CFP 05.02.2007

Maria in der Krise (Muenchen, 25-27 Jul 07)

Agnieszka Gasior

Call for Papers (Deadline: Ende Februar 2007)

"MARIA IN DER KRISE" - GESELLSCHAFTSPOLITSCHE INSTRUMENTALISIERUNG EINER
RELIGIÖSEN SYMBOLFIGUR ZUR ZEIT DER KONFESSIONALISIERUNG UND IM
POSTKOMMUNISTISCHEN TRANSFORMATIONSPROZESS IN OSTMITTELEUROPA

Internationale Tagung der Projektgruppen "Erinnerungskultur" und
"Konfessionalisierung" am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und
Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) in Kooperation mit
dem Ungarn-Institut München

Tagungsort und -zeit: München, 25.-27. Juli 2007
Organisation: Agnieszka Gasior und Stefan Samerski

Die Geschichtskulturen vieler ostmitteleuropäischer Staaten sind vom
Katholizismus geprägt. Für diesen ist der Marienkult signifikant wie kein
anderer; er nahm teilweise sogar auf die Bildung der nationalen Identitäten
bedeutenden Einfluß (Polen, Ungarn etc.). Der besondere Stellenwert der
Marienfrömmigkeit in den katholischen Ländern geht auf historische Prägungen
seit der Gegenreformation zurück, die bis heute nachwirken. Grundlegend
hierfür war die Konfessionalisierung - ein religiöser wie
gesellschaftspolitischer Fundamentalprozess des 17. Jahrhunderts, der nach
der umfassenden Krise der Reformation (auch hinsichtlich der
Heiligenverehrung) eine weitgehend neue kulturelle Basis schuf, die an Altes
anknüpfte. Auch nach der politischen Wende von 1989/91 setzte eine
Neubesinnung ein, und zwar auf vorkommunistische Identitätsträger, unter
denen der Marienkult eine vorrangige Rolle einnahm. Ein Vergleich zwischen
diesen beiden geschichtsbezogenen "Konstrukten" mit neuer Funktionalität
bietet sich daher an.

Die katholische Konfessionalisierung, die vom Landesherrn, vom Hochadel, von
der Römischen Kurie und den Reformorden getragen wurde, griff nach der Krise
der Reformationen mittelalterliche Frömmigkeitsformen auf, die mit neuen
Inhalten versehen, häufig von oben nach unten institutionalisiert wurden.
Diese Inhalte hatten bewusst konfessionelle wie gesellschaftspolitische
Relevanz und sollten einen Beitrag zur Sozialdisziplinierung leisten. In
diesem Kontext kam der Marienverehrung seit dem 17. Jahrhundert eine
Schlüsselrolle zu, da sie nicht nur die neue, dogmatisch verfasste Kirche
nach dem Konzil von Trient verkörperte, sondern zur wichtigsten und
theologisch aufgeladenen Frömmigkeitsform wurde, die buchstäblich den
gesamten katholisch-konfessionellen Raum erfasste (Kirchenpatrozinien,
Bruderschaften, Wegkreuze etc.). Häufig verwiesen neue Inhalte der
Marienverehrung (Immaculata etc.) nicht nur auf eine erneuerte Kirche,
sondern auch auf die Promotoren/Träger des neuen Kultes (Orden, einzelne
Kleriker) sowie den Landesherrn, dessen Regierung sakral überhöht wurde. Die
neuen Frömmigkeitsformen legen damit nicht nur die neuen selbstverstandenen
Identitäten frei, sondern auch die Krisensituation der Umbruchzeit.

