.2011 an Dr. Christoph auf der Horst (studium-universalehhu.de) und Dr. Miriam Seidler (seidlerphil.uni-duesseldorf.de).

Vorbehaltlich einer finanziellen Bewilligung können Reise- und/oder Übernachtungskosten erstattet werden.

Es ist geplant, die Tagungsbeiträge in einem Sammelband zu veröffentlichen.

Kontakt: Dr. Christoph auf der Horst, Zentrum Studium Universale und Institut für Geschichte der Medizin; Heinrich-Heine-Universität
Dr. Miriam Seidler, Institut für Germanistik; Heinrich-Heine-Universität

Quellennachweis:
CFP: Ansätze moderner Bild-Epistemologie im Werk D. Grünbeins (Düsseldorf, Jun 2012). In: ArtHist.net, 26.10.2011. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/archive/2127>.

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