REV-CONF 04.04.2023

Summit Art. Art and Political Events since the 1970s

Humboldt-Universität zu Berlin, 15.–16.10.2022

Bericht von Dennis Brzek, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Redaktion: Steffen Haug

Summit Art: Art and Political Events since the 1970s.

Ihren Gegenstand hat die Gegenwartskunstgeschichte der letzten Jahrzehnte primär inmitten sozialer Zusammenhänge definiert. So mag man beispielhaft an Juliane Rebentischs „Ästhetik der Installation“ eine post-formale Linie ansetzen, in der die vormals für die Kunstgeschichte und Philosophie der Moderne unabdingbare Stabilität des Kunstwerks revidiert und die Figur der Betrachterin ins Zentrum der ästhetischen Wahrnehmung gestellt wurde.[1] In Folge dessen eröffnen sich Fragen danach, wie diese gelebte Beziehung als eine politische verstanden werden kann. Das sich seit einigen Jahren expandierende Feld der Forschung über das Potenzial von ästhetischer Erfahrung, im Kontext der gegenwärtigen Klimakrise Wissen zu generieren, knüpft an diesen sich nun eröffnenden Rahmen einer reziprok wirksamen Kunst an.[2] Der von Linn Burchert organisierte Workshop „Summit Art: Art and Political Events since the 1970s“ an der Humboldt-Universität zu Berlin erweitert dieses Feld. Den Ausgangspunkt des zweitätigen Workshops bildet der Versuch, eine Definition für das noch wenig erforschte Phänomen „Summit Art“ zu finden. Fünf Panels mit insgesamt 14 Vorträgen widmen sich aus kunsthistorischen, theoretischen wie auch praktischen Perspektiven einer Kunst, die im Kontext von politischen Gipfeltreffen und Konferenzen entstanden ist. Am ersten Tag wurden Fragen zu Bildpolitiken, Legitimation und Kritik, Orten und ihren Affekten sowie Widerstand und Vereinnahmung behandelt.

Zum Auftakt zeigte Felicity D. Scott, dass eine politische Kunstgeschichte, die sich insbesondere auf die diplomatische Rolle von Kunst im Kontext der globalen Ordnung des Kalten Krieges fokussiert, eine bereits weitreichende Forschungsgrundlage besitzt, die für die Forschung zu „Summit Art“ reiche Anschlussstellen bietet. Der Vortrag „Governing Governments: Habitat’s Audiovisual Program, 1976“ stellte ihre derzeitige Forschung zu Kurzfilmen vor, die nationale Delegationen anlässlich der 1976 in Vancouver abgehaltenen Konferenz der Vereinten Nationen zu menschlichen Siedlungen produzierten. Scott legte dar, welche Rolle Medien in diplomatischen Narrativen einnehmen und wie sie als Repräsentationen von Nationen und ihren Entwicklungsständen zur Produktion von politischer Ideologie eingesetzt werden. Als „instrumental media“ förderten die Kurzfilme eine aktive Integration der nationalen Ökonomien in das Bild einer progressiv fortschreitenden Erfolgsgeschichte lokaler Entwicklungen und trugen dabei Problematiken zu Tage, die den Nutzen und Erfolg von vermeintlich autonomer Selbstdarstellung verkomplizierten.

Die Frage nach der Darstellung politischer Zusammenhänge stand sodann im Zentrum der Werke, die Linn Burchert in ihrem Vortrag „Fomenting Fear: The ‘Population Bomb’ in 1990s Summit Art“ behandelte. Dabei spiegelten die Arbeiten von Piotr Kowalski, Urbain Mulkers und Antony Gormley nicht nur die damalige Relevanz der Frage des Bevölkerungswachstums wider, sondern exemplifizierten auch die kommunikativen Strategien künstlerischer Formen in konkret politischen Kontexten, für die sie beauftragt und gezielt produziert worden sind. Burchert verdeutlichte, wie diese Werke auf Basis von systematisch erfassten Daten, die damals vermehrt zur Grundlage im technokratisch-politischen Alltag wurden, einen quantifizierbaren Inhalt in eine anschauliche Formensprache übersetzten. Künstlerische Formprozesse wurden hier zu konkreten Diskussionsbeiträgen. Burcherts Beispiele verdeutlichten, dass Kommunizierbarkeit und Zugänglichkeit zentrale Organisationselemente von „Summit Art“ sind, die eine transparente Verbindung von Inhalt und Form einfordern – um eindeutig lesbar zu sein und damit aber auch ein illustrierendes statt kritisches Verhältnis zu gesellschaftlichen Problemen zu festigen.

