CFP 30.01.2018

Architekturmoderne zwischen Zweckbau und Sozialutopie (Bern, 8-9 Nov 18)

Universität Bern, 08.–09.11.2018
Eingabeschluss : 15.04.2018

Dr. Sarah M. Schlachetzki

«In Serie. Architekturmoderne zwischen Zweckbau und Sozialutopie». Wissenschaftliches Kolloquium

Während die Entwicklung industrialisierten, modernen Bauens bereits ab den 1920er-Jahren unter anderem in Frankreich und Deutschland, später auch in der Sowjetunion energisch vorangetrieben wurde, können die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als Hochzeit des sogenannten Systembaus gelten. Nicht mehr nur vorfabrizierte Teile fanden jetzt Verwendung im oft staatlich gesteuerten Bauwesen des Wiederaufbaus – die Idee, gleich ganze Systeme zur Anwendung zu bringen, fand nun zu ihrer Umsetzung. Dabei waren je nach lokalem Kontext vollkommen unterschiedliche gesellschaftliche Vorstellungen mit der seriellen Architektur verbunden.
In der Schweizer Rezeption dienten deutsche oder französische Bauweisen der Zeit als „wichtiges Experiment“, das „mit großem Gewinn studiert“ wurde (Tintori 1963: 404). Obwohl Systembauten hier nicht annähernd so häufig zum Einsatz kamen wie in Ländern, in denen z.B. die Ästhetik des Plattenbaus eine ganze Ära prägte, stellte das Problem von Serie versus Varietät auch den schweizerischen Architekturdiskurs vor grundlegend neue Aushandlungsprozesse. Schon 1969 fragte deshalb eine Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung danach, wie sich das „Phänomen der Serie auf die Umweltgestaltung“ auswirke (Balla et al. 1969: 364).
Die Frage nach architektonischer Planung von Systembauten und die Aneignung durch ihre Nutzerinnen und Nutzer wirft gleichzeitig einen Schatten zurück auf die Normierungsbemühungen der klassischen Moderne. Zwar sagte beispielsweise für das Team Ernst Mays der serielle Charakter der geplanten Bauten in der Sowjetunion in den 1930er-Jahren noch nichts über eine Normierung des darin lebenden Menschen aus – im Gegensatz zu den Wünschen der politischen Auftraggeberschaft (vgl. Flierl 2012: 84). Trotzdem ist die Moderne, wie auch die architektonische Entwicklung des Systembaus im Europa der Nachkriegszeit, auf das Spannungsmoment zu befragen, das sich aus serieller Ästhetik auf der einen sowie den zu bewahrenden Individualitätsansprüchen der Bewohnerinnen und Bewohner wie (zumeist männlichen) Architekten auf der anderen Seite ergibt.
Das Kolloquium «In Serie» möchte einen besonderen Fokus auf diese Ambivalenz legen. Architektur und Gesellschaft werden allzu oft rein dualistisch gedacht. Es soll daher auch danach gefragt werden, welche Gesellschaftsentwürfe und welches Menschenbild sich in der Baukultur des Systembaus der Nachkriegszeit dokumentieren und wie diese sich auch in die Baukultur der Folgezeit eingeschrieben haben.

Einreichungen sind insbesondere – aber nicht ausschließlich – zu folgenden Fragestellungen erwünscht:

a) Welche progressiven oder auch dystopischen Gesellschaftsentwürfe dokumentieren sich in Bausystemen der Nachkriegsmoderne?
b) Welche Rolle der Architekten und Architektinnen als Autoren zukunftsfähiger Gesellschaften und von rationellen Prämissen eingehegter Konstrukteure lässt sich für das funktionale, serielle Bauen identifizieren?
c) Wie verhalten sich die gesteigerten Individualitätsansprüche der Nutzerinnen und Nutzer und die vom modularen Raster gesetzten Grenzen des Systembaus zueinander?
d) Welcher Stellenwert und damit welche Bewertungen des seriellen Bauens der Nachkriegsmoderne lassen sich im öffentlichen Diskurs und der fachlichen Auseinandersetzung der Architektur(-theorie/-geschichte) herausarbeiten?
e) Welche Indikatoren können für die denkmalpflegerische Einordnung des Systembaus (bspw. vor dem Hintergrund eines zunehmenden Dichtedrucks) herangezogen werden?
f) Welche methodischen Zugänge lassen sich für Forschungen zu vorgenannten Fragestellungen fruchtbar anlegen?

Format: Anknüpfend an knappe Präsentationen der Forschungsarbeiten möchte das Kolloquium dezidiert Raum für den Austausch der Teilnehmenden lassen. Um das Format dabei auch von dem einer Tagung mit wenig Dialogmöglichkeit abzugrenzen, sollen Debatten in thematisch fokussierten Kleingruppen am zweiten Tag der Veranstaltung die Vorstellung der Forschungspositionen des ersten ergänzen. Die Ergebnisse beider Teile werden später im Plenum zusammengeführt. Der Abend des ersten Tages schließt mit einer öffentlichen Keynote.

Teilnahme: Die Zahl der Teilnehmenden ist auf 10 Personen begrenzt. Angesprochen werden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Kunst- und Geschichtswissenschaft, Architektur, Soziologie, Anthropologie und Ethnologie, die zum Systembau am Übergang von industrieller und zweiter Moderne, seiner architekturhistorischen/-theoretischen Einordnung sowie seinen kulturellen und sozialen Implikationen forschen. Anfallende Kosten für die An- und Abreise sowie Übernachtung werden durch eine Förderung der Universität Bern und des Schweizer Bundesamtes für Kultur getragen.
Das Kolloquium ist Teil der Forschungen der ICOMOS Suisse Arbeitsgruppe „System und Serie“ (http://www.icomos.ch/workinggroup/system-serie/).

Abstracts von nicht mehr als 350 Wörtern zzgl. Quellenangaben sowie evtl. Nachfragen richten Sie bitte an:
Dr. Sarah M. Schlachetzki / sarah.schlachetzkiikg.unibe.ch, +41 31 631 52 59
Dr. Tino Schlinzig / tino.schlinzigtu-dresden.de, +49 351 463 37 37 1
Einreichungsfrist: 15. April 2018

Quellennachweis:
CFP: Architekturmoderne zwischen Zweckbau und Sozialutopie (Bern, 8-9 Nov 18). In: ArtHist.net, 30.01.2018. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/archive/17263>.

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