REV-EX 05.12.2010

Bronzino. Pittore e poeta alla corte dei Medici (Florenz)

Palazzo Strozzi, Florenz, 24.09.2010–23.01.2011

Rezensiert von Helen Barr, Frankfurt
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Seit dem 24. September zeigt die Stiftung Palazzo Strozzi in Florenz eine umfassende Werkschau des Malers und Literaten Agnolo Bronzino (1503–1572). Es ist die erste Ausstellung dieser Art – eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass Bronzino als einer der wichtigsten Künstler der Florentiner maniera moderna gilt, Leben und Werk wissenschaftlich sehr gut erschlossen sind [1] und seine Gemälde zu den Glanzlichtern international bedeutender Sammlungen zählen. Nach vier Jahren Vorbereitungszeit und unterstützt von einem mit ausgewiesenen Fachleuten besetzten wissenschaftlichen Beirat präsentieren die Kuratoren Carlo Falciani und Antonio Natali eine monografische Ausstellung mit mehr als 70 Werken Bronzinos, die dank einer Reihe seltener Leihgaben erstmalig ein Gesamtbild dieses künstlerischen Oeuvres gibt. Vor allem die italienische Presse sparte daher in ihren Ankündigungen zu der Ausstellung nicht mit Superlativen [2]; die eigentliche Überraschung aber liegt darin, dass es sich hier um eine vollkommen unaufgeregte, fast zurückhaltende Präsentation handelt, die sich wohltuend aus dem sonst oft so effektorientierten Museumsbetrieb heraushebt.

Die Werkschau folgt weitgehend einer chronologischen Linie, innerhalb derer einzelne thematische Schwerpunkte gebildet werden. Einführende Texte und kurze Bildinformationen erläutern die entsprechenden Abschnitte, jedoch erschlösse sich das Itinerar auch ohne diese Angaben allein aus der Zusammenstellung der Werke. Es ist eine klassische monografische Ausstellung im besten Sinne, die den Fokus auf die Kunstwerke selber richtet. Den Kuratoren gelingt es durch Auswahl und Präsentation auf ebenso einfache wie anschauliche Weise, sowohl die Kongruenz als auch die stilistischen und thematischen Verflechtungen im Werk Bronzinos nachvollziehbar zu machen. Falciani und Natali ist es nicht um kühne Thesen oder überraschende Neuinterpretation gelegen, ihr Schlüsselbegriff zur Ausstellung lautet „Naturalismus“ [3]. Wiederholt fällt dieser – gerade in Hinblick auf die Kunst des Manierismus so prekär gewordene – Begriff in den Äußerungen der Kuratoren, wenn sie von den Bildwerken Bronzinos sprechen. Auf den ersten Blick mag dieser Ansatz überraschen, allerdings nur, wenn man einen Abgleich mit der außeritalienischen Manierismusforschung sucht. Dort nämlich hat sich bereits seit den 1920er Jahren, spätestens aber mit den Beiträgen von Craig Hugh Smyth und John Shearman in den 1960er Jahren die Vorstellung etabliert, die Kunst des mittleren Cinquecento zeichne sich vor allem durch eine unnatürliche Übersteigerung und Künstlichkeit aus. Dass aus diesem Urteil weitaus mehr die Interpretation eines nachträglichen Betrachters als das ursprüngliche Konzept spricht, mag heute evident scheinen – die Ausstellung im Palazzo Strozzi lädt nun dazu ein, den Blick erneut zu schärfen.

Grundstruktur der Präsentation bildet der überschaubare und sehr stete Lebenslauf Agnolo Bronzinos. Die enge Verbindung zum Lehrer Jacopo Pontormo, später dann zum Adoptivsohn Alessandro Allori, dem Schüler und „secondo Bronzin“, weitet diese Biografie auf und macht deutlich, dass Genealogie zum konstitutiven Element dieser Florentiner Künstlerpersönlichkeit gehörte. Die ersten Räume sind dem Frühwerk Bronzinos gewidmet, das in vieler Hinsicht von der Nähe zu Pontormo bestimmt ist. Im Unterschied jedoch zu späteren Schülern wurde Bronzino von seinem Lehrer früh mit eigenständigen Aufträgen betraut, so dass er im unmittelbaren Umfeld seines Lehrmeisters sowohl absolute Stiladaptation – die Zuschreibung der Tondi aus der Cappella Capponi (Santa Felicita, Florenz), alle vier in der Ausstellung zu sehen, ist bis heute nicht eindeutig zu lösen – als auch eigenständiges Arbeiten – wie in den Sopraporten der Certosa del Galluzzo bei Florenz – lernen konnte.

