Werkmeister der Spätgotik. Tagung zur Architektur des 14. bis 16. Jahrhunderts.
Im Mittelpunkt der von Stefan Bürger und Bruno Klein (Dresden) organisierten Tagung stand die Frage nach den für Entwurf und Ausführungsplanung verantwortlichen Personen und ihrer Rolle im Gestaltungs- und Bauprozess des Spätmittelalters. Als Kernproblem benannte Bürger einleitend die Organisation und Kompetenzverteilung auf der Baustelle. Eine Differenzierung zwischen mit administrativen Belangen betrautem Baumeister, dem für die Ausführungsplanung zuständigen Werkmeister und den ebenfalls Leitungsaufgaben vor Ort übernehmenden Parlieren erscheint lediglich als Erklärungsmodell geeignet, dessen Übertragbarkeit im Einzelfall nachzuprüfen bleibt. [1] Die Schwierigkeit, konkrete Aufgaben der als Werkmeister Bezeichneten nachzuweisen, verdeutlichte Wolfram Günther (Leipzig) anhand der Schriftquellen zum Bau der Zwickauer Hauptkirche St. Marien. Ulrich Knapp (Leonberg) präsentierte ein Beispiel für die Fluktuation spezialisierter Arbeitskräfte, die bei Bedarf, bzw. mangels anderer Aufträge auch einfachere Aufgaben übernahmen. Um sich in Anbetracht einer zunehmenden Spezialisierung und der häufig wenig aussagekräftigen Quellen nicht mit vagen Vorstellungen eines "schöpferischen Kollektivs" zufriedengeben zu müssen, forderte Bürger eine verstärkte Analyse technisch konstruktiver Probleme, die im Einzelfall Rückschlüsse auf im weitesten Sinne "theoretische" Kenntnisse der Werkmeister und deren Kommunikation erlauben.
Die zweite Sektion lenkte den Blick auf die Qualität werkmeisterlicher Betätigung. Stephan Hoppe (Köln) wies auf die Gegenüberstellung aktueller mit älteren, in der Regel romanisierenden Architekturformen in der Malerei des 15. Jahrhunderts hin und versuchte, im Sinne eines geistigen Horizonts einen Kontext mit historisierenden Tendenzen in der Architektur um 1500 herzustellen. Dass es durchaus problematisch erscheint, sowohl ein "Stilbewußtsein" als auch eine Vorreiterrolle der Bildkünste postulieren zu wollen, ohne dabei nach den unterschiedlichen Motiven, bzw. Initiatoren für die Adaption historischer Formen zu fragen, verdeutlichte die lebhafte Diskussion.
Anhand der Raumentwürfe des Hans von Burghausen gelang es Norbert Nußbaum (Köln), das Streben nach einer Ökonomisierung des Bauens als einen auslösenden Faktor für innovative Lösungen wahrscheinlich zu machen. Blieb es in der Landshuter Heiliggeistkirche mit ihrem aus lediglich zwei Typen von Raumelementen zusammengesetzten Plan bei einer Reduktion, so führte die freie Anordnung der Stützten nach Maßgabe eines optimalen Lastabtrags in der Bürgerspitalkirche in Braunau am Inn zu einem Entwurf, dessen Pfeiler- und Gewölbesystem unabhängig von der durch die Umfassungswände begrenzten Raumeinheit als Ausschnitt aus einem unendlich fortzusetzenden Raster zu verstehen ist. Nussbaum interpretierte diesen Paradigmenwechsel als reflexiven Umgang mit dem System der hochgotischen Architektur und sprach von einer ersten Phase des Dekonstruktivismus in der europäischen Architekturgeschichte um 1470.
Der Frage, wie Werkmeister an ihre Aufträge kamen, ging Franz Bischoff (Berlin) nach. Wie erhaltene Bewerbungsschreiben belegen, gab es nördlich der Alpen spätestens seit dem 15. Jahrhundert einen Wettbewerb um Aufträge und Dienststellungen. Neben der Werkliste als Ausweis der eigenen Leistungen, spielten Empfehlungsschreiben anderer Auftraggeber oder Fachkollegen (häufig Familienangehörige) eine entscheidende Rolle. Im Einzelfall reichte das Spektrum von dem Angebot eines Dumpingpreises, über Initiativbewerbungen bis hin zur Bitte eines Stadtrates um die Ausleihe eines andernorts beschäftigten Werkmeisters. Das vorgestellte Quellenmaterial erlaubt interessante Einsichten in die sozialen Netze der Beteiligten und eröffnet neue Perspektiven auf Modi und Kriterien einer Auswahl von Werkmeistern.
