Mit der kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung „vermacht. verfallen. verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus“ hat die Städtische Galerie Rosenheim – erstmals – ihre eigene Vergangenheit untersucht. Die von Felix Steffan kuratierte Schau zum 80-jährigen Jubiläum des 1937 eröffneten Hauses geht über die lokale Geschichte weit hinaus und ist so für die Forschung zur Kunst im Nationalsozialismus im breiteren Sinne relevant. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, welcher neben informativen Aufsätzen zum Projekt, zahlreiche Essays zu anderen Vorhaben und Ausstellungsprojekten enthält und so als eine Art Vernetzungsplattform aktueller Forschung auf diesem Gebiet erscheint. Der Umstand, dass das Rosenheimer Projekt hier nicht für sich steht, verwundert, drohen doch die eigenen Ergebnisse an den Rand gedrängt zu werden. Zugunsten einer höheren Aufmerksamkeit mag dies in Kauf genommen worden sein.
In einer sinnvollen Raumfolge erschloss die Ausstellung die mit zahlreichen Archivalien gut dokumentierte Institutionsgründung, die Ausrichtung während des Nationalsozialismus und schließlich den Umgang mit dem aus dieser Zeit stammendem Erbe nach 1945. [1] So hat die Galerie insbesondere in der Nachkriegszeit mehrere Künstlernachlässe erhalten, deren Großteil während der NS-Zeit entstanden ist. Dabei handelt es sich meist um das Werk heute vergessener, lokaler Größen, die der Münchner Schule, d.h. der dortigen akademischen Malerei aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nachfolgten.[2] Die aus Rosenheim stammenden oder dort tätigen Künstler waren regelmäßig auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ (GDK), den prestigeträchtigen Ausstellungen der NS-Führung von 1937 bis 1943 im Münchner „Haus der deutschen Kunst“, vertreten. Sie als offizielle NS-Maler zu bezeichnen ist daher nach gängiger Lesart zulässig. Aufgrund ihrer meist traditionalistischen Ausrichtung auf ahistorische Motive wie vorindustrielle Landschaften, heroisierende Bauernporträts sowie Genrebilder waren ihre Werke für die nationalsozialistische Kunstpolitik verwertbar. Drei Malern widmet die Rosenheimer Schau einen je eigenen Raum: Constantin Gerhardinger, Hans Müller-Schnuttenbach und Anton Müller-Wischin. Letztere zwei gehören, so schreibt Felix Steffan, „mit 57 respektive 50 Werken zu den meistausgestellten Künstlern der GDK“, die „ihre Bilder zu ansehnlichen Preisen an die nationalsozialistische Führungsriege verkauft haben“ (S. 77). Allein von Müller-Schnuttenbach befinden sich heute über 1300 Arbeiten im Depot der Galerie. Mit ihnen sowie dem Gros der Sammlung fordert die Jubiläumsschau nun einen (überfälligen) neuen Umgang.
Die grundlegende These der Ausstellung lautet, dass die Rosenheimer Maler ihren vor 1933 gefundenen Stil kaum oder nur geringfügig veränderten, das heißt mit lokal Altbekanntem zu angesehenen Malern des NS-Staates avancierten. Etwas zaghaft wirkt diese These, die sich stark auf die Rezeption fokussiert, angesichts der ab 1937 ins Monumentale gesteigerten Formate von etwa Gerhardingers Bauernszenen oder angesichts der Galizien-Aquarelle Müller-Schnuttenbachs, die dieser auf offizielle Einladung im Generalgouvernement 1942 im besetzten Polen schuf. Leider birgt der Versuch, nicht zu stark zu urteilen, Stolperfallen, wie jene, die sich – neben der marketingaffinen Alliteration – im Ausstellungstitel findet: Während „vermacht“ anspielt auf das Erbe der Galerie und „verdrängt“ ihren bisherigen Umgang charakterisiert, soll sich „verfallen“, so Christian Fuhrmeister, auf die Künstler beziehen, „die als dem Nationalsozialismus verfallen bezeichnet werden können, weil sie sich die von der NS-Kunstpolitik geschaffenen Aufstiegs-, Karriere- und Verdienstaussichten offenkundig ohne Bedenken oder Skrupel zu eigen machten[…]“. (Hervorhebung im Original, 11) „Verfallen“ ist demnach keine Angabe zu etwa dem ruinösen Zustand manch vermachter Werke, sondern charakterisiert als „verfallen sein“ das Verhalten der Künstler. Diese Charakterisierung ist bestenfalls irreführend, klingt sie doch mehr nach dunklem Zauber als nach rationalen, karrieristischen Vorteilsentscheidungen.
