Für die Besprechung der großen, detailreichen, multimedialen Ausstellung der 1957 in Irland geborenen, katholisch erzogenen und in Irland lebenden Abigail O'Brien habe ich ein Bild ausgewählt. Auf diesem Bild, es ist ein Foto, ist ein Kind, nackt, in einer weißen Wanne. Daneben ein rosa Korb mit Utensilien zur Körperpflege und einem Frotteherz an der Seite. Weiterhin eine Tischdecke mit Blumenmuster, ein rosa Handtuch und eine Person, die Wasser aus einem rosa Schwamm über den Kopf des Kindes fließen lässt.
Das Geschlecht des Kindes ist nicht zu sehen. Insofern ist nicht zu erkennen, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Im Katalog [1] schreibt Stephanie Rosenthal, Kuratorin der Ausstellung, es sei ein Mädchen. Sicher hat sie gute Gründe dafür. Sie hat einen engen Kontakt zu O'Brien. In der Pressekonferenz wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass O'Brien und Rosenthal die Arbeit der "Sieben Sakramente" über sieben Jahre hinweg gemeinsam entwickelten. Die Gewissheit, es sei ein Mädchen, hat deshalb Gründe, die außerhalb des Bildes liegen müssen. Innerhalb des Bildes gibt es ein Zeichen dafür, dass ein Mädchen in der Wanne sitzt: die reichlich vorhandene Farbe rosa, rosa für Mädchen.
Ist das Geschlecht des Kindes aber bedeutsam? Ja. Stellen wir zur Probe die gleiche Frage, allerdings bezogen auf die zweite Person, die im Bild anwesend ist: Ist das Geschlecht der Person, die das Kind betreut, bedeutsam?
Welches Geschlecht diese zweite Person hat, scheint außer Frage zu stehen. Sie trägt deutliche Zeichen, die sie als Frau ausweisen können: ihre Frisur, der Schmuck, die lackierten Fingernägel. Während die Erwachsene kulturelle Zeichen von Weiblichkeit an ihrem Körper trägt, sind sie dem nackten Kind zugeordnet. Was man im Unterschied dazu biologische Zeichen von Weiblichkeit nennen kann - spezielle Körperformen, die eine spezielle Deutung erfahren [2] - sind sie im Bild weder bei dem nackten Kind noch bei der bekleideten Erwachsenen erkennbar. Das Geschlecht der Abgebildeten ist also bedeutsam, insofern das Bild als eine vollzogene und eine initiierte Identifikation mit einem Geschlecht gemeint sein und interpretiert werden kann.
Die menschlichen Figuren auf O'Briens Bildern sind, bis auf drei Kinder, nur Frauen. Die kochen und sticken, beziehungsweise tun nichts, was man für Frauen zurzeit noch als einigermaßen ungewöhnlich empfinden könnte. Ebensowenig ist es ein Mann, der das Kind badet. Dass die betreuende Person dabei eine R o l l e hat, liegt an der erkennbaren Inszenierung im Bild: dem neutralen Hintergrund, den zusammengestellten Gegenständen, der zurechtgemachten Frau - was praktischen Erwägungen für ein Babybad eher widerspricht, dem günstigen Standpunkt zur aufnehmenden Fotokamera, und dadurch die für spätere Betrachtende inszenierte Betreuung eines Kindes durch eine Frau.
Während durch das Medium Fotografie - der Großteil der Werke sind Fotos - Interpretationen in Richtung zeitgenössischer Formen wie Werbung und Film möglich sind, ist die Inszenierung teilweise an kunsthistorischen Vorbildern orientiert, und davon wiederum teilweise an solchen mit religiösem Motiv. Wie "Das letzte Abendmahl" da Vincis, das bei O'Brien für das Sakrament der Ehe Vorbild war. Auf einem anderen Bild in einer Küchenausstellung präsentiert eine Frau ihre Hand in einer Haltung, in der auch ein Apostel gezeigt würde, der Wichtiges mitzuteilen hat. Bei O'Briens Bild ist es vermutlich eine Passage aus einem Küchenkatalog.
Das Geschlecht der Dargestellten ist deshalb auch für die kunsthistorische und religiöse Interpretation bedeutsam. Keines der Sakramente wird nach katholischer Tradition von Frauen gespendet, und auch in deren Darstellungen agieren üblicherweise Männer, die von Frauen vielleicht begleitet sind.[3] O'Briens "Sieben Sakramente" sind kombiniert mit Bildern der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, aus denen man ablesen kann, dass der häusliche Alltag von Frauen und Kindern durchaus ein Motiv in der Kunst war. Ein Gemälde "Maria mit Kind" ist ausgestellt, an dem erklärt werden kann, wie damalige, lokale, profane Motive mit dem Bereich des Heiligen verbunden wurden. Die anderen Gemälde (und damit die Mehrzahl) haben kein ausdrücklich religiöses Motiv. Ein religiöser Bezug lässt sich (nur) über einen Umweg interpretieren, nämlich moralischen Konnotationen, und damit der Kirche als moralischer Instanz, wodurch moralische mit religiösen Geboten verbunden sind. Die Problematik solcher Umwege möchte ich an dem anfangs gewählten Bild zeigen.
