REV-CONF Jul 26, 2024

Antisemitismus und Kunst vor 1933

Halle (Saale), Jun 27–28, 2024

Report by Inna Skliarska; Gordon Prager, Halle (Saale)
Editor: Anke Blümm

Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Antisemitismus in der deutschen Kunst ist ein Forschungsschwerpunkt der kunstwissenschaftlichen Abteilung der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale. Ausgehend von der spannungsvollen Geschichte der Kunsthochschule während der Zeit des Nationalsozialismus und dem großen inhaltlichen Interesse der Studierenden, war es Prof. Dr. Nike Bätzner und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Christina Brinkmann M. A. ein Anliegen, dieses historische Problem zu kontextualisieren und aufzuarbeiten. Brinkmann konstatierte zum Anfang des Workshops, dass der Antisemitismus in der Kunst vor 1933 nicht als seltenes Randphänomen einzelner Künstlerpositionen anzusehen sei, sondern dass es sich um ein strukturelles Problem handele, welches sich wie ein Leitmotiv durch die gesamte deutsche Moderne ziehe. Ziel des zweitägigen Workshops war es daher, die verschiedenen Beiträge und Netzwerke des deutschen Antisemitismus vor 1933 differenziert und gattungsübergreifend zu diskutieren und sie dabei in ihr gegenseitiges Verhältnis zu setzten.

Mit dem Eröffnungsvortrag zu Gerhard Marcks benannte Arie Hartog (Bremen) gleich zum Beginn des Workshops einen Künstler, bei welchem das Verhältnis zum Judentum als äußerst widersprüchlich zu bewerten ist. Denn obwohl sich unter seinen Kunden, Unterstützern und Studierenden zahlreiche Jüdinnen und Juden befanden, denen er eine gesteigerte geistige Fähigkeit zusprach, verfolgte der Künstler während seiner Schaffenszeit fortwährend die Bemühung um die Etablierung einer nationalistisch-deutschen Volkskunst, die die Juden dezidiert ausschloss. Hartog verwies dabei auf die überlieferten Briefe Marcks mit antisemitischen Tendenzen und versuchte auch, diese Ressentiments an seinen Bildwerken abzuleiten.

Dr. Dorothee Wimmer (Berlin) besprach in ihrem Beitrag den historischen Bestseller "Rembrandt als Erzieher" von Julius Langbehn von 1890. In diesem Werk, das in mehr als 85. Auflagen im Deutschen Reich erschien, versuchte Langbehn, den Altmeister Rembrandt als Held einer spezifisch völkischen, niederdeutschen Kultur- und Geistesgeschichte zu inszenieren. Bemerkenswert ist dabei, welche Anschlussfähigkeit dieses Buch im frühen Deutschen Reich erhielt. Besonders stellte Wimmer hier Wilhelm von Bode heraus, der ab 1872 im Dienst der Berliner Museen stand und den Ankauf einer Vielzahl prominenter Rembrandt-Bilder initiierte, was nicht zuletzt auch mit einer imperialistischen und machtpolitischen Repräsentation verknüpft war.

Der Vortrag Christian Drobes (Berlin) erweiterte die Diskussion auch um eine aktuelle künstlerische Position. Dabei ging er von dem Künstler Marcel van Eeden aus, der sich nach der Verleihung des Hans-Thoma-Preises 2023 in einer anschließenden Ausstellung mit Hans Thoma auseinandersetzte. Van Eeden wies in Form eines „artistic research“ dessen antisemitisches Netzwerk nach, was zu einer kritischen Debatte über Wert und Wissenschaftlichkeit der Methode und zu einer – ebenso kontrovers diskutierten – Umbenennung des Preises in „Landespreis für Bildende Kunst Baden-Württemberg“ führte.

Johanna Söhnigen M.A. (Berlin) und Dipl. Ing. Rainer Schmitz M.A. (Darmstadt) konnten in ihrem Beitrag Kultur- und Rassennetzwerke Paul Schultze-Naumburgs nur einen Bruchteil ihres umfassenden DFG-Projekts zur Netzwerkanalyse der Volkstum-Idee bzw. des Heimat-Schutzes im Kaiserreich präsentieren. Sie resümierten, dass sich der latente Antisemitismus Schultze-Naumburgs insbesondere in dessen geschriebenen Werk niederschlug. In seinen in neun Bänden von 1901 bis 1917 erschienenen Kulturarbeiten wurde die Kategorie des deutschen Volkstums zu einem visuell erfahrbaren Reiz stilisiert. Seine Idee einer antisemitischen Kunstgeschichte, die die „Fremdheit der Liebermanischen Kunst“ ausschließe, habe Schultz-Naumburg dabei bereits schon im Jahr 1900 verfolgt.