Mit reduziert eingesetzten Ausstellungsdisplays wurde der Blick des Besuchers in den Räumen immer wieder herausgefordert, wurde sinnfällig Erkenntnis produziert. Im ersten Raum war auf einer zentral positionierten Stellwand der Einführungstext zu lesen. Links neben diesem führte eine perforierte Platte die Stellwand weiter und gab den Blick gebrochen frei auf eine dahinterstehende, dunkelgestrichene Gipsplastik von Friedrich Lange, „Jugendlicher Athlet“, aus dem Jahr 1938. Diesem an NS-Schönheitsidealen orientierten Jüngling sind in den 1980er Jahren beide Arme abgeschlagen worden (S. 199). Als Relikte lagen sie zu Füßen des Betrachters und deuten sinnbildhaft die Schwierigkeit des Erbes an. An einer anderen Stelle, im dritten Raum, hingen Werke, die auf den GDK zu sehen waren, an drei Wänden des Galerieraums. Auf der vierten Wand leuchtete eine wandfüllende Projektion digitalisierter Fotografien der tatsächlichen Ausstellungen im Münchner „Haus der deutschen Kunst“. Der reale Ausstellungsraum wurde erweitert, schien sich ungebrochen ins Virtuelle fortzusetzten. Spätestens hier wurde dem Besucher auch bewusst, dass er sich in einem „kleinen Haus der deutschen Kunst“ befindet: Am 29. August 1937 wurde das niedrige, quergelagerte Galeriegebäude in Rosenheim durch Gauleiter Adolf Wagner eingeweiht. Zwar ist die Städtische Galerie keine Museumsneugründung, kann aber zu den wenigen realisierten Museumsbauten des Nationalsozialismus gezählt werden. [3] Als ästhetische Anleihe diente dem Architekten German Bestelmeyer der Münchner Prestigebau, doch – wie Mareike Hetschold in ihrem lesenswerten Aufsatz analysiert – wurde die neoklassizistische Formensprache Troosts im sehr viel kleineren Rosenheimer Bau mit „regionalen, christlich konnotierten und zeitgenössisch-konservativen Formen vermischt“ (S. 100). Erst während des Nationalsozialismus war es der Stadt möglich geworden, dem Willen des Gründungsstifters Max Bram nachzukommen und ein repräsentatives Gebäude für dessen Sammlung zu errichten. Ausschlaggebend für die Umsetzung, so die ebenfalls aufschlussreichen Aufsätze von Sofie Eikenkötter und Mareike Schwarz, waren personelle und institutionelle Zentralisierungsprozesse sowie eine forcierte Tourismuspolitik im Chiemgau Mitte der 1930er Jahre. Problematisch ist Anja Katharina Frischs Auswertung der Gästebücher der Städtischen Galerie, werden dort doch die Anzahl der Einträge ins Gästebuch gleichgesetzt mit der absoluten Zahl der Besucher. Das quellenkritische Problem, ob sich denn überhaupt alle Besucher haben eintragen müssen, bleibt unbeleuchtet (S. 103-115).
