CFP 08.09.2016

Bewegtbilder (Kiel, 4-6 May 17)

Kiel, 04.–06.05.2017
Eingabeschluss : 03.10.2016

Prof. Dr. Patrick Rupert-Kruse

Bewegtbilder 2017
Medialität – Multimodalität – Materialität: Konzepte für eine Medien- und Bildtheorie der Technosphäre
Bilinguale Tagung der Forschungsgruppe Bewegtbildwissenschaft Kiel und der Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft, 4.-6. Mai 2017 in Kiel.

Call for Papers

Die voranschreitende Evolution der Medien hat eine Flut an Interface- und Displaytechnologien hervorgebracht, die neuartige multimodale Repräsentationsformen erlauben und forcieren. Will man demnach modernen Technologien gerecht werden und zudem auch progressive medien- und bildtheoretische Analyseformen in der Betrachtung von Medien-Bildern berücksichtigen, sollte dem traditionellen – vor allem kunstwissenschaftlich geprägten – Bildbegriff ein aktualisiertes Verständnis dieser Phänomene zur Seite gestellt werden.
Wir müssen folglich mehr verstehen als nur die visuelle Darstellung und Wahrnehmung, um (bewegte) Bilder und ihre je spezifische Bildlichkeit verstehen zu können, da diese mehr Sinne – sowohl modal als auch a-modal – adressieren als nur unseren Sehsinn (vgl. Krois 2011: 207; Mitchell 2010: 42). Dieses multimodale oder multisensorische Verständnis einer materiell induzierten Bildlichkeit erscheint vor allem im Kontext aktueller Medientechnologien des interaktiven und digitalen Bewegtbildes als notwendig, wenn es darum geht, gegenwärtige wie zukünftige Entwicklungen fassen zu wollen (vgl. Hansen 2004: 10).
Innerhalb dieses konvergenten Medien- und Bildökosystems spielen Begriffe wie Materialität, Embodiment und Agency eine immer zentralere Rolle, wenn es darum geht, die globalen Formationen und Interaktionen von natürlichen und nicht-natürlichen, humanen und nicht-humanen Elementen, Individuen oder Ensembles zu beschreiben. Peter K. Haff fasst diese Epoche hybrider Netzwerkstrukturen unter dem Konzept der "Technosphäre" (vgl. Haff 2014: 127), womit er die Dynamik bestehender Medienökologien abzubilden versucht. Damit lassen sich Medialität, Modalität und Materialität als Konzepte für eine Medien- und Bildtheorie der Technosphäre heranziehen oder vielmehr ableiten, deren Tragfähigkeit, Reichweite und Beziehungen es interdisziplinär auszuloten gilt.

Materialität
Rezeptionsformen multimodaler Bildlichkeit implizieren die Koppelung der Sinn- und Leiblichkeit der Rezipierenden an ein materielles Dispositiv. Aktuelle kinematografische Apparaturen, interaktive Medien, aber vor allem die Technologien virtueller und augmentierter Realitäten lassen sich als komplexe Interface- und Display-Ensembles beschreiben, deren spezifische Materialitäten in ihrer jeweiligen bildlichen Repräsentation eingeschrieben sind (vgl. Krämer 2008: 27). Denn: Bilder gibt es nur in Abhängigkeit von einem Medium, auf dem oder in dem sie erscheinen. Einer jeden artifiziellen Präsenz von medialen Artefakten kann folglich eine materielle Grundlage zugewiesen werden - eine Denkrichtung, die über Autoren wie Harold Innis, Marshall McLuhan, Derrick De Kerckhove, Friedrich Kittler, Dieter Mersch oder Jussi Parikka uvm. in den letzten Jahrzehnten geprägt worden ist.
Das dem material turn und insbesondere dem digital material/ism zugrunde liegende Paradigma rückt eben diese technologische Materialität der Medien in den Fokus wissenschaftlicher Analysetätigkeit, denn "(digital) technologies and their constituting elements exert agency, affect industries and individuals" (Reichert & Richterich 2015: 6). So rücken auch vermeintlich immaterielle digitale Objekte wie Software oder digitale Bilder und deren technologischen, sozialen, institutionellen und kulturellen Voraussetzungen in den Fokus der Untersuchungen. Schließlich sind digitale Bilder algorithmische Zeichen, Codezeilen, die sowohl eine sichtbare Oberfläche als auch eine berechenbare und unsichtbare Unterfläche besitzen (vgl. Nake 2008: 149), weshalb sich diese bewegten und interaktiven Bildformen zwischen Algorithmus und Ästhetik artikulieren. Diese "Gespinste aus kalkulierbaren und manipulierbaren Texturen […] suggerieren eine absolute Souveränität über das Material" (Mersch 2002: 21-22), das allerdings nicht mit kruder Stofflichkeit verwechselt werden darf. Materialität bildet eher in einem gewollt weiten Sinne die Bedingungen und Voraussetzungen dafür, dass mediale Repräsentationen in Erscheinung treten können (Mersch 2010: 140-141). Hier offenbart sich schließlich ein Wechselspiel von Aisthesis und Semiose, welches zwingend in die Analyse sowohl analoger als auch digitaler Bildlichkeit einbezogen werden muss. Dabei geht es vor allem um die Einbeziehung der Materialität technischer Medien in dieses Wechselspiel, da diese Medien bestimmte materielle Bedingungen mit sich bringen, welche sich in das Bild einschreiben.
Neben diesen eher grundlegenden Überlegungen können darüber hinaus auch andere Ausprägungen dieses Problemfelds, wie z.B. die Diskussionen um embodied interaction, extended und embedded mind, Performativität, image-instruments (vgl. Manovich 2001: 167-168), (tangible) interfaces, Materialität von Gesten uvm. für analytische Prozesse fruchtbar gemacht werden.

