CFP 15.10.2022

membra(I)nes (Halle/Leipzig, 15-17 Jun 23)

Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle & Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 15.–17.06.2023
Eingabeschluss : 15.12.2022

Susanne Huber

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membra(I)nes - 12. Jahrestagung der Fachgesellschaft Gender Studies

Organisiert von Yeşim Duman, Antke Antek Engel, Susanne Huber, Katrin Köppert, Isabel Lewis, Friederike Nastold, Lars Paschke

Call for Contributions

Keine Lebewesen ohne Zellmembranen. Die Membran stellt eine Gemeinsamkeit zwischen Einzellern, Pflanzen sowie menschlichen und nichtmenschlichen Tieren dar. Hilft uns das Konzept der Membran daher, anthropozentrisches Denken zu überwinden? Und wenn ja, wie trägt es dazu bei, Hierarchien und Machtungleichgewichte unter Menschen zu problematisieren sowie die dekoloniale Kritik am Diskurs des Posthumanen in den Gender Studies und Feminist Science and Technology Studies zu forcieren? Kann ein queer-theoretisches Verständnis des Begehrens bzw. eine Schwarze feministische Auffassung von Erotik dazu beitragen, neue, unerwartete Verbindungen zwischen diesen Beziehungen und Umwelten zu knüpfen?

Hat die Membran also das Potenzial, in wissenschaftlichen und künstlerischen Untersuchungen als Konzept-Metapher oder Modell zu fungieren? Diese Frage nimmt die Tagung "membra(I)nes" zum Ausgangspunkt, um intersektionale und transdisziplinäre Zugänge zu eröffnen und diesen in experimenteller Weise nachzugehen.

Gleichzeitig schreiben wir "membra(I)nes" und lenken damit die Aufmerksamkeit auf das Gehirn und Denkvermögen. Mit diesem Verweis werfen wir die Frage auf, wie Prozesse der Subjektkonstituierung oder der Herausbildung eines Ichs im Kontext der Auflösung starrer Grenzziehungen zwischen Mensch, Pflanze und Tier untersucht und verhandelt werden können. Ließe sich das Gehirn in einem solchen Kontext nicht selbst als Membran figurieren und mithin das Denken als Fähigkeit der Abtrennung und Schwingung, der Umhüllung und Durchlässigkeit? Rücken damit nicht auch sensorische und affektive, technologische und medienkulturelle, performative und künstlerische Dimensionen in den Fokus, die durch Beziehungen und Umwelten geformt sind?

Die Tagung ist ebenso interessiert an biologischen und physikalischen Aspekten der Membran wie an der Membran als Konzept-Metapher für soziale, kulturelle und politische Prozesse: Unterschiedliche Austauschprozesse und Grenzen, Berührungen und Bewegungen – durch Hindernisse hindurch – lassen sich über Speziesgrenzen hinweg im Hinblick auf diese verschiedenen Dimensionen befragen. Was erzählt uns die Membran als eine selektierende Barriere, aber auch in der sensorisch-akustischen Dimension vibrierender Haut darüber, wie wir die Welt, wie wir Geschlecht, Sexualität und Körper, Begehren und Intimität wahrnehmen? Wie wird (Geschlechter-)Wissen – membranvermittelt – gewonnen und produziert? Inwiefern beeinflusst ein Denken mit der Membran bzw. ein Denken als Membran die Art und Weise, wie soziale Welten und politische Prozesse verstanden und organisiert werden?

Neben den Biomembranen gibt es zahlreiche künstliche Membranen, die zum Teil dem Alltagsleben entstammen, zum Teil hochtechnologische Formen annehmen, die industriell zum Einsatz kommen oder auch Synthesen mit Lebewesen eingehen. In einfacher Form, nämlich als schwingende Hautmembran, spielen diese in Musik- und Klanginstrumenten eine jahrtausendealte Rolle. Kleidung und Mode fungieren als Membran zwischen Körpern, schützen, kommunizieren und verhandeln gesellschaftliche Werte. Künstlerische Praxen bedienen sich der Membran als Material sowie Werkzeug und eröffnen Wissensproduktionen auch jenseits des Verbalen. Mit Blick auf die Materialhaftigkeit von Membranen sind wir mit Fragen der Nachhaltigkeit konfrontiert, nicht nur in der künstlerischen Praxis, sondern im Alltag im Umgang mit Kleidung, Verpackungen und allen anderen Hüllen (Autos, Flugzeugkabinen), deren Porosität im Sinne ihrer Ausdünstungen oder mikroplastischen Verunreinigungen konstituierend für den Klimawandel ist. Auch hier stellt sich die Frage, inwiefern sich die Metapher der Membran für Umkodierungen eignet: Denn mit jeder Durchlässigkeit gerät auch etwas in Schwingung, was Resonanzen erzeugt, deren Potenzialitäten es herauszufinden gilt.

