REV 27.07.2006

Dückers/Roelofs/Bakker (Hgg.): Die Brüder van Limburg

Rezensiert von Anja Grebe
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Die Werke der Gebrüder Limburg gehören zu den kostbarsten illuminierten Büchern des Spätmittelalters. Ihr Name ist untrennbar mit den Stundenbüchern ihres berühmtesten Mäzens und Sammlers Jean de Berry verbunden. Ausstellungen mit Werken wie den „Très Riches Heures“ oder den „Belles Heures”, sei es im Original oder nur im Faksimile, gelten als Publikumshits, ebenso wie Reproduktionen in Form von Büchern, Kalendern oder Postkarten. So weckt der vorliegende Ausstellungskatalog mit dem ebenso reißerischen wie unspezifischen Titel „Glanzvolles Mittelalter” zunächst Misstrauen, ob der Inhalt tatsächlich neue Forschungsansätze bietet oder eher eine populäre Wiederholung von kurz zuvor gezeigten Ausstellungen wie „Paris 1400. Les arts sous Charles VI” [1] darstellt.

Die Sorge erweist sich jedoch als unbegründet, denn „Die Brüder van Limburg” - wie der weitaus sachlichere Untertitel lautet - präsentiert eine umfassende Aufarbeitung von Leben, Werk und Umfeld der drei Brüder, welche auch vor Forschungskontroversen nicht zurückschreckt. Dies hat zur Folge, dass sich die Katalogautoren in der Publikation in einigen Detailfragen widersprechen. Eine Klärung vieler offener Fragen wird man deshalb vergeblich suchen.

Obwohl die Limburg-Brüder seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Kunstgeschichte ihren festen Platz beanspruchen und mittlerweile über 200 Dokumente zu ihnen, ihrer Familie und jener ihres Onkels, des Malers Johan Maelwael (frz. Jean Malouel), bekannt sind [2], bleiben ihr Leben und Werk weiterhin mit zahlreichen Rätseln behaftet. Trotz zahlreicher Dokumente gibt es beispielsweise keine zeitgenössische Quelle, in welcher wenigstens einer der Brüder als Urheber einer der Handschriften genannt wird, welche ihnen von der Forschung zugewiesen werden.

Sicher ist nach der bisherigen Quellenlage allein folgendes: Um 1385 heiratete der Bildschnitzer Arnold de Lymborch in Nijmegen eine Mechteld (Metta), Tochter des Malers Willem Maelwael. Das Ehepaar hatte mindestens sechs Kinder: der Älteste hieß Herman (geb. um 1385/86), gefolgt von Paul (um 1386/87) und Johan (um 1388). Diese drei Brüder werden mit den berühmten Buchmalern identifiziert. Von den jüngeren Geschwistern Rutger, Arnold und Greta wurde nur Arnold Künstler, er ist 1417 als Goldschmiedelehrling bezeugt. Der umfangreiche Hausbesitz der Familie Limburg-Maelwael spricht dafür, dass sie finanziell recht gut situiert war.

Erstmals erwähnt werden Herman und Johan in burgundischen Rechnungsbüchern im Zusammenhang mit einer Geiselaffäre im Jahre 1400. Danach waren die beiden „jonnes enfans et nepveus” des burgundischen Hofmalers Jehan Maelwael auf der Rückreise von Paris, wo sie offenbar eine Goldschmiedelehre absolvierten, im November 1399 in Brabanter Geiselhaft geraten, aus der sie eine Lösegeldzahlung Herzog Philipps des Kühnen im Mai 1400 befreite. Spätestens 1402 war Johan wieder in Paris, wo er, diesmal zusammen mit seinem Bruder Paul, als „enlumineur” für den Herzog von Burgund bezeugt ist, für den sie eine „très belle et très notable Bible“ mit Miniaturen („ystoires“) versehen sollten. Diese Bibel wird von einem Teil der Forschung, darunter auch von Marie-Thérèse Gousset in ihrem Katalogeintrag (S. 352, mit weiterer Literatur), mit der „Bible Moralisée” (Ms. Fr. 166) in der Pariser Nationalbibliothek identifiziert, was jedoch von den meisten übrigen Katalogautoren bestritten wird (bes. Rob Dückers, S. 85-95).

