CFP Mar 6, 2011

Anordnungskuenste (Offenbach, 17 Jun/ 25 Nov 11)

Offenbach, Jun 17–Nov 25, 2011
Deadline: Apr 3, 2011

Christian Janecke

ANORDNUNGSKUENSTE. MENSCHENFORMATIONEN VOR KUNST, IN KUNST, ALS KUNST

Offenbach a. M., 17.6.2011 und 25.11.2011
Eingabeschluss: 3.4.2011

An der Hochschule für Gestaltung Offenbach, Kunsthochschule des Landes Hessen, findet im Rahmen der dortigen Promotionsmöglichkeit sowie der Promotionsbegleitenden Studien zum wiederholten Mal eine Ringvorlesung im Feld von „Theorien und Geschichte der Gestaltung“ statt. Das Thema des neuen Zyklus lautet: „Anordnungskünste. Menschenformationen vor Kunst, in Kunst, als Kunst“. Dazu wird es 8-10 Vorträge geben, die in den kommenden zwei Semestern, gebündelt auf zwei einzelne Symposientage, gehalten werden sollen, nämlich am Freitag, den 17. Juni 2011, sowie am Freitag, den 25. November 2011.

Es geht um die körperlich-räumlich manifesten Anordnungsweisen von Menschen vor Werken der jüngeren Kunst, aber ebenso in diesen Werken oder als diese Werke selbst – betreffe es nun dargestellte Figuren, lebendige Akteure oder animiertes Publikum. Das Phänomen, welches die Ringvorlesung hauptsächlich auf dem Gebiet der Bildenden Kunst inklusive der Performance Art untersuchen wird, reicht freilich unverkennbar über diese Medien hinaus, was wenigstens einleitend erörtert sei – und was die Beiträger ermuntern darf, auch Übergänge zum Theater, zur Architektur oder zum Design mit einzubeziehen.
Was bedeutet es eigentlich, wenn Menschen sich kreisrund um einen das Wort Erhebenden scharen und dadurch jene erst Publikum werden, dieser erst Redner wird? Wenn Betrachter in loser Verteilung über den Raum eine Installation frequentieren, wenn bestimmte Formen der Architektur im Kunstmuseum oder im Theater, wenn die Gestaltung von Dingen oder die Einrichtung von Räumen sehr verschiedene Anordnungen der Nutzer bzw. Besucher erzwingen oder doch wahrscheinlich machen? Während bislang rezeptionsästhetisch eher nur nach Funktion und Rolle des Zuschauers, nach Arten der Einbeziehung des Betrachters durch ein Kunstwerk, nach der Adressierung des Subjektes durch ein Bauwerk, des Nutzers durch ein Design gefragt wurde, blieben die vielfältigen und konkreten Formen und Anordnungen, in denen Menschen sich gruppieren oder gruppiert werden, wenn es um Kunst, Architektur, Theater oder Gestaltung geht, seltsam unerörtert. Ein Desiderat, das umso mehr erstaunt, als es ja auch möglich ist, dass solche Anordnungen bereits ihrerseits als Werk in Erscheinung treten oder doch erheblichen Einfluss haben können auf ein Werk. Unübersehbar wird das Eigentätige menschlicher Anordnung im Rahmen des Konzelebrativen: Miteinander Feiernde, zumal in Kulturen oder bei Gelegenheiten, die noch nicht enttraditionalisiert bzw. informalisiert auf den Plan treten, erzeugen körper- oder formationsräumlich oftmals erst jene Atmosphäre der Festlichkeit, die den Einzelnen wiederum in ihren Bann zieht. Auch zeitgenössische Phänomene wie die sogenannten Flashmobs – temporäre, per Internet verabredete, ereignisversierte Zusammenkünfte einander im Übrigen fremder Menschen – geben dafür beredte Beispiele: Denn häufig ist die dabei gebildete Formation, etwa bei der Inbeschlagnahme eines Platzes oder einer Brücke, bereits der Hauptzweck, bzw. speist sich genau daraus das Selbst- und Gruppenerleben aller Beteiligten. Auch