Scheinbar aus dem Nichts entsteht während Bronzinos Aufenthalt in Pesaro Anfang der 1530er Jahre das perfekte höfische Bildnis: Mit seiner Darstellung des Guidobaldo II. della Rovere, die den kühl kalkulierten Machtwillen des gerade 18jährigen zukünftigen Herrscher von Urbino in jedem Detail einfängt, etablierte sich Bronzino sofort als ausgezeichneter Porträtist.

Die kurze Zeitspanne zwischen 1529 und 1532 war für Bronzinos Stil- und Themenfindung elementar, wie die Werkschau demonstrieren kann: Mit der Zusammenstellung der wichtigsten Werke aus diesen Jahren in einem Raum werden die Leitmotive vorgeben, die sich fortan durch das Gesamtwerk des Künstlers ziehen. Nach dieser biografisch orientierten Einleitung schreitet die Ausstellung in thematischen Etappen voran, die entweder dem Entstehungs- und Auftragskontext der Werke oder der Zuordnung zu einer bestimmten Bildgattung folgen. Auf diese Weise wird die spezifische Konstellation ausgebreitet, die Bronzinos Rolle im Florenz um die Mitte des 16. Jahrhunderts maßgeblich definierte und deren zentraler Gravitationspunkt die Medici bildeten. Von Bronzinos umfangreichem Schaffen als Hofkünstler zeugen eine Vielzahl von Auftragsarbeiten, nicht nur die zahlreichen Porträts der mitgliederreichen Herrscherfamilie, sondern auch die Entwürfe für großformatige Wandteppiche mit Episoden aus der Josefs-Legende. Diese arazzi, zwischen 1546 und 1553 in einer kurz zuvor von Cosimo de’ Medici eingerichteten und hervorragend besetzten Florentiner Werkstatt produziert, werden in der Ausstellung in einem großen Saal alternierend mit einigen der bekannten Medici-Porträts gezeigt. Auch andere wohlhabende und einflussreiche Florentiner Familien nahmen Bronzinos Dienste in Anspruch. Besonders ertragreich war der Kontakt zum Ehepaar Panciatichi: Vasari listet in diesem Zusammenhang fünf Gemälde auf [4]. Im Palazzo Strozzi werden vier davon gezeigt, darunter erstmals die erst kürzlich Bronzino zugeschriebene Darstellung des „Cristo crocifisso“ aus dem Musée des Beaux-Arts in Nizza.

Unter dem Themenschwerpunkt „Bronzino e le arti“ versammelt die Ausstellung verschiedene, sich durchkreuzende Aspekte – Bronzinos künstlerischen Wettstreit mit der Bildhauerkunst, sein literarisches Werk und sein Schaffen als Intellektuellen-Künstler. Dieser sehr weit gefassten Komplex führt in der Ausstellung zu einer Zusammenstellung unterschiedlichster Werke: Neben der doppelseitig bemalten Tafel mit dem Bild des Hofzwergs Morgante finden sich hier unter anderem zwei opulente allegorische Darstellungen mit Venus und Amor, das kühl-sachliche Porträt der Laura Battiferri und Handschriften der Gedichte Bronzinos. Ergänzt wird dieses Panorama mit Werken von Künstlerkollegen – der gedruckten Publikation von Varchis Vorlesung zum paragone-Thema und Marmorskulpturen von Cellini, Ammannati und Tribolo.

Kompakter, wenn auch nicht weniger umfangreich präsentieren sich zwei weitere Schwerpunkte der Ausstellung, die Bronzinos Bildnissen und seinen Gemälden mit religiöser Thematik gewidmet sind. Der Einfluss des Künstlers auf die Entwicklung beider Bildgattungen in Mittelitalien ist hier nur zu erahnen, dafür gestattet die Abfolge der Gemälde in der Werkschau andere Einblicke – so lässt sie Bronzinos teilweise fließenden Übergang zwischen unterschiedlich kodierten Bildgattungen entdecken, indem sie die Darstellung eines Heiligen Sebastian nur wenige Schritte entfernt von dem Porträt des Andrea Doria als Neptun zeigt.

