Didaktik und Augenlust – die Biblia pauperum-Handschriften in Gotha und Jena. Interdisziplinäre Tagung vom 29. September bis 1. Oktober 2025
Im Zentrum der Tagung stehen zwei formal gleichartige, lebhaft illuminierte Handschriften der Gattung Biblia pauperum (Armenbibel) in der Forschungsbibliothek Gotha (Memb. I 54) und in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (Ms. El. f. 51b). Das 1462 datierte Jenaer Exemplar entstand in Niederbayern, die Gothaer Armenbibel gehört sichtlich in denselben zeitlichen und topographischen Kontext. Beide zählen zu einer Gruppe von 68 erhaltenen, meist illustrierten Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, in denen Ereignisse des Alten und des Neuen Testaments typologisch und nach einem definierten Bildschema miteinander in Bezug gesetzt werden.
Die Forschung hat diese beiden Handschriften bislang abgesehen von der Erschließung in den einschlägigen Handschriftenkatalogen meist nur gestreift. Zu den Desideraten gehören deshalb zentrale Aspekte, deren Klärung Licht auf die Herstellungsgeschichte der Gothaer und Jenaer Armenbibel werfen kann, womit ein wichtiger Beitrag für die Einordnung des ganzen Handschriftentypus geleistet wäre.
Nicht nur die unterschiedlichen Schreiberkolophone, die im Fall der Jenaer Handschrift einen Kaplan Wolfgang Wulfinger als Schreiber, im Fall der Gothaer Handschrift aber auffälliger Weise den gleichen Namensträger als Käufer erwähnen, sind bislang noch nie umfassend analysiert worden – weder in paläographischer noch in prosopographischer, provenienz- oder rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht. Auch die in beiden Handschriften enthaltenen Besitzvermerke jüngeren Datums wurden bislang nicht für ein besseres Verständnis der Funktion dieser reich illustrierten Armenbibeln in nachmittelalterlicher Zeit einbezogen.
Selbst Stil oder Ikonographie einer jeden Handschrift oder die trotz aller Gemeinsamkeiten deutlich sichtbaren Unterschiede zwischen den beiden Kodizes in Schrift, Text- und Bildausstattung wurden noch nie genauer untersucht. Gerade die Abweichungen der beiden Schwesterhandschriften verlangen aber nach einer umfassenden, auf die Erhellung der Werkstattsituation in regionaler und produktionsgeschichtlicher Hinsicht abzielenden Analyse, durch die der mutmaßliche Vorlagenfundus und die werkstattinterne Arbeitsorganisation zu rekonstruieren bzw. besser zu verstehen sind.
Als Grundlage dieser Analysen sollen beide hier maßgeblichen Handschriften vor der Tagung einer zerstörungsfreien maltechnischen Untersuchung ihrer Materialität (Pergament, Pigmente, Tinten) durch Dr. Doris Oltrogge (TH Köln, Technology and Arts Sciences) und Prof. em. Dr. Robert Fuchs (vormals TH Köln) unterzogen werden. Auch diese Ergebnisse sollen auf der Tagung präsentiert und diskutiert werden.
Ausgewiesene Wissenschaftler:innen aus den Bereichen der Germanistik und der Geschichtswissenschaft, der Handschriftenkunde und der maltechnischen Forschung sowie der Kunstgeschichte, der Paläographie und der Theologie treffen sich zu dieser Tagung, um die beiden Handschriften umfassend und interdisziplinär zu diskutieren. Auch übergeordnete Aspekte wie das mittelalterliche Kopierverständnis und die Rezeptionsgeschichte dieser spätmittelalterlichen Bibelhandschriften allgemein sollen erörtert werden.