Das Bauhaus in Weimar ist in seiner deutlichen Heterogenität an Mentalitäten ein besonders interessantes Fallbeispiel, um das Phänomen des Antisemitismus im Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zu untersuchen. Dr. Ines Kelly (Kaiserslautern) fokussierte sich dabei auf den Bauhaus-Lehrer Johannes Itten, der für das frühe Bauhaus eine entscheidende Rolle spielte. Das im Vergleich zur Dessauer Zeit noch deutlich „expressionistischere“ Bauhaus war für Itten ein fruchtbarerer Boden, um mit seiner spirituellen Kunstlehre, die von rassischen Dispositiven geprägt war, schnell zahlreiche Anhänger zu finden. Durch die sektenähnliche Anhängerschaft vieler Studierender drohte dem Direktor, Walter Gropius, der Verlust seiner zentralen Machtposition an der Schule. Kelly führte durch Quellenmaterial vor, wie in dem sonst so liberalen Umfeld des Bauhauses Walter Gropius plötzlich auf antisemitische Ressentiments und Diffamierungen zurückgriff, um vermeintliche Störenfriede an seinem Bauhaus zu vertreiben.

Der Beitrag von Dr. Wolfgang Brauneis (Nürnberg) hatte den Bildhauer Fritz Behn zum Thema, bei dem kein Zweifel über seine gefestigte antisemitische Weltanschauung besteht. Als „Nationalsozialist der ersten Stunde“ betitelt, war Behn Teil der „Gottbegnadeten-Liste“ der Nationalsozialisten, die 114 deutsche Künstler wegen ihres „außerordentlichen“ Talents vom Kriegsdienst bewahren sollte. Brauneis verweist darauf, dass sich das Museum Ludwig in Köln kürzlich dazu entschloss, eine großformatige Plastik des Künstlers im Außengelände des Museums abzubauen, während seine Tierplastiken im Berliner Zoo heute weiterhin als Spielobjekte dienen. Gegenstand der anschließenden Diskussion war die Frage nach dem richtigen Umgang mit Skulptur im öffentlichen Raum, die auf kolonialistische und antisemitischen Kontexten verweisen.

Das Programm des zweiten Workshop Tages wurde mit dem Vortrag von Dr. Adina Rösch (Quedlinburg) eröffnet, dessen Gegenstand die 2023 im Lyonel Feininger Museum stattgefundene Ausstellung zu Emil Nolde "Mythos und Wirklichkeit - Die Ungemalten Bilder“ war. Trotz seiner überzeugt nationalsozialistischen Gesinnung blieb Nolde vom „Bildersturm“ der Aktion „Entartete Kunst“ nicht verschont. „Kann man Kunst losgelöst von der Person betrachten, die sie geschaffen hat?“ – Diese auf die Ausstellungswand geprägte Fragegestellung wurde zum Leitmotiv der Quedlinburger Nolde-Schau, der sich das Museum in Kooperation mit der Nolde Stiftung stellte.

Mit ähnlicher Spannung wurde die Frage nach der Bewertung Ernst Ludwig Kirchners begleitet, dessen kritisch zu beleuchtenden Aussagen, den Korrespondenzen sowie den Tagebuchfragmenten des Künstlers entnommen, sich Dr. Christian Saehrendt (Thun) in seinem Beitrag widmete: „Mich friert in der Kälte der Menschen und dem Mauscheln der Juden“. Die nach einem Berlinaufenthalt des Künstlers getätigte Aussage, ist die eines sich seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges der großstädtischen Hektik entziehenden Mannes, dessen körperliche wie geistige Verfassung selbstverschuldet, durch Drogenkonsum und systematisches Hungern geschwächt wurde. Im „Mauscheln der Juden“ scheint bei Kirchner eine Klage über die individuell als dürftig empfundene Lebensrealität der Moderne, der Großstadt und des Kunstmarktes zum Vorschein zu kommen, teils einem Ressentiment nahekommend, teils die Form einer latenten, in der Gesellschaft tief verwurzelten antisemitischen Vorstellung annehmend.

