REV 18.08.2002

Andrew Morrall: Jörg Breu the Elder

Rezensiert von Guido Messling
Redaktion: Achim Timmermann

Mit Joerg Breu dem Aelteren (ca. 1475-1537) hat sich Andrew Morall einem jener deutschen Kuenstler der fruehen Neuzeit zugewandt, die von der Forschung bis jetzt eher stiefmuetterlich behandelt worden sind - bislang stellt immer noch Ernst Buchners monographischer Aufsatz von 1928 die wichtigste Referenzquelle zum Leben und Schaffen des Malers dar.[1]

Diese Vernachlaessigung erstaunt umso mehr, als mit der Wirkungsstaette und den Lebensdaten Breus wesentliche Fragestellungen sich geradezu von selbst aufdraengen: als Kuenstler im Augsburg der ersten Haelfte des 16. Jahrhunderts arbeitete Breu immerhin an jenem Ort, der wie kein zweiter in Deutschland Schauplatz der tiefgreifenden gesellschaftlichen, kulturellen und religioesen Umbrueche zu Beginn des Jahrhunderts war. Vereinzelt haben Forscher schon in den letzten Jahren das Augenmerk auf Breus Auseinandersetzung mit der Formenwelt der Italienischen Renaissance (Hermine Blankenhorn), auf reformatorische Zuege im Werk (Gode Kraemer) und auf den politisch- gesellschaftlichen Kontext einiger ausgewaehlter Arbeiten (Pia-F. Cuneo) gelenkt; zudem wurde die oesterreichische Fruehzeit des Malers durch Caesar Menz beleuchtet.[2]

Morall, der bereits 1994 mit einer grundlegenden Untersuchung zu den Scheibenrissen des Kuenstlers hervorgetreten ist,[3] setzt sich bewusst in diese im Falle Breus noch junge Tradition einer Analyse sozio-kultureller Entstehungsbedingungen von Kunst, ihrer Intention und ihrer Rezeption. Die Arbeit besteht aus vier Kapiteln, die jeweils einen inhaltlichen Schwerpunkt besitzen und zusammen eine grobe Chronologie liefern. Einem ersten Ueberblick ueber Breus kuenstlerischen Weg bis in die zweite Dekade und den verschiedenen Taetigkeitsfeldern seiner Werkstatt folgt eine Untersuchung der Einfluesse italienischer Kunst, die Breus Orgelfluegel fuer die Fugger-Kapelle bei St. Anna in den Mittelpunkt stellt.

Anschliessend veranschaulicht Morall Breus Stellung zur Reformation, fuer die die Chronik des Malers ein einzigartiges, weil hoechst persoenliches, fuer kunsthistorische Fragestellungen bislang jedoch kaum herangezogenes Zeitzeugnis bildet. Das letzte Kapitel, dem noch eine Zusammenfassung folgt, widmet sich schliesslich der Frage nach der Art und den Motiven fuer die zitathafte Uebernahme italienischer Motive und Stilmittel. Gesondert findet sich am Schluss noch eine Liste der erhaltenen oder ueberlieferten Scheibenrisse Breus und der nach ihnen gefertigten Scheiben.

Vor allem dort, wo wie im zweiten und im dritten Kapitel Morall einzelne Werke bzw. Werkgruppen des Kuenstlers in das Zentrum seiner Betrachtungen stellt, ueberzeugen seine Analysen, die fast alle durch die Breite des herangezogenen Vergleichmaterials beeindrucken. Dies gilt fuer Breus Illustrationen im Gebetbuch Maximilians I., bei denen der Autor die sorgfaeltige Auseinandersetzung des Kuenstlers mit den textlichen Vorgaben nachweisen kann, besonders aber fuer die vier kleinen Orgelfluegel der Fugger-Kapelle - die ersten Tafelbilder ueberhaupt, in der die Entdeckung der Musik durch Jubal und Pythagoras thematisiert wird.

Morall demonstriert hier nicht nur anschaulich, wie Breu sich mit der mittelalterlichen Tradition, die christliche und die heidnische Ueberlieferung zu verschmelzen, auseinandersetzt. Es gelingt ihm sogar, eine Holzschnittdarstellung der Musica in G. Reischs Margarita Philosophica (Strassburg, J. Grueninger 1504) als direkte ikonographische Quelle Breus zu benennen und damit einen neuen Deutungsvorschlag zu unterbreiten, wonach die vier Tafeln nicht als chronologische Sequenz gelesen werden wollen, sondern als zeituebergreifende Darstellung, die die Entdeckung und die verschiedenen Grundlagen der Musik behandelt.