Mit dem Tod Philipps des Kühnen im April 1404 endete der kurze erste Karriereabschnitt der Brüder. Wenig später treten sie zusammen mit ihrem dritten Bruder Herman in den Dienst von Philipps Bruder Jean de Berry. Für ihn fertigten sie bis zu ihren frühen, möglicherweise durch eine Pestepidemie Ende 1415 bis Mitte 1416 verursachten Toden in Paris und Bourges ihre berühmtesten Werke, die mit Ausnahme der „Belles Heures” (New York, Metropolitan Museum of Art) jedoch alle unvollendet blieben. Die Wertschätzung Jean de Berrys für die Gebrüder Limburg drückt sich u. a. in hohen Bezahlungen und Geschenken in Form von kostbaren Edelsteinen und Schmuckstücken aus. Dabei wird Paul am häufigsten mit Gratifikationen bedacht, was u. a. dazu geführt hat, dass die Forschung immer wieder in ihm den Werkstattleiter vermutete [3].

Tatsächlich konnte bis heute jedoch die Aufgabenverteilung der Brüder untereinander nicht genauer festgestellt werden. Den Quellen nach haben Herman und Johan zunächst keine Maler-, sondern eine Goldschmiedelehre absolviert, nur Paul tritt von Anfang an als Buchmaler auf. Vor diesem Hintergrund bleibt es eines der großen Rätsel der Kunstgeschichte, wie die Zusammenarbeit der Brüder, die in den Dokumenten fast immer als Trio auftauchen, genau funktionierte. Auch der vorliegende Katalog gibt kaum Antworten auf diese Frage. Eine detaillierte und kritische Stilanalyse der Miniaturen und Randverzierungen könnte hier möglicherweise mehr Licht ins Dunkel bringen. Eine solche Händescheidung wäre unmittelbar mit der Frage nach der Werkstattpraxis, d. h. der künstlerischen wie geschäftlichen Kooperation der Brüder verbunden, welche in den letzten Jahren in der Forschung zur spätmittelalterlichen Kunst und Buchmalerei verstärkt in den Blickpunkt geraten ist [4].

Unklar bleibt im Katalog auch die Zusammenarbeit mit den anderen an den Prunkhandschriften beteiligten Künstlern und Handwerkern, etwa den Schreibern und Layoutern. Mit seinem Themenschwerpunkt auf dem künstlerischen Umfeld gibt der Katalog zwar zahlreiche Anhaltspunkte zur künstlerischen Herkunft und Rezeption der Brüder Limburg besonders in der Region Geldern, ihre direkte Arbeitsumgebung wird jedoch kaum behandelt.

Wo die Kennerschaft scheitert, sind technologische Untersuchungsmethoden gefragt. Die technologische Analyse von Handschriften steht, im Gegensatz zu jener von Gemälden, insgesamt noch in den Anfängen [5]. Entsprechend wenig Vergleichsdaten gibt es. Dies gilt auch für Spitzenwerke wie die Stundenbücher der Gebrüder Limburg. Ihre „Materialien und Techniken” werden im vorliegenden Katalog nur anhand der an den „Belles Heures” (New York, Metropolitan Museum, um 1408/09) gemachten Analyse durch Margaret Lawson vorgestellt (S. 149-163). Die Untersuchung mit Mikroskop und Infrarotreflektographie deckte zwei Phasen von Unterzeichnung auf, bei der auch verschiedene Zeichenstile deutlich werden (S. 152ff.). Die Farbpalette ist auf wenige Grundfarben beschränkt, die auch in mittelalterlichen Malereitraktaten, etwa „De arte illuminandi”, genannt werden. Prinzipiell wichen die Gebrüder Limburg Margaret Lawson zufolge in den „Belles Heures” in ihren Materialien und Grundtechniken nicht von den Gegebenheiten ihrer Zeit ab. Allerdings fällt auf, dass sie es mehr als viele ihrer Zeitgenossen verstanden, die Grundtöne durch Mischungen und Schattierungen zu variieren und zu differenzieren. Es wird eine der künftigen Forschungsaufgaben sein, diese an den „Belles Heures” gemachten Beobachtungen an anderen Handschriften der Limburg-Gruppe zu überprüfen.

Die weiteren Beiträge widmen sich den Innovationen der Limburg-Brüder auf dem Gebiet der Landschaftsdarstellung (Boudewijn Bakker, S. 191-207) und ihrer Rolle bei der Rezeption der zeitgenössischen italienischen Kunst in Frankreich (Victor M. Schmidt, S. 179-189). Weitere Aufsätze beschäftigen sich mit ihrem Onkel, dem burgundischen Hofmaler Jehan Maelwael (Pieter Roelofs, S. 35-53), der Bildhauerkunst (Harry Timmers, S. 55-63), der Buch- und Tafelmalerei (Rob Dückers, S. 65-83) sowie der Goldschmiedkunst im Herzogtum Geldern und in Paris um 1400 (Jean-Pierre van Rijen, S. 165-177). Timothy B. Husband, Patricia Stirnemann, Roger S. Wieck und Anne S. Korteweg behandeln in ihren Beiträgen den großen Auftraggeber der Gebrüder, den Herzog von Berry, sowie die von ihm bestellten Handschriften. Der umfangreichste Beitrag befasst sich mit der Rezeption der Limburg-Brüder in Frankreich und den südlichen Niederlanden nach 1400 (Gregory T. Clark, S. 209-235).

