Es kommt alles auf die Auswahl an. Und diese Auswahl ist Jörg Jochen Berns in seinen drei Bänden mit Texten zum Bilderstreit des 16. Jahrhunderts hervorragend gelungen. Es gibt keine Möglichkeit, sich einen besseren Überblick über die „Strittigkeit der Bilder“ im 16. Jahrhundert und beginnenden 17. Jahrhundert zu verschaffen als durch die Lektüre der hier vorgelegten Texte.
Die ersten beiden Bände hat der Herausgeber bereits 2014 vorgelegt, sie bilden mit ihrer durchgehenden Paginierung eine zusammenhängende Einheit.[1] Nun hat Jörg Jochen Berns noch einen ursprünglich nicht geplanten dritten Band ediert, der weitere 39 Texte darbietet. Insgesamt liegen damit auf ungefähr 1700 Seiten 99 Texte vor. 88 davon wurden von 66 namentlich bekannten Verfassern geschrieben. 25 Texte stammen von katholischen Autoren, 29 von Lutheranern, weitere 29 von anderen Protestanten, besonders von Reformierten. Eine beachtliche Rolle spielen die nicht eindeutig zuordenbaren Autoren, zu denen beispielsweise ein so wichtiger Bildergegner wie Andreas Bodenstein von Karlstadt zu rechnen ist. Auch andere prominente Namen gehören in diese Kategorie, etwa Sebastian Franck, Paracelsus oder Caspar Schwenckfeldt. Es erscheinen unterschiedlichste Textgenres, wobei die theologischen Traktate und katechetische Schriften naturgemäß besonderes Gewicht haben, außerdem finden sich Predigten, Vorlesungen, Mirakelberichte, Dichtungen, einige wenige kunsttheoretische Schriften und vieles mehr. Die Länge der Texte ist recht unterschiedlich, im Durchschnitt umfassen sie etwa 20 Seiten. Bedeutenden Autoren wie Hieronymus Emser oder Johann Arndt und Martin Chemnitz wird aber auch deutlich mehr Raum zugestanden.
Der Entstehungszeitraum reicht vom ausgehenden 15. bis zum beginnenden 17. Jahrhundert. Es gibt jedoch auch einige „Referenztexte“, die aus älteren Zusammenhängen stammen, zum Beispiel die berühmten Briefe Papst Gregors des Großen (590–604), aus denen der Gedanke, die Bilder seien die Bücher der Ungebildeten in alle späteren Diskussionen zum Thema der Bilder eingegangen ist.
Die von Berns getroffene Auswahl ließe sich natürlich kritisieren, indem man vor allem auf lateinische und französische Texte verweist, die nicht aufgenommen wurden. Aber wenn man die Inhalte betrachtet, dann werden offenkundig alle entscheidenden Probleme des Bilderstreits breit abgedeckt. Und gleichzeitig wird die Beschränkung auf deutsche beziehungsweise deutschsprachige Texte nicht nur dem Publikum gerecht, für das das vorliegende Werk bestimmt ist, sondern diese Beschränkung entspricht der geschichtlichen Entwicklung der Reformation. Selbstverständlich hätte Berns auch noch die eine oder andere randständige Flugschrift abdrucken können, aber da es ihm darum ging, die zeitgenössische Diskussion abzubilden, wäre es unnötig gewesen, den Radius noch weiter zu nehmen, als er es tatsächlich getan hat.
Der erste Band beginnt mit einigen Autoren, die vor Beginn der Reformation geschrieben haben. Hervorgehoben sei der Benediktiner Johannes Butzbach, dessen nicht sehr umfangreiches Werk „De praeclaris picturae professoribus“ Berns vollständig ediert und sorgfältig übersetzt. In diesem Text kommt eine unproblematische Wertschätzung der Bildkunst zum Ausdruck. Butzbach hat seine Schrift an die gelehrte Schwester Gertrud Büchel (Buchel) gerichtet, die im Benediktinerinnenkloster auf der Insel Nonnenwerth lebte, wo sie 1507 sogar Äbtissin wurde. Doch geht es weniger um ihr geistliches Leben als um ihre künstlerische Tätigkeit, denn sie illuminierte auf hohem Niveau Bücher.[2] Das ist der Ansatzpunkt für Butzbachs Lob weiblicher Kunstpraxis – und dieses Lob ist nicht nur eine höfliche Verneigung vor der Adressatin, sondern hat durchaus generellen Charakter, da der Autor Künstler und Künstlerinnen als gleichwertig behandelt.