Ebenso plausibel kann Morall darlegen, wie Breu in Themenwahl und -gestaltung auf Forderungen nach einer protestantischen Kunst reagiert und wie hierbei die eigene, in der Chronik laut werdende Kritik an sozialen Missstaenden gelegentlich mit einfliesst. Auch die Ueberlegungen zu Breus Gebrauch "welscher" Motivzitate als ethisch konnotierte Bedeutungstraeger sind von besonderem Interesse, wenngleich fuer Zeitgenossen wie Burgkmair Aehnliches gilt und somit Breus Rezeptionsweise des Italienischen keineswegs derart vereinzelt dasteht, wie Morall es suggeriert (S. 250-251). Ohnehin haette eine Arbeit, die sich gerade einer "historical explanation of style" (S. 7) verschreibt, im ersten Kapitel das kuenstlerische Umfeld Breus in Augsburg staerker beruecksichtigen koennen. An dieser Stelle waere auch eine Diskussion der beiden juengst aufgetauchten, 1509 entstandenen Tafeln mit der Verkuendigung und der Anbetung der Koenige sowie einer in Greenville (South Carolina) befindliche Marienkroenung wuenschenswert gewesen, um Breus bislang kaum in Dokumenten oder Kunstwerken fassbaren Uebergang von der drastisch-expressiven Formensprache seiner oesterreichischen Altaere zum gemaessigteren, mehr und mehr von Duerer-Uebernahmen und Italianismen gepraegten Augsburger Idiom der zweiten Dekade zu beleuchten.[4] Zwar kritisiert Morall zu Recht eine auf Formanalyse verengte Kunstgeschichte, wie sie Buchners Studie exemplarisch vertritt. Doch haetten vergleichende Stilbetrachtungen, etwa in der Frage der Datierung der Orgelfluegel, die vor allem wegen einer vorauszusetzenden Italienfahrt des Malers von besonderem Interesse ist, sicher weiterhelfen koennen. Denn die Bilder lassen sich kaum vor der 1518 datierten Koblenzer Anbetung einordnen, da sich in ihnen schon allzu deutlich die Manierismen des dritten Jahrzehnts, die in Werken mit unterschiedlichen Funktionen und Auftraggebern greifbar werden, ankuendigen.

Dem gut lesbaren Text merkt man an einigen Stellen das Fehlen einer sorgfaeltigen Ueberarbeitung oder eine gruendlicheren Recherche leider an, weist er doch eine nicht unbetraechtliche Zahl von Auslassungen und vermeidbaren Fluechtigkeitsfehlern auf. So gibt die Abb. auf S. 48 keinen Holzschnitt, sondern eine Federzeichnung Breus d. J. wieder. Der sog. Eton Codex Breus d. J. wurde auch nicht von Buergermeister "Jacob Hoerworth", der mit einem Mitglied der Familie Herwart verwechselt werden koennte, sondern von Jakob Herbrot dem englischen Koenig Heinrich VIII. dediziert, und es bleiben zudem gewichtige Zweifel bestehen, ob die Handschrift ueberhaupt, wie Morall schreibt, auf Bestellung Herbrots hin entstand.[5] Einige Datierungen Moralls sind ebenfalls falsch bzw. nicht haltbar.[6] Weiterhin haetten in der Objektliste der Risse Breus d. Ae. bzw. der ausgefuehrten Scheiben wenigstens alle Werke, die der Morall bekannte Katalog der 2000 im Getty Museum gezeigten Ausstellung deutscher Glasmalerei auffuehrt, beruecksichtigt werden muessen.[7]

Die Staerke von Moralls Studie liegt darin, einzelne, doch entscheidende Aspekte in Breus Schaffen auf breiter kulturhistorischer Vergleichsbasis erhellt zu haben. Dass die letzten Kapitel in ihrer Summe eine differenziertere Wahrnehmung des Spaetwerkes bieten, das gemeinhin als kuenstlerisch und inhaltlich anspruchslos abgewertet wird, darf als ein weiterer Gewinn gelten. Hier kam die Vernachlaessigung von Detailfragen, wie sie sich auch in den Fluechtigkeitsfehlern bemerkbar macht, einer straffen Darlegung eher noch zugute. Dabei Objekte unterschiedlicher Gattungen, darunter wenig bekannte oder verschollene, zusammengebracht und abgebildet zu haben, ist ein weiteres Plus, wenngleich die Wiedergabequalitaet durchweg eher bescheiden ist. Wer in Erwartung einer Kuenstlermonographie klassischen Typs mit Werkkatalog zum Buch greift, wird moeglicherweise enttaeuscht werden. Auch einem biographischen Anspruch, den die zeitliche Reihung der Kapitel suggeriert, kann es nicht wirklich gerecht werden. Wer sich aber ueber Breus Stellung im kulturell-gesellschaftlichen Spannungsfeld Augsburgs informieren will, ist mit ihm gut bedient.

