Aus Anlass ihres 250jährigen Bestehens widmet sich Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig/Academy of Visual Arts im zweiten Heft der neuen Reihe „Journal“ einem ungewöhnlichen Thema. Unter dem Titel „Freundschaftsantiqua. Ausländische Studierende an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig – ein internationales Kapitel der Kunst der DDR.“ richten die Herausgeberinnen Julia Blume (HGB) und Heidi Stecker (GfZK) ihren Blick erstmalig auf ein weitgehend unbeachtetes, aber ungemein interessantes Kapitel der DDR-Kunstgeschichtsschreibung. Die Idee, DDR Kunst mit Internationalität zu verbinden, läuft den Klischees und der Mythenbildung vom Inseldasein und Sonderwegen der Künstler der geschlossenen Republik zuwider und setzt sie - wenn auch in unerwarteter Weise - mit der Welt außerhalb der DDR in Beziehung. Tatsache ist neben der gegebenen Abschottung der DDR nach außen doch auch die Infiltrierung der Kunstszene durch internationale Einflüsse. J. Blume und H. Stecker machen klar, dass das Ausländerstudium als Teil dieses Austausches gesehen werden muss. Darüber hinaus wir deutliche, dass die hohe Qualität der Ausbildung an der HGB ein Studium an dieser Schule durchaus auch hinter den Grenzen der DDR attraktiv erscheinen ließ.
Gegenläufig zum vielbesprochenen Drang hinaus aus der ostdeutschen Enge der (künstlerischen) Freiheit entgegen geht es in „Freundschaftsantiqua“ um Menschen, die in die DDR kamen, um Künstler zu werden. Verblüffend, dass es dabei kaum um das Erlernen des Einmaleins eines internationalen propagandistisch verwertbaren Stils ging. Die AutorInnen schaffen es, das Thema facettenreich zu kontextualisieren. Ein einführender Aufsatz der Herausgeberinnen stellt schon im Titel „Lernen von Freunden?“ das Ansinnen des Ausländerstudiums in der DDR differenziert in Frage und beleuchtet die unterschiedlichen staatlichen und individuellen Intentionen. Deutlich wird, dass das persönliche Engagement und die Studienziele der Einzelnen weit über den offiziellen Auftrag hinausgingen. Besonders interessant erscheint die Einbindung der Thematik in eine profunde Darstellung der Lebenssituation von Ausländern in der DDR, die Patrice G. Portus‘ Aufsatz „Fremde in der Geschlossenen Gesellschaft“ vornimmt. Das Journal ist ein vertiefendes Lesebuch zur Ausstellung Freundschaftsantiqua, die vom 01.02. bis 01.06.2014 in der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig gezeigt wurde. Der Titel verweist beinahe schon realsatirisch auf einen politisch motivierten gestalterischen Auftrag zur Entwicklung einer Schrifttype, die dem sozialistischen Internationalismus Gestalt verleihen soll. Der Schöpfer der Type, Yü Bin–Nan aus China, 1957 bis 1962 Studierender der HGB in Leipzig, probierte die Schrift dann allerdings an ungewöhnlichen Wörtern wie „Nörgelfritze“, „Giraffenstall“ oder „Nieswurz“ aus, was dem Unterfangen eine durchaus dadaistische Note verleiht. Die leicht absurde Intention dieser Arbeit verstärkt sich durch den Umstand, dass sie als Auftrag der maoistischen Regierung Chinas vorsah, die chinesischen Schriftzeichen in das international verständliche standardisierte lateinische Schriftsystem zu überführen. So präsentiert sich die „Freundschaftsantiqua“ (1961) als typografisches Produkt und Medium der sozialistischen Völkerverständigung, die ihren nationalen Wurzeln abschwören und sich gleichzeitig widerstandslos einer fremden europäischen Schrifttradition angleichen wollte. Die Ausstellung provozierte die Frage nach der Vereinbarkeit von proletarischem Internationalismus und eurozentristischem Denken in postkolonialen sozialistischen Gesellschaften.
Die Internationalität in Kunst, Kulturpolitik und -austausch in der DDR stand bisher kaum im Fokus von wissenschaftlichen und künstlerischen Untersuchungen. So betreten Publikation und Ausstellung mit ihrem Schwerpunkt absolutes Neuland. Die Schau präsentierte erstmals öffentlich ein ungewöhnliches Konvolut von Diplomarbeiten ausländischer Studierender der HGB der Jahre 1959 bis 1987 und konfrontierte diese mit zwei aktuellen künstlerischen Bezugnahmen. Gezeigt wurden hauptsächlich fotografische und ausgewählte buchkünstlerische Projekte. Der politische Kontext der Thematik wurde von der Ausstellung übersichtlich und fassbar erklärt. So wurden im Rahmen bilateraler Kulturabkommen Studierende aus den sozialistischen Bruderländern der DDR und sogenannten jungen Nationalstaaten in die DDR entsandt, um „von Freunden zu lernen“. Ganz klar wird dabei, dass sich der das Lernen offiziellerseits mehrheitlich als eine Art künstlerische Entwicklungshilfe gestalten sollte und weniger als Austausch zwischen den teilweise sehr fremden Kulturen gedacht wurde.