Ganz im Sinne des von den Kuratoren hervorgehobenen Naturalismus-Aspektes ist der Betrachter zu punktuellen Entdeckungen eingeladen, was dank einer räumlich großzügigen Präsentation auch gut möglich ist. Die Konzentration auf die Bildwerke findet Entsprechung und Unterstützung in einer dezenten Ausstellungsarchitektur: Eine durchlaufend dunkelblau gehaltene Wandbespannung und übersichtliche Beschriftungen – die Bildlegenden sind in niedriger Höhe, aber gut lesbar montiert – gestatten einen ungestörten Fokus. Allein bei der sonst insgesamt sehr gut eingestellten Lichtdramaturgie sind partielle Schwachpunkte zu verzeichnen, wenn etwa die Deckenbeleuchtung auf großformatige Objekte abgestimmt ist, dadurch aber bei kleineren Werken der obere Bildrand in einem breiten Schattenstreifen verschwindet.

Der Gesamteindruck der Ausstellung ist von einer klaren und übersichtlichen Gliederungsstruktur bestimmt, die den Werken und ihren Betrachtern ausgesprochen viel Platz lässt. Allein der thematisch komplexe und daher wohl auch etwas überreich geratene Aspekt „Bronzino e le arti“ weicht von diesem Prinzip ab. Durch die Fülle und Heterogenität der Ausstellungsstücke gerät dieser Raum – passend zwar, aber vermutlich unfreiwillig – zu einer späten Wunderkammer.

Die wirkungsvoll puristische Hängung der Gemälde ist bestechend, doch bedeutet sie für den Besucher auch informatorische Lücken. So hätte man sich gut ergänzende Zeichnungen (oder ihre Reproduktionen) denken können, die das bei Bronzino vielfach anzutreffende Wandern und Mutieren einzelner Motive nachvollziehbar gemacht hätten. Auf die Präsentation von Entwürfen, Studien und Vorlagen wurde in dieser Ausstellung jedoch ganz verzichtet – sicherlich nicht nur aus konservatorischen Gründen, sondern auch, weil die hervorragende Ausstellung der Bronzino-Zeichnungen im New Yorker Metropolitan Museum erst kurz zurück liegt. Leider fehlen in Florenz auch jegliche Angaben zu restauratorischen Befunden, was um so unverständlicher ist, als sich gerade diese in der Bronzino-Forschung als wichtige Auskunftsquellen zur Arbeitsweise des Künstlers erwiesen haben. Einige der in Florenz ausgestellten Gemälde wurden erst anlässlich dieser Werkschau restauriert, um so bedauerlicher ist es daher, dass sie nun kommentarlos präsentiert werden [5].

Dennoch – oder vielleicht gerade aufgrund dieser Fehlstellen – gestattet die Ausstellung eine seltene Vertiefung in die spezifische Bildwelt Agnolo Bronzinos. Im Gegensatz zu dem, was der Ausstellungstitel suggeriert, liegt der Schwerpunkte auf dem bildkünstlerischen Werk: Der Dichter Bronzino wird nur am Rande gestreift, dies setzt eine stillere Beschäftigung voraus. Der Katalog bietet hier Ergänzung; seine entsprechend der Ausstellungsgliederung thematisch orientierten Beiträge liefern profunde Darstellungen, jedoch keine neuen Forschungsergebnisse. Drei Neuzuschreibung aber kann die Ausstellung vorweisen – es handelt sich um den bereits genannten „Cristo crocifisso“, dazu eine wiederentdeckte Seitentafel des ersten Altares aus der Kapelle der Eleonora di Toledo mit dem Heiligen Cosmas (englische Privatsammlung) und die Darstellung eines „Cristo crocifisso“ (ebenfalls Privatsammlung, New York). Letztere wirft allerdings auch Zweifel auf – nicht nur der Bildträger (Leinwand) ist für Bronzino eher ungewöhnlich, auch das weich gezeichnete Inkarnat verweist eher auf eine andere Autorenschaft. Insgesamt zeigt sich der Katalog vor allem an einem soliden Gesamtüberblick und einer Einordnung des Schaffens Bronzinos in die Großkunstlandschaft Toskana interessiert; in diesem Sinne wird die Bronzino-Werkschau auch als eine Fortsetzung vorhergehender Ausstellungen in Florenz verstanden [6].

