REV Nov 26, 2002

James J. Sheehan: Geschichte der deutschen Kunstmuseen

Reviewed by Ingeborg Cleve
Editor: Godehard Janzing

Das Buch von James J. Sheehan ist weder, wie der Titel vermuten lassen koennte, eine blosse Institutionengeschichte, noch, wie der Originaltitel "Museums in the German Art World. From the End of the Old Regime to the Rise of Modernism" [1] nahelegt, eine umfassende Geschichte der deutschen Kunstwelt. Sein eigentliches Thema ist in einer Schnittmenge aus beidem zu suchen. Anschaulich und schluessig dargeboten und von Martin Pfeiffer sorgfaeltig uebersetzt, werden die wichtigsten deutschen Museen in ihrer Entstehungsgeschichte, in ihrem baulichen Gefuege und ihrer Sammlungsordnung eingefuegt in die zeitliche Folge kunsttheoretischer Grundlegungen, politischer Rahmenbedingungen, kuenstlerischer Praxis und praegender Persoenlichkeiten seit der Barockzeit. Dabei ist Sheehans Geschichte von der Leitfrage nach der Aufnahme der kuenstlerischen Moderne im Museum her gedacht und aufgebaut. Der dieser Ankunft zugrunde liegende gesellschaftliche Bedingungszusammenhang der Zeit um 1900 bestimmt nach Sheehan die Funktion und die AEsthetik des Museums in der Gegenwart: Nach dem Ende eines kulturellen Konsenses ueber Geschichte, Sinn und Wert von Kunst bewahrt, ordnet und praesentiert es Gegenstaende, die eben dadurch als Kunstwerke beglaubigt werden, es macht diese Gegenstaende oeffentlich zugaenglich, es kondensiert die Ergebnisse aesthetischer Werturteile, beglaubigt Geschichtserzaehlungen und vermittelt damit Wert- und Sinngehalte in die Gesellschaft hinein. (S. 275).

In vier grossen Kapiteln stellt Sheehan dar, wie dieser Bedingungszusammenhang von Kulturdebatten, OEffentlichkeit, Kunstpraxis und politischer Funktion der Kunst in Deutschland im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Revolutionen, im Museumszeitalter zwischen 1830 und 1880 und im wilhelminischen Kaiserreich jeweils die Kunstwelt praegen sollte und in Museumsprojekten seinen Ausdruck fand. Der zentrale Begriff der Kunstwelt fasst dabei fuer ihn zwei unterschiedliche Bedeutungsgehalte zusammen. Zum einen verwendet er ihn (in Anlehnung an Arthur Danto) [2] als Bezeichnung fuer "die Theorien, Annahmen und historischen Erfahrungen, welche die Art und Weise praegen, in der wir Kunst als Kunst sehen". Zum anderen bezeichnet Sheehan damit (in Anlehnung an Howard Becker) [3] "das Netz von Menschen, deren gemeinschaftliche Aktivitaet ... die Art von Kunst hervorbringt, fuer die [die] Kunstwelt bekannt ist" auf (beide Zitate S. 13). Diesem Ansatz entsprechend gliedern sich die Kapitel jeweils in eine Eroerterung der Vorstellungen von Kunst, des sozialen und politischen Kontextes von Museen und ihrer organisatorischen Entwicklung und schliesslich der Bauweise und Ausschmueckung einiger herausragender Beispiele.

