REV 18.07.2005

Jutta Frings (Hg.): Krone und Schleier

Rezensiert von Ralf Dorn, Darmstadt
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Überschaut man die Forschungsliteratur zur Kunst und Architektur der mittelalterlichen Frauenklöster, so fällt auf, daß es trotz der Vielzahl an Spezialabhandlungen zu diesem Thema noch kein einführendes Standardwerk gibt. Gleiches galt bis dato für eine Gesamtschau. Dieses Manko wurde nun endlich behoben durch die Ausstellung „Krone und Schleier – Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern“. Die Ausstellung eröffnete ganz neue Sichtweisen auf Kunstwerke, die bisher nur selten unter den Aspekten Kunst von Frauen beziehungsweise Kunst für Frauen gesehen wurden.

Wir kennen aus dem Mittelalter nur wenige Frauen, die sich künstlerisch betätigten, und zwar nicht nur als Bildstickerinnen. Klosterfrauen aus dieser eingeschränkten Position zu betrachten hieße, wieder in neuzeitliche Rollenklischees zu verfallen, wie sie vor allem das 19. und frühe 20. Jahrhundert kannte. Eine solche Engführung mißachtet die herausragende Stellung ehemals so bedeutender Reichsstifte wie beispielsweise Essen, Quedlinburg oder Gernrode, deren Architektur noch heute von der Ausnahmestellung ihrer Bewohnerinnen kündet. Deren machtvolle Äbtissinnen waren zur Zeit der ottonischen Kaiser mit der Reichspolitik eng vertraut, teilweise gar involviert und gaben als Stifterinnen bedeutende Kirchenbauten und Kunstwerke in Auftrag.

Die Ausstellung war ein lange geplantes Projekt der beiden Initiatoren Jeffrey F. Hamburger und Robert Suckale, die zusammen mit Jan Gerchow ein interdisziplinäres Team von Fachkollegen um sich scharten, das die Ausstellung mit durchweg prominenten Leihgaben bestückte. Sie wurde für zwei Orte konzipiert, doch chronologisch wie inhaltlich deutlich aufeinander bezogen. Im Essener Ruhrlandmuseum setzte man sich mit den frühen Klöstern und Stiften der Zeit von 500 bis 1200 auseinander, in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland thematisierte man die Zeit der Orden von 1200 bis 1500. Der aufwendig gestaltete Katalog mit seiner durchweg qualitätvollen Bebilderung dokumentiert dies.

Im Gegensatz zu den großen Mittelalter-Ausstellungen der vergangenen Jahre spiegelt der Ausstellungskatalog zugleich den Wunsch wider, wegzukommen von den kiloschweren und mehrere Bände umfassenden Dokumentationen. Man übte sich in Bescheidenheit: einem rund 150 Seiten zweispaltig gesetzten umfassenden Essayteil folgen die Essener und Bonner Katalogteile mit zusammen 400 Seiten. Ein hilfreiches Glossar, ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Register der genannten Personen, Orte und Objekte runden den Katalog ab.

Gemäß ihrer Anlage als Essays dienen die knapp und prägnant gehaltenen Beiträge als Einleitung in die verschiedenen Aspekte des geistlichen Lebens, des Alltags und der Kunst mittelalterlicher Frauenklöster. Jeffrey F. Hamburger und Robert Suckale bieten dem Leser bereits das weite Spektrum künstlerischer Produktion und geben damit die Einführung in das Thema. Königliche Stifte und Klöster nahmen durch anspruchsvolle Bau- und Bildprogramme häufig die Vorreiterrolle ein. Dieser Anspruch geht auch im Spätmittelalter trotz immer schärferer Klausurbestimmungen nicht verloren und kulminiert in der Genese neuer Bildgattungen und Frömmigkeitspraktiken. Hamburger zieht ein deutliches Fazit: „Nonnen in Klausur nahmen nicht nur an den breiteren künstlerischen Strömungen des Mittelalters teil, sie änderten auch nachhaltig deren Richtung.“ (38).

