REV 12.02.2007

Mauro F. Guillén: The Taylorized beauty of the mechanical

Rezensiert von David Kuchenbuch
Redaktion: Rainer Donandt

Mauro F. Guilléns Studie widmet sich einem weithin anerkannten, aber selten eingehend dargestellten [1] Aspekt der Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Dem Transfer tayloristischer Konzepte in die architektonische Praxis. Guillen zeichnet aus komparatistischer Perspektive die Aufnahme von Kernelementen des "scientific managment" durch Architekten der Avantgarden der USA, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Spaniens, Großbritanniens, Russlands, sowie Brasiliens, Argentiniens und Mexikos von der Jahrhundertwende bis in die 1950er Jahre nach. Guillén unternimmt aber nicht allein den Nachweis einer solchen Beeinflussung, sondern koppelt Zeitpunkt und Intensität von Erneuerungsbewegungen der Architektur an landesspezifische Adaptionen tayloristischer Methoden. Er sieht im "scientific management" einen zentralen Faktor der Entstehung des Neuen Bauens überhaupt. Für ihn sind nationale Charakteristika der Professionalisierung, etwa - verkürzt gegenübergestellt - Beaux-Art-Tradition oder Ingenieursausbildung, sowie der Grad der Kooperation von Architekten mit Staat und Industrie Determinanten der Emergenz moderner Bauformen. Diese neo-instutionalistische Perspektive ist dem Erkenntnisinteresse des Verfassers geschuldet. Guillén hat sich neben Studien zur Globalisierung viel mit der transnationalen Diffusion von Managementkonzepten befasst. Sein Buch ist dem Selbstverständnis nach mehr sozialhistorische Gesamtschau als kunst- oder kulturhistorische Fallstudie. Methodisch äußert sich dies in einer Vorliebe für quantifizierende Verfahren [2], deren Ergebnisse dankenswerterweise durch eine Reihe von Diagrammen visualisiert werden.

Transparent argumentiert Guillén für seine These, indem er zunächst die wissenschaftliche Betriebsführung Frederick Winslow Taylors, Frank und Lillian Gilbreths (deren "bricklaying system" von 1909 wohl am deutlichsten Anknüpfungspunkte an die Architektur aufzeigte) Henry Gantts, Hugo Münsterbergs und Henry Fords charakterisiert, um dann kursorisch Kernelemente des "International Style" darzustellen. Er beleuchtet die "ideologischen Affinitäten" (21) und "technischen Parallellen" (24) zwischen "scientific mangagment" und Architektur sowie ihre "Überblendung" (29) in ästhetischen Formen. Es gelingt ihm, die Attraktivität des Taylorismus, sein Versprechen einer Erneuerung durch Verwissenschaftlichung und Planung, durch eine Hierarchisierung des Arbeitsprozesses und durch Zeit- und Bewegungsstudien anschaulich zu machen.

Guillén prüft dann die "klassischen" Thesen der Architekturgeschichte zu den Entstehungsbedingungen des Neuen Bauens. Diese, so Guillén, rückten entweder die ideengeschichtlichen Auswirkungen der Industrialisierung, die Etablierung neuer Materialien und Technologien, einen sozialen Reformwillen oder das Entstehen neuer Konsumentenschichten ins Zentrum. So zählt er etwa Nikolaus Pevsner, Kenneth Frampton oder Reyner Banham zu den Vertretern einer einseitig auf die modernisierende Wirkung neuer Baumethoden abzielenden Interpretation. Angesichts dieser tendenziell unterkomplexen Lesart der Sekundärliteratur erscheint Guilléns These, die Genese und Verbreitung der Architektur der Moderne sei an den Kontakt mit den Ingenieurswissenschaften und damit der wissenschaftlichen Betriebsführung gekoppelt, natürlich als revolutionär. Tatsächlich stützt Guillén sich im darstellenden Teil, der hier nicht im Einzelnen paraphrasiert werden soll, jedoch überwiegend auf Ergebnisse der Forschung, die er um seinen Blickwinkel ergänzt. So kann er für alle untersuchten Länder eine Koinzidenz zwischen architektonischer Erneuerung und der verstärkten Öffnung nationaler Architekturschulen gegenüber den Ingenieurswissenschaften feststellen, die etwa die Ungleichzeitigkeit der Modernisierungsvorgänge in Deutschland und England erklärbar macht. Dies ist freilich oft nur unter Preisgabe seines neo-institutionalistischen Ansatzes möglich: So rekurriert Guillén, um nur ein Beispiel zu nennen, anlässlich seines Vergleichs des anti-industriellen britischen Arts-and-Crafts-Movement mit dem Deutschen Werkbund auf die Bedeutung intellektueller "Traditionen" als Resonanzbedingungen der Kooperation mit der Industrie. Das ist aber keine wesentlich neue Herangehensweise, sondern in der Architekturgeschichte fest verankerter Konsens.

