REV 30.03.2013

Stehr, Ute: Johann Jakob Schlesinger (1792 - 1855)

Rezensiert von Elisabeth Ziemer, Berlin
Redaktion: Robert Felfe
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In den letzten 25 Jahren erfreut sich die Ausbildung von Restauratoren immer mehr einer wissenschaftlichen Qualifikation auf Hochschulbasis, die nach dem Zusammenschluss der einzelnen deutschen Fachverbände zum Verband der Restauratoren (2001) durch denselben eine schlagkräftige Vertretung und breite Förderung erhielt. Dadurch mehren sich akademische Publikationen nicht nur über einzelne Kunstwerke, Materialien und Technologien, sondern auch über die Geschichte der eigenen Disziplin. Hier wird in der Restaurierung aufgeholt, was in der Kunstgeschichte schon länger interessiert: die Frage nach dem eigenen Selbstverständnis. In diese Sparte fällt auch Ute Stehrs Dissertation über den Maler, Kopisten und Restaurator Johann Jakob Schlesinger (1792-1855), mit der sie 2010 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden im Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut promoviert wurde.

Da die Autorin an derselben Berliner Gemäldegalerie arbeitet, wie der von ihr untersuchte erste Chef-Restaurator des 1830 eröffneten Schinkelschen Baus – ein Markstein im Aufstieg Berlins zur Museumsmetropole - bot sich ihr die Möglichkeit, im Bereich der von Schlesinger restaurierten Werke genauere Forschungen und Untersuchungen anstellen zu können. Dies, vorweg, ist denn auch der interessanteste, weil ergiebigste Teil des vorliegenden Bandes.

Voran stellt Stehr die Biographie Schlesingers. Aus einer bayrisch-pfälzischen Künstlerfamilie stammend, erhielt er seine Grundausbildung zunächst beim Vater, setzte seine Studien ab 1813 an der Universität Heidelberg in Ästhetik und Zeichenkunst fort und schloss sie 1819-1821 an der Kunstakademie München ab. Zwei Jahre freie Tätigkeit als Maler und Kopist vorwiegend in Dresden, Mannheim und Heidelberg schlossen sich an.
Bereits während seiner Studienzeit in Heidelberg hatte Schlesinger die 1810 dorthin umgesiedelte Kunstsammlung der Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée und ihres Freundes Johann Baptist Bertram kennen gelernt. Die drei Sammler engagierten ihn 1816 zusammen mit Christian Koester und Christian Xeller für die Restaurierung der meist aus säkularisiertem Kirchenbesitz stammenden altdeutschen und altniederländischen Werke. [1]
Möglicherweise empfahl Schinkel, der 1816 über einen Ankauf der Boisseréeschen Sammlung in Heidelberg verhandelt hatte, Schlesinger und Koester als Fachkräfte für Berlin, möglicherweise wurden sie auch von Gustav Friedrich Waagen und seinem Bruder Carl dorthin vermittelt. Beide haben Schlesinger in Heidelberg und München kennen lernen können und waren an der Einrichtungsphase des Museums beteiligt. Schlesinger hatte sich zudem auch als theoretischer Sachverständiger bekannt gemacht, als er 1823 nach seiner viel beachteten Kopie von Raffaels sixtinischer Madonna in Dresden für den Speyerer Dom ein Restaurierungskonzept für das Original ins Schornsche Kunstblatt (im Hinblick auf eine Anstellung in Berlin?) geliefert hatte.

So übernahm Schlesinger 1824 die Chefstelle des Restaurierungsateliers in Berlin, in dem die für das projektierte Museum vorgesehenen Bestände für die Ausstellung vorbereitet wurden.

