Autorinnen:
Alison G. Stewart, Hixson-Lied Professor of Art History, University of Nebraska-Lincoln (astewart1unl.edu) / Elsa Oßwald, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Trierer Arbeitsstelle für Künstlersozialgeschichte (elsa.osswaldgmail.com)
Anlässlich der diesjährigen Tagung des Forschungsverbundes ‚Kunsthistorisches Forum Irsee‘ diskutierten zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der ersten Aprilwoche 2014 im bayerischen Kloster Irsee über das Thema der Künstlerklage. Bereits zum zweiten Mal kooperierten das ERC-Projekt artifex (Birgit Ulrike Münch und Andreas Tacke) und die Schwabenakademie Irsee (Markwart Herzog) für die gemeinsam ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe zum Forschungsfeld ‚Künstler und Gesellschaft‘.
Nach der ersten erfolgreichen Veranstaltung des Forums zu Kunstfälschung in der Vormoderne (2013) trafen sich erneut, vom 11. bis 13. April 2014, nationale und internationale Experten, um ein weiteres wichtiges Forschungsfeld der Künstlersozialgeschichte in Angriff zu nehmen. Unter dem Thema ‚Die Klage des Künstlers. Verarbeitung von Krise und Umbruch in Text und Bild zwischen Reformation und Revolution. / The Artist’s Lament. Turning Crisis and Turmoil into Text and Image between the Reformation and the French Revolution’ wurde zunächst als Auftakt am Freitagabend eine öffentliche Podiumsdiskussion mit einem Schwerpunkt in der Moderne geführt, während sich am Samstag und Sonntag des Themas im Bereich der Vormoderne angenommen wurde. Moderiert von MARKWART HERZOG (Irsee) berichteten die beiden in Dresden seit den 1960er Jahren aktiven Künstler GÜNTHER HORNIG (Dresden) und EBERHARD GÖSCHEL (Dresden/Fürstenau) von ihren Erfahrungen vor und nach der Wende und in der Zeit des Umbruchs. In der fast dreistündigen kontroversen und äußerst informativen Diskussion erläuterten die beiden Künstler, wie sie das Künstlersein in der DDR wahrgenommen haben und wie sie mit Repressalien umgegangen sind. Um Fakten bereichert, aber auch immer wieder relativiert wurden die Positionen von Hornig und Göschel durch die Expertin für DDR-Kunst SIGRID HOFER (Marburg).
Eröffnet wurde die erste Session am Samstag von BIRGIT ULRIKE MÜNCH (Trier), die einführend herausarbeitete, dass für die beiden folgenden Tagungstage nicht nur individuelle Künstlerklagen im Mittelpunkt stehen sollten, sondern insbesondere jene Klagen, die durch gesellschaftliche Einschnitte oder politische und wirtschaftliche Krisen ausgelöst wurden. Wie vielfältig sich klagende Künstler äußerten, zeigte Münch bereits exemplarisch anhand einer großen Zahl schriftlicher oder visueller Belege, so vom Meister des Hederlein, Georg Pencz, Sebald Beham, Adam Elsheimer oder William Hogarth. SUSAN TIPTON (München) knüpfte hier an und vertiefte die Thematik mit ihrem Blick auf diverse Schriftquellen Bildender Künstler, so etwa Gerichtsakten, Ratsbücher, Zunftordnungen aber auch Künstlerviten aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Als Beispiele für schriftlich ausgezeichnet dokumentierte individuelle Künstlerklagen führte Tipton zudem die Auseinandersetzung des Malers Hans Bock d. Ä. mit der Stadt Basel um die Ausmalung des hiesigen Rathauses oder Veit Stoß’ 18 Jahre währenden Disput um den Bamberger Altar an.
Ausgangspunkt für AMY MORRIS’ (Omaha/Nebraska) Überlegungen, mit denen die zweite Session begann, war Wolfgang Stechows Interpretation einer Inschrift in Lucas Mosers St. Magdalenen Altar als Künstlerklage und die Verknüpfung eben dieser Inschrift mit einer weiteren, die sich auf einem Holzschnitt, der Peter Flötner zugeschrieben wird und Veit Stoß zeigt, wiederfindet. In ihren Ausführungen überlegte Morris, inwieweit die beiden Inschriften Ausdruck einer individuellen Klage sind oder ein größeres kulturelles und politisches Problem formulieren. BERTHOLD KRESS (London) untersuchte vor dem Hintergrund der Reformation, in welchem Maße die Kritik am religiösen Bild Künstler zum Klagen veranlasste. Am Fall des Malers Paul Lautensack zeigte Kress, wie sich ein Maler gegen die ikonoklastische Positionen verwehrte, indem er eine Art protestantische Bildtheorie entwickelte. Ebenso verdeutlichte Kress, wie Lautensack mit diesem Ansinnen bei seinen Zeitgenossen, bis auf wenige Jünger, scheiterte und schließlich deshalb seinen Unmut hierüber schriftlich zum Ausdruck brachte.
