Architekturgeschichte – Geschichtlichkeit der Architektur – Geschichtlichkeit der Architekturgeschichte.
Seit der Jahrtausendwende ist die Geschichtsschreibung der Architektur und ihrer Theorie einem radikalen Wandel unterworfen. Auf dem Rückzug befinden sich kunstgeschichtliche Nomenklaturen, Baukunst-Geschichte, Stilgeschichte, Struktur- und Werkanalysen, Architektenkult, die zumeist auf engen Verständnissen von Architektur, Geschichte und Theorie basieren. Statt dessen nehmen wir eine fortschreitende Erweiterung des konzeptionellen Denkens über Architektur wahr. Dieses neue Verständnis wird methodisch als Erleben, als Narration, als Rekonstruktion, Ekphrasis, Spiel mit philosophischen Themen und als Kritik an politischen, ideologischen, kolonialen und geschlechtsspezifischen Machtstrukturen verfolgt; meist mit einem reduzierten Bezug zur Gegenwart und ohne ein klares theoretisches Konzept von Geschichte.
Die Kurator:innen des neuen Hefts von Wolkenkuckucksheim|Cloud-Cuckoo-Land|Воздушный замок (W|C|B) suchen Autor:innen, die mit ihren Beiträgen die breite Palette unterschiedlicher Methoden der Architekturgeschichte diskutieren und dabei erkenntnistheoretische Prämissen, Modelle und Zeitlichkeiten der Architekturgeschichte kritisch hinterfragen. Essays können unter anderem den folgenden Fragen nachgehen, sowohl als grundsätzliche Erörterung als auch anhand von Beispielen:
Was ist Architekturgeschichte?
Unterstützt oder behindert Architekturgeschichte das Verstehen von Architektur? Ist Architekturgeschichte fundiert in Architekturtheorie oder Architekturtheorie in Architekturgeschichte?
Ist Architekturgeschichte mono- oder multidisziplinär? Wozu brauchen Architekturschaffende Architekturgeschichte, und was machen sie mit ihr? Gibt es eine Architekturgeschichte ohne Architekt:innen, wie es eine ‚Architektur ohne Architekten‘ (Rudofsky) gibt? Gibt es eine Architekturgeschichte ohne Architekturhistoriker:innen?
Generiert die (geschichts-)wissenschaftliche Zuwendung zur Architektur die Architekturgeschichte oder ist die Architektur selbst ‚geschichtlich’? Können wir durch gebaute Räume ‚Geschichte‘ erfahren, und wenn ja, wie? Welche Bedeutung hat die Geschichtlichkeit der Bauwerke für das Verstehen architektonischer Phänomene? Geht es in der Architekturgeschichte um das, was jetzt geschieht, was geschehen ist oder was geschehen wird? Oder um freie Narration?
Zeitlichkeit und Zeitgebundenheit der Architekturgeschichte
Wie überhaupt hat Zeit mit Geschichte zu tun? Ist Architekturgeschichte Ereignisgeschichte? Können also Architekturen auf ihren Entstehungsmoment reduziert und über die Zeit immerfort als Immergleiche genommen werden? Oder können Architekturen auf ihre aktuelle Präsenz im heutigen Geschehen reduziert werden, im Sinne eines ‚present turn’?
Könnte es in der Architekturgeschichte vielmehr um die „durée“ gehen - also um die synchrone und dia-chrone Teilhabe architektonischer Phänomene am Geschehen über die Zeit?
Wären – zum Verstehen der Architekturen – neben Retrospektiven nicht auch Prospektiven erforderlich? Bei denen es innerhalb einer noch zu entwickelnden Methode begründeter Vermutungen (grounded speculations) um die Möglichkeiten der Vorauserkenntnis zukünftiger Realitäten eines Werkes in allen konstruktiven, funktionalen, künstlerischen Hinsichten geht (wie es in ökologischer Hinsicht bereits geschieht)? Geht es – um hier auch Diskussionen innerhalb der Denkmalpflege anzusprechen - um Zukunft, die Vergangenheit braucht, um Vergangenheit, die Zukunft braucht, um Vergangenheit, die vergangen ist und um Zukunft, die rechtzeitig erkannt werden sollte?
Medien der Architekturgeschichte
Wer – wissenssoziologisch gefragt – schreibt wie und auf welcher methodologischen Basis Architekturgeschichte?
Welche Interpretationen erfahren die Phänomene durch ihre nachträglichen Bezeichnungen und visuellen Darstellungen? Welche Textgattungen gibt es? Wie gehen wir beispielsweise mit literarischen Beschreibungen oder Mitschriften von Bewohnerbefragungen um? Welche Rolle spielen in einer am Verstehen und strukturierenden Ordnen orientierten Architekturgeschichte die Erkenntnismedien Bauaufnahme, Exkursion, Promenadologie, ‚field studies‘ usw.? Wie modulieren Vorträge und die dabei verwendeten Bildmedien die Geschichtlichkeit von Architekturen?
Beiträge geschichtsphilosophischer und architekturtheoretischer Art sind ebenso willkommen wie direkte Beispiele historischer Architekturen, deren Interpretation durch die Zeit hindurch stetem Wandel ausgesetzt waren und sind. Globale Perspektiven sind explizit willkommen. Bitte schicken Sie uns Ihr Abstract bis zum 31. Mai 2024 an: reviewcloud-cuckoo.net
Wolkenkuckucksheim | Cloud-Cuckoo-Land | Воздушный замок (W|C|B). Internationale Zeitschrift zur Theorie der Architektur Jg. 28 | Heft 45 | 2024
kuratiert von Sylvia Claus, Eduard Führ, Ute Poerschke
Bitte beachten Sie auch ‚Über Wolkenkuckucksheim‘: https://cloud-cuckoo.net/de/in-den-wolken/ueber-wolkenkuckucksheim
https://cloud-cuckoo.net/fileadmin/hefte_de/heft_45/cfa_heft_45.pdf
https://cloud-cuckoo.net/fileadmin/issues_en/issue_45/cfa_issue_45.pdf
Reference:
CFP: Geschichtlichkeit der Architekturgeschichte. In: ArtHist.net, Apr 27, 2024 (accessed Mar 19, 2025), <https://arthist.net/archive/41753>.