28.02.2002

Re: REZ Boehmische Bildstickerei um 1400

Evelin Wetter, Abegg-Stiftung

Erwiderung auf die Rezension des Buches von Evelin Wetter "Boehmische
Bildstickerei um 1400. Die Stiftungen in Trient, Brandenburg und Danzig"
durch Barbara Eggert
(vgl. http://www2.h-net.msu.edu/reviews/showrev.cgi?path=279301014219637)

Aepfel mit Birnen vergleichend, scheint Barbara Eggert in ihrer Rezension
ganz offensichtlich statt von einem Buch ueber boehmische Bildstickerei um
1400 von einer allgemeineren Arbeit ueber Paramente auszugehen. Nach ihrer
Darstellung sei es mein "Anliegen [...], fuer die [...] ausgewaehlten
Paramente [sic!] 'die historischen Zusammenhaenge, d. h. den Anlass der
Stiftung, die moegliche Intention des Auftraggebers, die Funktion der mit
den Stickereien geschmueckten Paramente etc., auf die ikonographische,
kompositionelle und stilistische Erscheinung derselben zu beziehen.' (S.
08)." Anstelle "Paramente" muesste es heissen 'Stickereien', und darueber
hinaus beschreibt das Zitat auch nicht die "Anliegen", sondern den
methodischen Ansatz. Dieses Missverstaendnis bedarf der Korrektur.
Klarzustellen ist das Ziel meiner Untersuchung, den zwar prominenten, jedoch
in seiner Komplexitaet nur schwer fassbaren Objektkreis der boehmischen
Bildstickerei wieder in eine Diskussion der Kunst um 1400 zurueckzufuehren
(S. 7ff): ein Objektkreis, der aufgrund einer v.a. einzelne Gattungen
fokussierenden Kunstgeschichtsschreibung, aber auch vor dem Hintergrund der
Problematik ostmitteleuropaeischer Kunsthistoriographie nahezu gaenzlich aus
dem Blickfeld verschwunden war. Gattungsuebergreifend sollten neben
Skulptur, Malerei u.a. endlich auch die im Werkprozess damit eng
verknuepften Stickereien einbezogen werden. Da aber in Prag als dem Zentrum
v.a. wegen der Hussitenstuerme fast keine Stickereien ueberliefert sind,
obwohl etliche aus stilistischen Gruenden hier entstanden sein muessen,
wurden drei exemplarische Stiftungskomplexe an der Peripherie des Reichs
gewaehlt, um so mit unterschiedlichen Auftrags- und Entstehungssituationen
von der Einzelfertigung eines umfangreichen Zyklus bis hin zur
Serienproduktion fuer den Export auf das breite Spektrum des Prager
Potentials und seine Ausstrahlung rueckzuschliessen. Gleichzeitig galt es,
die diversen Rezeptionsbedingungen und -formen boehmischer Kunst
darzustellen, um auf diese Weise die Bedeutung der Stiftungen auch fuer die
lokale Entwicklung Trients, Brandenburgs und Danzigs zu erhellen (S. 9). Der
Schwerpunkt liegt also auf der boehmischen Bildstickerei im besonderen,
nicht auf der Paramentik im allgemeinen, wie Frau Eggert glauben macht.
Diesbezueglich kann auf die fundierten Arbeiten Joseph Brauns und nun auch
den konzisen Ueberblick Karen Stolleis' zurueckgegriffen werden.(1)

Auf der Basis dieser Missdeutung der Grundkonzeption meiner Untersuchung
moniert die Rezensentin recht vehement eine ihrer Ansicht nach fehlende
Definition des Begriffs der Funktion. Tatsaechlich moechte ich meinen
"derartig unpraezise" genutzten Funktionsbegriff als im besten Sinne 'offen'
beschreiben: eben in Hinblick auf eine Vielgestalt der Funktionen, die doch
immer auch den verschiedenen Stifterintentionen unterliegt, des weiteren im
Wissen um die Problematik der konkret hinzugezogenen Quellen. Nur selten ist
die Nutzung/Funktion anhand der fuer den Ort geltenden Quellen wirklich
eindeutig zu bestimmen. Zumeist handelt es sich um komplizierte
Indizienbeweise, fuer die, wie im Fall Trients und Brandenburgs, ganz
unterschiedliche Quellengattungen - Inventare, liturgische Handschriften,
nicht zuletzt die Gestalt der Objekte selbst - herangezogen werden muessen
(S. 30ff, 67ff). So ist etwa der am Brandenburger Domstift und nicht einmal
explizit fuer den Gebrauch im Dom geschriebene Liber Ordinarius in seinen
Anweisungen kaum detailliert auf die dort gestifteten Chormaentel zu
beziehen. Notwendig war also der Nachweis einer Korrelation von
mutmasslicher Nutzung, Farbe und Bildprogramm (S. 67ff), in deren Konsequenz
auf eine gezielte Koordination sowohl der Stiftung Friedrichs I. von
Hohenzollern als neuem Landesherrn wie auch der des Dompropstes Nikolaus von
Klitzing zu schliessen war (S. 91). Tatsaechlich scheint die Beschaeftigung
mit dem Gesamtbestand des Brandenburger Schatzes, ueber den derzeit ein
Katalog zur Publikation vorbereitet wird, eine solche Konstitution und
Pflege des Paramentenschatzes zu bestaetigen. Doch ist dies nur ein
begleitendes Ergebnis, so dass ich mich in der vermeintlich geaeusserten
These, "dass den beiden Stiftern [der Brandenburger Chormaentel] lediglich
[sic!] daran gelegen war, 'spezifische Defizite des Paramentenschatzes' (S.
113) auszugleichen", kaum wiedererkennen mag. Aus dem prononciert
vergleichenden Schlussteil zitierend, unterschlaegt die Rezensentin die
differenzierte Darstellung der eigentlichen Stiftermotivationen weiter vorne
(S. 85ff).

