REV 29.01.2015

Fischer, Rudolf: Licht und Transparenz

Rezensiert von Marion Hilliges, Berlin
Redaktion: Philipp Zitzlsperger
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„Der Arbeit müssen Paläste errichtet werden, die dem Fabrikarbeiter, dem Sklaven der modernen Industriearbeit, nicht nur Luft, Licht und Reinlichkeit geben, sondern ihn auch etwas spüren lassen von der Würde der gemeinsamen großen Idee, die das Ganze treibt.“[1] Hinsichtlich dieser euphorischen Worte von Walter Gropius erstaunt es, dass dem Fabrikbau in der kunst- und architekturgeschichtlichen Forschung bisher ein eher geringes Interesse entgegengebracht wird. Vorwiegend im Kontext werkmonographischer Studien sind bisher die Industriebauten namhafter Architekten, wie Peter Behrens (Buddensieg 1979) oder Walter Gropius (Wilhelm 1985) gewürdigt worden.[2] Problemorientierte Studien zum Fabrikbau jedoch, die jenseits der Ikonen des Industriebaus wie der AEG-Turbinenhalle, dem Fiat-Lingotto, den Faguswerken oder der Van-Nelle-Fabrik die Industriearchitektur der Moderne beleuchten, fehlen bisher weitgehend.
Die 2009 an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstandene und 2012 im Gebrüder Mann Verlag veröffentlichte Dissertation kennzeichnet zusammen mit wenigen anderen im gleichen Zeitraum publizierten Schriften, wie Tanja Vonseelens 'Von Erdbeeren und Wolkenkratzern' und Ingrid Ostermanns 'Fabrikbau und Moderne', ein Umdenken in der Forschung und eine erneute Aufwertung der Industriearchitektur als Forschungsfeld.[3]

Der Architekt und Kunsthistoriker Peter Fischer hat es sich in seiner Dissertation zur Aufgabe gemacht, den Stellenwert der vernachlässigten Baugattung Industriebau für die Architektur der Moderne sowie das Verhältnis von Architekt und Ingenieur neu zu bestimmen. In seiner Studie, die Fragen der künstlichen Beleuchtung sowie des Tageslichts als konstituierende Paradigmen des modernen Fabrikbaus fokussiert, konzentriert Fischer sich auf die Auswertung der einschlägigen deutschsprachigen Fachzeitschriften und Handbücher der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ausgehend von den Debatten in der Fachwelt um Licht und Hygiene richtet er den Blick auf den zeitgenössischen Architekturdiskurs auch jenseits des Deutschen Werkbundes und beschreibt neben den Ikonen der Fabrikarchitektur auch Bauten weniger bekannter Architekten und Ingenieure, wie die Steiff-Fabrik in Giengen an der Brenz (1903), die Papierfabrik Scheufelen (1929-1930) oder die Opelwerke in Brandenburg von Heinrich Bärsch (1935). Dabei würdigt er den bereits 1903 unter der künstlerischen Aufsicht Richard Steiffs errichteten dreigeschossigen Stahlskelettbau in Giengen mit seiner doppelschaligen Glasfassade als „Glanzleistung der Ingenieursgeschichte“ und die äußere Haut der Glasfassade als „früheste Version einer Curtain Wall im Fabrikbau“ (178). Also schon acht Jahre vor dem Neubau der Fagus-Werke, deren Vorhangfassade Walter Gropius später selbst als die „erste Curtain Wall“ propagieren sollte (179).

Nach einer kurzen Einleitung beleuchtet das dritte sehr umfangreiche Kapitel die Diskussionen um den modernen Industriebau innerhalb der Zeitschriften und Handbücher. Dabei verhandelt Fischer anhand verschiedener Stichworte wie „Monumentalität und Technik“ (31), „das allgemeine Schönheitsempfinden“ (36), „Zwischen Tradition und Avantgarde“ (48) oder „Ingenieurskult und Technikchic“ (67) den zeitgenössischen Architekturdiskurs zu Fragen der Form und Ästhetik des modernen Fabrikbaus. Dass hier die Auswahl der Beispiele eine Relativierung und Kontextualisierung der Industriebauikonen wie der Turbinenfabrik oder der Faguswerke zu leisten vermag, ist ein großes Verdienst der Arbeit Fischers.

In Kapitel 4. 'Human gestaltete Fabrikarchitektur: Licht und Hygiene' widmet der Autor sich den Forderungen nach sozialen Arbeitsbedingungen (Humane Rationalisierung, Uhl 2014),[4] um in den folgenden Kapiteln (5-7) spezifische Aspekte wie die Lichtplanung, die künstliche Beleuchtung und nicht zuletzt die Tageslichtfabrik ausführlich zu diskutieren. Dabei betont Fischer, dass diese Fragen eben keine eigentlichen „Werkbundfrage[n]“ waren, sondern vielmehr die „im Industriebau aktiven Praktiker – die Industriearchitekten und Ingenieure“ interessierten (89) und problematisiert damit erneut den Diskurs um die Trennung in gestalterische Aufgaben (Architekt) und technische Aufgaben (Ingenieur). Anhand bemerkenswerter Beispiele wie der Maschinenhalle in Leipzig (I.B.A. 1913) von Breest & Co. kann der Autor zeigen, dass selbst technisch innovative Fabrikbauten in dem von Werkbund und Heimatschutz geprägten Diskurs der Moderne keine Beachtung fanden, wenn sie ohne „Mitwirkung eines Architekten“ entwickelt worden waren (194/195).

