REV-CONF 23.01.2001

Zukunft ausstellen: Expo, 7 Huegel und Millennium Dome

Berlin, 28.10.2000

Bericht von Robert Felfe, Berlin
Godehard Janzing, Berlin

Zukunft ausstellen: Expo, 7 Huegel und Millennium Dome
Bericht ueber den Workshop des Ulmer Vereins und des Hermann von
Helmholtz-Zentrums fuer Kulturtechnik
am 28. Oktober 2000 an der Humboldt-Universitaet zu Berlin

Die zentralen Millenniumsausstellungen in Hannover, Berlin und London
markieren einen qualitativen Sprung in der Geschichte des Mediums
Ausstellung. Mit einer bisher nicht dagewesenen Fuelle multisensueller
Reize versuchen sie sich in der Medienkonkurrenz der
Kommunikationsgesellschaft zu behaupten. Diesem Paradigmenwechsel in der
Praesentationsaesthetik galt der inzwischen dritte Workshop des Ulmer
Vereins zur Analyse aktueller Ausstellungen (vgl. kritische berichte
3/99, S. 76-80, sowie kritische berichte 1/00, S. 76-82), der dieses Mal
als ganztaegige Veranstaltung und in Zusammenarbeit mit dem Hermann von
Helmholtz-Zentrum fuer Kulturtechnik an der Humboldt-Universitaet zu
Berlin stattfand.
Ziel der Veranstaltung war es, die medialen Strategien dieser
Inszenierungen von "Zukunft" zu analysieren und zu fragen, welches Bild
vom 21. Jahrhundert hier mit welchen Mitteln entworfen wird.

Die Themenparks der Expo, die Sieben Huegel und der Millennium-Dome
boten auf sehr verschiedene Weise Anlaß zur Frage nach den semantischen
Mustern und Zeitmodellen mit denen hier Horizonte des Kuenftigen
entworfen und mit hohem aesthetischem Aufwand in Szene gesetzt wurden.
Geschichtstheoretische Aspekte, deren Inszenierungen im Medium
Ausstellung bereits in den ersten beiden Treffen leitende Themen waren,
bildeten daher den Rahmen fuer die Diskussion.
Der globale Grabungsschauplatz wie er uns im Expo-Themenpark "Das
21.Jahrhundert" entgegentritt, verlegt die nahe Zukunft in den Modus der
Vergangenheit. Robert Felfe (Berlin) wies in der Einfuehrung darauf hin,
daß die Ausgrabung als Technik human- und naturwissenschaftlicher
Forschung bereits aus ihrer Geschichte heraus metaphorisch bzw.
symbolisch aufgeladen sei: als Vorgang des Erinnerns, der Wiedergeburt
und des (Rueck)-Gewinns von Zeugnissen der Geschichte aus den
verborgenen Tiefen
der Erde. Die ausgegrabene Zukunft in der Ausstellungsinszenierung
versetze die BesucherInnen in die imaginaere Position derer, die die
bevorstehenden Jahrzehnte mit all ihren in der Ausstellung benannten
Problemen ueberlebt haben und angesichts der archaeologischen "Funde"
auf der Haben-Seite geschichtlichen Wissens verbuchen koennen.

Joern Ahrens (Berlin) machte in den Themenparks der Expo einen
durchgaengig theologischen Zug aus. Vor dem Hintergrund christlicher
Parusie- und Erloesungserwartungen entwickelte er eine grundlegende
Kritik an der Ausstellung. Die hier evozierte "Totalitaet des Realen"
entfalte in der ebenso konkreten wie suggestiven Verraeumlichung der
Zukunft eine
normative Kraft wodurch die Moeglichkeiten und Latenz von Kuenftigem in
eine schicksalhafte Bestimmtheit transformiert wuerden. Die
anschließende Diskussion ließ die Problematik einer derartig
weitreichenden und abstrahierenden kritischen Reflexion des Mediums
Ausstellung deutlich
hervortreten, da sie Gefahr laeuft, selbst Nuancen und
Deutungsspielraeume in den konkreten Ausstellungsinszenierungen zu
negieren.

