REV-EX 05.09.2011

Césaire, Lam, Picasso: Nous nous sommes trouvés (Paris)

„Aimé Césaire, Lam, Picasso: ‚Nous nous sommes trouvés’“, Grand Palais, Galeries nationales, Paris, 16. März - 27. Juni 2011.

Rezensiert von Viktoria Schmidt-Linsenhoff
Redaktion: Steffen Haug
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Von März bis Juni dieses Jahres zeigte das Grand Palais in Paris eine ungewöhnliche Ausstellung: „Aimé Césaire, Lam, Picasso: ‚Nous nous sommes trouvés’“. Ausgehend von den persönlichen Beziehungen der beiden Maler zu Aimé Césaire (1913-2008), dem prominenten Dichter, Theoretiker und Politiker der Postkolonialität in Martinique, wurden die wenig bekannten Zeugnisse der künstlerischen Kooperation mit den Malern thematisiert. Im Mittelpunkt standen die graphischen Zyklen „Corps perdu“ (1950) von Picasso und „Annonciation“ (1981) von Wifredo Lam, die von inszenierenden Großfotos, Dokumenten und weiteren Exponaten zur Avantgarde der Karibik gerahmt und kommentiert wurden. Die originelle Kombination der drei höchst unterschiedlichen Helden der Moderne stand für die ideen- und kunstgeschichtlichen Konzepte der Négritude und des Surrealismus, aber auch für ungelöste Probleme der politischen und kulturellen Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, die heute in den neokolonialen Tendenzen der aktuellen Globalisierungsprozesse nachwirken. Der nationale Anspruch des Unternehmens der Réunion des musées nationaux, zu dem gleich zwei opulent bebilderte Katalogbücher erschienen, weckte die Erwartung, dass der postkoloniale Diskurs im mainstream der französischen Museumspolitik angekommen sei – so wie die Berliner Nationalgalerie mit der Ausstellung „Who knows tomorrow?“ im vergangenen Jahr mit afrikanischer Gegenwartskunst eine selbstkritische Perspektive auf die deutsche Kolonialgeschichte eingestellt hatte. Um es vorweg zu nehmen – diese Erwartung wurde enttäuscht. Die staatstragende Ausstellung entpolitisierte die Dichtung Césaires und verstellte den Blick des Publikums auf die graphischen Zyklen von Picasso und Lam mit der Inszenierung von visuellen Tropen-Klischees. Im Rahmen der Veranstaltungen, die 2011 als Jahr der überseeischen Departements feierten, bekräftigte die Ausstellung einen neokolonialen Führungsanspruch der Metropole gegenüber der Peripherie, der in keiner Weise den tatsächlichen historischen und aktuellen Kunstverhältnissen entspricht. Im Eingangsbereich war zu lesen, dass Aimé Césaire in diesem Jahr mit einer Plakette im Pantheon gewürdigt worden sei – nachdem Freunde des Verstorbenen den Vorschlag seiner Pantheonisierung 2008 als einen unzulässigen Übergriff abgewehrt hatten. Diese Geste einer übergriffigen Integration, die Césaires radikale Kritik des französischen Kolonialrassismus entschärft, wurde von der Ausstellung wiederholt.

Césaire gehörte als Nachkomme von Sklaven afrikanischer Herkunft zur schwarzen intellektuellen Elite auf Martinique. Als Student in Paris entwickelte er Mitte der dreißiger Jahre zusammen mit Léopold Senghor und Léon-Gontran Damas ein marxistisches Konzept der Négritude. Seine erste Dichtung „Cahier d´un retour au pays natale“ (1939/42) begründete eine moderne schwarze Literatur in den Antillen. Als Mitherausgeber der Zeitschrift „Tropique“, die unter dem Vichy-Regime in Martinique von 1941-45 erschien, band er die Kolonie in ein antifaschistisches Netzwerk der Avantgarde ein, das die Karibik mit Paris und dem Exil-Surrealismus in New York, Venezuela und Mexiko verknüpfte. Césaires Theaterstücke und politische Aktivitäten in der Nachkriegszeit basierten auf einer Kritik von Sklaverei und Kolonialismus, die den Holocaust systematisch mitdachte – was damals niemand (mit Ausnahme von Simone Weil) tun konnte und bis heute der blinde Fleck postkolonialer Theorie geblieben ist.

