"Methodik zwischen Theorie und Praxis. Historische und aktuelle Ansätze in der niederländischen Kunst- und Kulturgeschichte" - Internationale Konferenz des Arbeitskreises Niederländische Kunst- und Kulturgeschichte e.V. (ANKK)
Theorie und Praxis, Universität und Museum, das Objekt und die (digitale) Abbildung – über kunstgeschichtliche Forschungsmethoden wird bisweilen immer noch an Hand vermeintlich klarer Gegensätze gestritten. Die große internationale Konferenz des „Arbeitskreis für niederländische Kunst- und Kulturgeschichte“ (ANKK), die in diesem Jahr vom 02. bis 04. Oktober in Bonn und Köln stattfand, machte dagegen bereits durch ihren Titel deutlich, dass es darum gehen würde, starr-binäre Denkformen aufzubrechen oder zu verflüssigen: “Methodik zwischen Theorie und Praxis. Historische und aktuelle Ansätze in der niederländischen Kunst- und Kulturgeschichte”. Damit war ein weites Feld eröffnet, auf dem die jeweiligen Begriffspaare weniger in polarisierender Gegensätzlichkeit, als vielmehr im Hinblick auf mögliche Vermittlungen, Zusammenhänge und Schnittmengen untersucht wurden.
Bereits der eröffnende Keynote-Vortrag von Christine Göttler (Bern) markierte einige Leitmotive, die durch die Tagung weiter zu verfolgen waren: die Thematisierung der globalen Vernetzung niederländischer Kunst (der Frühen Neuzeit), das Interesse an der als „agency“ bezeichneten Wirk- und Handlungsmacht von Bildern und Artefakten sowie die Frage nach den medialen, diskursiven und institutionellen Bedingungen künstlerischer Produktion und individueller wie gesellschaftlicher Rezeption. Ausgehend von der Darstellung eines aus Java stammenden Dolches (eines sogenannten Keris oder Kris) in einem Kunstkammerstück des Malers Frans Franckens d. J., entfaltete Göttler virtuos die Bedeutungsnuancen, die dem als Idol oder Dämon gestalteten Griff der Waffe in unterschiedlichen Kontexten beigemessen wurden. So wurden alle Teilnehmer_innen der Konferenz gleich zu Beginn darauf eingestimmt, dass es für komplexe Sachlagen keine eindimensionalen Erklärungsansätze geben kann, sondern verschiedene, auf den Gegenstand abgestimmte Instrumentarien vonnöten sind, um dem breiten Spektrum der historischen Überlieferung gerecht zu werden.
Die folgenden Vortragssektionen nahmen in ihren besten Beiträgen diese Vorgabe auf. Die von Jenny Reynaerts (Amsterdam) geleitete Sektion „The Beholder’s Gaze. The Experience of Realism“ hatte einen deutlichen Fokus auf dem 17. Jahrhundert, setzte jedoch mit einer transkulturellen Analyse flämischer und persischer Buchmalerei des 15. Jahrhunderts ein. Vera Beyer (Wuppertal) verglich eine Darstellung Gottvaters im himmlischen Zelt aus dem Turin-Mailänder Stundenbuch mit einer Darstellung Mohammeds aus dem Miradschname (Buch der Himmelfahrt des Propheten) und machte am jeweils unterschiedlich inszenierten und codierten Motiv des Vorhangs zwei konträre Blickkonzeptionen, mit denen unterschiedliche Möglichkeiten visueller Gotteserfahrung einhergehen, fest: Während die flämische Miniatur mit den Mitteln des malerischen Illusionismus einen Tiefenraum entwerfe, der dem Vorhang die Funktion eines – potentiell zu lüftenden – Schleiers zuweist, setze die weitgehend flächig gestaltete persische Miniatur auf einen Modus des Sehens, durch den der Blick auf den Vorhang zu einer Form nichträumlicher Wahrnehmung angeleitet wird. Nicole Elizabeth Cook (Delaware) stellte heraus, wie Godefridus Schalcken in seinen erotischen Nachtszenen das Begehren der Betrachter nicht nur durch Strategien der szenisch-narrativen Einbindung, sondern auch über spezifische Wahrnehmungseffekte zu stimulieren wusste. Demgegenüber fragte Miya Tokumitsu (Melbourne) danach, wie sich der visuelle Wahrheitsanspruch niederländischer Stillebenmalerei zum Kunst- und Warenstatus der Bilder verhält. Christopher Atkins (Philadelphia) zeigte schließlich am Beispiel der Landschaftsgemälde Meindert Hobbemas, dass der Künstler offenbar bestrebt war, durch die Kultivierung eines nur minimal variierten Motiv- und Formenschatzes die Wiedererkennbarkeit seines Personalstils sicherzustellen.