Der Beitrag von Gisela Muschiol widmet sich sodann der Liturgie mittelalterlicher Frauenkonvente, die dem Tagesrhythmus der Stundengebete folgte und im Jahresverlauf von festlichen Höhepunkten begleitet wurde. Den täglichen bzw. jährlichen Rhythmus bereicherten die Konvente im hohen und späten Mittelalter durch einen ganz eigenen spirituellen Zugang: „[...] Nahrung und Eucharistie wurden in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt, das Fasten gewann eine neue, in der Liturgie gipfelnde Bedeutung.“ (42). Daß dieser gewandelte Zugang zur Liturgie auch bauliche Konsequenzen nach sich zog, merkt die Autorin zugleich als ein bedauerliches Forschungsdesiderat an.

Ihr Ausschluß vom Priesteramt machte die Klosterfrauen über alle Zeiten hinweg von der Seelsorge durch männliche Kleriker abhängig. Klaus Schreiner betont die unterschiedlichen Ansätze der männlichen Orden, mit den von ihnen betreuten Frauenkonventen umzugehen. Dieses Verhältnis war aus Sicht der Männer nicht unbedingt von gegenseitigem Nutzen geprägt, sondern wurde oft als einseitige Belastung betrachtet. Und doch bot gerade die Seelsorge des Dominikanerordens den Frauen „die inspirierende Kraft dominikanischer Theologie und Mystik“ (62), gipfelnd in berühmt gewordener Visionsliteratur.

Zu einer Kloster- oder Stiftsgründung bedurfte es einflußreicher Personen, weltlicher wie geistlicher Amtsträger sowie eine materielle Unterstützung, die der Gründung das Überleben sicherte. Hedwig Röckelein stellt heraus, daß das Verhältnis von Stiftern und ihren Konventen von gegenseitigen Verpflichtungen geprägt war. Der materiellen Ausstattung des Gebenden entsprach der geistliche Lohn der Nehmenden in Form von Gebetsgedenken, einer im Mittelalter gängigen Memorialpraxis. Das diese Form des Gebetsgedenkens unter dem Schutz der Heiligen ablief, macht Röckelein anhand des engen Zusammenhangs der Stifter und deren Schutzpatronen deutlich, die die ganze „familia“ des Klosters umfaßte.

Der Tod von Stiftern oder Patronen führte zumeist dazu, daß sich die Konvente selbst um ihre wirtschaftliche Sicherung bemühen mußten. Werner Rösener macht deutlich, daß religiöse Ziele nur bei entsprechender wirtschaftlicher Absicherung erreicht werden konnten und unterstreicht, daß dieser Prozeß gerade bei den Reformbemühungen des späten Mittelalters zu einer Neubelebung des inneren Klosterlebens führen konnte.

Verständlicherweise kann der Aspekt der Architektur mittelalterlicher Frauenklöster nur kursorisch abgehandelt werden. Carola Jäggi und Uwe Lobbedey unternehmen den Versuch einer Aufarbeitung der gerade bei Frauenklöstern recht dünnen Überlieferungsschicht. Anhand des erhaltenen Baubestandes zeigen sie auf, daß gerade für das Früh- und Hochmittelalter „[...] Bautypen und Stilformen beinahe unterschiedslos für weibliche und männliche Konvente angewendet werden“ (89). Entscheidend ist die Frage: „Wo und wie haben die Frauen gewohnt?“ (89). Häufig sind es lokale Traditionen, die Bautypen und –formen bestimmen, also deutlich kunstlandschaftlich ausgeprägte Aspekte. Erst die Reformen des 15. und 16. Jahrhunderts bedingen durch Neueinschärfung der Klausur weitere bauliche Veränderungen.