Da kein schriftlicher Nachlass Schlesingers auffindbar war - andere mögliche Quellen werden nicht erwähnt -, stützt sich Stehr bei der Biographie vorwiegend auf vorhandene Literatur, die für die Berliner Phase durch interessantes Material aus dem Zentralarchiv der Museen, Akten des Kultusministeriums im Geheimen Preußischen Staatsarchiv und den Briefnachlass eines Neffen Schlesingers ergänzt wird.

Auf die Biographie folgen Kapitel über den Künstler und den Kopisten Schlesinger. Wegen der schlechten Quellenlage kann Stehr nur eine „erste Bestandsaufnahme des Oeuvres“ (S.25) vom Künstler Schlesinger liefern. Aus literarischen Quellen ließen sich 86 Werke erschließen, aber nur 7 Zeichnungen und 18 Gemälde - vorwiegend Portraits – in öffentlichen und privaten Sammlungen nachweisen. Eines der Gemälde, bisher unbezeichnet, wird von Stehr Schlesinger neu zugeschrieben. Unklar bleibt leider, wohin sein Nachlass geriet. Trotz des kleinen Bestandes kann Stehr einen markanten Wandel im Malstil Schlesingers nachweisen: von der durch die Boisseréesche Sammlung beeinflussten luziden Schichtenmalerei zur Berliner realistischen Primamalerei. Dank eines kommentierten Verzeichnisses der Gemälde mit farbigen Abbildungen lässt sich Stehrs Argumentation nachvollziehen.

Der Kopist Schlesinger, im frühen 19. Jahrhundert aufgrund des hohen Stellenwertes von Kopien mehr geschätzt denn als Maler, wird auf dem Hintergrund der jüngsten Literatur über Wert und Funktion dieses Genres ebenfalls zügig abgehandelt, konnten doch von 28 literarisch nachgewiesenen Kopien nur acht von der Autorin aufgefunden werden. Einige davon hatten Friedrich Wilhelm IV als Auftraggeber. Als dieser nämlich nach seinem Regierungsantritt 1840 diverse Gemälde aus der Galerie zurückforderte, gab er sich schließlich damit zufrieden, durch Schlesinger fünf Kopien von Bildern Rembrandts, Rubens und Coreggios zu erhalten.
Trotz der geringen Anzahl entdeckter Kopien kann die Autorin glaubhaft machen, dass Schlesinger im Vergleich zu anderen Kopisten weniger einen dem Original entsprechenden Bildaufbau imitierte, als vielmehr mit gängigen Malmitteln die „Charakteristik“ oder den „Geist“ des zu kopierenden Bildes wiedergab, ohne zusätzliche Vortäuschung alter Substanz durch eingefärbte Firnisse, eingeritzte Craquelées oder gar wurmzerfressene Holzbildträger. Für weitere Forschungen wäre hier eine eingehendere Auslotung der Freundschaft zwischen Schlesinger, Hegel und Hotho interessant: Schlägt sich in dieser restauratorischen Auffassung das „Weltgeist“-Konzept nieder, das in der von Hotho herausgegebenen Hegelschen „Ästhetik“ für die Kunstgeschichte fruchtbar gemacht wurde?