Die dritte Sektion am Samstag widmet sich den Flüchtlingskünstlern, die, häufig bedrängt durch religiöse Unruhen in ihren Heimatorten, zur Emigration gezwungen wurden und anderswo einen Neustart wagen mussten. AXEL GAMP (Bern) eröffnete diesen Abschnitt mit seinem Vortrag über den Konvertiten Nicolaus Geisler, welcher nach Luzern emigriert war und dort sehr erfolgreich erst mit der Ausstattung der Franziskanerkirche und später der Wiederausstattung der 1633 abgebrannten Luzerner Hofkirche beauftragt wurde. Im Fokus stehen hier insbesondere die in der Konsequenz dieses Erfolges stehenden Dispute mit dem Luzerner Künstlerkollegen Hans Ulrich Räber. Auch RUTH NOYES (Baltimore/Maryland, Rom) leistete einen Beitrag zu transformativen Krisen der Frühmoderne. Hierzu erforschte sie eine Gruppe produktiver, aber kaum beachteter Graphiker, wie Mattheus Greuter, Philippe Thomassin und Valerian Regnard, die zur ersten evangelisch getauften Generation gehören, zurück zum Katholizismus konvertierten und ihre Heimat um 1600 Richtung Rom als Glaubensflüchtlinge verließen. Darüber hinaus diskutierte ANDREA M. GÁLDY (Trier/Ottobeuren) wie Benvenuto Cellini und andere Künstler seiner Zeit mit dem Wunsch ihrer Auftraggeber, Antiken zu restaurieren, umgingen. Dies wird sowohl in Bezug auf Status, Kreativität, künstlerischer Freiheit als auch unter Berücksichtigung der höfischen, religiösen und gesellschaftlichen Kontexte, in denen die Künstler operierten, untersucht. Das Ende des Samstages läutete der Vortrag von NILS BÜTTNER (Stuttgart) ein, in dem er ausgehend von einer bildhaften Beschreibung der Eroberung Antwerpens 1584 den Künstlerflüchtlingen in die nordniederländischen Städte, so z.B. nach Amsterdam oder Haarlem, nachspürte. Dabei zeigte er u.a., dass neben den zahlreichen Innovationen, die dieser künstlerische Schmelztiegel an der Nordsee hervorbrachte, die in der Folge stehende nur logische Überproduktion auch zu zahlreichen Klagen von Künstlern beispielsweise in Richtung Kunsthändlern (Jan van Gool) oder das Publikum (Rembrandt van Rijn) führten. Abschluss der dritten Sektion, welches gleichzeitig den Auftakt am Sonntagmorgen bildete, war das Referat von JOY KEARNEY (Nijmegen). Im Fokus ihrer Ausführungen stand die Familie Hondecoeter, eine Flämische Künstlerfamilie, die aus dem durch die Spanier besetzten Süden in den protestantischen Norden fliehen musste. Kearney ging es darum, zu zeigen, wie sich die erfolgreichen Hondecoeters – die aus Flandern Emigrierten ebenso wie die erste in den nördlichen Niederlanden Geborenen – dort künstlerisch in Abgrenzung zu ihren niederländischen Kollegen positionierten.
Das vierte Panel der Tagung setzte sich mit der visualisierten Klage auseinander, das heißt jenen Künstlerklagen, die offen oder versteckt im Gemälde eingebettet wurden. Ein äußerst spannendes Beispiel einer jedoch fehlgeleiteten Interpretation einer solchen Klage bildeten TOBIAS LANDERS (Freiburg im Breisgau) Überlegungen zu Jörg Ratgeb. Dessen Herrenberger Altar wurde etwa von Wilhelm Fränger als klagend und aufrührerisch interpretiert. Die Sichtweise eines im Bauernkrieg engagierten und für diesen Einsatz gestorbenen Ratgeb kulminierte schließlich zu DDR-Zeiten zu einer Verehrung als Held und Märtyrer. Dass dies jedoch nur ein Mythos war und es sich eben um keine Bild gewordene Künstlerklage handeln kann, konnte Landner sowohl Bildinhärent als auch durch die Berücksichtigung zeitgenössischer Quellen zu Radgeb deutlich machen. Ausgang für den zweiten Beitrag in dieser Sektion, bestritten durch IVANA ROSENBLATT (Columbus/Ohio), ist die These, dass die ‚zurückgebliebenen‘ Antwerpener Künstler des späten 16. Jahrhunderts über ihre Werke sehr subtil an der Bilderstreitdebatte teilnahmen und damit auf die politischen und religiösen Unruhen reagierten. Rosenblatt diskutiert diese Überlegung am Beispiel Maarten de Vos’ und dessen Werk ‚Christus triumphiert über Sünde und Tod‘, das sich durch eine spezifische Ikonografie sowie den Einsatz innovativer Stilelemente auszeichnet. Den Abschluss dieser Sektion und damit der Tagung stellten schließlich die Ausführungen von HANNS-PAUL TIES (München) dar. Im Fokus derer stand ein Werk des Tiroler Malers Carl Henrici, auf dem der Künstler selbst, die Götter Minerva und Apoll sowie die Personifikationen von Malerei und Skulptur klagend unter einem von Janus und Hoffnung präsentierten Bildnis Kaiser Josephs II. versammelt haben. Ties deutet die Ikonographie als Klage über die kaiserliche Zollpolitik und kann dies nicht nur am Bild selbst, sondern auch an schriftlichen Überlieferungen festmachen.