Das, was dem Laien üblicherweise zum Thema mittelalterlicher Klosterfrauen einfällt, ist der Name Hildegard von Bingen. Sie steht als „Frontfrau“ an der Spitze mittelalterlicher Frauenmystik. Barbara Newman geht diesem Phänomen weiblicher Mystik anhand von drei Beispielen nach und gibt Hinweise für ihr tieferes Verständnis. Der intensive Gebrauch von Bildern „resultierte in visionären Erfahrungen, die in religiösen Gemeinschaften hoch bewertet wurden, trotz des Argwohns, mit dem man Frauen mit übertriebenem Anspruch auf Visionen begegnete.“ (107).

Neben den vorgeschriebenen Gebets- und Liturgiezeiten der Klosterfrauen gab es gerade im späten Mittelalter als befremdend empfundene Formen weiblicher Frömmigkeit. Caroline Walker Bynum findet Gründe für die so widersprüchlich erscheinende Körperbezogenheit weiblicher Frömmigkeit sowie einer genuin geschlechtsspezifischen Bildlichkeit und räumt auf mit der Marginalisierung der Rolle der Frau in der Verschriftlichung weiblicher Religiosität. Auch die vielfach propagierte Abgeschlossenheit gegenüber der Welt traf, wie Gabriela Signori nachweist, selbst bei reformierten und klausurierten Frauenklöstern nicht zu. Auch in ihnen blieb „[...] allen Verboten zum Trotz, die Welt stets präsent“ (140).

So wie der erste Essay als Einleitung verstanden werden kann, läßt sich der letzte als Schlußbemerkung verstehen. Jan Gerchow und Susan Marti begegnen begrifflichen Klischees wie „Nonnenmalereien“, „Versorgungsanstalten“ und „Frauenbewegungen“, die sich in der älteren Forschung als diffamierende Begrifflichkeiten eingeschlichen haben. Sie versuchen nochmals den Blick auf eine vielgestaltige Epoche zu lenken, die durch viele Brüche gekennzeichnet ist und durch diese zu einer neuen „Konstruktion von Weiblichkeit“ (152) gelangte.

Ausstellung wie Katalog folgen der Binnenordnung: Die historisch greifbaren Einzelaspekte in Essen werden durch die klosterähnliche Anordnung der Raumteile in Bonn ergänzt. Ein Aufbau, der sinn- und bedeutungsvoll den Weg in das Innere eines Frauenkonvents lenkt. Mit dem Katalog setzten sich die Ausstellungsmacher das Ziel, ein großes Publikum zu erreichen. Die Beiträge sind anspruchsvoll und verlangen vom Leser eine intensive Beschäftigung mit den präsentierten Objekten und den aufgeworfenen Fragen. Wo es an Platz zur breit angelegten Beantwortung von Einzelfragen mangelte, wurde auf die Fachliteratur verwiesen. Darüber hinaus sei den Interessierten schon jetzt der Hinweis auf einen angekündigten Aufsatzband zur ausstellungsbegleitenden Tagung im Mai 2005 gegeben. Der Katalog darf als ein wichtiger Meilenstein auf dem weiteren Weg zur Erforschung mittelalterlicher Frauenklöster und -stifte gesehen werden, führt er doch erstmals in umfänglicher Weise den künstlerischen Reichtum mittelalterlicher Frauengemeinschaften vor Augen.

Frings, Jutta (Hrsg.): Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern ; Ruhrlandmuseum: Die frühen Klöster und Stifte 500 - 1200 ; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Die Zeit der Orden 1200 - 1500 ; eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bun, München: Hirmer Verlag 2005
ISBN-10: 3-7774-2565-6, 583 S

Empfohlene Zitation:
Ralf Dorn: [Rezension zu:] Frings, Jutta (Hrsg.): Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern ; Ruhrlandmuseum: Die frühen Klöster und Stifte 500 - 1200 ; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Die Zeit der Orden 1200 - 1500 ; eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bun, München 2005. In: ArtHist.net, 18.07.2005. Letzter Zugriff 16.04.2024. <https://arthist.net/reviews/92>.

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