die Geschichte des Theaterbaus, in deren Verlauf nicht allein die zumeist beachtete Bühne, sondern auch die Form und Rolle des den Zuschauern zugewiesenen Raumes bzw. Bereiches sich veränderte, liefert wertvolle Hinweise für unsere Fragestellung. Denn stets bedingt die relativ zum Aufführungsgeschehen gewählte Gestalt des Zuschauerbereiches eine spezifische Form der Teilhabe oder Distanz, ist sie oftmals zugleich auch Ausdruck der Machtverhältnisse der Zuschauer untereinander oder gegebenenfalls zum Souverän. Darüber hinaus ist Theater als aufführende Kunstform immer schon auf lebendige Akteure angewiesen und mithin auch deren Arrangement zu Gruppen, zu diversen Konstellationen und Konfigurationen - die auf dem vergangenen Gebiete des Zeremoniells und in der Choreografie des Tanzes, aber auch in postmodernen Formen eines neuerlich chorischen bzw. auf der Bewegung von Massen beruhenden Theaters zum hauptsächlichen Sinnträger avancieren können.
Innerhalb der Bildenden Kunst gehört es bei der Performance Art zwar seit jeher zum guten Ton, keinen Gedanken auf eine Anordnung des Publikums zu verschwenden, ja die expliziten Anordnungsweisen, welche das etablierte Theater stets dafür vorgesehen hatte, gering zu schätzen. Indessen sind gerade bei der Performance Art intensive Formen der Zeugenschaft, des sich um eine spontane Performance bildenden Pulks oder der emphatischen Kopräsenz an der Tagesordnung. Und in einschlägigen Performances seit Dan Graham wird in vielfältiger Weise das als passiv und bedrohlich oder auch als yoyeuristisch oder vampiristisch eingeschätzte Gegenüber der Zuschauer Thema.
Bei nicht aufführungshafter Bildender Kunst engeren Sinnes, also beispielsweise in der Malerei, erscheint das Problem der Anordnung von Menschen zwar als weniger dringlich, da es sich nicht von Haus aus ergibt wie beim Theater. Doch gerade die Unveränderlichkeit der Ansicht im Bild erlaubt eine viel reichhaltigere Figurenkomposition mit intrikaten Relationen, als sie etwa für einen Theaterregisseur ratsam wäre, wollte er seine Truppe nicht ausgerechnet im Tableau arretieren. Desweiteren werden in der Kunst bestimmte Figurenanordnungen nicht allein erfunden bzw. verwendet, sondern auch explizit thematisiert. Ein Künstler wie John Baldessari beispielsweise kann unsere Aufmerksamkeit auf entsprechende Anordnungen in alten Fotografien lenken. Und auf andere Weise kann die Art der Anbringung eines Werkes im öffentlichen Raum dessen Betrachter in eine bestimmte Position nötigen. Im Rahmen einer Kunstmesse geschieht dies vielleicht durch die Errichtung von Paniksperren, die selbst schon oder deren Nutzungen als Werk firmieren. Sodann stellen Künstler nicht erst seit heute Plattformen im öffentlichen Raum bereit, auf denen spätere Betrachter alias Nutzer sich in irgendeiner Weise ergehen oder auf denen sie womöglich feiern dürfen. Künstler am Übergang zum Design ersinnen Ding-Ensembles oder Environments, die u. U. auf spezielle Anordnungen, Positionen oder (Körper)Haltungen der Nutzer zielen. Medienkünstler generieren in Art eines Computerspiels Module zur Gestaltung eines (virtuellen) Aufenthalts, oder sie ersinnen im Zuge einer Biennale Aus- und Absperrungen, die den Besucher u. U. buchstäblich fernhalten und dadurch zum Nachdenken anregen sollen. Hieran schließt sich das weite Feld einer Projektkunst und ihrer Choreographierung der