Der erste Teil der Ausstellung war dem Zusammentreffen von Aimé Césaire und Pablo Picasso gewidmet. 1950 erschien das bibliophile Mappenwerk: „Aimé Césaire, Corps perdu, gravures de Pablo Picasso“ in einer Auflage von 207 Exemplaren (Edition Fragrance, Paris). Der Titel verweist auf die Abwesenheit der Körper der ermordeten Juden, die Gedichte evozieren das „Désastre“, die Sklaverei auf den Plantagen der Karibik. Picassos Graphiken – zwölf den Gedichten zugeordnete Radierungen und zehn Aquatinta-Blätter zu den Zwischentiteln – illustrieren nicht das Grauen der Vernichtungslager und des Sklavenhandels; Picasso deutet stattdessen die Auflösung von Körperbildern mit sparsamen, klaren Umrisslinien, floralen und figurativen Hybriden an. Nur wenige Kompositionen verweisen auf körperliche Gewalt oder Tod – etwa Fußabdrücke als Spur der Abwesenden. Césaires Gedichte waren als vergrößerte Wandtexte den gerahmten Graphiken gut lesbar zugeordnet, so dass ein gleichberechtigtes Interagieren zwischen der hermetisch-abstrakten Poesie und Picassos abstrahierender Zeichnung entstand. Das Titelblatt – der antikisch stilisierte Kopf eines jugendlichen Schwarzen im Profil, den der Lorbeer als „Orphé noir“ auszeichnet – ist als Hommage an Césaire und Anspielung auf André Bretons literarischer Würdigung des „grand poète noir“ zu verstehen. Bemerkenswert ist, dass Picasso sowohl in dem Porträt des schwarzen Orpheus als auch in dem Zyklus insgesamt auf die visuellen Stereotype der art nègre, die er selbst 1907 mit den „Demoiselles d’Avignon“ in die Moderne eingeführt hatte, verzichtet. Das persönliche Zusammentreffen im politischen Kontext der kommunistischen Partei, deren künstlerische Vorschriften Picasso und Césaire gleichermaßen ignorierten, überzeugte Picasso von der Zeitgenossenschaft des Negers Césaire, die eine primitivistische Formensprache verleugnet hätte. An die Stelle der afrikanischen Maske tritt das maskenhafte Antlitz eines Satyrs, in das die gedruckten Buchstaben des Wortes „MOT“ eingebettet sind – eine treffende Visualisierung der konkreten Poesie von Césaire, für den nicht Afrika, sondern die griechische Antike im Sinne Nietzsches das archaische Primitive repräsentiert.

Der zweite, größere Teil der Ausstellung war Césaires Beziehung zu dem Maler Wifredo Lam (1902-1982) gewidmet. Lam hatte 15 Jahre in Spanien gelebt, ehe er 1938 in Paris Picasso kennenlernte, der ihn in die Avantgarde-Zirkel einführte. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen flüchtete Lam nach Marseille und traf in Erwartung einer Schiffspassage nach Kuba mit den Surrealisten um André Breton zusammen. Sein Aufenthalt in Martinique 1941 wird in der ersten Nummer der Zeitschrift „Tropique“ als ein für die kulturell isolierte Insel bedeutendes Ereignis erwähnt. Zwei Essays zu Lam von den französischen Emigranten Pierre Loeb und Pierre Mabille (in Kuba und Haiti geschrieben) erscheinen 1945 in der letzten Nummer von „Tropique“; Breton schreibt ebenfalls über Lam und publiziert 1942 in der surrealistischen Exil-Zeitschrift „VVV“ Auszüge aus einem Gedichtzyklus, den Césaire Lam gewidmet hatte. So unterschiedlich die Perspektiven sind, aus denen die Autoren über Lams Malerei schreiben, so deutlich sehen alle in ihr das Versprechen einer karibischen Avantgarde. Allein Aimé Césaire sieht jedoch die Besonderheit von Lams Malerei in ihrer Lokalität. In einem poetischen Text zu Lams Hauptwerk „La Jungle“, der 1947 in der französischen Kunstzeitschrift „Cahiers d´art“ erschien, betont er, dass sich Lam vorrangig an die Bevölkerung der Antillen adressiert und dass er diese damit überhaupt erst als Kunstpublikum konstituiert. Lam bearbeite das Trauma der Sklaverei, seine Malerei – so formuliert Césaire - fällt der fortdauernden Ausübung kolonialer Gewalt in den Arm. Césaire reklamiert Lam für eine postkoloniale Kunst der Karibik, die zwischen Paris und New York eine eigenständige Position einnimmt. Die Ausstellung im Grand Palais verkehrte diesen bedeutenden Ansatz zu einer postkolonialen Ästhetik ins Gegenteil und bereitete die Arbeiten von Césaire und Lam zum Konsum im Sinne des europäischen Exotismus auf.

