Ausgerichtet von: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Kunstgeschichte, in Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie Stuttgart
Veranstaltungsort: Staatsgalerie Stuttgart, 21.–23.04.2016
Verena Krieger / Sophia Stang
Wiederholungstäter – die Selbstwiederholung als künstlerische Praxis in der Moderne
Die Diskussion um Begriffe wie Original, Fake, Kopie, Reproduktion und Authentizität findet sich in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Ausstellungen, Publikationen und Konferenzen wieder. Das Symposium wird diese Diskussion spezifizieren und die Motive und Verfahren des Umgangs von Künstlern mit dem eigenen Werk beleuchten. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Form der Selbstwiederholung sowie der Relation von Original und Wiederholung und die Verortung von Identität und Originalität in Bezug auf künstlerische Autorschaft.
Ein klassischer ‚Wiederholungstäter‘ ist Giorgio de Chirico (1888–1978), der in den 1920er Jahren begann, Repliken seiner Gemälde anzufertigen und Varianten seiner auf dem Kunstmarkt besonders gefragten metaphysischen Bilder der 1910er Jahre zu verkaufen. In den folgenden Jahrzehnten entstand eine derzeit noch nicht überschaubare Zahl von rückdatierten Repliken und Bildwiederholungen, die auch mit Hilfe von Werkstattmitarbeitern produziert wurden. Zugleich entstanden bereits zahlreiche Fälschungen, bei deren Identifizierung de Chirico auch etliche von ihm selbst inzwischen ‚ungeliebte‘ Originale zu Fälschungen erklärte.
De Chiricos ambivalente Rolle in Bezug auf die Echtheit seiner Bilder und die hohe Zahl von Bildwiederholungen in seinem Werk wird bislang meist als Ausnahmeerscheinung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wahrgenommen. Er ist jedoch keineswegs der einzige, der mit der Selbstwiederholung arbeitete. So schuf Kasimir Malewitsch Ende der 1920er Jahre Gemälde im Stil seiner früheren postimpressionistischen, kubofuturistischen und suprematistischen Werkphasen und datierte sie zurück. Bei Fernand Léger war die Wiederholung konstituierender Teil seines künstlerischen Programms im Sinne einer mechanischen Ästhetik. Carl Buchheister intendierte, nach altmeisterlichen Werkstatt-Techniken gefertigte Repliken seiner Werke einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Diese Akte der Wiederholung wurden von den Zeitgenossen häufig als rein marktstrategisches Handeln moralisch verurteilt, als künstlerischer Kreativitäts- und Originalitätsverlust abgewertet und lächerlich gemacht (z.B. Breton gegen de Chirico, El Lissitzky gegen Malewitsch).
Neben pragmatischen Motiven stehen hinter der künstlerischen Selbstwiederholung vielfach konzeptuelle Überlegungen, die die Kunstwissenschaft mit Blick auf die Kunst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als Teil der künstlerischen Praxis betrachtet. So hat Donald Judd nachträglich Repliken seiner minimalistischen Objekte autorisiert, hat Michael Asher seine künstlerischen Gesten der 1960er Jahre in den darauf folgenden Jahrzehnten mehrfach wiederholt und haben Yoko Ono wie Marina Abramovi? einzelne ihrer spektakulären Performances der 1960er bzw. 1970er Jahre nach der Jahrtausendwende erneut aufgeführt. Zentrale Referenz solcher Selbst-reenactments ist Marcel Duchamp, dessen von 1935 bis 1941 entstandene Boîte-en-valise eine Sammlung maßstabgetreu verkleinerter Reproduktionen seiner bis dato entstandenen Werke enthält. Seit Duchamp verbinden sich mit der Selbstwiederholung Reflexionen über den Status des Kunstwerks, die Funktion der Autorschaft sowie von Orts- und Zeitspezifik, was gerade auch für die ephemere Kunst der Performance von Bedeutung ist. Beide Aspekte – der pragmatisch/monetäre und der konzeptuelle – koexistieren, überschreiben einander, und die Konzeptkunst lässt uns dies rückwirkend ebenso für die klassische Moderne erkennen. Zudem hat sich seit der postmodernen Debatte über Originalität und Aneignung die kunstwissenschaftliche Perspektive grundlegend gewandelt. So sehen wir heute Zitat, Kopie, Paraphrase und Collage – die Formen der Auseinandersetzung mit dem bereits Existenten – als der künstlerischen Produktion per se eingeschriebene Verfahren, die auch auf eigene Schöpfungen anwendbar sind.
Während in den letzten Jahren Fragen der Wiederholung, Serialität, Autorschaft und Selbstreflexivität im Kunstschaffen seit den 1960er Jahren intensiv bearbeitet wurden, stellen vergleichbare Untersuchungen für die klassische Moderne noch ein Desiderat dar. Das Symposium soll sich ausgehend von de Chirico weiteren ‚Wiederholungstätern‘ widmen und diese im Blick auf ihre jeweiligen Intentionen und künstlerischen Umsetzungen untersuchen. Auszuloten sind erstens die vielfältigen und ineinander verschränkten Gründe für die künstlerische Selbstwiederholung wie etwa die Befriedigung der Nachfrage des Kunstmarkts, eine gezielte Selbsthistoriographie, Lehr- und Studienzwecke, die Auslotung und Perfektionierung künstlerischer Techniken, die Herausbildung einer künstlerischen Schule oder die stetige Annäherung an ein finales Kunstwerk. Zweitens soll den Formen des Wiederholens und den diesen inhärenten Konzepten künstlerischer Kreativität nachgegangen werden. Dabei können sich die Fragestellungen auf das wiederholte Objekt, auf den wiederholenden Künstler und den Akt des Wiederholens beziehen: Wie unterscheidet sich die Wiederholung von dem Vorbild und welche neuen Sinnkonstitutionen offenbaren sich in eben jener Differenz? In welcher Relation stehen die Wiederholungen untereinander? Welche Veränderung erfährt das Vorbild und wo verortet sich seine Identität? In welchem Verhältnis stehen Bildthema, die vervielfältigte Bildform und der eingesetzte Stil zueinander? Welche Rolle spielen der Prozess des Entstehens der Werke und die verwendete Technik des Reproduzierens? Drittens geht es um Fragen der Rezeption: Wie werden die Wiederholungen aufgenommen und wie gestaltet sich das Verhältnis zum Publikum? Mit welchen Funktionen werden die unterschiedlichen Formen der Wiederholung besetzt? Und schließlich geht es auch um die Frage, inwiefern sich daraus spezielle Identitätsmodelle für Künstlerschaft ableiten lassen.
An der Thematik interessierte Forscherinnen und Forscher sind gebeten, ein Abstract (250–300 Wörter) für einen 20–30 minütigen Vortrag zusammen mit einem kurzen Lebenslauf bis zum 15.12.2015 an sophia.stanguni-jena.de zu senden. Die Publikation eines Tagungsbandes ist vorgesehen.
Das Symposium wird ausgerichtet von dem DFG-geförderten Forschungsprojekt „Giorgio de Chiricos künstlerische Identitätskonstruktion. Seine autobiografischen und kunsttheoretischen Schriften im Kontext der Valori Plastici“ (Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität, Jena) in Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie Stuttgart. Zeitgleich ist dort die Ausstellung „Giorgio de Chirico. Magie der Moderne“ (18.03.–03.07.16) zu sehen.
Reference:
CFP: Wiederholungstäter (Stuttgart, 21-23 Apr 2016). In: ArtHist.net, Nov 10, 2015 (accessed Dec 22, 2024), <https://arthist.net/archive/11474>.