Multimodalität
Im Kontext moderner Interface- und Displaytechnologien und deren Möglichkeiten zur Generierung multimodaler Repräsentationsformen bzw. Bildgenres, muss die Frage gestellt werden, welche Aspekte das Konzept der Multimodalität aus medien- und bildphilosophischer Perspektive umfasst und inwiefern dieses in Hinblick auf das Phänomen Bild bzw. Bewegtbild präziser bestimmt werden kann. Eine solche Diskussion muss sowohl aus phänomenologischer und semiotischer Perspektive als auch über Diskurse wie diejenigen der cognitive semiotics, dem Gebiet der Wahrnehmungstheorien oder den Theorien aus dem Bereich der embodied cognition o.ä. erfolgen.
Der Begriff des Modus kann grundlegend in zweifacher Weise verstanden werden: Zum einen werden Modi als die erfahr- und damit auch beschreibbaren Aspekte eines jeden Mediums begriffen, wodurch ein Bild über den Modus seiner wahrnehmbaren Qualität beschrieben werden kann. Neben diesem sensorischen Aspekt kann es auch mit Hinblick auf seine semiotischen Modi z.B. in Form der pragmatischen Verwendung innerhalb kommunikativer Prozesse betrachtet werden. Die verschiedenen Modi des Bildes stehen dabei nicht etwa für sich, da jeder von ihnen wiederum in einem funktionalen Zusammenhang mit anderen Modi steht. Denn jeder Modus - z.B. der visuelle Modus der Sichtbarkeit - ist gleichzeitig immer auch mit anderen Modi verknüpft bzw. in diese eingebettet: So findet jede Bildwahrnehmung in einem situativen Verwendungskontext statt, der bestimmte Verhaltensweisen gegenüber dem Bild impliziert, ebenso wie spezifisch (inter-)semiotische oder (inter-)modale Verweishorizonte, von denen wiederum abhängt, wie genau das Bild überhaupt verstanden bzw. erfahren wird (vgl. Merleau-Ponty 1974: 268; Singer 2004). Diese Thematisierung rückt zudem das Verhältnis von Körper und Bild(medium) im Kontext sowohl modaler als auch a-modaler Interaktionsprozesse in den Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung (vgl. Hansen 2004: 10). Damit zeigt sich zudem die Notwendigkeit der Referenz auf digitale interaktive und multisensorische Medien, um eine Diskussion des Bildbegriffs in Bezug auf den aktuellen Stand der Produktions-, Distributions- und Rezeptionstechniken bzw. -Technologien zu gewährleisten. Dies erlaubt wiederum theoretische Verweise auf aktuell vieldiskutierte Konzepte wie (tele)presence oder Immersion, die für die medien- und bildtheoretische Debatte der Multimodalität unabdingbar sind.