Die neun farbigen Aquatinta-Drucke im Format 49 x 65 cm, die Lam kurz vor seinem Tod 1982 unter dem Titel „Annonciation“ zu einer Serie zusammenstellte, stehen im Mittelpunkt des zweiten Teils der Ausstellung. Die Gedichte, die Césaire für das geplante, aber nicht realisierte Mappenwerk geschrieben hatte, sind den Blättern unmittelbar zugeordnet. Die Ausstellung rekonstruiert also eine Kooperation, die durch Lams Tod nicht mehr zustande kam. So verdienstvoll diese Rekonstruktion auch sein mag, so problematisch war ihre gestalterische Umsetzung. Der verstaubte Modernismus des didaktischen Designs machte das Spannungsverhältnis zwischen Césaires poetischer Sprache und Lams Bildphantasie, die hier ins Illustrative abgleitet, zunichte. Die Graphikrahmen waren auf Panneaux aus Tropenholz-Imitaten montiert und auf eine Art und Weise in das Layout der aufkaschierten Gedichte und dokumentarischen Materialien integriert, dass sie wie Illustrationen auf einer vergrößerten Buchseite wirkten. Die Präsentation verschliff den Unterschied zwischen Original und Reproduktion und beeinträchtigte die ästhetischen Qualitäten der Originale. Lams fragile, hybride Körperteile und Masken evozierten weniger die Spiritualität von Voudou und Santaria, als Erinnerungen an Poster-Wandschmuck in den siebziger Jahren. Die teils grotesken, teils humorvollen Anspielungen auf Magie und Sexualität in den afrosynkretistischen Kulten wirkten oberflächlich – insbesondere neben den formal und inhaltlich abstrahierenden Texten von Aimé Césaire. Die Diskrepanz zwischen der Dunkelheit einer poetischen Sprache, mit der sich Césaire erklärtermaßen die Frankophonie der Kolonialherren aneignen wollte und Lams routinierten Wiederholungen eines dekorativen Formenrepertoires war zu groß, als dass ein intermedialer Funke hätte überspringen können. Die Analogien zwischen Césaires Sprachbildern und Lams Bilderfindungen beschränkte sich auf motivische Parallelen, die dem Publikum didaktisch aufgedrängt wurden.

Das Ausstellungsdesign blendete zudem den hyperkomplexen, kognitiven Charakter der Kunst der Antillen aus, um die exotischen Erwartungen des europäischen Publikums zu bedienen. Ein hellbrauner Teppichboden, Raumteiler aus Bambushölzern, Vitrinen, die in stilisierten Urwaldriesen aus Pappmaché eingelassen waren und die Tapezierung der Decke mit einem Graphikmotiv, das einen Blick in Baumkronen suggeriert – all dies musste das Publikum glauben machen, dass die Dichter und Maler der Karibik nicht von der europäischen Sklaverei- und Kolonialpolitik, sondern allein von der Ursprünglichkeit der tropischen Natur geprägt seien. Unterstützt wurde diese Botschaft durch Gemälde von Picasso, Lam und André Masson, der sich 1941 zusammen mit Breton in Martinique aufhielt. Massons Illustrationen zu dem von Breton herausgegebenen Band „Martinique, charmeuse de serpents“ (1947) feiern die Exuberanz der tropischen Natur. Einige Entwurfszeichnungen zu diesen Radierungen und das großformatige Gemälde „Die Antillen“ (1943) repräsentierten einen männlich-europäischen Blick auf die Karibik, der in der Ausstellung unmarkiert bleibt. Masson fasst die Antillen im Bild einer schwarzen Venus, die mit einer vulkanischen Landschaft verschmilzt und sich in ekstatischen Konvulsionen der Lust und des Schmerzes windet. Die Allegorie hätte zum Anlass der Reflexion über die sexuelle Metaphorik der Tropen im Surrealismus werden können, womit die Frage der sozialen Geschlechterverhältnisse in der Avantgarde und in der Kolonialkultur aufgeworfen worden wäre. Die Ausstellung blendete jedoch alles aus, was den männlichen Geniekult relativiert hätte: etwa die herausragende Rolle von Susanne Césaire als Mitherausgeberin und Autorin von „Tropique“, deren kunsttheoretische Essays 2009 in einem eigenen Band neu herausgegeben wurden, und auch den vergleichsweise großen Anteil von Frauen, die mit Gedichten, musiktheoretischen Essays und Übersetzungen zu dem Netzwerk der karibischen Avantgarde beigetragen haben.[1] Während die Ausstellung die exklusive Männlichkeit einer transkulturellen Avantgarde aus französischer Sicht durch systematische Auslassungen konstruierte, erreichen die Katalogbeiträge das gleiche Ziel mit Erzählungen über die Ehefrauen der Genies, die ihre Männer auf Ausflügen in den Regenwald begleiten und abends ihre Werke vorlesen und übersetzen. So verblüffend die Reduktion von Suzanne Césaire, Jacqueline Lamba und Helena Holzer auf die Hausfrauen- und Musen-Rolle ist, so konsequent passt sie in den ideologischen Rahmen des Outre-Mer-Unternehmens, das den Forschungsstand der postcolonial- und gender-studies ignoriert.

