CONF Feb 14, 2016

Das eigene Leben als ästhetische Fiktion (München, 28-29 April 16)

Technische Universität München, Arcisstraße 21, 80333 München, Apr 28–30, 2016

Dr. Tobias Zervosen, Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design

Das eigene Leben als ästhetische Fiktion. Autobiographie und Professionsgeschichte

Organisation: Prof. Dr. Dietrich Erben / Dr. Tobias Zervosen

Um Anmeldung wird gebeten bei Susanne.Oxelrz.tu-muenchen.de

Die Tagung wird sich einer Gruppe von Texten widmen, deren Verfasserinnen und Verfasser sich das Schreiben nicht zu ihrer Hauptaufgabe gemacht haben, sondern die sogenannten bürgerlichen Berufen nachgehen. Wie die Anzahl der Bücher selbst, so sind auch die Verfasser in ihren sozialen Profilen und Positionen schwer zu überschauen – es handelt sich um Politiker und Wissenschaftler, um Unternehmer und Sportler, um Architekten oder um Bildende Künstler und Musiker. Autobiographien stellen für die Angehörigen dieser Berufe neben dem Kerngeschäft ihrer jeweiligen Profession eine weitere Form der öffentlichen Mitteilung dar, sie sind als Publikationen an eine breitere Öffentlichkeit adressiert und daher auf Publikumswirksamkeit zugeschnitten. Doch sie sind auch weiterhin fachlichen und berufsspezifischen Interessen verpflichtet.

Der Quellenkorpus der von uns versuchsweise als „Professionsautobiographien“ bezeichneten Bücher ermöglicht es, über die Kulturen von praktischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Berufen Auskünfte zu erhalten. Dies betrifft für den Untersuchungszeitraum seit dem späteren 19. Jahrhundert insbesondere die Rekrutierungsstrategien in solchen Berufen, das Selbstbild der Berufstätigen sowie die Außendarstellungsziele der jeweiligen Profession. Professionsautobiographien stellen sich als instruktive, aber offenbar bislang kaum ausgewertete Quellen für die zuerst von Max Weber erörterte Berufssoziologie dar. In diesem Sinne sind am Beginn der Moderne professionelle Selbstvergewisserung einerseits und die Erarbeitung einer adäquaten wissenschaftlichen Methodologie für das Verständnis von Professionalisierung andererseits eindrucksvoll aufeinander bezogen.

Autobiographien von Angehörigen unterschiedlicher Professionen geben Anlass, darüber nachzudenken, in welcher Form in ihnen schöpferische Arbeit und Produktivität geschildert werden. Sie können damit über einigermaßen grundlegende, bis heute immer noch rätselhafte Bedingungen von Kreativität Auskunft geben. Erzählt wird unter anderem von individuellen Arbeitsrhythmen, von Phasen des Erfolgs und des Scheiterns; beschrieben werden bestimmte Ortstypologien von Arbeitsplätzen (Büros, Studios, Labore etc.) mit deren kommunikativem Umfeld als Quellen der Inspiration; geschildert werden auch Beziehungen zu den obligatorisch verehrten Mentoren und den sprichwörtlichen „Weggefährten“ innerhalb von persönlichen Netzwerken.

Versteht man die Funktion dieser Texte als ein an die Öffentlichkeit adressiertes Medium der Selbstreflexion von Angehörigen einzelner Berufsgruppen, so muss über die inhaltliche Programmatik der Texte hinaus auch nach der ästhetischen Faktur der Publikationen wie Sprachstil, Erzählstrategien, literarisches Genre, Paratexte, Illustrationen u.a. gefragt werden. Von zentralem Interesse erweist sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Autobiographien jeweils als Modelle für spätere Texte dienen. Vieles spricht dafür, dass sich Autobiographien gerade von nicht-professionellen Schreibern gattungsgeschichtlich selbst fortschreiben, wobei sich die Referenzen in den einzelnen kulturellen Milieus als denkbar verschieden darstellen. Während im deutschsprachigen Bereich Goethes „Dichtung und Wahrheit“ einen unüberbietbaren Standard setzt, gilt dies in den angelsächsischen Sprachkulturen für die autobiographischen Schriften von Henry David Thoreau und Henry Ford. Meist sind die Referenzen unmittelbar genug – Adolf Hitlers „Mein Kampf“ ist ohne Richard Wagners „Mein Leben“ nicht vorstellbar. Als durchaus prekär stellt sich das Problem der Autorschaft schließlich bei den Autobiographien der sogenannten „Prominenten“ dar, bei denen nicht nur der Beruf hinter der Berühmtheit verschwindet, sondern deren Lebensbeschreibungen auch Ghostwritern als Verfassern überantwortet werden.