In dem Vortrag des Historikers Christian Holtorf (Dresden) zum
"Millennium Dome" in London wurden hingegen gerade Ambivalenzen betont.
Zwar sei auch hier die Architektur in ihrer Gestalt und Umgebung mit
schoepfungs-
bzw. heilsgeschichtlichen Zuegen aufgeladen und die Lage in Greenwich,
auf dem Null-Meridian der Erde, platziere die Ausstellung an markanter
Stelle im technischen System geokosmischer Zeitrechnung, die die
gewaltige Zeltkuppel wie eine neue Welt oder die Sonne selbst ueber der
Themse
aufgehen lasse. Der Parcours durch die Ausstellung setze diesen Modellen
einer linearen Zeitperspektive jedoch zyklische Ablaeufe und
Zeitkonzepte entgegen. Das Ausststellungsgebaeude funktioniere als
monumentaler Uebergangsritus, der mit seiner Rueckbesinnung auf humane
Ressourcen die
Voraussetzung fuer soziale Zukunft sichern solle.

Mit einem Beitrag aus ihrer aktuellen Forschungsarbeit zur
"Praesentationsaesthetik kulturhistorischer Ausstellungen" lieferte die
Historikerin Bettina Drescher (Graz) eine begriffliche Grundlage fuer
die detaillierte Auseinandersetzung mit komplexen Ausstellungsszenarien
und deren einzelnen Gestaltungselementen. In Anknuepfung an theater- und
filmtheoretische Diskurse ist die "Szenographie" zu einem
Schluesselbegriff fuer Konzepte und Phaenomene juengster
Ausstellungspraxis aufgestiegen, mit dem ein gravierender Wandel des
Wahrnehmungsverhaltens einhergeht. So wuerden in Bereichen der
Expo-Themenparks wie "Wissen", "Zukunft der Arbeit" und
"Gesundheit" Ausstellungsraeume zu bildlichen Einheiten verdichtet, die
ein emotionales Begreifen ermoeglichen sollen, wozu man sich Mitteln des
Cinematographischen sowie des Performativen bediene. Die Ausstellung "7
Huegel" setze auf aehnliche Strategien, die das einzelne Objekt als
Bedeutungstraeger der Gesamtinszenierung unterordne, fuehre dem Publikum
dabei jedoch gleichzeitig die Grenzen seiner Dekodierungskompetenzen vor
Augen. In Bereichen wie "kern" oder "zivilisation" scheine die
Zusammenstellung der Objekte in ihrem Ueberangebot leichtverstaendliche
Botschaften bewußt zu verunmoeglichen. Das fragmentierende Arrangement
erklaere dabei ein "zappendes" Rezeptionsverhalten der
BesucherInnen zur Pflicht.

Sinnvolles Korrektiv fuer die kategorialen Einordnungsversuche war die
Annaeherung an verschiedene Ausstellungsbereiche aus der Macher- sowie
aus der Besucherperspektive durch Ralf Buelow (Berlin), den Kurator der
Abteilung "weltraum" in den 7 Huegeln und Barbara Hentschel (Berlin),
die ihre Eindruecke in den der Thematik von Umwelt und Mobilitaet
gewidmeten Bereichen der Expo und des Millennium Dome beschrieb.

Peter Feists (Berlin) polemischer Einwand gegen die entwertende
Integration von Kunstwerken in den Raumszenarien der 7 Huegel forcierte
eine kontroverse Diskussion ueber die semantische Eigenwertigkeit von
Objekten. Waehrend auf der einen Seite eine Desemantisierung des
einzelnen Exponats durch die Inszenierungspraxis zeitgenoessischer
Ausstellungen beklagt wurde, wurde von anderer Seite die dieser Kritik
zugrunde gelegte Annahme, daß Objekte, seien es Kunstwerke, technische
Instrumente oder Naturalien, ueberhaupt eine fuer sich sprechende
Bedeutung verbuergen, generell in Frage gestellt.