In Ostmitteleuropa gewann Maria im 19. und 20. Jahrhunderts erneut an
Aktualität, als im Zuge der Nationsbildungsprozesse die staatenlosen
Nationalismen dieser Region zunehmend auf den Rückhalt der Religion(en) bzw.
Kirche(n) bauten. Die Muttergottes entfaltete in diesem Zusammenhang ihre
Symbolwirkung als Identifikationsfigur für nationale Geschichtsdeutungen -
im inklusiven wie im exklusiven Sinne. Als einigendes und legitimierendes
Symbol stand sie für Daseins- bzw. Souveränitätsberechtigung der unter
fremden Herrschaft stehenden/leidenden Nationen (z.B. Polen und Kroaten).
Die kommunistischen Diktaturen, die die Gesellschaften Ostmitteleuropas als
gemeinsame Erfahrung prägend erlebten, stellten die religiösen
Frömmigkeitspraktiken und konfessionellen Bindungen einerseits radikal in
Frage und versuchten diese andererseits durch die "zivile Religion" des
Kommunismus zu ersetzen. Trotz der Verstaatlichung, Kollektivierung und
politischen Gleichschaltung unter den kommunistischen Regimen blieben
dennoch marianische Frömmigkeitsformen als mentale Prägungen in den
katholischen Ländern Ostmitteleuropas bestehen, bisweilen gewannen sie sogar
an politischer Brisanz. Der Systemwechsel von 1989/91 war dann häufig mit
einem Bedeutungszuwachs von Religion und Kirche verbunden. Vor dem
Hintergrund des politischen Umbruchs erlebte auch die Symbolfigur Maria eine
mit der Gegenreformation zu vergleichende Renaissance. In der Folge trat die
Marienverehrung aus ihrem angestammten religiösen Kontext heraus und wurde
vor allem politisch, gesellschaftlich und sogar wirtschaftlich verstärkt
instrumentalisiert.

Im Epochenvergleich kristallisiert sich Folgendes heraus: Die
gesellschaftspolitischen Funktionalisierungen des Marienkultes gewannen nach
den "Krisenzeiten" religiöser und politischer Wertesysteme besonders an
Bedeutung und Brisanz. Krisen und deren Überwindung bilden somit den
Hintergrund für unsere diachron und synchron ausgerichtete, komparatistische
Fragestellung. Der Fokus liegt dabei auf den Antagonismen von Reformation -
Gegenreformation sowie Kommunismus - Postkommunismus, in denen der Einbruch
sowie die Wiederbelebung des Marienkultes besonders greifbar werden. In
vergleichender Perspektive sollen die Länder Ostmitteleuropas im 17. und 20.
Jahrhundert betrachtet werden im Hinblick auf die Frage nach den Trägern und
Inhalten der Instrumentalisierung von genuin katholischen
Frömmigkeitsformen. Dabei sollen staatlich-nationale Bezüge ebenso eine
Rolle spielen wie regionale (Wallfahrten etc.). Wann und in welchem Kontext
trat Maria verstärkt als Trägerin gesellschaftspolitischer Funktionen und
Identitäten hervor, welche Trägergruppen und Interessen standen dahinter und
welcher Medien bedienten sie sich? In diesem Zusammenhang ist die Rolle von
visuellen und "schriftlichen" Kulturen in den Konnotierungsprozessen von
besonderem Interesse. Es gilt ferner zu fragen, inwiefern sich seit der
Gegenreformation Kontinuitäten aufzeigen lassen. Wo kam es hingegen zu
Traditionsbrüchen und gezielten Traditions-Neugründungen?

Die Tagung versteht sich als internationale Fachtagung mit explizit
interdisziplinärer Ausrichtung. Erbeten sind Beiträge von 20 Minuten, die
entweder das 17. oder das 20./21. Jahrhundert behandeln. Sie können entweder
einen landesbezogenen Überblickscharakter oder den einer Mikrostudie haben,
müssen aber in jedem Fall auf Vergleichbarkeit angelegt sein.

Vorschläge in Form von Papers (max. 2 Seiten) werden bis Ende Februar 2007
an folgende Adressen erbeten:
gasiorrz.uni-leipzig.de
samerskirz.uni-leipzig.de

Informationen zu den Projekten www.uni-leipzig.de/gwzo

Quellennachweis:
CFP: Maria in der Krise (Muenchen, 25-27 Jul 07). In: ArtHist.net, 05.02.2007. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/archive/28956>.

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