Den Anlass, ein Buch über Antonio Arrighi in Angriff zu nehmen, gab Jennifer Montagu ein Dokumentenfund im Archivio di Stato di Roma - mehrere Bände, die über einen Zeitraum von rund 50 Jahren, vom zweiten bis zum sechsten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, die Produktion einer Werkstatt festhalten, deren künstlerisches Profil Antonio Arrighi wesentlich geprägt hat. Die einzelnen Bände sind unterschiedlich ausführlich und auch nicht immer vollständig, aber umfassend genug, um einen der bislang detailliertesten und vielfältigsten Einblicke in die Arbeitsweise römischer Silberschmiede und ihrer Auftraggeber im Rom des 18. Jahrhunderts zu geben. Gleichzeitig führen sie freilich vor Augen, wie groß gerade in dieser Gattung die Verluste durch den Vertrag von Tolentino waren, dem im ausgehenden 18. Jahrhundert ein wesentlicher Teil der Gold- und Silberschmiedewerke zum Opfer fiel. Was den Schmelzöfen entging, findet sich am ehesten noch an entlegenen Orten oder im europäischen Ausland - dort, wo die Klientel Antonio Arrighis saß, dem im Unterschied zu vielleicht berühmteren Kollegen, wie beispielsweise Francesco Giardoni, das Privileg einer Ernennung zum Silberschmied des Sacro Palazzo Apostolico nie zuteil wurde, dessen Werkstatt mit anderen Worten sehr viel weniger prominent aufgestellt war als die eines Giovanni Giardini oder der Valadiers, deren Dienste die römische Kurie viel selbstverständlicher für die großen Basiliken in Anspruch nahm - und deren Oeuvre heute entsprechend deutlich stärker dezimiert ist.
Dieser Sachverhalt vermag freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im Fall der Arrighi-Werkstatt die erhaltenen Objekte einen nur verschwindend geringen Teil dessen ausmachen, was sich in den Werkstattbüchern beschrieben findet. Auf der anderen Seite haben sich Werke erhalten, die der Arrighi-Werkstatt stilkritisch unzweifelhaft zugeschrieben werden können, die sich in den Listen aber deshalb nicht beschrieben finden, weil es sich entweder um Bronzen handelt, für die sich die offensichtlich gesondert geführten Unterlagen nicht erhalten zu haben scheinen, oder aber weil es sich um Werkgruppen aus jenen wenigen Jahren handelt, in denen die Aufzeichnungen lückenhaft sind. Ergänzt werden die akribischen, aber nicht immer inspirierten Einträge der Werkstattbücher von Briefen, die den Entstehungsprozess über die nüchterne Buch- und Rechnungsführung hinaus mit Leben füllen. Dieser Dokumententeil nimmt auf rund 250 Seiten die gesamte zweite Hälfte des Buches ein, das in seinem ersten Teil von einem langen Essay eingeleitet wird, in dem die Protagonisten Antonio Arrighi, der Vater Francesco und der Bruder Agostino, Autor der Werkstattbücher, ebenso eingeführt werden wie einzelne Werkstattmitarbeiter und Auftraggeber. Und natürlich werden in diesem Teil auch die wichtigsten Werke selbst besprochen – sowohl die erhaltenen als auch die nicht erhaltenen.
Zu den erhaltenen Objekten zählt beispielsweise ein Tabernakel in Montecassino, das einen Prototypen in S. Andrea al Quirinale variiert, dazu zählen ebenfalls Teile der Ausstattung der Kapelle des Hl. Philipp Neri in S. Maria in Vallicella, wo Arrighi auch Eingriffe an Ciro Ferris Tabernakel vornahm. Erhalten hat sich auch der nach dem Vorbild der kolossalen Apostelstatuen im Langhaus der Lateransbasilika geschaffene Apostelzyklus (zuzüglich einer Marienstatue) für die Kathedrale in Malta, ferner mehrere (in den Büchern unerwähnt gebliebene) Bronzereliefs SS. Vincenzo und Alessandro in Bergamo, die qualitätvolle, möglicherweise nach einem Stich Pier Leone Ghezzis geschaffene Figur des hl. Josef mit Kind in Montecassino, eine Reliquienbüste des Hl. Philipp Neri in Sant'Elpidio a Mare bzw. zwei sonderbar nordalpin anmutende Reliquienbüsten heiliger Bischöfe in einer Privatsammlung. In einer Privatsammlung befindet sich von der Hand Antonio Arrighis auch ein stupendes Silberrelief mit der Verkündigung Mariae. Erwähnung verdient schließlich noch die zuletzt verschiedentlich auf Ausstellungen gezeigte Hl. Palazia, die aus der Sammlung Zeri an die Accademia Carrara gelangt war. Von einzelnen Kelchen, Monstranzen, Tabernakeln, Reliquiaren, Bischofskrümmen oder Kerzenleuchtern soll an dieser Stelle gar nicht erst die Rede sein.
