„The questions google can’t answer“ – Perspektiven zur Forschung in Museen
Über die Zukunft der Forschung in Museen zu debattieren, dazu hatte die VolkswagenStiftung aufgerufen und eine illustre Runde an Referenten und Teilnehmern für zwei Tage in das Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover eingeladen. Wilhelm Krull eröffnete als Generalsekretär der VolkswagenStiftung die Tagung und erläuterte ihren Anlass: Seit 2008 fördert die Stiftung im Rahmen ihres Programms Forschung in Museen, bisher sind 46 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 15 Millionen Euro unterstützt worden. Nachdem die Initiative unter der Leitung des Generaldirektors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, Klaus Schrenk, jüngst positiv evaluiert worden ist und die Stiftung das Programm leicht modifiziert mit zwei Ausschreibungen auch in 2014 und 2015 fortsetzt, bot die Tagung Gelegenheit zu Bilanz und Ausblick. Einen zentralen Aspekt, der in der Diskussion und in den Beiträgen immer wieder anklang, formulierte Krull gleich in seiner Begrüßung: Das Alleinstellungsmerkmal der Museen gegenüber Universitäten und Hochschulen sei ihr Kontakt zu den Besuchern über das Medium der Ausstellung, mithin die Vermittlung und Kommunikation von Forschung an ein größeres Publikum. Dieser Aspekt sei in der sammlungsbezogenen Forschung an Museen untrennbar mitzudenken, gleichzeitig sei Ausstellen ohne Forschung nicht möglich. Was bedeutet das für das Verständnis und die Definition von Forschung, was umfasst sie? Welche Schlussfolgerungen ziehen die Museen daraus für ihr Selbstverständnis als forschende Einrichtungen? Und wie kann daraus ein produktiver Dialog zwischen Forschung an den Universitäten und an den Museen entstehen? Wie reagieren die öffentliche Hand und die wissenschaftsfördernden Einrichtungen von BMBF über DFG bis zu den Stiftungen darauf? Verändern sich hier bisher vorrangig an universitärer Forschung orientierte Förderprogramme und -kriterien?
Klare Prioritäten zu setzen, Forschung als Kernaufgabe zu begreifen und manche Aufgabe etwa im „Edutainment“ getrost den Privaten zu überlassen, schlug Bremens Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz in einem ersten Kurzstatement vor. Forschungsdesiderate aus den Sammlungen heraus zu identifizieren und gerade auch an kleineren Häusern in Forschungskonzeptionen zu formulieren, so dass sie auch für externe Wissenschaftler sicht- und bearbeitbar werden, sei dabei eine wichtige Strategie, ergänzte Annette Schwandner vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur Niedersachsen. Explizit erläuterte dann Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk noch einmal die schwierige finanzielle Situation und den Rechtfertigungsdruck, unter dem die Kulturpolitik stehe. Besucherzahlen könnten aber nicht der alleinige Gradmesser sein für die Qualität und den Erfolg von Kultur („Goslar ist Welterbe, kein Disney-Land“).
Dennoch: Die sagenhafte Zahl von rund 5,5 Millionen Besuchern der Londoner Tate Modern lässt auch Direktor Chris Dercon nicht unbeeindruckt. Statt der umfangreichen Forschungen der Tate zu ihren Beständen moderner und zeitgenössischer Kunst stellte Dercon in Hannover vor, was sein Haus in der Besucherforschung (audience research) unternimmt – nicht als Marketinginstrument, sondern als eine Art Leitdisziplin in der strategischen Gesamtausrichtung des Museums. Die wichtigsten Ergebnisse der Forschungen der Tate: Ihre Besucher kommen nicht vorrangig der Objekte wegen, nicht um die Originale zu erleben, sondern der Prozesse wegen, die ihrer Präsentation vorangehen. Warum und von wem werden die Werke ausgewählt, warum werden bestimmte Werke in Ausstellungen gegenübergestellt, in Beziehung gesetzt? Besucher seien an der Konstitution von Öffentlichkeit interessiert – als Beobachter der Institution Museum und als Akteure, die den öffentlichen Raum selbst zunehmend für sich und ihre Interessen reklamierten. Die Tate Modern zieht daraus Konsequenzen bis hin zur Gestaltung ihres Erweiterungsbaus – die Backsteinarchitektur von Herzog und de Meuron ist weniger als Ausstellungsfläche denn als Begegnungsraum für unterschiedliche Formate konzipiert. Dercon sieht das Museum als Ort, an dem Öffentlichkeit durch die Besucher vor Ort ganz real performativ verhandelt wird; die Grenzen zwischen Produzenten und Rezipienten verschwimmen. Die Nutzer gestalten unweigerlich wesentlich mit – das Museum ist Vorreiter bei dieser Perspektivverschiebung. So hätte die Besucherforschung nicht zuletzt auch Konsequenzen für die sammlungsbezogene Forschung des Museums: Zur Deutung der Fachwissenschaftler treten die Interessen, Fragen, Perspektiven der Besucher, getreu Dercons Ideal für die Zukunft seines Museums: „People who know something meet people who know something else.“ Im Zentrum der Debatten am Museum stünden komplexe, gesellschaftlich relevante Fragestellungen, zugespitzt: „The questions google can’t answer!“