Butzbachs Schrift bildet gerade wegen ihrer speziellen Aspekte eine gute Folie, von der sich die anschließenden, völlig anders gearteten Texte abheben. Das gilt ganz besonders für Karlstadts 1522 gedruckte Kampfschrift „Von abtuhung der Bylder“, die als ein Grundlagentext des reformatorischen Bildersturms eine herausgehobene Stellung einnimmt. Dieser Schrift wird die katholische Erwiderung entgegengestellt, die Hieronymus Emser noch im selben Jahr veröffentlichte und in der er bereits viele der Argumente vorbrachte, die die altgläubige Seite während der gesamte Epoche zur Verteidigung der Bilder anführen wird. In erster Linie wollten Emser und die späteren katholischen Autoren den apostolischen Ursprung der Bilder und ihrer Verehrung nachweisen. Das ist ihnen – zumal nach den Maßstäben der Zeit – durchaus gelungen. Allerdings wollte die Gegenseite trotz gegenteiliger Beteuerungen die apostolische Tradition nicht mehr als verbindlich anerkennen. Heute schwelt der theologische Bilderstreit nur noch untergründig, und er kann immer noch nicht geführt werden, ohne nach dem urchristlichen Bildgebrauch zu fragen. Die Antwort lautet heute: Die alte Kirche hat die Bilder von der Synagoge übernommen, die in der Antike noch durchaus bilderfreundlich gewesen ist, wie etwa die bildgeschmückte Synagoge von Dura Europos beweist. Derartige archäologische Tatsachen waren allerdings den Kontrahenten der Reformationszeit nicht bekannt. Und sie hätten die damaligen Bilderfeinde auch nicht beeindruckt. Vielmehr zeigen die von Jörg Jochen Berns edierten Texte eine Unduldsamkeit, die bekanntermaßen zum Untergang eines erheblichen Teils der mittelalterlichen Kunstproduktion geführt hat. Das gilt nicht nur für die Gebiete, in denen sich die reformierte Tradition durchsetzte, sondern selbst für die Territorien, die von lutherischen Landesfürsten regiert wurden. Luther selbst hatte Schwierigkeiten, die bilderfreundliche Position des sächsischen Kurfürsten zur Geltung zu bringen. So wird es in seinen sogenannten „Invocavit-Predigten“ deutlich, deren auf die Bilder bezogenen Passagen ebenfalls schon im ersten Band abgedruckt sind. Luther lehnte zwar tumultuarische „Bilderstürme“ ab und sprach Bildern lehrhafte Aufgaben zu, unterstellte jedoch den Stiftern falsches Vertrauen auf gute Werke und wandte sich gegen die Bilderverehrung, das heißt gegen den Kern des altgläubigen Bildgebrauchs. Grundsätzlich erklärte er die Bilder für „frey“, meinte jedoch, dass es „besser were, wir hetten derselbigen Bilder gar keines umb des leidigen Missbrauchs und unglaubens willen.“ (Bd. 1, S. 171) Andererseits hielt Luther das Sich-Bilder-Machen für einen wesentlichen Aspekt menschlichen Verstehens. Wie problematisch die differenzierte lutherische Sicht zu vermitteln war, belegen die Berichte über ein Gespräch Luthers mit Rat und Gemeinde von Orlamünde (Bd. 1., Nummer 10), einem Ort, in dem Karlstadt als Prediger tätig war.
Die Vorgaben der lutherischen Obrigkeiten verhinderten zwar einen wirklich umfassenden Bildersturm, dennoch wurden auch in lutherischen Gebieten Bildwerke entfernt, vor allem die Retabel der mit den Privatmessen verbundenen Seitenaltäre. Nur in wenigen Städten wie etwa Nürnberg gab es Ausnahmen. Anders sah es im Bereich der „ikonophoben“ Schweizer Reformatoren aus. Dort wurden ab etwa 1524 fast alle erreichbaren sakralen Bildwerke zerstört. Die dazu einschlägigen Grundlagentexte finden sich natürlich ebenfalls in der vorliegenden Edition, beispielsweise die maßgeblich von Ulrich Zwingli verantwortete Schrift „Ratschläge betreffend Meß und Bilder“ sowie sein „Vorschlag wegen der Bilder und der Messe“. Gerade bei derartigen Texten, deren Sprache für heutige Leser nicht leicht zugänglich ist, ist man dankbar für Berns Vorgehen, schwer verständliche Begriffe und Redewendung kommentierend zu erläutern. Nur bei nicht direkt zum Thema gehörenden Wörtern darf man gelegentlich anderer Meinung sein als er. So meint „Bruch“ (Bd. 3, S. 345) nicht unbedingt die „Kleiderfalte“, sondern einfach die „Unterhose“.
Schon die ersten beiden Bände umfassen die gesamte hier in Frage stehende Epoche; im dritten Band werden zwar auch frühe Texte abgedruckt, aber der Schwerpunkt liegt doch mehr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Am Ende stehen einige Texte des frühen 17. Jahrhunderts. Damit zeigt sich hier besonders deutlich, wie der Umgang mit den Bildern zum Kennzeichen der Konfessionen wurde.
