Vom Symbolismus bis zum Surrealismus verfolgt die Ausstellung das Thema des Geschlechterkampfs in Malerei, Grafik, Fotografie, einigen Skulpturen und setzt mit der Einbeziehung früher Filme neue, gewichtige Akzente.
Von der Museumsfassade herab blickt eine auf einem Berg von Kadavern hockende „Gesättigte Sirene“ (1905) starren Auges den Besuchern entgegen. G.A. Mossas Monstrum von 1905 als Willkommensgruß lässt Schreckliches ahnen, aber vorweg sei gesagt: die dämonische Frau und ihr männerfeindliches Verhalten beherrscht nur – widersinnig genug – den ersten Teil der Ausstellung, die folgende Moderne aber darf uns nicht entgehen.
Franz von Stucks „Adam und Eva“ (1920), die weibliche Urgestalt der Verführung und ihr Opfer, geben das Leitbild vor, dem mythologische Gestalten folgen, die zum Kernbestand diskriminierter weiblicher Sexualität gehören: Judith, Salome, Delila, Lilith, Medusa. Jean Benners „Salome“ (um 1899) tritt aus dem Raumdunkel hervor, in strenger Frontalität, den Körper nur zaghaft bedeckt, bietet sie sich und den bleichen Kopf des Johannes in Nahsicht dar. Einige wenige Beispiele der „Femme fatale“ des späten 19. Jahrhunderts würden genügen, um die verquere Botschaft der sexualisierten Auseinandersetzung von Mann und Frau und die erotische Wirkung von Aktbildern auf die Zeitgenossen ins Gedächtnis zu rufen. Angesichts der zahlreichen weiblichen und männlichen Attrappen der Geschlechtertragödie wird klar, dass eher das Thema die Wahl begründete als der künstlerische Wert. Die oft großformatigen, überwiegend in einem kruden Naturalismus gehaltenen Gemälde bestimmen den Eindruck so stark, dass die zur gleichen Zeit entstandenen grafischen Serien zurücktreten. Max Klingers Radierungsfolge Eva und die Zukunft (1880) und Félix Vallotons Holzschnitte „Intimitäten“ (1897) bringen die heillosen Austragungsformen der Geschlechterdifferenz technisch und motivisch innovativ zum Ausdruck: Hier Eva in vielfältig gestalteten Naturszenarien, dort Paare in bürgerlichen Wohn- und Schlafzimmern.
Am Thema und am Bildmaterial der Ausstellung hat bekanntlich die wissenschaftlich und politisch motivierte kunstgeschichtliche Forschung der 1980 und 90er Jahre im großen Stil Dekonstruktion betrieben. So wäre heute in Abgrenzung von den vorliegenden relevanten Positionen ein anderes Engagement, eine neue Theorie und ihre Anwendung zu erwarten. Aber die auf eine zeitgemäße Konzeption gespannte Leserschaft des Ausstellungskataloges geht leer aus. In dem einführenden Interview (S.13–20) ist vage von der Aktualität des Geschlechterkampfs die Rede, jedoch ohne diese auch nur im Ansatz zu konkretisieren.
Die Historikerin Ute Frevert stellt den Geschlechterkampf in historischer Entwicklung 1850–1950 dar. Sie erkennt im Konstrukt der Geschlechterpolarität ein Grundprinzip der modernen Gesellschaft, das durch die Emanzipation der Frau in Frage gestellt wurde (S. 33). Frevert beschreibt den massiven Widerstand gegen die politischen und rechtlichen Forderungen der Frauen und stellt mit Louise Otto, Helene Stöcker u.a. bedeutende Akteurinnen heraus, die für das Recht auf Erwerbsarbeit, für sexuelle Selbstbestimmung und eine neue Ethik kämpften. Am Beispiel des heftigen, publizistisch ausgetragenen Streits zwischen Karl Kraus und der erfolgreichen Journalistin Alice Schalek lässt sich die widersprüchliche, aber fortschreitende Selbstbehauptung der Frauen nachvollziehen.
Von den historischen Bedingungen aus wird die gesellschaftliche Funktion der „Femme fatale“ in der Kunst evident. Sie diente dazu, wie Melanie Ulz ausführt, männliche Macht und Vorrechte zu bestätigen, denn sie repräsentiert die unveränderlich in einem archaisch-mythischen Urgrund wurzelnde weibliche „Natur“, die der Mann ebenso begehrt wie fürchtet. (S.98). Stuck, Böcklin, Klimt etc. nutzten die literarischen und mythologischen Vorlagen, um die Beziehung zwischen Mann und Frau dramatisch zu übersteigern. Neben diesen grundlegenden Beiträgen gibt es monografische Kapitel zu Franz von Stuck, Félicien Rops, Jeanne Mammen, Edvard Munch, Lee Miller, sowie einen Aufsatz über das Kino 1895–1945.
Etliche Filme, so auch Fritz Langs „Metropolis“ (1925/6), sind in die Räume der Ausstellung (in Ausschnitten) einbezogen, so dass überraschende Nachbarschaften entstehen. Die intermediale Perspektive auf das Thema führt die Besucher vom Adam- und Eva-Motiv im Gemälde zu Gustav Machatys „Ekstase“ (1932/33), von Frémiets Bronzeskulptur „Gorilla, eine Frau raubend“ (1887) über Beardsleys grafische Version zu „King Kong und die weiße Frau“ von Merian C. Cooper (1933).