Wie die Museen ihren Part dieser Vereinbarung einlösen können, der darin besteht, durch Forschung Wissen zu generieren und dieses für eine öffentliche Diskussion verfügbar zu machen, zeigte nach dieser Keynote die erste Session. Dafür hatte die VolkswagenStiftung vier beispielhafte Projekte ausgewählt. Das Spektrum der Museen reichte vom Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf über das Deutsche Hygiene-Museum Dresden und das Ludwig Forum Aachen bis hin zum Museum für Naturkunde Chemnitz. Deutlich wurden die positiven Effekte von Kooperationen mit anderen Museen wie mit Universitäten hervorgehoben. Häufig noch schließt klassische Forschungsförderung die Finanzierung von Ausstellungen nicht mit ein – für Museen wird dadurch eine Trennung zwischen Forschungs- und Ausstellungsprojekt gezogen, die für die Institution meist eine künstliche ist, artikuliert sich Forschung doch am Museum auch in der Präsentation im Raum. Projektförderung kann, das wurde an verschiedenen Beispielen deutlich, die Forschung gerade an kleineren Museen so befördern und Netzwerke etablieren helfen, dass sich daraus Folgeprojekte entwickeln, die sich auch in der kompetitiven Forschung durchsetzen. Paradox allerdings die Situation, die sich für die Häuser daraus ergeben kann: Die Projektstellen für Forscher könnten über Drittmittel eingeworben werden, allein, die dazu notwendigen Eigenleistungen und Vorarbeiten des Museums werden durch die Grundausstattung der öffentlichen Hand nicht finanziert und das Projekt scheitert.
Das teilweise problematische Verhältnis von Grundausstattung und Drittmittelfinanzierung stand auch im Zentrum der zweiten Session, die sich unter dem Titel „Museen in Not. Infrastrukturen an Museen“ der Frage widmete, unter welchen strukturellen Bedingungen Forschung in deutschen Museen stattfindet. In drei Vorträgen wurde Forschungsarbeit an unterschiedlichen Museen vorgestellt und die jeweiligen Problemlagen skizziert.
Regine Schulz, Direktorin des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim, machte in ihrem Vortrag insbesondere auf die knapp bemessene finanzielle Grundausstattung ihres Hauses aufmerksam. Fördermittel und internationale Kooperationen seien essentiell, Kreativität, etwa bei der Ausleihe von Objekten gegen die Ermöglichung wissenschaftlicher Bearbeitung unabdingbar. Michael Schmitz, Direktor des Naturhistorischen Museums Mainz stellte die Neuausrichtung seines Hauses vor, für das langfristig angelegte Forschung und die Vermittlung im Museum als Lernort in im Zentrum stehen. Steigende Besucherzahlen seien Ausweis für den Erfolg dieser Strategie.
Im Rahmen eines dritten Beitrags stellten Eckhard Bolenz und Dagmar Hänel als Vertreter des Landschaftsverbands Rheinland das DFG-geförderte Projekt „Digitales Portal Alltagskulturen“ vor. Das Projekt steht exemplarisch für das Bestreben vieler Museen, die Forschung an Sammlungsbeständen durch digitale Aufbereitung öffentlich, möglichst frei und interaktiv zugänglich zu machen.
Nach dieser Präsentation einzelner Positionen nahmen in der folgenden Sektion der Philosoph und Ausstellungsmacher Daniel Tyradellis und die Journalisten Julia Voss (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und Hanno Rauterberg (Die Zeit) wiederum eine grundsätzlichere Perspektive ein. Ausgehend von seiner jüngsten Publikation „Müde Museen“ [1] formulierte Tyradellis mit seinem Vortrag „Ausstellen als Forschen – wovon, für wen und warum?“ den Anspruch an Museen, über das Medium Ausstellung mit gängigen gesellschaftlichen Erwartungen zu brechen, sie zu hinterfragen und dem Besucher so eine kritische Auseinandersetzung mit eigenen Erwartungshaltungen zu ermöglichen. Für Tyradellis sind Ausstellungen Zwischenräume; sie vermitteln zwischen einer forschungsorientierten Innenwelt und einer öffentlichen Außenwelt. Dabei sind sie mehr als „begehbare Bücher“, nicht nur reine Präsentation von Forschungsergebnissen. Ausstellungen sollen vielmehr den Besucher zum Denken bringen, indem sie Distanz zu den jeweils mitgebrachten Evidenzen schaffen und so eine eigene kritische Reflexion in Hinblick auf tradierte Erwartungen provozieren. Der Besuch einer Ausstellung ist für Tyradellis demnach ein Prozess des „Denkens im Raum“, der „Forschung in actu“, in dem Gegenstand und Vermittlung einander gleichgestellt sind. Die präsentierten Artefakte seien dabei in einer Ausstellung nicht per se sinnstiftend, sie erhielten ihre Bedeutung vielmehr erst aus dem wechselseitigen Verweis und ihrer Positionierung in einem Gesamtkontext. Die gesellschaftliche Relevanz des jeweiligen Themas dürfe dabei nicht ausgeblendet werden. Es sei demnach eine gewisse Distanz zum jeweiligen Forschungsgegenstand notwendig, um einen Ausgleich zwischen wissenschaftlicher Expertise und gesellschaftlichem Anspruch zu erreichen. Im Idealfall ist eine Ausstellung für Tyradellis daher eine eigene Form der Forschung, die disziplinäre Grenzen überwindet und das Museum zu einem Ort eines auf Selbsthinterfragung basierenden gesellschaftlichen Diskurses macht.