Die Bildhaftigkeit der Membran allein, aber auch der spielerisch-ästhetische Versuch des Jahrestagungsthemas "membra(I)nes" sollen als eine Einladung verstanden werden, Einreichungen gleichermaßen experimentell anzugehen. Wissenschaftliche, künstlerische, kulturelle und aktivistische Herangehensweisen sollen auf der Tagung in gleichberechtigter Weise zusammenkommen. Sowohl organisatorisch als auch durch den Call for Contributions suchen wir nach Formen und Beiträgen, die diese Begegnung unterstützen. Wissenschaftliche Einreichungen können daher auch auditiv oder performativ sein, künstlerische wiederum forschungsorientiert. Es ist möglich, Panels als Sit-Ins zu gestalten, oder Dialoge als Tanz-Duell, Einzelvorträge können Drag-Performances sein und Podien eine Inszenierung. Künstlerische Arbeiten dürfen eine Lecture sein, Fotografien eine wissenschaftliche Bildstrecke usw.

Wir sind auf Eure/Ihre Ideen neugierig und freuen uns über das Interesse an der ersten Jahrestagung in der Geschichte der Fachgesellschaft, die an zwei Standorten und darüber hinaus an Kunsthochschulen sowie im ehemaligen Osten stattfinden wird und sich daher gewissermaßen selbst an Grenzen abarbeitet, zwischen Städten, politischen Systemen und akademischen Räumen.

Wir suchen Beiträge, die in die Richtung der nachfolgende Themenfelder gehen und darüber hinaus denken:

- Membran als Grenzregime: Ausschluss, Selektion, Begegnung, Austausch
- Rethinking Race: Haut als Transferzone der Rassisierung und ihrer Verschiebung
- Körper-/Geschlechtergeschichten der Membran: Hymen, Vorhäute, Zellen usw.
- teildurchlässige Politiken der Evidenz (in der Kritik: Blutsgemeinschaften, Nachweispflicht im Kontext sexueller Gewalt, Juridifizierung von Trans- und Intergeschlechtlichkeit)
- vergeschlechtlichte, sexualisierte, rassifizierte und eugenische Biologien des Gehirns
- affektives, sensorisches Wissen Künstlicher Intelligenz / Queer-feministische Kritik und Potenziale Künstlicher Intelligenz als sensing/affective media
- künstlerische Verfahren und Materialien, in denen die Qualitäten des Membranischen aufgerufen sind
- künstlerische Praxen, die mit Resilienzen, Infiltrierungen oder Filtern arbeiten
- Begehren als Prozess, der auf Durchlässigkeit zwischen Physiologischem, Symbolischem, Sozialen und Phantasie beruht
- Vergeschlechtlichungen von Infrastruktur / queer-feministische Re-Kodierungen der Infrastruktur von Arbeit, Institutionen, Digitalität, Verkehr
- Membran als Zwischenräumlichkeit & Zwischenzeitlichkeit / Re-Konfiguierungen von queer time, safe space usw.
- Membran als Raum des Dazwischen: What's queer after non-binary?

Vorschläge für Einzelbeiträge, Workshops, (AG-)Panels (mit Titeln der Einzelvorträge) und experimentelle Formate können als Abstracts von max. 300 Wörtern (bei Bildmaterial max. 5 Seiten als komprimiertes PDF) bis zum 15.12.2022 an die folgende E-Mail-Adresse eingereicht werden: membraines(at)gender-queer.de

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membra(I)nes - 12. Gender Studies Association Annual Conference

Organized by Yeşim Duman, Antke Antek Engel, Susanne Huber, Katrin Köppert, Isabel Lewis, Friederike Nastold, Lars Paschke

Call for Contributions

Every living being comes with cell membranes. The membrane represents a common feature of unicellular organisms, plants, and human and non-human animals. Can the concept of the membrane therefore help us overcome anthropocentric thinking? And if so, how does it allow to address hierarchies and power imbalances among humans? Can it mobilize decolonial critiques of a posthumanist discourse as a model to thinking in gender studies and feminist science and technology studies? Will a queer understanding of desire or a Black feminist understanding of eroticism help us to draw new, unexpected connections between these relationships and environments?