Die zweite Sektion des Nachmittags, unter der Leitung von Daniela Hammer-Tugendhat (Wien), widmete sich der „Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft” und setzte sich zum Ziel, Kunstwerke nicht allein als kulturwissenschaftliche Quellen zu betrachten, sondern sie auch als Koproduzenten jener sozialen Wirklichkeit zu begreifen, der sie historisch jeweils angehören. In ihrem Vortrag zu den Veränderungen der Funktionen, Rollen, und Beurteilungen niederländischer Bildnisse – höchst aktuell illustriert durch die Diskussion über die kürzlich von Rijksmuseum und Louvre erworbenen Rembrandtbilder – behandelte Ann Jensen Adams (Santa Barbara) das Porträt als ästhetisches Objekt, Zeugnis des Künstlers, Statussymbol, Bedeutungsträger, Familienerbstück oder gar als Gegenstand und Agent des Nationalstolzes. Laura Ritter (Berlin) präsentierte ihre Forschungen zur Darstellung des Bösen in der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts am Beispiel der Genter „Kreuztragung“ (1510/16), die bis vor Kurzem Hieronymus Bosch zugeschrieben wurde. Karin Gludovatz (Berlin) analysierte schließlich Maarten van Heemskercks zweifache Selbstdarstellung im „Selbstbildnis vor dem Kolosseum“ (1553) – einmal ganz klein als junger Zeichner, sitzend vor dem Kolosseum, sowie prominent als älterer, etablierter Herr, physiognomisch Michelangelo ähnlich. Aus der Beobachtung, dass sich der ältere Heemskerck gar nicht vor dem Kolosseum selbst, sondern vor einem Gemälde desselben zu befinden scheint, zog sie Rückschlüsse auf van Heemskercks soziale Selbstpositionierung.
Beschlossen wurde der erste Tag durch eine von Karin Leonhard (Konstanz) und Heike Schlie (Salzburg) moderierte Podiumsdiskussion „Zur Rolle des Objekts in Theorie und Praxis“. Till-Holger Borchert (Brügge) und Gregor Weber (Amsterdam) vertraten dabei die Positionen des Museums, während Claudia Swan (Evanston) und Koenraad Jonckheere (Gent) als Repräsentanten universitärer Forschung geladen waren. Neben das bereits erwähnte Interesses an der „agency“ der Objekte, deren Voraussetzungen nicht zuletzt in institutionellen Rahmenbedingungen wie auch in – glücklichen oder unglücklichen – Zufällen erkannt wurden, trat hier die Frage nach der sinnvollen Einbindung naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden (etwa Materialanalysen, Infrarotreflektografie oder neuere Scanverfahren) in die kunsthistorische Forschung. Auf der Habenseite wurde dabei verbucht, dass gerade der durch den „material turn“ hervorgehobene Objektstatus der Kunstwerke eine fruchtbare Schnittstelle zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften herstellen kann. Fraglich blieb gleichwohl, ob kennerschaftliche und hermeneutische Probleme auf diese Weise wirklich besser und eindeutiger gelöst werden können. Denn auch die technologisch neu gewonnenen Daten müssen schließlich kunsthistorisch ausgewertet und interpretiert werden, um im Rahmen universitärer wie musealer Forschungshorizonte relevant zu werden. Angesichts des unleugbaren Wissenszuwachses, der hier generiert wird, wies Jonckheere gegen Ende der Diskussion darauf hin, dass sich – gerade ausgehend von den Objekten – eben ganz unterschiedliche „Geschichten“ erzählen lassen.