Vier Jahre Vorbereitungszeit und wahrscheinlich auch die Hartnäckigkeit der Kuratoren haben eine Werkschau ermöglicht, die mit Leihgaben unter anderem aus Paris, Wien, Budapest, Sankt Petersburg, New York, Ottawa und verschiedenen italienischen Sammlungen aufwarten kann – eine derart umfassende Präsentation von Bronzinos Werken wird es auf absehbare Zeit sicher nicht wieder geben. Zudem verfügt Florenz über den Vorzug, die meisten der nicht-transportablen Werke des Künstlers zu versammeln, von denen nun auch einige schwerer zugängliche temporäre Öffnungszeiten erhalten haben. Darüber hinaus haben sich verschiedene Museen und Institutionen in der Stadt zu einer konzertierten Aktion zusammengeschlossen und bieten vom Kinofilm bis zum Konzert thematisch ergänzende Programme an. Diese für Florenz sehr ungewöhnlichen Synergien lassen Gutes hoffen – sicher aber sind sie auch als eine späte Hommage an den florentinischsten aller Künstler zu verstehen.

Anmerkungen:
[1] Die bislang erschienenen Monografien zu Bronzino zeigen eine schrittweise erweiterte Rezeption des künstlerischen Gesamtwerkes, zugleich spiegeln sie die interpretatorischen Ansätze der Manierismusforschung in einer leicht versetzten Chronologie wider. Galt es für Hanns Schulze 1911 noch vorrangig, eine erste Inventarisierung zu erstellen (H. Schulze, „Die Werke Agnolo Bronzinos“, Straßburg 1911), so argumentierten Arthur McComb (A. McComb, „Agnolo Bronzino: His Life and Works“, Cambridge 1928) und Charles McCorquodale (C. McCorquodale, „Bronzino“, New York 1981) mit Stilkonzepten der jeweils aktuellen Manierismusdebatte; Luisa Becherucci richtete 1949 den Blick vor allem auf den künstlerischen Kontext (L. Becherucci, „Bronzino“, Florenz 1949). 2002 veröffentlichte Maurice Brock eine umfangreiche, hervorragend bebilderte Monografie, die erstmals auch das Spätwerk Bronzinos näher beleuchtete (M. Brock, „Bronzino“, Paris 2002). Zuletzt erschien 2010 anlässlich der Ausstellung im Metropolitan Museum of Art in New York ein Katalog zu den Zeichnungen Bronzinos (C. C. Bambach, J. Cox-Rearick, G. R. Goldner (Hg.), „The Drawings of Bronzino“, New York 2010).
[2] So titelte die Florentiner Tagezeitung La Nazione am 19. September: „Bronzino superstar“, und La Repubblica folgte am 23. September mit „Un genio alla corte dei Medici“ .
[3] Die Kuratoren schlagen hier den Bogen zu den Anfängen der italienischen Kunstgeschichtsschreibung – so heißt es bei Giorgio Vasari im Zusammenhang mit den Panciatichi-Porträts, sie seien „tanto naturali che paiono vivi veramente e che non manchi loro se non lo spirito“ (R. Bettarini, P. Barocchi (Hg.), „Giorgio Vasari. Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori nelle redazioni del 1550 e 1568“, Band VI, Florenz 1987, S. 234).
[4] Cf. Bettarini/Barocchi, „Vite“, Bd. VI, 1987, S.232.
[5] Auch der Katalog behandelt diese Thematik nur en passant; zu verweisen ist auf die von James M. Bradburne herausgegebene kleine Publikation „Bronzino rivelato – Segreti di tre capolavori“ (Florenz 2010; 12 Euro), die in Form von Gesprächsprotokollen die jüngsten Restaurierungen dokumentiert.
[6] Cf. dazu die Kuratoren in der Einleitung zum Katalog (C. Falciani, A. Natali, Un incrocio fortuito, in: Dies. (Hg.), „Bronzino, Pittore e Poeta alla Corte dei Medici“, Florenz 2010). Der Katalog versammelt neben Texten der Kuratoren Beiträge von Massimo Firpo, Elizabeth Cropper, Marco Collareta und anderen; er ist in englischer und italienischer Sprache erschienen und kostet 40 Euro (in der Ausstellung 35 Euro).

Falciani, Carlo; Natali, Antonio; Cherubini, Alessandro (Hrsg.): Bronzino. Pittore e poeta alla corte dei Medici ; [Firenze, Palazzo Strozzi, 24 settembre 2010 - 23 gennaio 2011], Firenze: Mandragora 2010
ISBN-13: 978-88-7461-153-9, 360 S.

Empfohlene Zitation:
Helen Barr: [Rezension zu:] Bronzino. Pittore e poeta alla corte dei Medici (Florenz) (Palazzo Strozzi, Florenz, 24.09.2010–23.01.2011). In: ArtHist.net, 05.12.2010. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/604>.

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