Die vor und nach den Aufsätzen des Rosenheimer Projekts im Katalog veröffentlichten perspektivischen Essays zur NS-Forschung sind an dieser Stelle in ihrer Fülle und Diversität nicht zu erfassen. Sie reichen von Referaten aktueller Forschungsvorhaben bis hin zu einer hervorragenden Einzelanalyse James A. Van Dykes zu Paul Mathias Paduas „Leda mit dem Schwan“ (S. 55–64). Fast relativiert diese Fülle den emphatischen Aufruf Christian Fuhrmeisters, der in einem manifestartigen Ausblick unter der Überschrift „Was anders werden muss“ die Publikation beendet. Fuhrmeister bemängelt das unterkomplexe Bild, welches das Fach Kunstgeschichte von der NS-Kunst hätte. Es würde weiterhin zwischen vermeintlich offizieller NS-Kunst und moderner, „entarteter Kunst“ unterschieden – und so die NS-Propaganda fortschreiben. Er plädiert für eine ergebnisoffene kunsthistorische Forschung auch zu Werken der NS-Zeit: „Die Disziplin Kunstgeschichte kann auf die nationalsozialistische Kunst nicht mit Reflexionsverweigerung oder gar Arroganz reagieren, sie kann sie nicht – wie mit dem Diktum der ‚Unkunst‘ geschehen – aus den Gegenstandsbereich des Faches ausgrenzen“ (S. 358).
Immer wieder sucht der Katalog – wie auch das zum Begleitprogramm der Rosenheimer Ausstellung gehörende Kolloquium „‚NS-Kunst‘ zeigen“ (4. Oktober 2017, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München) – die Nähe zu aktuellen Ausstellungen, die sich der Kunst der NS-Zeit widmen. Das Bezugsfeld bildet dabei Bayern; präzisiert die Auseinandersetzung mit Kunst der NS-Zeit in der Pinakothek der Moderne, München, seit 2015, die Selbstbefragung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München sowie die thematische Sonderausstellung „Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus“ (2016/2017), die neben der ersten Station in Bochum in Rostock und abschließend in Regensburg zu sehen war. Weitere Aktivitäten in Deutschland finden nur teils Erwähnung.[4] Sie alle zeugen von einer regen Neuausrichtung insbesondere des Ausstellungswesens in Bezug auf Kunst der NS-Zeit. Mit seinem multiperspektivischen Blick dürfte der Rosenheimer Katalog – neben der hauseigenen Aufarbeitung – deutliche Hinweise für zukünftig zu beschreitende Wege bieten.
[1] Eine Website archiviert die Ausstellungsinhalte übersichtlich und leicht verständlich: https://www.vvv-guide.de/ [letzter Zugriff: 20.12.2017].
[2] Die im Katalog versammelten Aufsätze wurden teils von Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität in Seminaren oder Abschlussarbeiten unter der Leitung von Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München) erarbeitet.
[3] Zum Fehlen offizieller Museumsneugründungen während des Nationalsozialismus siehe Hiller von Gaertringen, Hans Georg/ Hiller von Gaertringen, Katrin: NS-Revolutionsmuseum statt Anti-Kriegs-Museum? Zur Entwicklung der Berliner Museumslandschaft in der NS-Zeit, in: Baensch, Tanja/ Kratz-Kessemeier, Kristina/ Wimmer, Dorothee (Hg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik, Köln Weimar Wien 2016, S. 99–112.
[4] Zu nennen sind unter anderen sammlungshistorische Ausstellungen wie „Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung. 1933–1945“ (Hamburger Bahnhof, Berlin, 21. November 2015 bis 21. August 2016) oder „Unbeteiligt. Kunst im Dritten Reich: Aus der Sammlung des Museumsberg Flensburg“ (6. November 2016 bis 29. Januar 2017) aber auch die Integration von Werken der NS-Zeit in museale Dauerpräsentationen etwa im Frankfurter Städel Museum bereits 2011 oder jüngst im Sprengel Museum Hannover seit 2016.
Fuhrmeister, Christian; Hauser-Mair, Monika; Steffan, Felix; (Hrsg.): Vermacht, verfallen, verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus : die Sammlung der Städtischen Galeire Rosenheim in der Zeit des Nationalsozialismus und in den Nachkriegsjahren, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017
ISBN-13: 978-3-7319-0569-1, 365 Seiten, EUR 29.95, Inhaltsverzeichnis
Recommended Citation:
Paula Schwerdtfeger: [Review of:] vermacht. verfallen. verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus (Städtische Galerie Rosenheim, Sep 24–Nov 19, 2017). In: ArtHist.net, Jan 31, 2018 (accessed Nov 21, 2024), <https://arthist.net/reviews/17267>.
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