Organisation und Kontakt:
PD Dr. Monika Müller (FB Gotha; Email: monika.muelleruni-erfurt.de), Dr. Joachim Ott (ThULB Jena; Email: joachim.ottuni-jena.de), Prof. Dr. Christoph Fasbender (TU Chemnitz; Email: christoph.fasbenderphil.tu-chemnitz.de)
Tagungsort: Forschungsbibliothek Gotha: Spiegelsaal und Herzog Ernst-Kabinett
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Programm (Stand Mai 2025)
29. September 2025
12.30–14.00 Führung durch die historischen Schauräume der Forschungsbibliothek
14.00–14.45 Begrüßung und Einführung in die Thematik: Dr. Joachim Ott, PD Dr. Monika Müller, Prof. Dr. Christoph Fasbender
14.45–15.45 Besitzgeschichte der Jenaer Biblia pauperum-Handschrift von ihrer Entstehung bis heute: Dr. Joachim Ott, ThULB Jena
15.45–16.15 Kaffeepause
16.15–17.15 Käufer, Schreiber und Leser – ein Beitrag zur Rezipienten- und Provenienzgeschichte der Gothaer Biblia pauperum-Handschrift: PD Dr. Monika Müller, Forschungsbibliothek Gotha
17.15–18.15 Zur Paläographie der beiden Biblia pauperum-Handschriften in Gotha und Jena: Prof. Dr. Martin Wagendorfer, LMU München
19.00–20.00 Abendvortrag: Ex uno plures. Zu Vorlage und Wiederholung in der Buchkultur des Spätmittelalters: Prof. Dr. Wolfgang Augustyn
Im Anschluss daran gemeinsames Abendessen der Referent:innen
30. September 2025
09.00–10.00 Drei Anfänge. Zur Schreibsprache von Wolfgang Wulfinger:
Apl. Prof. Dr. Wolfgang Beck, Friedrich-Schiller-Universität Jena
10.00–11.00 Narration und Auslegungspraxis in den erzählenden Typen der Biblia pauperum: Dr. Malena Ratzke, Friedrich-Schiller-Universität Jena
11.00–11.30 Kaffeepause
11.30–12.30 Textphilologisches zu den "deutschen erzählenden Armenbibeln" (Gruppe B): Prof. Dr. Christoph Fasbender, TU Chemnitz
12.30–13.30 Mittagessen Catering
13.30–14.30 Visuelle Organisation und Narration in den Biblia-pauperum-Handschriften des sog. deutschen erzählenden Typs: Dr. Hanna Wimmer, Universität Hamburg
14.30–15.45 Die Biblia pauperum-Handschriften in Gotha und Jena. Maltechnik, Metalle, Farben – Materialverwendung zwischen Werkstattpraxis und Prestigedenken: Dr. Doris Oltrogge (TH Köln), Prof. Dr. Robert Fuchs (Göttingen)
15.45–16.15 Kaffeepause
16.15–18.00 Diskussion vor Originalen
Im Anschluss daran: Gemeinsames Abendessen der Referent:innen
01. Oktober 2025
09.00–10.00 Die Gothaer und Jenaer Armenbibelhandschriften als Vertreter des Deutschen Erzählenden Typs der Armenbibeln – Bildprogramm, Ikonographie und Stellung in der Bildtradition spätmittelalterlicher Handschriften: Dr. Berthold Kreß, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg
10.00–11.00 Biblia pauperum ausgeschmückt. Beobachtungen zum Stil in den Handschriften in Jena und Gotha: Dr. Pia Rudolph, KdiH, Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
11.00–11.30 Kaffeepause
11.30–12.30 Bibelübersetzungen im Spätmittelalter im Spiegel der Frömmigkeits- und Theologiegeschichte: Prof. Dr. Klaus Unterburger, LMU München
12.30–13.00 Abschlussdiskussion und Organisatorisches
Herzlichen Dank an die Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Förderung der Tagung.
Reference:
CONF: Didaktik und Augenlust: Biblia pauperum-Handschriften (Gotha, 29 Sep-1 Oct 25). In: ArtHist.net, May 10, 2025 (accessed May 11, 2025), <https://arthist.net/archive/49213>.