Does the membrane thus have the potential to function as a concept-metaphor or model in scholarly and artistic investigations? The conference "membra(I)nes" poses this question as a starting point to open up intersectional and transdisciplinary approaches and to pursue them in an experimental way.

At the same time, by writing "membra(I)nes" we direct epistemological attention towards the brain and intellectual capacities. Through this connection, we raise the question of how processes of subject constitution or the formation of an “I” can be investigated and negotiated amidst a sweeping dissolution of rigid boundaries between humans, plants, and animals. In this context, we wonder if even the brain could be figured as a membrane, and thus thinking would constitute a capacity of separation and oscillation, of envelopment and permeability? How could this idea bring into focus sensory and affective, technological and media-cultural, performative and artistic dimensions, as they are shaped by relationships and environments?

The conference is interested in biological and physical aspects of the membrane as well as in the membrane as a conceptual metaphor for social, cultural, and political processes: Various processes of exchange and boundaries, touching and movement – through barriers – can be interrogated across species in terms of these different dimensions. What does the membrane as a selective barrier, but also in the sensory-acoustic dimension of vibrating skin, tell us about how we perceive the world, how we perceive gender, sexuality and bodies, desire and intimacy? How is (gender) knowledge – membrane-mediated – gained and produced? In which ways can thinking with, or thinking as a membrane, influence our understanding of social worlds and political processes?

In addition to biological membranes, there are numerous artificial membranes: Some originate from everyday life, some take on highly technological forms; some are used industrially or connect to living beings. In simple form, namely as a vibrating skin membrane, they are part of an ancient tradition of musical and sound instruments. Clothing and fashion function as membranes between bodies, protecting, communicating, and negotiating social values. Artistic practices use membranes as a material as well as a tool and engender productions of knowledge beyond the verbal. Regarding the materiality of membranes, we are confronted with questions of sustainability, not only in artistic practice, but in everyday life, too. In dealing with clothing, packaging, and all other envelopes (cars, airplane cabins) whose porosity in the sense of their evaporation or microplastic contamination is constitutive for climate change, the membrane is present. Here again the question arises to what extent the metaphor of the membrane is suitable for de- or re-coding the present world: For with every permeability, something also starts to vibrate, generating resonances whose potentialities need to be figured out.

The pictorial quality of the membrane, but also the playful aesthetic attempt of the annual conference theme "membra(I)nes" issues an invitation to approach submissions in an equally experimental way. Scholarly, artistic, cultural, and activist approaches come together on equal terms. Both organizationally and through the call for contributions, we are looking for formats and proposals that support this encounter. Scholarly submissions can therefore also be sonic or performative, artistic ones in turn research oriented. It is possible to design panels as sit-ins, or dialogues as dance duels, individual lectures can be drag performances and podiums a staging. Artistic works may be a lecture, photographs an scholarly picture series, etc.

We look forward to your participation in the first annual conference in the history of the society that takes place at two different locations. Being furthermore hosted by a Kunsthochschule (art school, instead of a university) and in the former East for the first time, the conference in a way works itself on borders, between cities, political systems, and academic spaces.

Contributions may take up or exceed the following subjects:
- Membrane as border regime: exclusion, selection, encounter, exchange
- Rethinking Race: skin as a transfer zone of racialization and its displacement
- Body/gender histories of the membrane: hymens, foreskins, cells, etc.
- Partially permeable politics of evidence (under critique: blood communities, obligation to provide evidence in the context of sexual violence, juridification of trans and intersex)
- Gendered, sexualized, racialized, and eugenic biologies of the brain
- Affective, sensory knowledge of artificial intelligence / queer-feminist critique and potentials of artificial intelligence as sensing/affective media
- Artistic practices and materials in which the qualities of the membranous are invoked
- Artistic practices that work with resiliencies, infiltrations or filters
- Desire as a process based on permeability between the physiological, symbolic, social and imaginative
- Gendering of infrastructure / queer-feminist re-codings of the infrastructure of work, institutions, digitality, transportation
- Membrane as in-between spatiality & in-between temporality / re-configurations of queer time, safe space, etc.
- Membrane as space of in-between: What's queer after non-binary?

Please submit your proposal for single-contributions, workshops, panels (with titles of the papers presented), and experimental formats as abstract (300 words max.; applications through visual material should not exceed five pages of a compressed PDF-file) until Dec 15, 2022, to the following address: membraines(at)gender-queer.de

Quellennachweis:
CFP: membra(I)nes (Halle/Leipzig, 15-17 Jun 23). In: ArtHist.net, 15.10.2022. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/archive/37675>.

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