REV 17.03.2012

Buttlar; Dolff-Bonekämper; Falser; Hubel; Mörsch (Hrsg.): Denkmalpflege statt Attrappenkult

Rezensiert von Klaus von Beyme
Redaktion: Rainer Donandt
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In diesem streitbarem Werk vereinen Kunsthistoriker und Denkmalpfleger ihre Kräfte im Kampf gegen oberflächliche „Pseudodenkmalproduktion“ und „architektonischen Mummenschanz“. Der Altmeister der Denkmalpfleger, Georg Mörsch, sieht sie vor allem auf dem Marktplatz von Hildesheim und in der Umgebung der Dresdner Frauenkirche verwirklicht. Zur Frauenkirche selbst – inzwischen nach dem Kölner Dom und dem Brandenburger Tor laut Umfrage das drittbeliebteste Gebäude in Deutschland – äußerte er sich an dieser Stelle nicht. Adrian von Buttlar erinnert daran, dass die Denkmalpflege-Charta von Venedig von 1964 bewusst Rekonstruktionen von verlorenen Baudenkmälern nicht anspricht.

Zu den drei Beiträgen von Mörsch über „Denkmalwerte“ (19-24), Michael Falser über „Neue Ansprüche der Denkmalpflege 1960-1980" (88-97), und Gabi Dolff-Bonekämper über „Denkmalverlust als soziale Konstruktion“ (134-146) sind jeweils mehre Auszüge aus klassischen Texten beigefügt, die den Titelzusatz „Anthologie“ vollauf rechtfertigen. Ein Kommentar aus Polen – das immer als Vorbild für Rekonstruktionen diente – von Konstanty Kalinowski kam zu der vernichtenden Einschätzung, dass die Rekonstruktionen in Polen verheerende Auswirkungen auf die Mentalität der Gesellschaft habe, „wo sie die Überzeugung der Reproduzierbarkeit des zerstörten Originals begründeten“.

Als Feindbild dienten Achim Hubel und Falser vor allem Winfried Nerdingers monumentale Studie „Geschichte der Rekonstruktion, Konstruktion der Geschichte“ (München u.a. 2010), wo sich die kritisierte Feststellung findet, dass es in der Geschichte der Architektur schon immer Rekonstruktionen gegeben habe. Die Verdammung jeder Form der Rekonstruktion seit Ruskin, Morris und Dvořák führte nach Nerdinger dazu, dass große Leistungen schöpferischer Restaurierung seit Viollet-Le-Duc nicht gewürdigt und abgewertet wurden.

Nach Achim Hubel („Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren. Ein Blick zurück in ihre Geschichte“, 42-62) schuf der Historismus zwei Kinder, das legitime Kind der Denkmalpflege und das illegitime Kind des Restaurationswesens. Erst in den 1980er Jahren, nachdem der Wiederaufbau abgeschlossen war, kam es zu einer Rekonstruktionswelle, die auf mehr zielte, als die Wiederherstellungen einzelner Gebäude, nämlich auf ganze Platzgestaltungen und Ortsbilder. In Hildesheim schlug die Unzufriedenheit ab 1982 in Rekonstruktionsinitiativen um, wo doch die Bürger noch 1953 mehrheitlich den neuen Marktplatz, in moderner Architektur bebaut, gebilligt hatten. Das Braunschweiger Schloss war 1960 im Stadtrat mit nur zwei Stimmen Mehrheit zum Abbruch freigegeben worden. 2004 stimmte er mit nur einer Stimme Mehrheit der Rekonstruktion von drei Fassaden zu. Die Abholzung des Schlossparks und die Nutzung als Shopping-Center schienen degoutant. Für die Kosten des Berliner Schlosses von geschätzten 550 Millionen Euro könnte man nach Meinung der „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ 5000 Baudenkmäler retten - eine Milchmädchenrechnung, weil ein moderner Bau für das Humboldt-Forum ähnlich viel kosten würde.

Am schärfsten plädiert Michael Falser gegen die Rekonstruktion als Reduktion auf Oberfläche und Fassadenbild („’Ausweitung der Kampfzone'. Neue Ansprüche an die Denkmalpflege 1960 - 1980“, 88-97). Täuschungsabsichten leugnen die Rekonstrukteure natürlich und berufen sich auf einen kulturindustriellen, als volksnah getarnten Rekurs auf ein angebliches Bedürfnis der Bürgerschaft. Es wird rasche Reizabnutzung prognostiziert. Die virtuellen Schönbilder werden rasch langweilen und die Rekonstrukteure müssen von Angebot zu Angebot hetzen. Sein Fazit: Alleine die moralisch fundierte Verpflichtung zum Schutz der historischen Substanz und die Verweigerung jeglicher Kooperation für Rekonstruktionsvorhaben muss wieder zum alleinverpflichtenden Arbeitsauftrag der Denkmalpflege werden.

Gabi Dolff-Bonekämper schreibt über „Denkmalverlust als soziale Konstruktion“. Ihr Beitrag ist insofern interessant, als sie sich einst als Anhängerin der Erhaltung des Palastes der Republik bekannte. Das Schloss hatte sie nur am Rande interessiert. Sie scheint toleranter gegenüber Rekonstruktionen, legt aber auf die Feststellung wert, dass sie das Verlorene nicht einfach ersetzen könnten. Sie zitiert dafür Peter Bürger, der vom Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden seelische Bereicherung erwartet hatte. Beim Anblick der geschniegelten Kopie empfand er hingegen nur Gefühlsstarre. Verlusterleben kann lange leben. Es ist eine soziale Konstruktion ohne die versprochene sozialtherapeutische Wirkung von Rekonstruktionen.