Demnach wurde die Institution des Kunstmuseums in Deutschland vor deren Gruendungsphase geformt durch die Kunsttheorien Kants und Winckelmanns, vermittelt in hoefisch dominierten OEffentlichkeiten und repraesentiert in fuerstlichen Sammlungen. Die Einrichtung von Kunstmuseen war ein wesentlicher Bestandteil kulturpolitischer Bewaeltigungsstrategien des Einflusses der Franzoesischen Revolution und der Auswirkungen der napoleonischen Kriege im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Ihre Konzeption war beeinflusst von Schillers Ideal einer aesthetischen Gemeinschaft, von der sakralen UEberhoehung der Kunst bei den Romantikern und von einem keimenden nationalen Bewusstsein; ihre Bluetezeit erlebten sie im darauf folgenden halben Jahrhundert im Zusammenspiel historistischen Denkens mit fuerstlichen, partikularstaatlichen und wirtschaftsbuergerlichen Bildungskonzepten und Prestigebeduerfnissen. Gegen die so etablierten Interessen und Institutionen und in Auseinandersetzung mit der wachsenden Berufsgruppe professioneller Museumsexperten und Kunstvermittler setzte, intellektuell unterfuettert von der Kulturkritik Nietzsches und einer das Problem der Innovation entdeckenden Kunstgeschichte, seit 1880 der aesthetische Modernismus seinen Platz im Kunstmuseum durch und aenderte damit den Charakter der Institution nochmals entscheidend. Dabei ueberdauerten, wie Sheehan in der Einleitung betont und auf der Basis kundig herangezogener, den Forschungsstand abdeckender Sekundaerliteratur und gedruckter Quellen mit Schluesselcharakter herausarbeitet, mit dem Zusammenspiel monarchischer Einflussnahme, buerokratischer Verfestigung und akademischer Vormacht und mit der Zersplitterung von Mittelschichtsinteressen zugleich uebergreifende nationale Eigenheiten.

Sheehan gelingt es auf diese Weise, eine Geschichte der Institution Kunstmuseum zuerst im Alten Reich und dann in den Grenzen des Kaiserreichs als Abfolge von einzelnen Initiativen und Programmen vor dem Hintergrund wechselnder intellektueller, politischer und gesellschaftlicher Umfelder darzustellen und zugleich die Intentionen und Handlungsraeume derjenigen, die mit deren Gruendung, Ausgestaltung, Verwaltung und Vermittlung befasst waren, zu umreissen. Ein dynamischer Strang in den Interaktionen von Museen und Kunstwelt wird so herausgearbeitet. Zugleich mit dem Erkenntnisgewinn draengt sich aber der Eindruck einer gewissen Starrheit auf. Das liegt an der rigorosen Ausblendung von Kontexten und Faktoren, welche der Herausarbeitung der von Sheehan in den Vordergrund gestellten Interaktionen im Wege stehen koennten, und an einer idealisierenden Darstellung der die Museumsprojekte tragenden Kulturpolitik. Die gewaehlte Weise der historischen Rekonstruktion vermeidet eine naehere Untersuchung der konkreten Modi und Gegenstaende der Interaktionen, wie etwa eine Bestimmung des Einflusses Pariser Konzepte auf die preussische Kunstpolitik der Reformaera. Damit naehert sie sich dem Selbst- und Geschichtsbild der nationalen Kunstwelt um 1900 staerker an, als dies die in der Einleitung angerissene Aussenperspektive vermuten laesst. Geistesgeschichtlich fundiertes und buerokratisch fixiertes Kulturverstaendnis, dynastische Orientierung, nationale UEberhebung, staatlich abgestuetztes akademisches Elitenbewusstsein und die Abwehr massenkultureller Phaenomene und wirtschaftlicher Interessen lassen Kunstmuseen als Monumente deutscher Kultur und deutschen Bildungsbewusstseins und damit als Kunstwerk eigener Art erscheinen. Die Einbettung der deutschen Kunstmuseen in internationale Beziehungsgeflechte, ihre politische und oekonomische Verzweckung und ihre Verankerung in ein lokales Gesellschaftsleben jenseits der intellektuellen Zirkel erscheinen so nachrangig.