Die Auseinandersetzung über den Einsatz von Werken der „Summit Art“ für konkrete politische Zielsetzungen und eine damit einhergehende Affirmation der Möglichkeiten von Kunst führte Hannah Entwisle Chapuisat weiter. Ihr Vortrag „Engaging Art in Diplomatic Venues Addressing Disaster Displacement: A Case for ‘Policy-Oriented Practice’“ ging von ihrer eigenen kuratorischen Forschung aus. Seit mehreren Jahren organisiert sie künstlerische Projekte in der Zentrale der Vereinten Nationen in Genf, die thematisch auf Problemstellungen zielen, die in parallel abgehaltenen Konferenzen diplomatisch verhandelt werden. Die Projekte sind nicht öffentlich, sondern ausschließlich auf die Rezeption durch die verhandelnden Diplomat:innen ausgerichtet. Chapuisat setzte dazu an, auf Basis ihrer praktischen Erfahrungen eine Theorie der realpolitischen Wirkmacht von Kunst zu systematisieren und ihr kommunikatives Potenzial in der Beeinflussung politischer Entscheidungen zu definieren. Als Beispiel einer praktischen Anwendung von „Summit Art“ entfachte nach Chapuisats Vortrag eine polarisierende Debatte über die Positionierung von Kunst als politischer Faktor – im Falle der Vereinten Nationen wurde sie zu einem affirmativ-konstruktiven, diplomatischen Beitrag, der eine Kritik von sozialen Organisationsformen vernachlässigte.

Anhand von Chapuisats Vortrag wurde deutlich, dass die Diskussion über „Summit Art“ unter zum Teil ungeklärten Prämissen steht, die die politische Nutzbarmachung von Kunst unterschiedlich problematisieren. In seinem Vortrag „Migrants, Models and White Overalls: Vanessa Beecroft’s Summit Art and Pablo Echaurren’s Activist Art in and around the 2001 G8 Summit in Genoa“ benannte Jacopo Galimberti diese begriffliche Ambivalenz und legte, ähnlich wie auch Scott, einen Ansatz vor, der eine Anschlussfähigkeit an aktuelle Debatten der politischen Kunstgeschichte nach 1945 anstrebte. Anhand der Performance „VB48“ der Künstlerin Vanessa Beecroft, die 2001 anlässlich des G8-Gipfels im Palazzo Ducale in Genua aufgeführt wurde, schlug Galimberti ein kritisches Verständnis der Instrumentalisierung von Kunst vor. Galimberti sieht die Schwierigkeit von „Summit Art“ in ihrer Illustration gesellschaftlicher Zusammenhänge, ohne von tatsächlichen politischen Mitteln zur Erreichung von Zielen sprechen zu müssen. Als heteronome Kunstwerke, die ausschließlich in konkreten politischen Kontexten auftauchen, jedoch keine Problemlösungen präsentieren, stünden sie im Widerspruch zu autonom politischer Kunst. Die gesellschaftlich marginale Position eines Pablo Echaurren positionierte Galimberti in der anschließenden Diskussion in Kontrast zur staatlich-integrierten, hegemonialen Diskursplattform der Vereinten Nationen.