Die Tagung ist Teil eines am Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design der Technischen Universität München angesiedelten Forschungsprojektes zu Architektenautobiographien. Sie wird durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung finanziert.

PROGRAMM

Donnerstag, 28. April 2016

11.00-11.45h Begrüßung und Einführung

Dietrich Erben (München):
Erfahrung als Argument in der Architektenautobiographie

SEKTION I: AUTOBIOGRAPHIE ALS DICHTUNG
Moderation: Thomas Weidner

11.45-12.30h Zeno Ackermann (Frankfurt a.M./Ludwigsburg):
Professionalisierung und Professionalitätsverweigerung. Henry David Thoreau, Henry Ford und die autobiographische Tradition der USA

12.30-13.15h Christine Ott (Frankfurt a.M.):
Amélie Nothombs Selbsterfindung

Mittagspause

SEKTION II: AUTOBIOGRAPHIE UND POLITIK
Moderation: Erik Wegerhoff

14.30-15.15h Barbara Zehnpfennig (Passau):
Hitlers Mein Kampf. Bildungsroman und politisches Pamphlet

15.15-16.00h Philip Bajon (Frankfurt a.M.):
Selbstzeugnisse und historische Mythen im Prozess der europäischen Einigung

16.00-16.30h Kaffeepause

16.30-17.15h Georg Wagner-Kyora (Hannover):
Vom „nationalen“ ins „sozialistische“ Selbst. Die Identitätskonstruktion der Chemiker in der DDR in den geheimen Autobiographien „Inoffizieller Mitarbeiter“ der 1950er und 1970er Jahre

17.15-18.00h
Annika Wienert (München):
Louise Bourgeois. Kunst als Autobiographie oder autobiographische Kunst?

19.00 ABENDVORTRAG ROLF HAUBL (FRANKFURT a.M.):
Die allmähliche Verfertigung von Lebensgeschichten im Erinnerungsprozess

Freitag, 29. April 2016

SEKTION III: AUTOBIOGRAPHIE UND GESELLSCHAFT IN LEBENSBESCHRIEBUNGEN VON PERSONEN DES ÖFFENTLICHEN LEBENS
Moderation: Annika Wienert

10.00-10.45h Thomas Weidner (München):
Der Spion in Malcesine. Goethes Italienische Reise

10.45-11.30h Thomas Eser (Nürnberg):
Der Kaiser der Berliner Museen. Wilhelm von Bodes Mein Leben

11.30-12.15h Johannes Paulmann (Mainz):
Die Autobiographie Albert Schweitzers im Vergleich mit den Schriften Rupert Neudecks

Mittagspause

SEKTION IV: AUTOBIOGRAPHIE IN DEN KÜNSTEN
Moderation: Dietrich Erben

14.15-15.00h Laurenz Lütteken (Zürich):
In den Wucherungen der „schmucklosen Wahrhaftigkeit“. Richard Wagner und seine Autobiographien

15.00-15.45h Saskia Pütz (Hamburg):
Beziehungsprobleme. Über das schwierige Verhältnis von Leben und Werk in Künstlerautobiographien des 19. Jahrhunderts

15.45-16.15h Kaffeepause

16.15-17.00h Tobias Zervosen (München):
„Ihr ganzes Leben lang sind Menschen Plänemacher. Ich bin einer von Beruf“. Beschreibungen von Produktivität und Kreativität in Architektenautobiographien

17.00-17.45h Christine Tauber (München):
Roland Barthes par Roland Barthes. Autobiographie als Trauerarbeit

17.45-18.30h Martin Sabrow (Potsdam):
Die Autobiographie Erich Honeckers

Samstag, 30. April 2016
Moderation: Tobias Zervosen

10.00-10.45h Martina Wagner-Egelhaaf (Münster):
Ein Leben für die Wissenschaft. Forschung und Selbsterforschung

10.45-11.30h Thomas Etzemüller (Oldenburg):
Wie ich über mich schweige. Die Wissenschaftliche Selbstbiographie von Max Planck

11.30-12.15h Ludger M. Hermanns (Berlin):
„Die lebendige Transformation eines Schicksals in analytisches Können“. Autobiographien von Psychoanalytikern

12.15-13.00h Wilhelm Füßl (München):
Die Stilisierung des Erfinders. Konrad Zuse (1910-1995) und seine autobiographischen Schriften

13.00h Ende der Tagung

Reference:
CONF: Das eigene Leben als ästhetische Fiktion (München, 28-29 April 16). In: ArtHist.net, Feb 14, 2016 (accessed Apr 29, 2025), <https://arthist.net/archive/12214>.

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