Das Bild wurde von Abigail O'Brien als das Sakrament der Taufe benannt. So dass sich eine Frau, die wie das von ihr Geborene nach der Geburt im katholischen Sinn als unrein gelten,[4] sich zur Taufe und der damit verbundenen Reinigung selbst ermächtigt, und sich selbst notwendigerweise als rein voraussetzen wird. Die Reinigung ist in diesem Sinn bereits eine Metapher (Zeichen), deren wörtlicher und tatsächlicher Ursprung allerdings leicht im Waschen erkennbar ist.
Zu diesem Bild schlägt Stephanie Rosenthal (vorsichtig) vor, es als Madonnendarstellung zu verstehen, als Maria, die das Jesuskind tauft. Dadurch gäbe es außerdem die Besonderheit, dass Jesus ein Mädchen wäre.[5] Für diese Interpretation ist eine bestimmte Logik nötig: Eine Madonna mit Jesuskind ist auch eine Frau mit Kind. Semantischer Umkehrschluss: jede Frau mit Kind kann die Madonna mit Jesuskind sein. Das gleiche Mittel hat O'Brien auch angewendet: Bei einer Taufe gießt eine Person Wasser über eine andere. Umkehrschluss: wenn das geschieht, liegt eine Taufe vor. Solche Umkehrungen sind nicht unüblich, aber problematisch, weil keine eineindeutige logische Beziehung vorliegt.
Die Schwierigkeit bei Rosenthals Interpretation liegt nicht darin, dass es undenkbar wäre, Jesus durch ein Mädchen oder auch, entgegen biblischer Beschreibung, als im Babyalter Getauften, darzustellen. Das Problem liegt darin, dass es im Bild keinen besonderen Grund für diese Interpretation gibt.[6] Diese Interpretation, auf derselben Logik basierend wie O'Briens Bildfindungen, liefert den Schlüssel zur Problematik dieser Ausstellung, wo das Allgemeine mit dem Besonderen vermischt wurde.
Bei O'Brien werden gewöhnliche, alltägliche und in ihren Bildern nur von Frauen ausgeführte Verrichtungen zum religiösen - katholischen - Ritual, und zwar durch Benennung in den Bildtiteln und dem Ausstellungstitel, durch Ähnlichkeiten und die mögliche semantische Herleitung der Rituale. Was als Suche nach allgemein Menschlichem gemeint und verstanden sein kann. Was wie ein freundlicher, sympathischer, nicht missionarischer Anspruch gemeint sein und wirken kann. Der zugleich in der Logik nicht weit entfernt ist von einem alles umfassenden Anspruch der katholischen Kirche. So dass dort wie bei O'Brien alles, was im Leben aller vorkommen kann, von einem speziellen Glauben durchdrungen wäre.
Anmerkungen:
[1] Kat. S. 82.
[2] Zeitgenössische Geschlechterdiskussionen, wie sie zum Beispiel von Judith Butler und ihren KritikerInnen getragen werden, bilden einen Hintergrund der Ausführung. Was die dabei gebräuchlichen Begriffe "gender" und "sex" betrifft, betrachte ich sie als verschiedene Arten der Signifikation. Bei deren Systematisierung orientiere ich mich an Umberto Eco: Im Labyrinth der Vernunft; darin: Das Problem einer Typologie der Zeichen, Leipzig: Reclam-Verlag, 1990, S.46-53.
[3] Stephanie Rosenthal im Kat. S. 81.
[4] Abigail O'Brien weist darauf im Gespräch mit Stephanie Rosenthal hin, siehe Kat. S. 86.
[5] Stephanie Rosenthal, Kat. S. 82.
[6] Zum Vergleich zwei etwa zeitgleiche und leicht erkennbare Bearbeitungen christlicher Mythen: Bettina Rheims' und Serge Bramlys Projekt "Inri", 1997-98, wo Jesus u.a. durch eine Frau dargestellt ist. Sowie Jewgeni Semionovs "Sieben biblische Geschichten, 1997, wo das biblische Personal durch Menschen mit Down-Syndrom dargestellt ist.
Benson, Ciarán; Mennekes, Friedhelm; Rosenthal, Stephanie; O'Brien, Abigail (Hrsg.): Abigail O'Brien. Die sieben Sakramente und der ritualisierte Alltag ; [Haus der Kunst, München, 21. Januar - 12. April 2004, Kunstverein Lingen, 16. Mai - 1. August 2004, Royal Hibernian Academy Dublin, 20. Januar - 6. März 2005], Göttingen: Steidl 2004
ISBN-13: 978-3-86521-004-3, 126 S, EUR 19.00, CHF 32.70
Empfohlene Zitation:
Heike Endter: [Rezension zu:] Abigail O'Brien. Die Sieben Sakramente und der ritualisierte Alltag (Haus der Kunst, München, 21.01.–12.04.2004). In: ArtHist.net, 18.02.2004. Letzter Zugriff 21.11.2024. <https://arthist.net/reviews/491>.
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