Nicht erhalten hat sich leider der vielleicht spektakulärste Auftrag, dessentwegen Antonio Arrighi sich von 1728 bis 1732 eigens in Florenz niederließ: ein für die Sé Patriarcal in Lissabon vom portugiesischen König Johannes V. in Auftrag gegebenes Ensemble, bestehend aus sieben monumentalen, silbervergoldeten, jeweils unterschiedlichen Kerzenleuchtern und einem über 3m hohen, mit 60 rund 30cm großen Figuren versehenen Kruzifix desselben Materials, das erklärtermaßen die Konkurrenz mit der entsprechenden Garnitur in St. Peter aufnehmen sollte. Dem verheerenden Erdbeben von 1755 zum Opfer gefallen, hat sich davon immerhin eine 1732 in Florenz im Druck erschienene, sehr ausführliche Beschreibung von Benvenuto Benvenuti erhalten, die sich im Annex des Buches (S. 171-179) wiedergegeben findet.
In ihren Dimensionen bescheidener, in Material und Ausführung wohl aber durchaus vergleichbar dürften Antonio Arrighis Anteile an der ebenfalls von Johannes V. in den 1740er Jahren in Auftrag gegebenen Ausstattung der Kapelle des Hl. Geistes und Johannes des Täufers in São Roque in Lissabon sein, die sich nur deshalb erhalten haben, weil die Kirche dank ihrer Lage das Erdbeben überstanden hat. Zu diesem Komplex ist obendrein auch die Entstehungsgeschichte durch mehrere Zeichnungen verhältnismäßig gut dokumentiert und entsprechend gründlich aufbereitet. Umso mehr hätte man sich gerade hier von den Kerzenleuchtern ähnlich brillante Farbreproduktionen gewünscht, mit denen das Buch für die meisten der bedeutenderen Aufträge Antonio Arrighis ansonsten aufwartet.
Ein so facettenreiches Buch über einen Silberschmied im Rom des 18. Jahrhunderts zu schreiben, kann nur unternehmen, wer über die Epoche und den Gegenstand an sich ein profundes Vorwissen mitbringt. Diese Voraussetzung erfüllt niemand besser als Jennifer Montagu, die mit ihrer Standards setzenden Monographie über Alessandro Algardi, mit ihrem Klassiker über römische Barockskulptur (Roman Baroque Sculpture), mit ihren unzähligen Publikationen zur römischen Skulptur des Sei- und Settecento und nicht zuletzt auch mit ihrem Überblickswerk zum römischen Kunsthandwerk ("Gold, Silver and Bronze, Metal Sculpture of the Roman Baroque"), das Thema gleichsam vorbereitet hat. Mit Maß und Sachverstand spannt sie einen großen erzählerischen Bogen über das Arrighi-¼uvre, rekapituliert anschaulich auf der Basis von Objekten und Dokumenten die Entstehungsgeschichten, charakterisiert und illustriert ohne den Gegenstand überzustrapazieren mit einem wohltuenden Mut zum Fragezeichen, wo die Sachlage keine verbindlicheren Antworten zu geben vermag – ein in seiner methodischen Unaufgeregtheit angenehm zu lesendes Buch, das seine Nachhaltigkeit der Fülle des Materials verdankt, das es erstmals präsentiert.
Montagu, Jennifer: Antonio Arrighi. Silversmith and Bronze Founder in Baroque Rome, Assisi: Tau 2009
ISBN-13: 978-88-6244-076-9, 528pp. prof. illus., numerous color plates., 190.- EUR
Empfohlene Zitation:
Frank Martin: [Rezension zu:] Montagu, Jennifer: Antonio Arrighi. Silversmith and Bronze Founder in Baroque Rome, Assisi 2009. In: ArtHist.net, 05.11.2010. Letzter Zugriff 19.11.2024. <https://arthist.net/reviews/274>.
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