Eggerts gewichtig vorgebrachte Kritik an einer vermeintlich "isolierte[n]
Betrachtung der Paramente" ist letztlich eine Kritik an der nur
fragmentarischen historischen Ueberlieferungssituation selbst. Bereits ein
fluechtiger Blick in die entsprechenden Denkmaelerinventare belegt, dass
hier die uebrige Altar- und Kirchenausstattung der Zeit um 1400 zumeist
ueberhaupt nicht erhalten und wenn, dann schwerlich aufeinander zu beziehen
ist. Dementsprechend kann sie nur unter erweitertem Blickwinkel, etwa in
Kapiteln ueber den Stifter Georg von Liechtenstein (S. 54ff) oder die
"Rezeptionsformen boehmischer Kunst in der Mark Brandenburg" (bes. S. 83f)
einbezogen werden.

Fehlende Sachkenntnis offenbart der Vorwurf, ich verzichte "[...] gar auf
die Nennung der Altaere, denen die Paramente zugeordnet waren." Tatsaechlich
ist es bei Domschaetzen wie jenen in Trient und Brandenburg - anders bei
Pfarrkirchen - aufgrund einer zentralen Aufbewahrung in der Regel schlicht
nicht moeglich, die Paramente einzelnen Altaeren zuzuschreiben. Die zur
Verfuegung stehenden Quellen sind zudem vollstaendig ausgewertet und zitiert
(S. 30ff, 65ff, 92ff, 99f). Eines Versaeumnisses, die in den Gewaendern
vollzogenen Handlungen nicht bestimmt zu haben, bin ich mir nicht bewusst.
Abgesehen von der mit Braun seit 1907 in konkretem Nutzungszusammenhang wie
in symbolischer Auslegung greifbaren Funktion, mutet der Hinweis auf die
Messallegoresen "von Amalar bis Durandus von Mende" in diesem Zusammenhang
geradezu wie ein Gemeinplatz an. Einer Erkundung der Zusammenhaenge der
Stickerei und ihren Entstehungsbedingungen in Prag um 1400 duerften sie sich
in diesen konkreten Faellen kaum dienlich erweisen.

Im weiteren zeigen kleine Fehler wie Verwechslungen von Jahrhunderten,
Heiligen und Wuerden der Stifter bis hin zu falsch zitierten
Autorennamen(2), dass die Lektuere in Teilen offenbar recht fluechtig
erfolgte und die Rezension eher mit Blick auf Schaerfung eigener
Fragestellungen verfasst wurde.

Anmerkungen:

(1) Joseph Braun, Die liturgische Gewandung im Occident und Orient. Nach
Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, Freiburg im Breisgau
1907. - Karen Stolleis, Messgewaender aus deutschen Kirchenschaetzen vom
Mittelalter bis zur Gegenwart. Geschichte, Form und Material, Regensburg
2001.
(2) Die ausgewerteten Prager Inventare entstanden v.a. im 14., nicht im "15.
Jahrhundert"; auf dem Trientiner Kaselkreuz ist Johannes Ev. zu sehen, nicht
"Paulus", sein Auftraggeber war ausserdem Bischof Georg von Liechtenstein,
nicht "Dompropst", sonst haette er eines Konsekrationsornats kaum bedurft.
Und unter "Karren Stollens" duerfte man das eben erschienene hervorragende
Handbuch der Autorin Karen Stolleis kaum finden.

Evelin Wetter wetterrz.uni-leipzig.de

Quellennachweis:
Re: REZ Boehmische Bildstickerei um 1400. In: ArtHist.net, 28.02.2002. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/archive/24866>.

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