[1] Ernst Buchner: Der Aeltere Breu als Maler. In: Augsburger Kunst zwischen Spaetgotik und Renaissance (Beitraege zur Geschichte der deutschen Kunst Bd. 2, hrsgg. von Ernst Buchner und Karl Feuchtmayr). Augsburg 1928, S. 273-383.

[2] Vgl. Hermine Blankenhorn: Die Renaissancephase Joerg Breus des Aelteren. Diss. (unpubliziert) Wien 1973; Gode Kraemer: Joerg Breu der Aeltere als Kuenstler und Protestant. In: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock. Bd. 3, Augsburg 1980, S. 115-133; Pia-F. Cuneo: Art and Politics in Early Modern Germany. Joerg Breu the Elder and the Fashioning of Political Identity ca. 1475-1536. Leiden 1998; sowie Caesar Menz: Das Fruehwerk Joerg Breus des Aelteren. Augsburg 1982

[3] Andrew Morall: Die Zeichnungen fuer den Monatszyklus von Joerg Breu d. Ae. Maler und Glashandwerker im Augsburg des 16. Jahrhunderts. In: "Kurzweil viel ohn' Mass und Ziel". Alltag und Festtag auf den Augsburger Monatsbildern der Renaissance, hrsgg. von Hartmut Boockmann und Pia Maria Grueber. Muenchen 1994, S. 128-147.

[4] Auf diese Tafeln in Privatbesitz geht Morall nur in einer Fussnote kurz ein (S. 69, Anm 61). Zu den Tafeln vgl. Gode Kraemer: Zu zwei Gemaelden von Joerg Breu aus dem Jahre 1509: Verkuendigung an Maria - Anbetung der Koenige. In: Begegnungen mit Alten Meistern, hrsgg. von Frank Matthias Kammel und Carola Bettina Gries (Wissenschaftliche Beibaende zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Bd. 17). Neustadt/Aisch 2000, S. 201-212. Die Marienkroenung, von Morall als "so far unpublished" (S. 69, Anm. 61) bezeichnet, ist veroeffentlicht in: Bob Jones University. Catalogue of the Art Collection. Bd. 2: Flemish, Dutch, German and Spanish Paintings. Greenville/South Carolina 1962, S. 241 m. Abb.

[5] Von Morall nicht beruecksichtigt wurde die gewichtige Studie Elisabeth Scheichers zu einem dreibaendigen Codex Breus d. J. im Escorial, in der auch der Eton Codex diskutiert wird (Eine Augsburger Handschrift als Geschenk fuer Koenig Philipp II. von Spanien. In: Muenchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3. F. Bd. 44, 1993, S. 151-180, hier S. 175). Ein Einbeziehen dieser Handschrift, die noch vor dem Eton Codex als Hauptwerk Breus d. J. auf dem Gebiet der Buchmalerei anzusprechen ist, haette Moralls Betrachtungen zum Nachwirken der Bildfindungen Breus d. Ae. und zu seiner Werkstattpraxis vertiefen koennen.

[6] So hat Leonhard Beck seine Wandbilder im Wuerzburger Dom nachweislich 1509/10 und nicht 1511 (Morall S. 68, Anm. 44) geschaffen, waehrend das Weiss-Epitaph Becks nicht schon um 1510 (Morall S. 208), sondern erst gegen 1520 entstanden ist.