Die versprochene Untersuchung der Verknüpfungen von "Organisation und Ästhetik" (3) - und hier offenbart sich die geringe Erklärungskraft des gewählten sozialhistorischen Ansatzes - bleibt letztlich aus, da sich Guillén mit Fragen der Ästhetik nur oberflächlich auseinandersetzt (29-32). Unklar ist darüber hinaus oft, wann er bloße Parallelen zwischen industrieller und architektonischer "Ideologie" untersucht, wann es ihm um die Ästhetisierung industrieller Produktionsformen geht, wann um die Adaption von so unterschiedlichen Rationalisierungstechniken wie Zeitstudien, Standardisierung oder Arbeitsphysiologie im Bauprozess. Der Vorgang der Integration von wissenschaftlicher Betriebsführung und industrieller Ästhetik durch Architekten bleibt "black box". Gerade eine Deutung der von Guillén eingangs beobachteten "ideology of order" als "taylorized sense of the beautyful" (14) hätte Aufmerksamkeitsfelder für ideen- und diskursanalytische Studien zu Utopie, Ordnungsimperativ und ihrer ästhetischen Überformung erschließen können.

Hier knüpft ein zweiter Kritikpunkt an. Die Konzepte Henry Fords haben vor allem als Sozialtechniken große Dynamik entwickelt. Guilléns oft einseitig auf technische Modernisierung abzielende Definition des "scientific-management" als Ensemble von "method, standardization, and planning" (123)offenbart, wie wenig ihn die Bedeutung der Übertragung gerade fordistischer Sozialstrategien auf die Architektur interessiert. Tatsächlich war jedoch der Gedanke einer sozialen Befriedung durch rationale Konsumformen für viele Architekten in dieser Phase zentral. Was bedeute es, wenn Gropius sich als "Wohn-Ford" stilisierte? [3] In welchem Zusammenhang stehen Le Corbusiers Taylor-Rezeption und seine These: "Architektur oder Revolution"[4]? Wie positionierten sich Architekten mittels der Übernahme technischer Idiome und eines Habitus' industrieller Rationalität innerhalb des "fordistischen Zeitalters"[5]? Hier hätte eine genauere Analyse des Gebauten einerseits, der für diese Periode so kennzeichnenden programmatischen Schriften andererseits weiter führen können. Auch ist darauf hinzuweisen, dass das Körperbild im Taylorismus in den letzten Jahren zunehmend ausgehend von Foucault`schen Paradigmen wie "Biopolitik" und "Normalisierung" diskutiert wird [6]. Hier sind noch viele Fragen zum Versuch einer Optimierung von Arbeitsleistung und Erholung des Körpers durch das propagierte "befreite Wohnen" offen.

Guilléns Verdienst liegt also - anders als der Titel suggeriert - weniger im Schließen einer Forschungslücke zur kulturhistorischen Bedeutung oder zur Ästhetik des International Style, als vielmehr in einer über weite Strecken gelungenen Gesamtschau der Taylorismusbegeisterung der Architekten der Moderne, die in international vergleichender Perspektive bisher nicht vorgenommen worden ist. Guillén zeigt, welche interessanten Forschungsfelder sich für interdisziplinäre Untersuchungen von Transferprozessen zwischen Wissensgebieten, von Interrelationen von künstlerischer Praxis, technischer Entwicklung und sozialer Dynamik öffnen. Dabei überzeugt insbesondere die Darstellung der Modernismen Lateinamerikas - ein Schwerpunkt, der sich auch in der Gewichtung der rezipierten Literatur abzeichnet, deren nicht immer fehlerfreie Zitation angesichts der länderübergreifenden Perspektive verzeihlich ist. Zu bedauern ist, das eine Einbeziehung der Forschung zu den oft zu unrecht vergessenen skandinavischen Funktionalisten [7] - mehr noch aber eine Auseinandersetzung mit den niederländischen Erneuerern um De Stijl, Cor van Eesteren, J.J.P. Oud, Mart Stam etc. ausbleibt.

Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Reyner Banham: A Concrete Atlantis: U.S. Industrial Building and European Modern Architecture. Cambridge 1986; Gilbert Herbert: The Dream of the Factory Made House: Walter Gropius and Konrad Wachsmann. Cambridge 1984; Ulrich Pfammatter: The Making of the Modern Architect and Engineer. Berlin 2000; Adrian Forty: Taylorism and Modern Architecture. In: Transactions 5 (1986) 1, S. 73-81.

[2] So erstellt Guillén einen Katalog bedeutender Modernisten anhand der Häufigkeit ihrer Nennung im architekturhistorischen Kanon, etwa bei Banham, Benevolo, Lampugnani und anderen.

[3] Winfried Nerdinger: Walter Gropius - Vom Amerikanismus zur neuen Welt. In: Bauhaus-Archiv Berlin (Hg.): Der Architekt Walter Gropius. Katalog zur Ausstellung, Berlin 1985, S. 9ff.

[4] Mary Mcleod: Architecture or Revolution: Taylorism, Technocracy, and Social Change. In: Art Journal 43 (1983) 2, S. 132-147.

[5] Vgl. Walter Prigge: Wohn-Fords. In: Ders. (Hrsg.): Sozialer Wohnungsbau im internationalen Vergleich. Frankfurt a. M. 1988, S. 65-78; Harald Kegler: Fordismus und Bauhaus. In: Gerd Kuhn/Wolfgang Hofmann (Hrsg.): Wohnungspolitik und Städtebau in Deutschland. 1910-1930. Berlin 1993, S. 245-264; Gerhard Fehl: Welcher Fordismus eigentlich? In: Stiftung Bauhaus Dessau/Lehrstuhl für Planungstheorie der RTW Aachen (Hrsg.): Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit. Frankfurt a. M./New York 1995, S. 32ff.

[6] Klaus Ronneberger: Biomacht und Hygiene. Normalisierung im fordistischen Wohnungsbau. In: Walter Prigge (Hrsg.): Ernst Neufert. Normierte Baukultur im 20. Jahrhundert. Dessau/Frankfurt a. M., S. 432-444; Philipp Sarasin: Die Rationalisierung des Körpers. Über 'Scientific Managment' und 'biologische Rationalisierung'. In: Ders.: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt a. M. 2003, S. 61-99; sowie Anson Rabinbach: The Human Motor. Energy, Fatigue, and the Origins of Modernity. Berkeley 1992.

[7] Zum Taylorismus im schwedischen Funktionalismus: Lisa Brunnström: Den rationella fabriken. Om funktionalismens rötter. Umeå 1990.

Zitierweise / Citation:

David KuchenbuchRezension von: Mauro F Guillén: The Taylorized Beauty of the Mechanical: Scientific Management and the Rise of Modernist Architecture, Princeton/Oxford 2006. In: ArtHist, Februar 2007. URL: http://www.arthist.net/download/book/2007/070213Kuchenbuch.pdf

(Bei Zitatangaben bitte das Abfragedatum in Klammern anfügen). © 2007 by H-ArtHist

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Guillén, Mauro F.: The Taylorized beauty of the mechanical. Scientific management and the rise of modernist architecture, Princeton [u.a.]: Princeton University Press 2006
ISBN-13: 978-0-691-11520-7, XII, 186 S, alk. paper

Empfohlene Zitation:
David Kuchenbuch: [Rezension zu:] Guillén, Mauro F.: The Taylorized beauty of the mechanical. Scientific management and the rise of modernist architecture, Princeton [u.a.] 2006. In: ArtHist.net, 12.02.2007. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/148>.

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