Unter dem Eindruck dieser vielfältigen Beiträge zum bislang weitgehend marginalisierten Thema der Künstlerklage lässt sich konstatieren, dass die zweite Frühjahrsakademie des Kunsthistorischen Forums Irsee nicht nur aufgrund des Tagungsthemas, sondern auch aufgrund der neuen Einblicke in Theorie und Praxis frühneuzeitlicher Künstlerakteure eine gelungene Veranstaltung gewesen ist, die dem Tagungsteilnehmer auch einen weiteren Einblick in die vielfältigen Arbeitsfelder der Künstlersozialgeschichte ermöglichte. Die Veranstalter planen, den Tagungsband, der bislang unpubliziertes Material beinhalten wird, zur diesjährigen Konferenz in Irsee vorzulegen. Eben diese wird vom 20. bis 22. März 2015 unter dem Titel ‚Temporäre Kunstzentren – Ephemere Ereignisse und ihre Wirkung auf die Kunst der Vormoderne / Temporary Art Centres – Ephemeral Events as Influences on the Art History of the Pre-Modern‘ an der Schwabenakademie stattfinden.
Aktuelle Informationen zur Tagung 2015 finden Sie hier: «http://www.kuenstlersozialgeschichte-trier.de/veranstaltungen/tagungen/tempor%C3%A4re-kunstzentren/»
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Tagungsprogramm
FREITAG, 11. APRIL 2014
Parallelwelten – Künstlerische Positionsbestimmungen in Ost- und Westdeutschland
SAMSTAG, 12. APRIL 2014
SESSION I: Die heterogene Quellenlage zum Forschungsthema „Künstlerklage“
Birgit Ulrike Münch (Trier): Einführung in das Tagungsthema: „J’accuse!“ Wie klagen frühneuzeitliche Künstler?
Susan Tipton (München): „Die fetten Jahre sind vorbei!“ Künstlerklagen in normativen Quellen und juristischen Dokumenten der Frühen Neuzeit
SESSION II: Die frühe Reformation als Movens der Künstlerklage?
Amy Morris (Omaha/Nebraska): The Artist’s Lament in Early Modern Germany: Reading or „Seeing“ between the Lines
Berthold Kress (London): Paul Lautensack (1477/78–1558): Maler und verkannter Prophet?
SESSION III: Flüchtlingskünstler: Klage – Migration – Konversion
Axel Gampp (Bern): Laute und stumme Künstlerklagen am Beispiel Luzern
Ruth Noyes (Baltimore/Maryland, Rom): Blood and Fire: Rome’s Convert Refugee Engravers ca. 1600
Andrea Gáldy (Trier/Ottobeuren): QuerelaArtificis: Costantino de’ Servi at Work in Post-Reformation Germany and England
Nils Büttner (Stuttgart): Auf der Galeere: Künstlerklagen aus Rembrandts Amsterdam
SONNTAG, 13. APRIL 2014
Joy Kearney (Nijmegen): Flemish Artists in the Protestant North – a Family’s Adaptation to New Constraints of Social, Religious and Artistic Traditions through Several Generations
SESSION IV: Kritisches Malen: Die offene und versteckte Künstlerklage im Gemälde
Tobias Lander (Freiburg im Breisgau): Handeln ohne zu Klagen: Jörg Ratgeb als Mittler im Bauernkrieg
Ivana Rosenblatt (Columbus/Ohio): Pictorial Disjunction in Maarten de Vos’s „Christ Triumphant over Sin and Death“
Hanns-Paul Ties (München): „Sepultura Artium Liberalium“: Der Tiroler Rokoko-Maler Carl Henrici klagt über die Zollpolitik Kaiser Josephs II.
Recommended Citation:
Elsa Oßwald und Alison G. Stewart: [Conference Report of:] Die Klage des Künstlers (Schwabenakademie Irsee, Apr 11–13, 2014). In: ArtHist.net, Feb 25, 2015 (accessed Dec 27, 2024), <https://arthist.net/reviews/9563>.
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