Die faszinierenden Möglichkeiten der digitalen Kunstgeschichte standen dann auch am nächsten Morgen in der durch Ron Spronk (Kingston/ON & Nijmegen) geleiteten Sektion „Digital Art History“ im Vordergrund. Robert Erdmann (Amsterdam & Nijmegen) präsentierte das „Bosch Research and Conservation Project“, dessen Endergebnisse mit Spannung erwartet werden dürfen. Mindestens ebenso interessant und vielversprechend war zudem Erdmanns Ankündigung, dass die von ihm entwickelten Applikationen als „Open Source“ zur Verfügung gestellt werden sollen. Emanuele Pellegrinis (Lucca) Vortrag zu Carlo Ludovico Ragghianti (1910-1987) und der Historiografie der frühen digitalen Kunstgeschichte verdeutlichte, wie lehrreich, wenn auch bislang weitgehend unerforscht dieser Aspekt der Kunstgeschichtsschreibung ist. Carrie Anderson (Middlebury, VT) führte mit ihrem Vortrag zu den diplomatischen Geschenken von Johan Maurits von Nassau-Siegen die Methodik des “Digital Mapping” vor und demonstrierte eindrucksvoll, wie erhellend die kartographische Visualisierung diplomatischer Beziehungen sein kann und wie zugänglich die Software für interessierte Benutzer ist. Schließlich zeigten auch Joaneath Spicer (Baltimore) und Danielle Maufort (Antwerpen) am Beispiel eines gemeinsamen Digital-Projekts zum Gemälde „Der Erzherzöge besuchen ein Sammlerkabinett“ (Walters Art Museum, Baltimore), dass keine fortgeschrittenen Computerkenntnisse nötig sind, um Forschungsergebnisse online zu erschließen. In der Schlussdiskussion wurde aber angemerkt, dass Forscher jüngerer Generationen durchaus einen Vorsprung bei der Verwendung digitaler Medien zu haben scheinen und es sinnvoll wäre, allgemein ein größeres Bewusstsein für die Zugänglichkeit solcher Mittel zu schaffen.
Ins Zentrum gegenwärtiger Debatten führte auch die von Anja Grebe (Krems) geleitete Sektion „Global Turn – Niederlandeforschung zwischen Kunsttransfer und neuem Kolonialismus“. Britta Bode (Berlin) ging in ihrem Vortrag Formen kollektiver Autorschaft in der Kartographie um 1600 nach. Überzeugend konnte sie darlegen, dass die Radierer aus der Doetecum-Familie ihren Verlegern nicht nur technisch hervorragende Reproduktionen kartographischer Entwürfe lieferten, sondern mit ihren druckgraphischen Übersetzungen gezeichneter Karten einen eigenständigen Beitrag zum kartographischen Wissensdiskurs leisteten – etwa indem sie die Leerstellen ihrer Vorlagen in eigensinniger Weise zu füllen wussten. Sodann legte Jennifer Rabe (Bern) in einer eindringlichen Lektüre die rassen- und kunsttheoretischen Subtexte von Anthonis van Dycks „Doppelporträt des Earl of Arundel und seiner Gattin Aletha Talbot“ frei, um zugleich deren historische Schnittmenge in einer vielfältig auslegbaren Metaphorik der Reinigung aufzuzeigen. Willemijn van Noord und Thijs Weststijn (beide Amsterdam) zeichneten die gelehrte Debatte nach, die sich um 1700 an Darstellungen eines antiken chinesischen „Spiegels“ entzündete und in der es um nichts Geringeres als die Frage nach dem Primat europäischer oder chinesischer Kultur ging. Felicitas Höfflin (Freiburg/Br.) sprach schließlich über Darstellungen chinesischen Porzellans in Kunstkammerbildern des 17. Jahrhunderts.
Der Abendvortrag von Paul Taylor (London) widmete sich den niederländischen Begriffen „naer het leven“ und „uyt den gheest“ und nahm einige der Diskussionsthemen der Tagung auf. So wie die Grenzen zwischen den vermeintlichen Gegensätzen von „Theorie“ und „Praxis“ (oder „Universität“ und „Museum“) sich heute nicht mit Bestimmtheit ziehen lassen, so wurden – wie Taylor darlegte – auch die beiden genannten niederländischen Begriffe in den Traktaten des 17. und frühen 18. Jahrhunderts (etwa von Karel van Mander, Samuel van Hoogstraten oder Arnold Houbraken) äußerst unscharf verwendet. Anhand verschiedener Beispiele, wie z.B. Abbildungen von Tieren und Darstellungen von Laub, konnte Taylor zeigen, dass einerseits Geist bzw. Intelligenz für die Wiedergabe der sichtbaren Welt nötig ist und dass andererseits Künstler Alltagsbeobachtungen für die Darstellung von z.B. himmlischen oder mythologischen Szenen verwendeten. Auch hier wurde also deutlich, dass die jeweiligen Gegenbegriffe einander nicht ausschließen müssen, sondern gewissermaßen dialektisch aufeinander zu beziehen sind.