Unter den 39 im dritten Band veröffentlichten Texten finden sich einige, die es verdienen, sowohl in der Kirchen- als auch in der Kunstgeschichtsschreibung stärker beachtet zu werden. Das gilt beispielsweise für die „Klagred der Frommen alten Teutschen Andacht“, geschrieben von Adam Walasser, einem Buchdrucker, der um 1555 den Kulturverlust beklagt, der durch die Bilderstürme bewirkt wurde. Es handelt sich, wie Berns betont um einen Text, „der in dem Gesamtzusammenhang der Bildstreitigkeiten kein Gegenstück hat. Seine Polemik wird durch eine Trauer bestimmt, die keine Gehässigkeit kennt.“ (Bd. 3, S. 200) Besonders erwähnt werden sollen außerdem drei Texte, die sich auf die 1619 erfolgte Zerstörung der Ausstattung des Prager Veitsdoms beziehen. Hauptverantwortlicher war der reformierte Theologe Abraham Scultetus. Damals war eigentlich die Zeit für derartigen Vandalismus bereits vorbei, und bekanntermaßen kostete diese Aktion, den Winterkönig Friedrich von der Pfalz, unter dessen Ägide sie erfolgte, erhebliche Sympathien unter den böhmischen Protestanten. Es war der Anfang seines Endes.
Den Rang der vorliegenden Sammlung macht nicht nur die gar nicht genug zu lobende Auswahl der Texte aus, größten Gewinn kann man auch aus der Einleitung zum ersten Band ziehen ebenso wie aus den beiden Nachworten und den sonstigen Begleittexten. Jörg Jochen Berns geht es dabei sowohl um die theologischen, historischen und soziologischen Grundlagen der Debatte als auch um deren spezifischen Charakter als „Mediendebatte“, wobei letzteres den Beteiligten wohl kaum klar gewesen ist. Mit seinen gut lesbaren Kommentaren hat der Herausgeber jedenfalls viele Schneisen in den Wald der von ihm edierten Texte geschlagen.
Selbstverständlich erhält auch jeder einzelne Text eine kurze Einleitung, aus der man grundlegende Daten zum jeweiligen Autor und zur betreffenden Schrift entnehmen kann. Im dritten Band sind diese Einleitungen zu regelrechten Kurzrezensionen geworden, in denen es nicht an treffsicheren Bewertungen mangelt. So wird etwa Johannes Spreter bescheinigt, er argumentiere „vernunft- und geschichtsbezogen nüchtern (Bd. 3, S. 113). Nicht selten finden sich hier auch generell bedeutsame Aussagen: „Kunsthistorische Fragen oder gar ikonographische Erwägungen sind Schatzger – wie den meisten Teilnehmern der Bilddebatte – fremd.“ (Bd. 3, S. 33)
Die Texte werden immer nach guten Vorlagen geboten, sind sorgfältig ediert und dürfen als zitierfähig gelten. Wichtig sind auch die Register am Ende des zweiten und nochmals am Ende des dritten Bandes. Neben den Namensregistern gibt es auch ausgesprochen hilfreiche Begriffs- und Sachregister.
Eine Art Zusammenfassung ist bei der großen Menge der Texte unmöglich. Daher nur so viel: Wahrscheinlich hat der Reformation der Kampf gegen die Bilder insgesamt mehr geschadet als genützt. Das wird bei der Lektüre der vorliegenden Bände deutlich. Gleichzeitig belegen die alten Texte, wie schnell und unverhofft kulturelle Gräben aufbrechen können, die sich nicht mehr überbrücken lassen. Wie das beim Bilderstreit des 16. Jahrhunderts geschehen ist, kann man nirgends besser nachvollziehen als anhand der Textsammlung von Jörg Jochen Berns.
[1] Jörg Jochen Berns (Hrsg.): Von Strittigkeit der Bilder. Texte des deutschen Bildstreits im 16. Jahrhundert (Frühe Neuzeit; 184.1/184.2), 2 Bde., Berlin / Boston 2014.
[2] Vgl. Anja Ostrowitzki: Gertrud Büchel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gertrud-buechel/DE-2086/lido/666c3d9b14f3d2.65534463 [02.10.2024].
Berns, Jörg Jochen (Hrsg.): Von Strittigkeit der Bilder, Bd. 3. Texte des deutschen Bildstreits im 16. Jahrhundert (= Frühe Neuzeit; 184.3), Berlin: De Gruyter 2023
ISBN-13: 978-3-11-077989-9, XIX, 749 S., 179,95 EUR, Inhaltsverzeichnis
Recommended Citation:
Christian Hecht: [Review of:] Berns, Jörg Jochen (Hrsg.): Von Strittigkeit der Bilder, Bd. 3. Texte des deutschen Bildstreits im 16. Jahrhundert (= Frühe Neuzeit; 184.3), Berlin 2023. In: ArtHist.net, Oct 9, 2024 (accessed Nov 29, 2024), <https://arthist.net/reviews/42878>.
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