Die gewählte Fragestellung zur Bedeutung des Lichts begründet auch die Auswahl seiner Fallbeispiele, die weitgehend aus der Genussmittelindustrie stammen. Die Tabakindustrie hatte laut Fischer eine Vorreiterrolle hinsichtlich der Beleuchtung bzw. der Entwicklung der Tageslichtfabrik in Europa inne, weshalb der Analyse der mitteleuropäischen Zigarrenfabriken mit mehr als 50 Seiten das umfangreichste Kapitel gewidmet ist.

Einer besonders spannenden Thematik wendet er sich unter dem Titel 'Die Fabrik als Nachtarchitektur' zu. Die nächtliche Beleuchtung der Fabrikarchitektur diente nicht nur dem „nächtlichen Werkbetrieb oder Werbezwecken“ (262), sondern führte auch zu einer generellen baukünstlerischen Aufwertung des Industriebaus. Zahlreiche Fabrikbauten wurden in aufwendigen Fotokampagnen als körperlose „Lichtarchitekturen“ inszeniert. Fischer zeigt hier neben den prominenten Nachtaufnahmen der Van-Nelle-Fabrik und Poelzigs IG-Farben auch weniger bekannte Fotos wie beispielsweise die Nachtaufnahme der Fabrik Paul Jenisch in Nürtingen oder das exzellente Titelbild aus der Baumonografie 'Das neue Werk' (1935) der Opel Lastwagenfabrik in Brandenburg (Heinrich Bärsch).

Von dieser nächtlichen Lichtinszenierung scheint es nur ein kleiner Schritt zum abschließenden Kapitel „Zwischen Moderne und Totalitarismus“. Als eigenes Kapitel zu knapp, erscheint es eher als Ausblick auf die Fabrikarchitektur in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Ausblick, in dem Rudolf Fischer den Versuch unternimmt die Kontinuität der Moderne im Fabrikbau anhand der Paradigmen Licht, Luft und Reinlichkeit zu skizzieren. Er thematisiert die Forderungen des Amts für Schönheit der Arbeit und umreißt die oft diskutierten Fragen nach der Zuflucht zum Industriebau als ästhetische Opposition. Spätestens mit der Sammelschrift von Hartmut Frank (1985) ist in der Forschung die Legende einer menschenfeindlichen „Nazi-Architektur“ ebenso entlarvt, wie der Mythos, dass die Architekten des Neuen Bauens in der Industriearchitektur eine Nische fanden, die es ihnen erlaubte zumindest ästhetisch Widerstand gegen das Regime zu leisten. Dennoch ist gerade die Industriearchitektur der 30er und 40er Jahre – zumal im internationalen Kontext/Vergleich – noch immer weitgehend unerforscht. Eine Lücke, die auch der Autor nur partiell zu schließen vermag.

Es ist Rudolf Fischer in seiner Studie gelungen, durch die Auswertung bisher unbearbeiteter Zeitschriften und Handbücher ein differenzierteres Bild des (vorwiegend) deutschen Fabrikbaus der Moderne zu zeichnen. Seine detaillierten Ausführungen betonen einmal mehr die Bedeutung der Ingenieurstechnik für die Ausbildung der reinen Tageslichtfabrik, die den modernen Fabrikbau der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Zudem wird deutlich, dass die Architekturfotografie als Mittel der Präsentation in besonderem Maße zur Popularisierung und Stilisierung einzelner Bauten und damit zur Vorstellung einer stringenten Entwicklungslinie des modernen Industriebaus beigetragen hat. Rudolf Fischer löst das in der Einleitung gegebene Versprechen „eine neue Sicht auf die Geschichte des Industriebaus“ (15) zu eröffnen sehr wohl ein, wenngleich die sehr detaillierte Gliederung mitunter zu leichten Redundanzen in der Argumentation führt.

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Anmerkungen

[1] Walter Gropius: Monumentale Kunst und Industriebau, in: Walter Gropius, Bd 3, Ausgewählte Schriften, hg. von Hartmut Probst, Christian Schädlich, Berlin 1988, S. 31.
[2] Tillmann Buddensieg: Industriekultur, Peter Behrens und die AEG ; 1907 – 1914, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1979, Karin Wilhelm: Walter Gropius, Industriearchitekt, Braunschweig 1983.
[3] Tanja Vonseelen: Von Erdbeeren und Wolkenkratzern. Corporate Architecture - Begründung, Geschichte und Ausprägung einer architektonischen Imagestrategie, Oberhausen 2012, Ingrid Ostermann: Fabrikbau und Moderne in Deutschland und den Niederlanden der 1920er und 30er Jahre, Berlin 2010.
[4] Unter dem Titel „Humane Rationalisierung“ hat der Historiker Karsten Uhl Fragen der sozialen Arbeitsbedingungen sowie der effizienten Raumordnungen im Fabrikbau untersucht. Karsten Uhl: Humane Rationalisierung? Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert, Bielefeld 2014 (Habilitationsschrift).
[5] Hatmut Frank (HG.): Faschistische Architekturen. Planen und Bauen in Europa 1930 bis 1945, Hamburg 1985

Fischer, Rudolf: Licht und Transparenz. Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne. Studien zur Architektur der Moderne und industriellen Gestaltung, Band 2, Gebr. Mann Verlag 2012
ISBN-13: 978-3-7861-2665-2, 339 p., EUR 69,00

Empfohlene Zitation:
Marion Hilliges: [Rezension zu:] Fischer, Rudolf: Licht und Transparenz. Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne. Studien zur Architektur der Moderne und industriellen Gestaltung, Band 2, 2012. In: ArtHist.net, 29.01.2015. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/8794>.

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