Die weiteren Vorträge der dritten Sektion thematisierten die Anteile der Werkmeister im Bauprozess und machten einmal mehr auf die jeweils von den Bauverantwortlichen zu berücksichtigenden Prämissen, wie Materialbeschaffung, die Vorfabrikation von Werksteinen oder das Vorhandensein älterer Bauteile, aufmerksam. Wie Leonhard Helten (Halle/Saale) zeigte, lässt sich das Parallelrippengewölbe im Binnenchor der St. Nikolauskirche in Kampen unmittelbar mit dem seit 1369 mit der Fertigstellung des Baus beauftragten Meister Rutger aus Köln in Verbindung bringen, während die schlichteren Formen der zwischen 1391 und 1402 ebenfalls unter seiner Leitung begonnenen St. Peterskirche in Leiden auf den Import weitgehend in den Steinbrüchen vorgefertigter Werksteine zurückzuführen sind. Eine Zuschreibung an Meister Rutger, der laut Vertrag 21 Tage pro Jahr auf der Baustelle präsent zu sein hatte, wäre ohne die schriftliche Überlieferung kaum möglich.
Umgekehrt stellt sich die Ausgangslage im Falle des Hinrich Brunsberg dar. Dem in einer Bauinschrift aus dem Jahre 1401 an der Fronleichnamskapelle der Brandenburger Katharinenkirche genannten Werkmeister wird eine Gruppe von Backsteinbauten zugeschrieben, die sich durch ihren an Hausteinarchitektur orientierten Maßwerkdekor auszeichnen. Wie Dirk Schumann (Berlin) ausführte, sprechen übereinstimmende Tonmischungen und Formsteine für Werkstattzusammenhänge. Da ein Austausch von Zeichnungen oder Schablonen zumindest denkbar erscheint, muss allerdings offen bleiben, ob es sich tatsächlich um das Oeuvre eines einzelnen Hauptverantwortlichen handelt.
Mit Pierre Perrat lenkte Christoph Brachmann (Berlin) den Blick auf einen Werkmeister, der im letzen Viertel des 14. Jahrhunderts an den Kathedralen von Metz, Toul und Verdun hauptsächlich mit der Fertigstellung bereits begonnener Bauten beschäftigt war. Die gestellte Aufgabe wurde in allen drei Fällen mittels einer weitgehenden stilistischen Angleichung an die bestehenden Teile gelöst, weshalb eine an Entwicklung und Innovation interessierte Kunstgeschichtsschreibung Perrat eher wenig Beachtung schenkte. Das ungewöhnlich aufwändige, anhand einer Beschreibung des 18. Jahrhunderts in seiner ursprünglichen Gestalt zu rekonstruierende Grabmal Perrats in der Kathedrale von Metz interpretierte Brachmann demgegenüber als Zeugnis einer besonderen Wertschätzung seitens der Auftraggeber, die das Agieren im Sinne einer Stilangleichung offenbar goutierten.