Der Beitrag „Reflections in the Fake Lake: Echoes of a 1976 Art Protest at the 2010 G20 Summit in Toronto“ von Kirsty Robertson problematisierte nicht allein staatliche Produktionskontexte, sondern auch die sich an ihnen entzündende Kritik. Die stete Referenz auf das Motiv des Waldes – oftmals in seiner Darstellung im Werk von Malergruppen der 1920er Jahre –, das das Herzstück der politischen Ikonographie Kanadas bildet, wurde bereits in den 1970er Jahren durch eine sich damals als marginalisiert verstandene künstlerische Avantgarde der Kritik unterzogen. Robertson legte den Werdegang eines ihrer heute bekanntesten Mitglieder, Barry Lord, dar, dessen Designbüro anlässlich des G20-Gipfels 2010 in Vancouver selbst Visionen dieses Motivs bemühte, um einen öffentlich heftig kritisierten Entspannungsraum für Diplomat:innen zu gestalten. Dieses Einzelbeispiel veranschaulichte, dass sich an dem Motiv des Waldes, als sublimer Hintergrund für Verhandlungen über natürliche Ressourcen auf vormals indigenem Land, die fundamentalen postkolonialen Blindstellen einer historischen wie auch gegenwärtigen kanadischen Linken aufzeigen lassen.

Die Vorträge des zweiten Tages legten einen Schwerpunkt auf die inhaltliche Bestimmung von „Summit Art“. Sie versuchten, ihr politisches Potenzial und ihre Strategien der Kommunikation genauer zu definieren. In ihrem Vortrag „Artistic Engagements for Earth Day in Singapore“ legte Minna Valjakka den geographischen Schwerpunkt der Diskussion auf Singapur, das als ostasiatisches Land wie auch als Diktatur veränderte Vorzeichen in der Analyse von politischer Kunst erforderte. Auf Basis ihrer persönlichen Mitwirkung in der örtlichen Kunstszene definierte Valjakka künstlerische Produktion als inhärent konträr zu einer hegemonialen Öffentlichkeit, die im Falle Singapurs keine demokratische Infrastruktur bietet. Sanktionierte Kontexte wie dem öffentlich zelebrierten Earth Day werden somit dabei zu antagonistischen Schauplätzen verwandelt.

Ursula Ströbeles Vortrag „‚We’ve had many warnings‘: Art between Mediation, Artivism and Eco Pop“ legte eine Analyse von Kunst als pädagogischer Form zur Bildung über Umweltpolitik vor. Anhand einer Reihe von Beispielen systematisierte sie die Funktionalisierung der Werke auf Basis der in ihn vermittelten Themen. Sie stellte dabei künstlerische Arbeiten in Gegensatz zu einem vereinfachenden „Eco Pop“, der vor allem kommerziell nutzbar gemacht wird. Dies grenzte sie nicht so sehr durch eine formale Andersartigkeit des Kunstwerks ab, sondern begründete ihre Unterscheidung vor allem mit kontextuellen Bedingungen.

Die Vorträge des Workshops wie auch die sich anschließenden Diskussionen warfen Streitpunkte auf, die spannende Probleme an die fundamentalen Grundsätze der Gegenwartskunstgeschichte stellen: Bevorzugung künstlerischer Autonomie über Heteronomie, Kontroversen zwischen einem Realismus der Kunst oder künstlerischen Realismen.[3] Als eine Kunst, die klare politische Kommunikation und eine heterogene institutionelle Einbettung bedingt, erzeugt „Summit Art“ Reibungen zu Versuchen, das Politische von der Ästhetik zu trennen.

Anmerkungen
[1] Vgl. Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003.
[2] Genannt seien hier exemplarisch: “Mediating the Ecological Imperative: Formats and Modes of Engagement”, Universität Bern und “Intervenierende Künste”, Freie Universität Berlin.
[3] Für die Abstracts aller Vorträge siehe: http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/wp-content/uploads/2022/05/Summit-Art_Abstracts-and-Bios_final.pdf (zuletzt abgerufen am 3.4.2023).

Empfohlene Zitation:
Dennis Brzek: [Tagungsbericht zu:] Summit Art. Art and Political Events since the 1970s (Humboldt-Universität zu Berlin, 15.–16.10.2022). In: ArtHist.net, 04.04.2023. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/reviews/38963>.

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