Daß Bildsprache und Aesthetik der neuen Medien die Gestaltung der
besprochenen Ausstellungen nicht allein praegen, sondern ihr
verstaerkter Einsatz auch dazu fuehren kann mediale Unterschiede zu
nivellieren, machte Rosmarie Beier-de Haan (Berlin) am Beispiel der
Expo-Themenparks
deutlich. Filmsequenzen suggerierten ein Naehe zum wahren Leben. Die
ueberwaeltigenden Bilderfluten fuehrten ihrer Meinung nach zu einer
Einebnung und Verschmelzung der Bedeutungstraeger, die nicht zuletzt
eine Entpolitisierung des Gezeigten befoerderten und damit ihren Beitrag
zu einer fragwuerdigen "Konsenskultur" leisteten. Die Frage, ob damit
der
Kommunikationscharakter der Medien nicht ad absurdum gefuehrt werde,
ließ in der Diskussion ein grundlegendes Paradox erkennen. Gerade der
Wunsch nach Grenzenlosigkeit, das Bemuehen durch eine multimediale
Ausstellungsinszenierung Fenster zur Welt zu oeffnen, fuehrt um so
staerker zu einer raeumlichen Abschottung und laeßt die Raeume zu einer
Binnenwelt illusionistischer Effekte werden.
Der Einsatz neuer Darstellungsmedien fuehrt dabei zwangslaeufig auch zu
einer Verlagerung der fuer die Gestaltung von Ausstellungen
entscheidenden Kompetenzen. Karl Karau (Berlin), der als Architekt der
Firma TRIAD den von ihm entworfenen "Planet m" vorstellte,
repraesentierte damit
auch ein neues Berufsbild, dessen Vertreter es verstehen, sich sowohl
auf dem
finanztraechtigen Gebiet der Unternehmenskommunikation als auch bei der
Erarbeitung kulturhistorischer Ausstellungen zu betaetigen, und auf
diese Weise beide nachhaltig umformen. Damit wurde eine Frage
aufgeworfen, die ins Zentrum auch der berufspolitischen Aktivitaeten des
Ulmer
Vereins trifft. Es ist keineswegs selbstverstaendlich, daß es auch in
Zukunft
KunsthistorikerInnen - als Fachleute der Geschichte des Visuellen sein -
werden, die in diesem Uebersetzungsprozeß zwischen Ausstellung und
Betrachtern moderieren. Um so wichtiger erscheint es, spezifisch
kunsthistorische Kompetenzen in sich neu entwickelnde Formen der
Kooperation bei Planung und Organisierung von Ausstellungsprojekten
einzubringen.

Zum Abschluß der Veranstaltung praesentierte Anita Stegmaier (Berlin)
das Konzept der geplanten Ausstellung "theatrum naturae et artis", deren
objektzentrierte Darbietung der Sammlungsbestaende der
Humboldt-Universitaet als eine Art Gegenreaktion zum "Inszenierungswahn"
der
Millenniumsausstellungen verstanden werden koennte. Die
Ausstellungsleiterin betonte jedoch, daß es sich bei der Praesentation
einer historisch gewachsenen Sammlung von vornherein um eine andere
Aufgabe handele.
Die Auswirkungen der besprochenen Großausstellungen auf
Gestaltungsfragen sowie Gestaltergruppen im Ausstellungsbetrieb bleiben
abzuwarten. Diesen und anderen Fragen wird sich der Arbeitskreis, der
sich in diesen und den vergangenen Workshops zusammengefunden hat, auch
weiterhin widmen.
Fuer das Fruehjahr 2001 ist ein Treffen in Wolfsburg geplant, bei dem
das
Zusammenspiel von Autostadt, Kunstmuseum und Science-Zentrum
thematisiert werden soll. Informationen und Termine werden auf der
Internetseite des Ulmer Vereins bekannt gegeben. Interessierte sind
jederzeit herzlich
willkommen.

Robert Felfe und Godehard Janzing

Naeheres zum Projekt unter:
http://www.ulmer-verein.de/ausstellung.htm

Empfohlene Zitation:
Robert Felfe, Godehard Janzing: [Tagungsbericht zu:] Zukunft ausstellen: Expo, 7 Huegel und Millennium Dome (Berlin, 28.10.2000). In: ArtHist.net, 23.01.2001. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/24295>.

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