Marc Carel Schurr (Fribourg) und Christian Freigang (Frankfurt/Main) veranschaulichten schließlich am Beispiel von Ulm und Frankfurt am Main die wachsende Bedeutung des Rates, bzw. Patriziats für Gestalt und Stilwahl reichsstädtischer Bauten. Schurr hob die Rolle des aus einer adeligen Patrizierfamilie stammenden Lutz Kraft als Initiator des 1377 begonnenen Neubaus des Ulmer Münsters hervor. Während bereits die Darstellung auf dem Gründungsrelief deutlich auf das Freiburger Münster als Prototyp verweist, wird dieses Vorbild in der Ausführung durch Ulrich von Ensingen in aktuellen, an Prag orientierten Formen umgesetzt. Das Aufgreifen des "kaiserlichen" Prager Stils deutete Schurr als eine von den städtischen Entscheidungsträgern durch die Wahl des Werkmeisters bewusst gesteuerte Bezugnahme, die die politischen Ambitionen der Reichsstadt zum Ausdruck bringen sollte. In die gleiche Richtung wies Freigangs Analyse des Turmentwurfs für die Frankfurter Stiftskirche St. Bartholomäus von Madern Gerthener, der vor allem an Formen der Prager und Wiener Bauhütten anknüpft. Wie Freigang zeigen konnte, avancierte die Stadt Frankfurt trotz ihrer reichspolitischen Bedeutung, abgesichert in der 1356 erfolgten Festlegung als Wahlort, erst nach 1400 zu einem Architekturzentrum. Voraussetzung dafür war der Aufstieg des Patriziats, das, im Gegensatz zu den in der Regel aus den Reihen des Mainzer Domkapitels stammenden Pröbsten des Stiftes, offenbar ein lebhaftes Interesse an architektonischer Repräsentation entwickelte. Ein neues Bewusstsein der Anciennität spiegelt sich dabei möglicherweise nicht nur in den an Burgen der ritterlichen Ministerialität orientierten Formen der Patrizierhäuser, sondern auch in der Kuppelform von Gertheners Turmhelm, die zumindest in Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts mehrfach als an die Krone Karls d. Gr. erinnernd beschrieben wird.
Zum Abschluss lenkte Peter Kurmann (Fribourg), der gemeinsam mit Brigitte Kurmann-Schwarz erarbeitete Thesen vortrug, den Blick auf das Epitaph des Hans von Burghausen. Die besondere Form der in einer Nische eingetieften Büste, die als Konsole den darüber angeordneten Schmerzensmann trägt, interpretierte Kurmann in Analogie zu den Prager Triforiumsbüsten im Sinne einer Angleichung von Architekt und Fundator. [2] Die aufgelisteten Bauten des Werkmeisters sind als Ausweis seiner bleibenden Verdienste zu verstehen, die gemeinsam mit den porträthaften Zügen der Büste auf das Streben nach einer individuellen Memoria hinweisen.
Die Vorträge haben in der Vielfalt der behandelten Aspekte gezeigt, dass die Frage nach den gestalterisch Tätigen im spätmittelalterlichen Bauprozess nur dann zu neuen Erkenntnissen führen kann, wenn im Sinne des von Bürger eingeforderten "erweiterten Werkmeisterbegriffs" sowohl Kompetenzen und Modi der Interaktion vor Ort, als auch übergreifende Strukturen und die sozialen Netze aller Beteiligten Berücksichtigung finden. Trägt die Fokussierung auf Personen und deren Oeuvre zu einem besseren Verständnis der Entstehungsprozesse bei, sind neue Perspektiven für eine historisch reflektierte Interpretation der Bauten zu gewinnen. Insgesamt bildete die Tagung einen vielversprechenden Auftakt für das in Dresden in Angriff genommene Forschungsprojekt einer stärker quellenorientierten Analyse spätgotischer Architektur. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Günther Binding, Architectus, magister operis, wercmeistere. Baumeister oder Bauverwalter im Mittelalter. In: Mittellateinisches Jahrbuch 34, 1999, 7-28; Arnold Bartetzky: Missverständnisse, Manipulationen und Mythen. Anmerkungen zur Stellung des Baumeisters in der "Deutschen Renaissance". In: ders. (Hrsg.), Die Baumeister der "Deutschen Renaissance". Ein Mythos der Kunstgeschichte? Beucha 2004, 259-263.
[2] Vgl. Christian Freigang, Werkmeister als Stifter. Bemerkungen zur Tradition der Prager Baumeisterbüsten. In: Nobilis arte manus. Festschrift zum 70. Geburtstag von Antje Middeldorf Kosegarten, hrsg. v. Bruno Klein und Harald Wolter-von dem Knesebeck, Dresden/Kassel 2002, S. 247-260.
Empfohlene Zitation:
Markus Thome: [Tagungsbericht zu:] Werkmeister der Spätgotik (Meißen, 20.–21.04.2007). In: ArtHist.net, 01.08.2007. Letzter Zugriff 02.11.2024. <https://arthist.net/reviews/314>.
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