Betrachter bzw. Nutzer an, sei es in der prozessionalen Weise einer ‘Kunstdemonstration’ oder über (innen)architektonisch realisierte Rezeptionsvorgaben, wie beispielsweise in Gestalt einer Lounge mit gemütlichen Sesseln. Im Unterschied allerdings zur sonst im Vordergrund stehenden Frage nach Grad und Art einer Partizipation soll hier verstärkt nach den typischerweise eingenommenen Anordnungen der Beteiligten gefragt werden und d. h. auch: nach Beispielen, die genau dahingehend triftig und aussagekräftig sind.
Ein weiterer Aspekt ist mit den institutionellen wie architektonischen Rahmungen des Kunsterlebnisses benannt. Als in irgendeiner Weise stets herausgehobenes Gut wird Kunst zumeist derart präsentiert, dass bestimmte Anordnungen des Publikums nötig bzw. wahrscheinlich, hingegen andere als unangebracht erscheinen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die als disziplinierend beschriebenen Funktionen des bürgerlichen Kunstmuseums, an einschüchternde oder umgekehrt auch an jüngere, nachgerade programmatisch inklusiv vorgehende Ausstellungsarchitekturen. Bezeichnender Weise sind es in diesem Zusammenhang wiederum Künstler, die uns für solche Konstellationen sensibilisieren, indem sie, wie beispielsweise Mirosław Bałka, vielleicht Installationen ersinnen, in denen die Betrachter sich der unterschwelligen Konditionierung durch einen Museumsparcours, durch Ausstellungsinszenierungen bewusst werden können.
Die an einem Beitrag Interessierten könnten der Versuchung erliegen, das Themenfeld der geplanten Ringvorlesung ein klein wenig zu verschieben, um wieder auf den besser bestellten Feldern der Rezeptionsästhetik, der Zuschauerforschung, um beim Für und Wider einer Partizipationskunst, bei soziologischen Interaktionstheorien oder auch raumtheoretischen Erörterungen zu landen – und dafür Ausgangsbeispiele zu wählen, in denen die Betrachter doch eher nur im übertragenen Sinne ‚angeordnet’ sind, sie also zwar vage durch ein Werk ‚adressiert’ werden, von ihm Anrufung oder auch eine (so oft im Zusammenhang der Minimal Art diskutierte) ‚Aufwartung’ erfahren, wobei es dann aber eher wieder nur um innere Dispositionen und Verhältnisse von Werk zu Rezipient ginge. Erwünscht sind stattdessen ausdrücklich Beiträge, in denen die buchstäblich, also physisch vor bzw. in den Werken oder als Werke sichtbar realisierten, mithin auch charakteristisch unterschiedlichen Anordnungsweisen von Menschen tatsächlich Ernst genommen und Ausgangspunkt einer Erörterung werden.
Willkommen sind Beiträge aus dem Feld der Kunstwissenschaft, aber darüber hinaus auch der Theaterwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Kulturwissenschaften, Designtheorie.

Vorschläge für einen 45-minütigen Vortrag dürfen mit einem Abstract (max. 400 Worte) sowie einer überschaubaren biographischen Angabe versehen bis zum 3.4.2011 per E-Mail an den für das Konzept Verantwortlichen, Prof. Dr. Christian Janecke (HfG Offenbach, Lehrgebiet Kunstgeschichte) unter janeckechristianaol.com gesandt werden.
Eine Publikation der Beiträge ist vorgesehen. Reise- und Übernachtungskosten werden übernommen, es gibt ein Honorar. Auch jüngere versierte Beiträger haben eine Chance – Prominenz allein reißt es nicht!

Reference:
CFP: Anordnungskuenste (Offenbach, 17 Jun/ 25 Nov 11). In: ArtHist.net, Mar 6, 2011 (accessed Dec 19, 2025), <https://arthist.net/archive/1027>.

^