Im Unterschied zu diesen gattungsübergreifenden Überlegungen bezog sich Julia Voss in ihrem Beitrag „Museen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ vornehmlich auf Kunstmuseen. Diese stehen in ihren Augen vor dem Problem, einerseits als Orte größter kultureller Strahlkraft, andererseits als behäbige Verhinderer kreativer Innovationen zu gelten. Sie identifizierte drei Felder, die für Kunstmuseen zukünftig im Fokus der Arbeit stehen sollten: Provenienzforschung, Erforschung der eigenen Sammlungen und eine damit verbundene Infragestellung des Kanons sowie eine Steigerung der Möglichkeiten zur Partizipation durch die Nutzung moderner Medien. Kritisch hingegen bewertet sie zu enge Verbindungen zwischen Museum und Kunstmarkt.
Hanno Rauterberg nahm in seinem Statement „Zeit für Selbsterforschung. Warum das Museum sich zum Objekt der wissenschaftlichen Neugier machen muss“ wiederum eine globalere Perspektive ein und knüpfte damit an Tyradellis an. Auch für ihn sollen Ausstellungen das Abrücken von Selbstverständlichkeiten ermöglichen. Im Zentrum steht für ihn dabei das „Staunen als Erfahrung der postmaterialistischen Bereicherung“. Rauterberg schlug vor, statt von „Besuchern“ von „Besitzern“ der Objekte in öffentlichen Sammlungen zu sprechen. Dieser Begriffswechsel ermöglicht für ihn sowohl ein neues Verhältnis zwischen Ausstellungsmachern und ihren Zielgruppen als auch ein verändertes Selbstverständnis der Museen. Museen sollten darüber hinaus weniger danach streben, durch Neubauten Ausstellungsfläche hinzuzugewinnen, sondern vielmehr aus den eigenen Beständen heraus flexible, stärker performativ ausgerichtete Ausstellungen entwickeln, die durch die Nähe zum Objekt eine Unmittelbarkeit herstellen, die beispielsweise das Internet nicht zu schaffen in der Lage ist. Die Zukunft des Museums sieht Rauterberg – ebenso wie seine Vorredner Tyradellis und Dercon – in einer Entwicklung hin zu einem Selbstverständnis als Raum intellektueller Erfahrung und gesellschaftlicher Diskussion. Rauterberg plädiert dabei für eine höhere intellektuelle und emotionale Risikobereitschaft der Museumsmacher.
Den Abschluss der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion, an der – moderiert von Wilhelm Krull (Volkswagenstiftung) – Raimund Batella (Deutscher Städtetag), Britta Kaiser-Schuster (Kulturstiftung der Länder), Volker Rodekamp (Stadtgeschichtliches Museum Leipzig), Oliver Scheytt (Kulturpolitische Gesellschaft) und Regine Schulz (Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim) teilnahmen. Auch hier wurde eine mangelhafte finanzielle Grundausstattung als größtes, nicht kompensierbares Hindernis der Forschung an Museen identifiziert. Da institutionelle Förderung nur durch die jeweiligen Träger gewährleistet werden könne, müssten die Museen ihre gesellschaftliche Relevanz sowohl gegenüber politischen Entscheidungsträgern als auch gegenüber der Öffentlichkeit noch deutlicher machen.
Die Zukunft des Museums könnte, so ließe sich aus den Impulsen der Tagung schlussfolgern, darin liegen, verstärkt die eigenen Sammlungsbestände zu erforschen, um auf dieser Grundlage komplexe Erfahrungsräume zu schaffen, in denen gesellschaftliche Diskurse angestoßen und verhandelt werden. Darin, die Wechselwirkungen zwischen Sammlung und Gesellschaft produktiv zu machen, könnte das Potenzial von Forschung in Museen liegen.
Anmerkung:
[1] Daniel Tyradellis: Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern können, Hamburg 2014.
Empfohlene Zitation:
Katharina Hoins, Felicitas von Mallinckrodt: [Tagungsbericht zu:] Die Zukunft der Forschung in Museen (Hannover, 11.–12.06.2014). In: ArtHist.net, 25.06.2014. Letzter Zugriff 30.12.2024. <https://arthist.net/reviews/8074>.
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