Stehen in den Aufsätzen die Gebrüder Limburg und die von ihnen illuminierten Bücher im Vordergrund, so sind sie im fast 100 Seiten umfassenden, äußerst großzügig bebilderten Katalogteil in der Minderzahl. Der weitaus größte Teil der 126 Einträge ist Dokumenten, Bildhauerwerken, Bodenfunden, Tafelgemälden, Zeichnungen und Goldschmiedewerken sowie Handschriften anderer Künstler gewidmet. Sie sollen den künstlerischen Kontext des Schaffens der Limburg-Brüder erläutern, wobei das Hauptaugenmerk auf ihrer Heimat Geldern liegt. Die im Katalogteil präsentierten Kunstwerke, besonders die Handschriften, machen allerdings deutlich, dass die Kunst der Limburg-Brüder letztlich nur wenig mit ihrer Heimat zu tun hat und dort auch nur in eher geringem Maße rezipiert wurde. Ihre eigentliche künstlerische Heimat ist in der französischen Hofkunst zu suchen, die u. a. von ihrem Onkel Jean Malouel und den Buchmalern der älteren Generation mitbestimmt wurde.

So interessant der Katalogteil hinsichtlich der vorgestellten Werke ist, zum Verständnis der Kunst der Gebrüder Limburg und zur Lösung der mit ihrem Werk verbundenen Rätsel trägt er insgesamt nur wenig bei. Für künftige Forschungen bietet er jedoch, ebenso wie die einleitenden Aufsätze, eine Fülle an Anregungen. Es bleibt zu hoffen, dass die Publikation Anstoß zu einer intensiveren Beschäftigung vor allem mit Fragen der Maltechnologie, Werkstattpraxis und des internationalen Kunsttransfers im Umkreis der Limburg-Brüder gibt.

Anmerkungen:

[1] Paris 1400. Les arts sous Charles VI, Ausst. Kat. Paris, bearb. v. Elisabeth Taburet-Delahaye, Paris 2004; La France et les arts en 1400. Les Princes des fleurs de lis, Paris 2004; Patricia Stirnemann u. a., Les Très Riches Heures du Duc au début du XVe siècle, Paris 2004.
[2] Vgl. die Biographie von Willy Niessen, Pieter Roelofs und Mieke van Veen-Liefrink, S. 13-27.
[3] Vgl. Millard Meiss: French Painting in the Time of Jean de Berry. The Limbourgs and their Contemporaries, New York 1974.
[4] Z. B. Richard H. Rouse / Mary A. Rouse: Manuscripts and their Makers. Illiterati et uxorati. Commercial Book Production in Medieval Paris 1200-1500, 2 Bde., Turnhout 2000.
[5] Zur technologischen Untersuchung von Handschriften vgl. Robert Fuchs / Doris Oltrogge: Modern Scientific Manuscript Research and Conservation, in: Care and Conservation of Manuscripts 3 (1997), S. 77-98.

Dückers, Rob; Roelofs, Pieter; Bakker, Boudewijn; Limburg, Herman; Limburg, Paul (Hrsg.): Die Brüder van Limburg. Nijmegener Meister am französischen Hof (1400 - 1416) ; [aus Anlass der Ausstellung Die Brüder van Limburg: Nijmegener Meister am Französischen Hof (1400 - 1416), Museum Het Valkhof, Nijmegen, 28. August - 20. November 2005], Stuttgart: Belser 2005
ISBN-10: 3-7630-2455-7, 447 S

Empfohlene Zitation:
Anja Grebe: [Rezension zu:] Dückers, Rob; Roelofs, Pieter; Bakker, Boudewijn; Limburg, Herman; Limburg, Paul (Hrsg.): Die Brüder van Limburg. Nijmegener Meister am französischen Hof (1400 - 1416) ; [aus Anlass der Ausstellung Die Brüder van Limburg: Nijmegener Meister am Französischen Hof (1400 - 1416), Museum Het Valkhof, Nijmegen, 28. August - 20. November 2005], Stuttgart 2005. In: ArtHist.net, 27.07.2006. Letzter Zugriff 23.12.2024. <https://arthist.net/reviews/127>.

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