Die beiden nach Malern getrennten Katalogbücher dokumentieren die Exponate der Ausstellung nur teilweise und sind ein Kuriosum. Der erste Band „Césaire & Picasso. Corps perdu. Histoire d´une rencontre“ wurde von Anne Eger herausgegeben und bietet – neben einem einführenden Essay und detaillierten Biographien – einen sorgfältig kommentierten Nachdruck der Ausgabe von „Corps perdu“ (1950), ohne eine über Floskeln wie Genie, Humanismus etc. hinausgehende Interpretation auch nur zu versuchen. Den zweiten Band „Césaire & Lam. Insolite bâtisseurs“ gab der Romancier und Essayist Daniel Maximin aus Gouadeloupe heraus, der als Kenner von Césaires Oeuvre und als staatlich Beauftragter der Aktionen „2011 année des Outre-mer francais“ für diese Aufgabe prädestiniert war. Das Katalogbuch reproduziert wertvolles, dokumentarisches Material und Arbeiten von Lam in bester Druckqualität. Die Zusammenstellung von Auszügen aus Artikeln der Zeitschrift „Tropique“ aus den Jahren 1941- 45 ist zwar anregend, aber die Besonderheit der Texte bleibt unverständlich. Unverzichtbar für das Verständnis dieser außergewöhnlichen und faszinierenden Avantgardezeitschrift wären Kommentare zum Publikationsort Martinique und seinen politischen und kulturellen Kontexten in diesen Jahren gewesen. Beide Bände suggerieren mit ihrem Verzicht auf eine soziokulturelle oder ästhetische Analyse der sich überkreuzenden Biographien und Werkkomplexe eine Neutralität, die sich auf die puren Fakten und die Würdigung von anerkannten Genies zu beschränken scheint. Die kulturbürokratische Geste, mit der Ausstellung und Katalogbücher die künstlerische Männerfreundschaft inszenieren, verhehlt indessen kaum die weiterhin von kolonialen Denkmustern geprägten Subtexte dieser höchst ambivalenten Hommage.

Anmerkungen:
[1] Suzanne Césaire, Le Grand Camouflage. Ecrits de dissidence (1941-1945), Paris 2009.

Egger, Anne: Césaire & Picasso . Corps perdu, Histoire d'une rencontre, Réunion des musées nationaux 2011
ISBN-13: 978-2-35720-061-6, 111 S., EUR 22,82

Maximin, Daniel (Hrsg.): Césaire & Lam. Insolites bâtisseurs, Paris: Réunion des musées nationaux 2011
ISBN-13: 978-2-35720-026-5, 96 S., EUR 22,50

Empfohlene Zitation:
Viktoria Schmidt-Linsenhoff: [Rezension zu:] Césaire, Lam, Picasso: Nous nous sommes trouvés (Paris). In: ArtHist.net, 05.09.2011. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/1784>.

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