Der differenzierteste Beitrag stammt vom ersten Herausgeber, Adrian von Buttlar („Auf der Suche nach der Differenz: Minima Moralia reproduktiver Erinnerungsarchitektur“, 166-193). Eine Zürcher Tagung von 2008 („Das Prinzip Rekonstruktion“, ETH Zürich) hatte sich schon vor Nerdingers Ausstellung und Publikation in Gegensatz zu ihm gestellt: Rekonstruktion im heutigen Sinne gab es zu keiner anderen Zeit. Nachbauten, Abbilder, Zitate von Referenzbauten waren stets schöpferisch, kultisch, wetteifernd oder kommentierend verstanden. Buttlar geht auch auf das Beispiel der Bauakademie ein, für das selbst Modernisten unter den Architekten gern eine Ausnahme vom Rekonstruktionsverbot machen. Was würde Schinkel wohl sagen? Er würde sich sicherlich freuen, wenn der „rote Kasten“ wieder an seinem Ort steht. Aber er würde „sofort mit seinen Spazierstock im Sand malend nachweisen, dass der Würfel jetzt, wo sich das Umfeld stark verändert habe, ein klein wenig anders stehen müsste.“ (172) Buttlar sieht sein Plädoyer gegen eine Attrappe und für eine kritische Rekonstruktion für derzeit chancenlos an, und bedauert die Inkonsequenz von etlichen Kollegen in diesem Fall der Bauakademie. Synthesen aus Rekonstruktion und Neubau schienen konsensfähig. Das Berliner Schloss und Franco Stellas „schwächelnder Preisentwurf“ (186) schienen eher nicht unter den möglichen Konsens zu fallen.

Das Finale bildet Falsers harte Kritik an Nerdingers Münchner Ausstellung. Selbst Niels Gutschows Beitrag über asiatische Rekonstruktionen in dem Katalogband konnten Falser nicht voll überzeugen. Der schintoistische Ise-Schrein in Japan, der seit 1300 alle 20 Jahre als rein religiös motiviertes Erneuerungsritual neu aufgeführt wird, eignet sich für Falser zu Recht nicht für die Pauschalisierung des Umgangs mit dem Kulturerbe in ganz Asien.

Dieser Band ist mehr als eine Anthologie. Er ist mit überwiegend brillant geschriebenen Artikeln ausgestattet worden und dürfte wenigstens unter Denkmalpflegern trotz einiger scharfer Formulierungen konsensfähig werden. Michael Falser scheint der Inspirator dieses Bandes zu sein. Sein „Wiener Schmäh“ gegen „preußische Nostalgie“ wirkt erfrischend, kommt aber eigentlich schon zu spät. Das Berliner Schloss und das Potsdamer Schloss kommen und werden wohl die letzten Großobjekte der Restauration sein. Überflüssiges, wie das Schloss in Braunschweig als Shopping Center, wird wohl kaum noch entstehen. Die Restauration der Frankfurter Altstadt nach dem Abriss des Technischen Rathauses wird schon nicht mehr - wie einst in Mainz am Marktplatz - „Babbedeckelbarock“ erzeugen. Die Modernisten müssen damit leben lernen, dass das Volk wankelmütig ist. Volksentscheide in Hildesheim hatten einst für Modernität gestimmt, später für Restauration. Jetzt geht die Mehrheit wieder auf Identitätssuche in den Altstädten. „Gedächtnispolitik“ als modisches postmodernes Fach hilft ihnen dabei. Aleida Assmann durfte in dem inkriminierten Band Nerdingers gleich hinter dem Herausgeber auftreten. Die Denkmalpfleger sollen sich gegen bauliche Klitterungen wehren. Sie müssen aber auch mit der Konkurrenz leben lernen: Was da alles restauriert wird hat mit Denkmalpflege kaum etwas zu tun. Aber es gibt auch Stadtbildpflege, und diese fällt eher unter die Sozialwissenschaften als unter die Architektur als Kunstdisziplin; und um dieses modische Gebiet kann sich das kleine Häufchen der verdienstvollen Denkmalpfleger nicht auch noch kümmern.


Buttlar, Adrian; Dolff-Bonekämper, Gabi; Falser, Michael S.; Hubel, Achim; Mörsch, Georg (Hrsg.): Denkmalpflege statt Attrappenkult. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern - eine Anthologie (= Bauwelt Fundamente; 146), Gütersloh: Bauverlag 2011
ISBN-13: 978-3-0346-0705-6, 218 S.

Empfohlene Zitation:
Klaus von Beyme: [Rezension zu:] Buttlar, Adrian; Dolff-Bonekämper, Gabi; Falser, Michael S.; Hubel, Achim; Mörsch, Georg (Hrsg.): Denkmalpflege statt Attrappenkult. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern - eine Anthologie (= Bauwelt Fundamente; 146), Gütersloh 2011. In: ArtHist.net, 17.03.2012. Letzter Zugriff 21.12.2024. <https://arthist.net/reviews/2932>.

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