UEberhaupt geraet die Vielschichtigkeit ihrer Einbindung in eine Gesellschaftsgeschichte, die Wirtschafts- und Konsumgeschichte und inzwischen auch Geschlechter- und Mediengeschichte umfasst, aus dem Blick, ebenso die Heftigkeit und der Einfluss kulturkritischer Ressentiments und die Vieldimensionalitaet einer medial und kommerziell enorm expandierenden Kunstwelt wie die Dynamik des Bildungs-, Sammlungs- und Ausstellungswesens insgesamt, welche weit ueber die Kunstmuseen hinausgriff, sie aber einschloss. Durch die Eingrenzung der Untersuchung bleiben Nachfragen in diese Richtung, etwa nach der Beziehung zwischen Kunstmuseen und Kunstgewerbe, angefangen bei Schinkels Museumsarchitektur, seinen "Vorbildern fuer Fabrikanten und Handwerker" und den Beuthschen Gewerbefoerderungsbemuehungen [4], unversehens ausgeklammert. Nur weil Sheehan die Komplexitaet des Modernisierungsprozesses und die zivilisatorischen Aspekte des nur angedeuteten Geschmacksbildungsprozesses weitgehend ausblendet, erscheinen die dem untersuchten Interaktionsfeld "Kunstwelt" gesteckten Grenzen, die relative Autonomie von Personen und Institutionen und die Einlinigkeit der institutionellen Entwicklung der Kunstmuseen schluessig. Der nur am Ende des Buches kurz angerissene Bruch, der von den Nationalsozialisten erzwungen wurde, in der Entwicklung der Museen hin zu Institutionen der Durchsetzung der aesthetischen Moderne, muss so als eine blosse Ignoranz des Kunsturteils erscheinen. Dies ist bedauerlich auch deshalb, weil Gesellschaftsgeschichte in Deutschland selbst gelernt hat, strukturellen und sozio-kulturellen Problemlagen und Interaktionsdynamiken Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Aufmerksamkeit liesse sich, angeregt durch Thomas Nipperdey und Wolfgang J. Mommsen und theoretisch herausgefordert durch Pierre Bourdieu, nachdruecklicher auf die Kunstwelt ausdehnen, als dies bei Sheehan der Fall ist.[5] Dadurch werden Fragen nach der jeweiligen Modernitaet der Kunstmuseen vor dem Einbruch des Modernismus in die Kunstwelt und nach dessen Zusammenhang mit der Krise der Moderne nach 1900 provoziert, waehrend etwa medien- oder konsumgeschichtliche Ansaetze nach Beziehungen zwischen Museum, Kunstreproduktion und Abbildungstechniken, ein wirtschaftsgeschichtlicher nach deren wirtschaftlicher Bedeutung, ein geschlechtergeschichtlicher nach der Konstruktion der musealen OEffentlichkeit fragen koennten. Allerdings weist deren Beantwortung zur Zeit noch zu weit ueber das Vorliegende und das forschungs- und darstellungsmaessig Machbare hinaus. Insoweit ist der eingeschlagene Weg verdienstvoll, das Ergebnis sehr lesenswert und als profunder UEberblick hervorragend geeignet.

Anmerkungen:
[1] Zuerst erschienen in der Oxford University Press, New York 2000.
[2] Arthur Danto: "The Art World", in: Journal of Philosophy 61, 1964, S. 571-584.
[3] Howard S. Becker: Art Worlds, Berkeley 1982, Zitat S. X.
[4] Vgl. die Hinweise in Eric Dorn Brose: The Politics of Technological Change in Prussia. Out of the Shadow of Antiquity, 1809 - 1848, Princeton 1992.
[5] Thomas Nipperdey: Wie das Buergertum die Moderne fand, Berlin 1988; Wolfgang J. Mommsen: Buergerliche Kultur und kuenstlerische Avantgarde, Frankfurt a.M. 1994; Ders.: Buergerliche Kultur und politische Ordnung. Kuenstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830-1933, Frankfurt a.M. 2000; Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1982, zahlreiche Auflagen, zuletzt 2002; Ders. u. a.: The Love of Art : European Art Museums and Their Public, Stanford 1991.

Sheehan, James J.: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 2002
ISBN-10: 3-406-49511-7, 368 S., EUR 34.90

Recommended Citation:
Ingeborg Cleve: [Review of:] Sheehan, James J.: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München 2002. In: ArtHist.net, Nov 26, 2002 (accessed Mar 28, 2024), <https://arthist.net/reviews/206>.

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