So mager die Forschungslage in den Feldern Künstler und Kopist ausfällt, deren Ergebnisse Stehr denn auch als Anregung für zukünftige Forschungen verstanden wissen will, umso ergiebiger stellt sich das Feld der Restaurierung dar. Die Einrichtungsphase der Berliner Gemäldegalerie kann Stehr durch Akten im Geheimen Preußischen Staatsarchiv gut dokumentieren. Schlesinger, Koester und der 1825 nachgeholte Xeller bearbeiteten zwischen März 1824 und Ende 1829 insgesamt 1189 Gemälde, von denen 845 einer Restaurierung bedurften. Diese ungeheure Menge an Kunstwerken war nicht ohne Hilfe und schon gar nicht ohne Strategie zu bewältigen. Genauso wie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts „der Kunsthistoriker“ entwickelte, klärte sich erst das Berufsbild „des Restaurators“. Zwar gab es bereits schon früher große Restaurierungsateliers in Venedig und Paris (hier gefördert durch den Kunstraub Napoleons), Restaurierungskampagnen in Rom und gleichzeitige in Wien, trotzdem aber fand man in Berlin, wie Stehr nachweisen kann, zu eigenen Vorgehensweisen.
Durch die Vorgaben der Einrichtungskommission unter Hirt und Schinkel, später Humboldt, hatte man eine klare Aufgabentrennung vorgenommen: Der Direktor des Museums war nicht, wie an anderen Museen, gleichzeitig Restaurator und Künstler und die Restauratoren wurden, bis auf Ausnahmen, nur mit dem Restaurieren, Konservieren und der Beratung bei Ankäufen beauftragt. Die Wichtigkeit, die man ihnen darin zumaß, drückten das Museumsstatut und ihre Gehälter aus. In der aufwendigen Vorbereitungsphase erhielten Schlesinger und Koester das für Preußen enorme Gehalt von 3000 Thalern pro Jahr, Schlesinger, gleichgestellt einem Abteilungsdirektor, erhielt ab 1831 das gleiche Gehalt von 1500 Thalern, wie Galeriedirektor Waagen (Koester ging 1830 nach Heidelberg zurück).
In der Frage der Restaurierungsstrategien schöpft die Autorin ihre
Erkenntnisse aus verschiedenartigen Quellen. Zum einen nutzt sie Koesters 1827, 1828 und 1830 erscheinende Schrift „Ueber Restauration alter Oelgemälde“, mit einem Anhang „Ueber Tempera-Bilder und deren Restauration“ (1828) von Schlesinger, die sozusagen den theoretischen Überbau für die gleichzeitige sechsjährige Restaurierungskampagne mit bis zu 14 Mitarbeitern darstellt. Zum andern gleicht sie das darin formulierte, für den Berufsstand des Restaurators neue Selbstverständnis - sich in den Künstler und seine Zeit hineinfühlen, das Originalmaterial respektieren und nicht durch eigene Interpretationen und Übermalungen verunklären - mit den Materialien ab, die im Atelier praktisch eingesetzt wurden. Und drittens gibt eine Inventarliste des Restaurierungsateliers Auskunft darüber, mit welchen Werkzeugen man arbeitete. Stehrs Untersuchungen an Rückseiten von hölzernen Bildtafeln bestätigen, dass die Berliner Restauratoren, anders als etwa in Frankreich, die Malschicht nicht vom Bildträger trennten, sondern durch Holzleisten stabilisierten. [2] Auch bei Leinwandbildern beobachtete die Autorin, dass Anstückungen zur Schonung ausgefranster Leinwände vorgenommen worden sind, sich Kittungen und Retuschen, wo sie sich erhalten haben, auf die Fehlstellen konzentrierten und Reinigungen, trotz „geradezu erschreckend“ (S.101) wirkender Mengen von Seifen und Laugen, auf die Fälle angewendet wurden, in denen die Bilder mit Bernsteinharz oder ähnlich resistenten Materialien überzogen worden waren. Die Restauratoren waren sich der chemischen Wirkungen ihrer eingesetzten Materialien durchaus bewusst und warnten vor ungeübter Anwendung. Ihre Restaurierungen folgten zwar nicht immer den eigenen Ansprüchen, - lasierende Retuschen zur Herstellung harmonischer Gesamtwirkungen kommen durchaus vor -, aber Stehr hat keine groben Reinigungsschäden und auch keine opaken, flächendeckenden Übermalungen entdecken können. Diese kamen in anderen europäischen Galerien und Sammlungen durchaus vor, was Stehr mit aufschlussreichen Beispielen belegt.