Als eine direkte Reaktion auf reale Ängste der Zeit, befördert durch Einwanderungs- und Fluchtbewegungen von Ostjuden im Zuge der wiederkehrenden Pogrome, erläuterte Prof. Dr. Jürgen Müller (Dresden) den Meilenstein des expressionistischen Kinos „Der Golem, wie er in die Welt kam“ von 1920. Im Film vermengten sich der Klassiker von Gustav Meyrink mit dem Frankensteins Monster von Mary Shelley, wobei die Figur des Wissenschaftlers Frankenstein eine auffallende Reinterpretation zum Rabbiner fand.

Wie tief verwurzelt die antisemitischen Narrative in der Gesellschaft der Weimarer Republik waren, wurde aufs Neue bei dem Vortrag von Hanna Sauer M. A. (Solingen) deutlich, die sich mit der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands (Asso) zwischen 1928 und 1933 im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Antisemitismus befasste. In diesem Zusammenhang sprach Hanna Sauer von den „mentalen Bildreservoirs“ der Öffentlichkeit, in welchen sich das abstrakte Bild der Machtverschwörung reicher Juden eingeprägte und die ihren Eingang in die mediale Welt sowie ihre Ikonografie fanden.

Mit seinem Vortrag zu Bertolt Brechts Theaterstück „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ intensivierte Dr. Olaf Kistenmacher (Hamburg) die Ausführungen von Sauer und verschaffte einen Einblick in die nicht zu unterschätzende Komplexität populistisch konstruierter Dualismen von Arm und Reich, Ausgebeuteter und Ausbeutender in der medialen Landschaft der Weimarer Republik.

Das von Dr. Kistenmacher gebrachte Zitat des kanadischen Historikers Moishe Postone von 1979 kann als ein Komprimat der vorgestellten Themen im Sinne einer Problemgeschichte angesehen werden: „Der moderne Antisemitismus ist […] eine besonders gefährliche Form des Fetischs. Seine Macht und Gefahr liegen darin, dass er eine umfassende Weltanschauung liefert, die verschiedene Arten antikapitalistischer Unzufriedenheit scheinbar erklärt und ihnen politischen Ausdruck verleiht“. Mit einer wertvollen Perspektive für die heutige bewegte Gegenwart zeigten die Beiträge die Komplexität des Begriffes „Antisemitismus“ auf und warnten zugleich vor seinem inflationären Gebrauch. Aktuell steht die Kunstgeschichte vor der Herausforderung, der Bandbreite der Antisemitism[en] begrifflich gerecht zu werden. Die im Verlauf der Tagung aufgezeigten Typen wie „latent“, „kalt/warm“, „als Fetisch“, „reflektiert“, „impliziert“, „intellektuell“ oder „ästhetisch“ bedürfen akut einer fachlichen Verortung. Die Erkenntnis, wie vielfältig die Triebfedern seiner Entfaltung in den jeweiligen biografisch-historischen Gegebenheiten sind, jene „Unzufriedenheit verschiedener Art“ direkt ansprechend, bleibt zentral. Und so bedarf die (kunst-)historische Betrachtung stets einer „Wiedererinnerung“ im Jetzt, denn letztendlich dient „das historische Bewusstsein der Lebenspraxis nur, solange es eine kulturelle Überlieferung aus dem Horizont der Gegenwart kritisch aneignet und fortbildet“ [1].

Link zum Tagungsprogramm:
https://www.burg-halle.de/hochschule/information/aktuelles/a/antisemitismus-und-kunst-vor-1933-1/

Verweise:
[1] Habermas, Jürgen: Erkenntnis und Interesse (1968), Frankfurt/M. 1973, S. 357.

Recommended Citation:
Inna Skliarska; Gordon Prager: [Conference Report of:] Antisemitismus und Kunst vor 1933 (Halle (Saale), Jun 27–28, 2024). In: ArtHist.net, Jul 26, 2024 (accessed Nov 29, 2024), <https://arthist.net/reviews/42441>.

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