In den 50er und 60er Jahren wählten viele der ausländischen Studierenden der HGB das Fach Typografie. Später, in den 70er Jahren, erfreute sich die Fachklasse Fotografie großer Beliebtheit. Den Ausstellungsschwerpunkt Fotografie begründen die Kuratorinnen, Julia Blume und Heidi Stecker, darüber hinaus inhaltlich und formal, denn „Arbeiten Studierender sieht man häufig an, bei welchem Professor sie studiert haben. Die Frage kultureller Spezifika oder der Verschiebung von Blickwinkeln stellt sich in der Fotografie am klarsten, während sich die Protagonisten in den Fachgebieten Buchgestaltung , Grafik und Malerei deutlicher an ihr HGB-Umfeld bzw. die Lehrenden anlehnten.“[1] Dem Bereich der Fotografie wurde zudem nach Auffassung der Kuratorinnen eine gewisse Narrenfreiheit gewährt, da sie „erst gegen Ende der DDR als künstlerisches Medium offiziell akzeptiert wurde.“[2]
Die Motivation dieser Studierenden und der Entsendeländer ist denkbar vielfältig gewesen, findet aber in der Anerkennung der Einzigartigkeit und Qualität der Fotoklasse einen gemeinsamen Nenner. Insbesondere bei den Delegierungen scheint jedoch auch der Wunsch nach einer eigenen propagandistischen Bildsprache stark gewesen zu sein. Neben der größeren Gruppe der auf der Grundlage von Kulturabkommen entsandten Studierenden gab es solche ausländischer Herkunft mit ständigem Wohnsitz in der DDR, die zu den gleichen Bedingungen wie DDR-Bürger studieren konnten. Erstaunlicherweise eröffneten sich seit den 60er Jahren Studienmöglichkeiten für Bürger des kapitalistischen Auslandes, wenn sie denn in der Lage waren, ihr Studium selbst zu finanzieren.
Die meisten Positionen dieser Ausstellung verdeutlichen eine starke Auseinandersetzung der Studierenden mit dem DDR Alltag und ihrer unmittelbaren Erfahrungen und zeigen weniger propagandistische Tendenzen. Die künstlerischen und gestalterischen Arbeiten der Studierenden öffnen Themen, die in der DDR lange Zeit ungewöhnlich waren: der Umgang mit Kindern und Jugendlichen, der Umgang mit Behinderten, Umweltzerstörung, Religiosität. John Lutayas Fotografien, mit dem Titel „contradictions“ umschreibt eine Grundhaltung der ausgestellten Werke.
Exemplarisch für das tiefe Eintauchen in den realen DDR-Sozialismus steht die Arbeit des aus Hanoi stammenden Fotografen Nguyen The Tuc, der die Zerstörung des Dorfes Magdeborn bei Leipzig durch den fortschreitenden Braunkohleabbau dokumentierte. Mit großer Intensität und Freundlichkeit näherte er sich den Menschen dieser Region, teilte und dokumentierte ihr Leben. Dem in Studentenwohnheim organisierten Alltag entzog sich der aus der Mongolei stammende Enchbat Roozonggijn und lebte - ganz so wie in der Leipziger Künstlerszene üblich - in einem maroden Altbau. Den Titel seiner Arbeit von 1983 „Ich bin, also ist Schönheit“ entlehnte er dem 1981 im Reclam Verlag erschienenen gleichnamigen Gedichtband von Peter Hille. Dieser Band, der als sogenannte „Bückware“ schwer im Handel zu bekommen war, ging in Studentenkreisen von Hand zu Hand. Der unangepasst, tragische Hille galt insbesondere jungen Künstlern und Literaten als Identifikationsfigur.
Auffallend ist generell die häufige Bezugnahme der Titel auf literarische Vorlagen, was einen intensiven Austausch zwischen den Fachklassen der traditionell buchkünstlerisch ausgerichteten Hochschule vermuten lässt. Die Gestaltung der Ausstellung minimierte die Distanz zwischen Besucher und Werk. Neben den Originalen wurden Kopien der Bücher präsentiert, die vom Besucher durchblättert werden konnten und der Ausstellung eine Anflug der Atmosphäre eines Hochschulrundgangs vermittelten. Die Ausstellung gab sich jedoch weder inhaltlich noch gestalterisch nostalgischen Schwelgereien hin. Auszüge und Zitate aus den theoretischen schriftlichen Diplomarbeiten hoben die Schau jedoch wieder von einer studentischen Präsentation ab und führten eine wirkungsvolle reflexive Ebene ein.
Bei der Gestaltung einer wandfüllenden Grafik zu den Herkunftsländern sahen sich die Kuratorinnen vor das Problem gestellt, den Veränderungen der politischen Systeme in den letzten 30 Jahren gerecht werden zu müssen: Die unter der Rubrik Nationalität aufgeführten Staaten existieren teilweise heute nicht mehr oder tragen andere Bezeichnungen. Die Grafik wies deutlich darauf hin und rückt damit den historischen Abstand zwischen Ausstellung und Entstehungszeit der Arbeiten ins Bewusstsein. Für das Projekt realisierten Christiane Eisler und Rozbeh Asmani künstlerische Neuproduktionen. In der Kunstvermittlung, im Begleitprogramm sowie in Publikationen wurden Aspekte des Lebens und Arbeitens dieser DDR-BürgerInnen auf Zeit vertieft und an aktuelle gesellschaftliche Diskurse über Bildung und Interkulturalität angeknüpft.
Julia Blume, Tobias Haupt, Marthe Krüger, Vera Lauf, Patrice G. Poutrus, Heidi Stecker: Freundschaftsantiqua, Ausländische Studierende an der HGB Leipzig – ein internationales Kapitel der Kunst in der DDR: Selbstverlag 2014
ISBN-13: 978-3-932865-85-5, 88 S., EUR 15,00
Empfohlene Zitation:
Ute Ackermann: [Rezension zu:] Freundschaftsantiqua (Leipzig, 01.02.–01.06.2014). In: ArtHist.net, 05.09.2014. Letzter Zugriff 22.11.2024. <https://arthist.net/reviews/8224>.
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