Die räumliche Logik der Stadt. Zum Tod von Cornelia Jöchner (1957–2025).
Die Stadt und der städtische Raum waren ihr Thema. Die Kunsthistorikerin Cornelia Jöchner erforschte die Gestaltung des Urbanen in einer historischen Perspektive und leistete damit grundlegende Beiträge zu gesellschaftspolitisch relevanten Debatten. Den urbanen Raum verstand sie stets als einen architektonisch definierten Begegnungsort, als einen offenen Raum, in dem sich Wege kreuzen. Im Sinne des spatial turn untersuchte sie städtisches Gefüge nicht nur in dessen gestalterischer Logik und aus der Perspektive der individuellen Wahrnehmung, sondern auch in deren politischen Bedeutungsebenen.
Nach dem Studium der Kunstgeschichte in Marburg hatte sie bei Wolfgang Kemp über Gartenkunst in Dresden promoviert, die Arbeit wurde unter dem Titel „Die ‚schöne Ordnung‘ und der Hof“ 1996 veröffentlicht. Sie war anschließend im Graduiertenkolleg „Politische Ikonografie“ an der Universität Hamburg tätig, ab 1999 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus. 2007 wechselte sie an das Kunsthistorische Institut in Florenz als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Direktionsabteilung von Alessandro Nova. Mit ihm zusammen gab sie 2010 den Band „Platz und Territorium. Urbane Struktur gestaltet politische Räume“ heraus, gefolgt von der 2012 veröffentlichten Datenbank „Piazza e monumento“. Im Umfeld dieser Forschungen zu frühneuzeitlichen Platzanlagen war auch die Habilitationsschrift angesiedelt, in der sich Cornelia Jöchner mit den städtebaulichen Folgen der Entfestigung europäischer Städte am Beispiel von Turin auseinandersetzte. Die Schleifung der historischen Festungsanlagen, die in Turin und anderswo zu Boulevards, Parkanlagen oder Wohnquartieren transformiert wurden, diente nach ihrer Lesart „zur Herstellung und Einrichtung von Raum“. Diese Entwicklung sah sie in einem 2003 veröffentlichten Aufsatz in unmittelbarer Beziehung zum modernen urban sprawl und damit zur Globalisierung, womit sie die Relevanz des Historischen für die Gegenwart deutlich machte. Diese Forschungen wurden Teil der 2012 erschienenen Habilitationsschrift „Gebaute Entfestigung. Architekturen der Öffnung im Turin des frühen 18. und 19. Jahrhunderts“. Zentrales Thema ist dabei auch die Definition von „territorium“, von Grenzverläufen in der Landschaft und von Herrschaftsansprüchen. Ihre Überlegungen zur symbolischen und fortifikatorischen Funktion von Architektur und zur Reklamation von Territorium erscheinen dabei aus aktueller tagespolitischer Perspektive erschreckend gegenwärtig.
Bereits 2011 war Cornelia Jöchner einem Ruf auf eine Professur an die Ruhr-Universität nach Bochum gefolgt. Hier erweiterten sich ihre Interessen zunehmend in Richtung der Moderne, etwa mit einem 2015 erschienenen Band zur Architektur und Freiraumplanung des Bochumer Universitätscampus (gemeinsam mit Richard Hoppe-Sailer und Frank Schmitz herausgegeben). Zusammen mit den Bochumer Studierenden stritt sie vehement für den Erhalt der denkmalgeschützten Betonbauten. Den zentralen Platz des Hochschulcampus, der so gar nichts mit der malerischen Schönheit gewachsener Ortsbilder gemeinsam hat, verstand sie dabei als einen baulich konturierten Begegnungsort. Nach ihrer Lesart kulminierte hier die „räumliche Logik des Bochumer Campus“.
Die Architekturforscherin machte damit deutlich, dass die kunsthistorisch grundierte Architektur- und Raumforschung Grundlegendes beiträgt zum Verständnis des gebauten Raums, der uns alltäglich umgibt. Erst kürzlich erschienen die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu musealen Architekturdörfern, die um 1900 auf internationalen Ausstellungen etwa in Turin und Budapest entstanden waren. Am Beispiel dieser malerisch-historisierenden Architekturkulissen führte Jöchner vor Augen, welche Rolle die gebaute Umwelt für eine kollektive Identitätsstiftung und eine staatliche Selbstvergewisserung spielen kann. Damit berührten ihre Forschungen stets auch aktuelle Diskurse etwa mit Blick auf denkmalpflegerische Fragestellungen und den Umgang mit dem urbanen Raum insgesamt. Dessen Zukunft sah sie bis zuletzt optimistisch: Zuversicht war ein zentrales Thema ihres letzten Gesprächs mit dem Autor dieser Zeilen. Es fand wenige Wochen vor ihrem Tod auf einer Parkbank im Kleinen Tiergarten in ihrer Wahlheimat Berlin statt, eingezwängt zwischen mehrspurigen Straßen. Als Begegnung im städtischen Raum.
Quellennachweis:
Cornelia Jöchner (1957–2025). In: ArtHist.net, 21.03.2025. Letzter Zugriff 23.03.2025. <https://arthist.net/archive/44871>.