Medialität
Aus dem Bedeutungsgefüge von Materialität und Multimodalität, in dessen Zentrum der Leib als "Paradigma der Medialität" (Bermes 2002: 49) verortet werden kann, lässt sich nun eben jenes Konzept der Medialität ableiten. Medialität beschreibt "das als typisch genommene Set von Eigenschaften, das für einzelne Medien als konstitutiv gesehen wird" (Hickethier 2003: 26). Und da sich die materiellen Medien in einer Dynamik der ständigen Dekonstruktion wie der Rekonstruktion befinden, ist die von der Tagung angestrebte (Neu-)Bestimmung des Bild- bzw. Bewegtbildbegriffs mit einer Diskussion des Konzepts der Medialität eng verbunden. Hier erweisen sich vor allem dessen aktuelle Ausformungen der Inter- und Trans-Medialität - auf einem spezifisch medien- und bildtheoretischen Level - als interessante Ansatzpunkte. Letztlich ist die Frage nach dem Bild eine Frage nach der jeweiligen Medienspezifik der technologischen Apparate, in denen und durch welche das Bild erst erscheinen kann.

Zusammenfassend soll sich die Tagung in Vorträgen und Workshops auf die Spannweite aktueller und vergangener Bild- und Bewegtbildphänomene konzentrieren, wie sie in (proto-)filmischen, aber auch aktuellen kinematografische Apparaturen, sowie im Kontext der digitalen Medientechnologien virtueller und augmentierter Realitäten vorkommen. Die Konzepte der Medialität, Multimodalität und Materialität dienen dafür als Ausgangsunkte synthetisierender und vor allem interdisziplinärer Ansätze für die Beschreibung der bildlichen Erscheinungen der Technosphäre. Die Tagung adressiert daher folgende Fragen, ist aber nicht auf diese beschränkt:
- Welche Differenzen lassen sich zwischen vergangenen und aktuellen Bild- bzw. Bewegtbildtypen in den Bereichen Medialität, Modalität und Materialität ausmachen?
- In welchem Zusammenhang stehen Materialität, Aisthesis und Semiose?
- Welche Rolle spielt der Körper als Material innerhalb performativer Prozesse interaktiver Bilder?
- Inwiefern problematisiert sich der Bildbegriff im Kontext multisensorischer Interfaces?
- Wie kann die Multimodalität aisthetischer und semiotischer Prozesse der Bildrezeption erfasst und analysiert werden?
- Wie hängen Medienspezifik bzw. Medienlogik und Bildlichkeit zusammen?
- Wie lassen sich Inter- und Transmedialität bildtheoretisch fassen?

Die eingesandten Exposés für Vorträge oder Workshops sollten eine Länge von 600 bis 900 Worten haben (exklusive Literaturangaben). Die Dauer der Vorträge sollte 30 Minuten (+15 Minuten Diskussion und technischer Aufbau) nicht überschreiten. Vorgeschlagene Workshops sollten eine Länge von 120 Minuten besitzen.
Alle Einsendungen werden in einem Review-Verfahren begutachtet. Bitte geben Sie bei den Einreichungen Namen, Institution und Kontaktdaten auf einem separaten Blatt an. Im Review-Prozess werden die Einreichungen nach folgenden Kriterien beurteilt: Beitrag zum Tagungsthema, Plausibilität der theoretischen Fundierung, Angemessenheit der Vorgehensweise bzw. Methodik, Klarheit und Prägnanz der Darstellung, Relevanz und Originalität des Beitrags in Bezug zum Forschungsfeld sowie Passung in das Gesamtprogramm der Tagung. Workshopvorschläge sollten zusätzlich dazu Informationen zur geplanten Struktur beinhalten. Die Tagung ist bilingual ausgelegt, daher werden Exposés in deutscher und englischer Sprache angenommen.
Senden Sie die aussagekräftigen Exposés bis zum 03. Oktober 2016 per E-Mail an kontaktbewegtbildwissenschaft.de. Für weitere Fragen stehen Ihnen Lars C. Grabbe und Patrick Rupert-Kruse gerne zur Verfügung.

Quellennachweis:
CFP: Bewegtbilder (Kiel, 4-6 May 17). In: ArtHist.net, 08.09.2016. Letzter Zugriff 29.04.2024. <https://arthist.net/archive/13579>.

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