Die kenntnisreichen Ausführungen, untersetzt durch die eigene Praxis werden schließlich durch das Verzeichnis der restaurierten Gemälde, Inventar-, Pigment-, Löse- und sonstige Hilfsmittellisten sowie die Berliner Lieferanten abgerundet und vermitteln ein anschauliches Bild des damaligen Restauriergeschehens. Schade ist allerdings, dass auf ein Personenregister verzichtet wurde.

Insgesamt gibt der Band eine interessante Nahaufnahme der Grundlegung und Entwicklung des Berliner Restaurierungsateliers und seiner Protagonisten im Schwanken zwischen Zeitgeschmack und Sehgewohnheiten und ihrem modernen, heute noch gültigen Anspruch, die Originale zu respektieren, die restauratorischen Maßnahmen offen zu legen und die Werke – vermittelt durch die Zeit - zu zeigen, wie sie sind.

Anmerkungen:
[1] Dass Schlesinger und seine befreundeten Kollegen – 1826 heiratete er Koesters Schwester – schon bei den Restaurierungen der Boisserée-Bertramschen Sammlung über die Art und Weise des praktischen Vorgehens eingehende Debatten geführt haben, belegte Sigrid Wechssler in dem hier nicht genannten Aufsatz „Die Restauratoren und das Restaurieren der Sammlung Boisserée“, in: „Kunst als Kulturgut. Die Bildersammlung der Brüder Boisserée – ein Schritt in der Begründung des Museums“, hrg. von Annemarie Gethmann-Siefert und Otto Pöggeler, Bonn 1995, S. 175-184.
[2] Als einziges, aber späteres (1894) Beispiel führt Stehr das Auseinandersägen der sechs beidseitig bemalten Tafeln des Genter Altares an, von denen sie schreibt: „Ob und wie man sich damals bemühte, deren Rückseiten dem Publikum zu zeigen ist im Detail nicht bekannt.“ (S. 90) Hierzu geben jedoch Äußerungen von Eduard Magnus und Heinrich Gustav Hotho im Zentralarchiv der Berliner Museen Auskunft. Offensichtlich hatte Hotho schon früher vorgeschlagen, die Tafeln so in eine hölzerne Konstruktion einzupassen, dass sie beidseitig betrachtet werden konnten. Dazu sollten dann auch die in Berlin fehlenden acht Tafeln, die aber in Kopie vorhanden waren, mit eingebaut werden. Dies muss (von Waagen?) abgelehnt worden sein. Stattdessen hatte man für die Tafeln eine Eisenkonstruktion entwickelt, die das Umdrehen der Tafeln ermöglichte. Da die Bedienung schwerfällig war und die Bilder nicht für jeden Besucher umgedreht werden konnten, wechselte man die Schauseite zweimal in der Woche. Magnus schlug Anfang Mai 1870 vor, die Neupräsentation zügig vorzunehmen, um den Altar, ein zentrales Stück der Gemäldegalerie, ständig sichtbar zu machen. Hotho antwortete darauf, dass die Veränderung bereits 1869 beschlossen worden sei, wegen des Gesamtumbaus der Galerie (Vergrößerung der Kompartimente und Einbau von Oberlicht) aber leider vertagt werden müsse. Vgl. Schreiben von Magnus, eingegangen am 2.5.1870 und Randnotiz Hothos vom 4.5.1870, SMPK ZA, I GG 89, Bd. 18, No 466.70.

Stehr, Ute: Johann Jakob Schlesinger (1792 - 1855). Künstler - Kopist - Restaurator (= Jahrbuch der Berliner Museen; N.F. 53.2011, Beih.), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2012
ISBN-13: 978-3-7861-2670-6, 170 S., EUR 118.00

Empfohlene Zitation:
Elisabeth Ziemer: [Rezension zu:] Stehr, Ute: Johann Jakob Schlesinger (1792 - 1855). Künstler - Kopist - Restaurator (= Jahrbuch der Berliner Museen; N.F. 53.2011, Beih.), Berlin 2012. In: ArtHist.net, 30.03.2013. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/4979>.

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