Die Kunst der Moderne bildet den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung. Er zeichnet sich dadurch aus, dass die Auswahl der Exponate und die Inszenierung wesentliche künstlerische Strategien der Epoche freilegen. Gegen normative Manifestationen des Weiblichen und Männlichen öffnet sich hier ein reiches Spiel der Möglichkeiten. Unterschiedliche sexuelle Orientierungen, Montage und Collage, Marionetten, Automaten, Prothesen machen dem Spuk des binären Geschlechtermodells und der Integrität der Körper ein Ende. Jeanne Mammens Aquarell eines Berliner „Transvestitenlokals“ (um 1931) wird mit Marcel Duchamps Rrose Sélavy und der Extravaganz seines weiblichen Alter Ego konfrontiert. Otto Dix integriert in ein neusachliches Männerporträt homosexuelle Andeutungen. Claude Cahun stellt sich in bewegenden Selbstbildnissen mit kahlgeschorenem Kopf dar. Das Phantasma der Geschlechteridentität kollabiert in Hannah Höchs Montagen – das großformatige Gemälde „Die Braut (Pandora)“ aber zitiert das bürgerliche Paar auf Hochzeitsfotos (1924). Blasen, die Pandoras Gaben persiflieren, schweben um die Braut mit riesigem Puppenkopf und ihren zum Mannequin erstarrten Partner.
Eindrucksvoll ist Oskar Kokoschkas Gemälde „Maler mit Puppe“ (1922) in Verbindung mit Fotografien der lebensgroßen Puppe, die er nach der Trennung von Alma Mahler-Werfel anfertigen ließ. In zahlreichen Briefen erteilte er der Puppenmacherin peinlich genaue Anweisungen und behauptete, nur bei größtmöglicher Echtheit von Haut und Haar könne der „Fetisch“ sein Tastgefühl erfreuen (S. 67–79). In der Rolle des Künstlers als Fetischist gefiel sich nicht nur Kokoschka, auch Marcel Duchamps Objekt einer weiblichen Brust aus Schaumstoff („Bitte, berühren“, 1947) und seine auf die Reproduktion der „Mona Lisa“ projizierte pornografische Phantasie offenbaren die sexuelle Dimension des Tastsinns in der Kunst. Meret Oppenheim formuliert Obsessionen in ihrer Arbeit „Mein Kindermädchen“ – weiße, aneinandergefesselte Stöckelschuhe auf einer Servierplatte fungieren als libidinös besetzte Stellvertreter der Trägerin. Etliche Darstellungen zeigen die für die Kunst der 1920er Jahre zentralen Tatorte von Gewalt und Mord – Bar, Kaschemme, Bordell. Pyke Koch fügt den Jahrmarkt hinzu. Der „Schießstand“ mit der hier ausgestellten Frau transformiert Manets Bardame der „Folies-Bergère“ (1882) in den Horror der Vergnügungswelt der 1930er Jahre. Man Ray montiert den Körper einer nackten Frau und Teile einer Gliederpuppe zu einem „Garderobenständer“ (1920), der unverfroren zur Benutzung auffordert.
Künstlerische Provokationen dieser Art stellen auch die berühmte Fotografie, welche die Künstlerin und Kriegsreporterin Lee Miller in Hitlers Badewanne in München zeigt, in ein neues Licht. Datiert auf den 30.4.1945, den Tag des Suizids Hitlers, beglaubigt sie das Ende des Krieges und des Nationalsozialismus (S. 249). Zugleich aber mutiert das unerhörte fotografische Zeugnis in ein Dada-Objekt: Zum einen gibt die Montagetechnik nur Kopf und Schultern Millers zu sehen, den übrigen Körper ersetzen die Wand der Badewanne und ihre davor abgestellten schmutzigen Militärstiefel. Daneben wirkt die absichtsvoll hinzugefügte nationalsozialistische Skulptur eines weiblichen Aktes, die den „ganzen Körper“ repräsentiert, abstrus. So ist die Fotografie gleichermaßen historisches Dokument und Triumph über das faschistische Körperbild.
Ärgerlich ist der umfangreiche Katalog. Statt eines sachlich angemessenen Lay-outs zielen motivische Vorlieben, eindeutige Ausschnitte, willkürliche Vergrößerungen, Farbexzesse in Blutrot auf Schwarz auf den grellen Effekt. Den titelgebenden „Geschlechterkampf“ ins Abstruse und Lächerliche umkippen zu lassen, ist genauso verfehlt wie die Corporate identity, die das Bild der „Femme fatale“ stiftet. Auf dem Cover, auf Plakaten und Eintrittskarten beherrscht sie die öffentliche Erscheinung der Ausstellung, dagegen dringt keines der hervorragenden Exponate der Moderne, welche die Ausstellung rechtfertigen, zu den Leuten auf der Straße vor.
Krämer, Felix (Hrsg.): Geschlechterkampf. Franz von Stuck bis Frida Kahlo, München, London, New York: Prestel Verlag 2016
ISBN-13: 978-3-7913-5572-6, 336 Seiten, EUR 49.95, Inhaltsverzeichnis
Recommended Citation:
Ellen Spickernagel: [Review of:] Geschlechterkampf. Franz von Stuck bis Frida Kahlo (Städel Museum - Frankfurt am Main, Nov 24, 2016–Mar 19, 2017). In: ArtHist.net, Feb 15, 2017 (accessed Nov 30, 2024), <https://arthist.net/reviews/14444>.
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