[7] Ausst. Kat. Painting on Light. Drawings and Stained Glass in the Age of Duerer and Holbein, hrsgg. von Barbara Butts und Lee Hendrix. Los Angeles, The J. Paul Getty Museum 2000. Hinzu sind noch einige andere Objekte zu zaehlen, so dass sich folgende Korrekturen bzw. Ergaenzungen zu Moralls Liste ergeben (die Nummern bezeichnen die thematischen Gruppierungen nach Morall): Zu 1. u. 2. Der dem Autor nur in einer Beschreibung bekannte, hypothetisch der Folge der "Sieben Mechanischen Kuenste" zugerechnete Scheibenriss des "Landbaus" der Sammlung Nagler befindet sich im Berliner Kupferstichkabinett und stellt eine Umrisskopie nach dem im selben Kabinett bewahrten Riss fuer den Maerz aus der Monatsfolge fuer die Familie Hoechstetter dar. Zu 3. Zur Folge der "Kriege und Jagden Maximilians I." sind noch hinzuzuzaehlen die "Saujagd" im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig und die "Baerenjagd" in der Pariser Bibliothèque Nationale. Von diesen beiden Blaettern wie von der ebenfalls in Paris bewahrten "Hirschjagd" existieren in der Muenchner Sammlung, in der sich fast alle uebrigen Risse fuer diese Scheibenfolge erhalten haben, lediglich Abklatsche. Eine Version des "Burgundischen Krieges", moeglicherweise eigenhaendig, befindet sich in Leipzig. Zu 4. Noch zwei weitere, auf Breus Entwuerfe fuer eine Josephsfolge zurueckgehende Scheiben lassen sich nachweisen: "Jakob segnet seine Soehne" (ehemals Berlin, Kunstgewerbemuseum) und "Das Treffen von Joseph und Jakob" (Stift Muri-Gries, Sarnen, Schweiz). Zu 6. Zu den Kriegsverlusten des Berliner Museums zaehlt auch eine Scheibe fuer Breus Planetenfolge mit den "Kindern der Venus". Zu 9. Bei der Turnierszene im Getty Museum handelt es sich nicht, wie Morall faelschlich anfuehrt (S. 257), um ein Glasgemaelde, sondern um eine Zeichnung, die er selber an anderer Stelle (S. 56) abbildet. Bei den Rissen bzw. Scheiben mit klassischen Themen fehlen die Rundblaetter der Lukrezia (Berlin) und der Kleopatra (Stuttgart, nicht Frankfurt/M.). Ebenso ist Moralls Liste noch zu ergaenzen um die Zeichnungen mit "Coriolan vor Rom", "Tamerlan demuetigt Bajazeth" sowie "Titus Manlius enthauptet seinen Sohn" (saemtlich Berlin, bei dem auf S. 221 unter dem letztgenannten Titel publizierten Riss handelt es sich jedoch um das Londoner Blatt "Titus Manlius toetet einen Gallier"). Ob und welche dieser annaehernd gleichgrossen Rundblaetter zu einer Folge zaehlen, die beruehmte Helden und Heldinnen des Altertums umfasste, bleibt noch zu pruefen (hierzu siehe auch John Rowlands (Hrsg.): Drawings by German Artists in the Department of Prints and Drawings in the British Museum. The Fifteenth Century and the Sixteenth Century by Artists born before 1530. London 1993, Textbd., S. 42). Vielleicht gehoert in den selben Werkzusammenhang auch der unzutreffend auf Beck getaufte Riss mit "Demophon und Phyllis" (3 Exemplare: Nuernberg, ehem. Slg. Koenigs u. Paris, École des Beaux-Arts). Der aus der Folge mit Szenen aus der Gesta Romanorum stammende Riss "Der Herzog entdeckt das Kind im Wald", bei Morall als in Privatbesitz befindlich aufgefuehrt, ist aus der Sammlung Schilling in das British Museum gelangt. Zum selben Zyklus gehoert die Darstellung mit "Der Kaiser und der Page", der sich in zwei Versionen erhalten hat. Denn die im Ausstellungskatalog des Getty Museums abgebildete Umrisszeichnung kann nicht, wie behauptet wird, mit dem bei Frederic Muller 1921 versteigerten Exemplar gleichgesetzt werden, da dieses Lavierungen besitzt. Die Liste der Scheibenrisse mit religioesen Themen ist noch um eine Anbetung der Koenige (Berlin) zu vervollstaendigen. Seit 1960 befindet sich auch die Zeichnung mit Christus in der Vorhoelle in Berlin, deren Verbleib Morall noch unbekannt ist. Schliesslich duerfte es sich bei den vom Autor in die Wiener Albertina lokalisierten Rissen mit den Martyrien der Hll. Stephanus und Paulus um jene themengleichen Rundblaetter handeln, die aus der Sammlung Schilling den Staedtischen Kunstsammlungen Augsburg vermacht worden sind.

Morrall, Andrew: Jörg Breu the Elder. Art, Culture and Belief in Reformation Augsburg (= Histories of vision), Aldershot: Ashgate 2001
ISBN-10: 1-84014-608-7, XVI, 281 S., [4] Bl

Empfohlene Zitation:
Guido Messling: [Rezension zu:] Morrall, Andrew: Jörg Breu the Elder. Art, Culture and Belief in Reformation Augsburg (= Histories of vision), Aldershot 2001. In: ArtHist.net, 18.08.2002. Letzter Zugriff 30.12.2024. <https://arthist.net/reviews/200>.

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