Die Sektion „Between Practice and Practices: The Social History of Artists as a New and Rediscovered Methodological Approach to the Study of Netherlandish Art“, moderiert durch Birgit Ulrike Münch und Elsa Oßwald (beide Trier), bewies sich als idealer Schmelztiegel einiger Hauptthemen der Tagung: digitale Kunstgeschichte, Kulturwissenschaft, und internationale Netzwerke. Koenraad Brosens (Leuven) präsentierte „Cornelia“, eine Datenbank mit Archivdokumenten, und demonstrierte die Nützlichkeit des „Digital Mapping“ bei der Erforschung von Netzwerken zwischen Herstellern, Auftraggebern und Zünften am Beispiel der Wandteppichproduktion in Flandern. Freilich betonte auch Brosens erneut die Interpretationsbedürftigkeit der digitalen Daten. Michiko Fukaya (Kyoto) präsentierte ihre Forschungen über die Verbindungen zwischen niederländischen Künstlern und spanischen Auftraggebern in Rom. Der Vortrag von Tim De Doncker (Gent) widmete sich im Gegenzug den sich wandelnden Funktionen der Genter Malerzunft zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert. Und auch Jacquelyn Coutré (Kingston, ON) machte am Beispiel der Tätigkeit von Jan Lievens für die Staaten von Holland und West Friesland die soziale Stellung des Künstlers innerhalb seiner professionellen Netzwerke zum Thema.
Der Fokus dieser Niederlande-Konferenz lag zweifellos auf den Bildkünsten der Frühen Neuzeit. Umso verdienstvoller ist deshalb das Bemühen von Eva von Engelberg (Weimar), auch der niederländischen Architektur des 20. Jahrhunderts eine Plattform bei den Veranstaltungen des ANKK zu bieten. Sie hatte eine Sektion zu den „Methoden der Architekturgeschichtsschreibung zur niederländischen Moderne“ organisiert, in der nach der Rolle der architekturhistorischen Forschung bei der Propagierung und Etablierung modernen Bauens in den Niederlanden gefragt wurde. Rixt Hoekstra (Frankfurt) setzte sich mit Debatten der 1970er Jahre an der Universiteit Delft auseinander, in denen orthodoxe Vorstellungen einer architektonischen Moderne von studentischer Seite in Zweifel gezogen wurden. Sodann zeichnete Kees van Ploeg (Groningen) die jüngere Geschichte der Architekturkritik in den Niederlanden nach, an der eine sich als weitgehend neutral verstehende akademische Architekturgeschichte sich erst spät zu beteiligen begann. Und Jennifer Meyer (Groningen) zeigte an verschiedenen Beispielen seit den 1930er Jahren, wie die Architekturausstellung als Medium der Durchsetzung bestimmter Geschichtsbilder und Bauideale diente.
Einige Workshops und Exkursionen führten dann in verschiedene Sammlungen und Bauwerke der Region Köln-Bonn, wo der während der Konferenz oft geforderte Objekt- und Praxisbezug eingelöst werden konnte. Andere Workshops vertieften dagegen die Fragen nach dem „Material Turn“, dem Phänomen der „Künstler-Migration“ und dem Begriff der „Qualität“. In der Postersektion wurden laufende Dissertationsprojekte vorgestellt, die mit den betreffenden Kandidat_innen lebhaft diskutiert wurden. So hat sich die kunsthistorische Niederlandeforschung auf dieser gelungenen Tagung als eine theoretisch und praktisch breit aufgestellte und ebenso produktive wie innovative „scholarly community“ präsentiert. Abschließend sei jedoch die Frage gestellt, ob der erklärte Status einer „internationalen“ Konferenz nicht erfordert hätte, noch stärker auf das Englische als primäre Konferenzsprache zu setzen. Dies wäre nicht nur dem spontanen internationalen Austausch in der Podiumsdiskussion und manchen Sektionen förderlich gewesen, sondern hätte vielleicht auch noch mehr Kolleg_innen aus dem Ausland zu einer Teilnahme bewegen können.
Recommended Citation:
Bertram Kaschek, Erik Eising: [Conference Report of:] Methodik zwischen Theorie und Praxis. ANKK Konferenz 2015 (Universität Bonn / Wallraf-Richartz-Museum und Museum Schnütgen Köln, Oct 2–04, 2015). In: ArtHist.net, Nov 24, 2015 (accessed Dec 30, 2024), <https://arthist.net/reviews/11577>.
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