Das am Campus Design der Hochschule Coburg stattgefundene Symposium spiegelte die an der seit 10 Jahren bestehenden Fakultät angestrebte enge Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen Architektur, Innenarchitektur, Bauingeneurwesen und Integriertes Produktdesign thematisch wider. Zeitgleich mit der Eröffnung der 3. designcampus_open, einer mehrtägigen Veranstaltung, die Außenstehende einlädt, die Fakultät und die studentische Arbeit kennenzulernen und mitzuerleben, wurde auf der öffentlichen Tagung das handwerkliche Arbeiten in seiner ganzen Vielschichtigkeit betrachtet. Die zuvor formulierte übergeordnete Fragestellung nach der Schnittstelle zwischen Handwerk und Kunst wurde zu Beginn der Veranstaltung von ihrem wissenschaftlichen Leiter, Christian Holtorf (Prof. f. Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskommunikation, Hochschule Coburg) um einige Facetten erweitert und in den Kontext kultureller Neufindung der Gesellschaft und der allgegenwärtigen Forderung nach Innovation als gesellschaftlichem Konsens gestellt. Das Handwerk als Konzept, das praktische Tätigkeit und normativen Anspruch verbindet, bildete dabei den Ausgangspunkt für diese gesellschaftspolitischen Überlegungen. Dass Handwerk Körper und Geist beanspruche und ebenso Kreativität provoziere als auch innovatives Denken fordere, darauf verweise der spiegelbildliche Veranstaltungstitel Handwerk als Gestaltung und Gestaltung als Handwerk. Die Referenten, die heute in der Mehrzahl im akademischen Kontext tätig sind, durchliefen in ihrer beruflichen Karriere allesamt eine handwerkliche Ausbildung und ergänzten theoretische Erwägungen um empirische Erfahrungswerte.
Die Tagung hatte sich zur Aufgabe gestellt, das Verhältnis von Handwerk und Kunst zu bestimmen und fragte „was Kunst und Handwerk verbindet und was sie trennt“.[1] Die begriffliche Bestimmung dessen, was Kunst einerseits und Handwerk andererseits ausmacht, hat sich in historischer Perspektive mehrfach grundlegend verändert und ist als Geschichte von Integration und Ausgrenzung lesbar.[2]
Bevor sich am Ende des Mittelalters und deutlich dann in der Renaissance die Künstler aus dem Handwerkerstand abzusondern begannen, waren sie fest in handwerklichen Korporationsverbänden integriert und die künstlerische und handwerkliche Tätigkeit eng miteinander verwoben. Nachhaltig wurde ihr Verhältnis auf Betreiben der Künstler verändert, die sich aus ihrer Zuordnung zum Handwerk zu lösen begannen und ihre Werke per Signum als die einer individuellen Künstlerpersönlichkeit kennzeichneten. Wie der Künstler im gesellschaftlichen Ansehen stieg, so veränderte sich auch die Wahrnehmung des Kunstwerks, das der Sphäre alltäglichen Gebrauchs enthoben und zu einem Objekt kontemplativer Anschauung wurde. In der Moderne seit der Sattelzeit um 1800 näherten sich Kunst und Handwerk infolge verschiedener Entwicklungsstränge wieder einander an. Die Kunst emanzipierte sich im Rahmen der Bürgerlichen Gesellschaft weiter von außerkünstlerischen (politischen und religiösen) Verwendungsansprüchen und gipfelte im l´art pour l´art. Der Schritt in die scheinbar absolute Freiheit stürzte die Kunst in eine Sinnkrise und viele Künstler in finanzielle Nöte. Im Kunsthandwerk fanden sie eine neuerliche Bindung an die Gesellschaft und der Erlös gebrauchsfähiger, nach ästhetischen Gesichtspunkten gestalteter Gegenstände ermöglichte ihnen eine wirtschaftliche Existenz. Auf einer anderen Ebene haben die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die industrielle Warenproduktion ebenfalls einen Weg für eine neuerliche Synthese von Kunst und Handwerk geschaffen. Einerseits wurde die handwerkliche Produktionsweise in Verbindung mit künstlerischem Gestaltungssinn als Gegenmittel zur massenhaft produzierten Billigware der deutschen Industrie gepriesen. Andererseits suchte man das Problem des niedrigen Qualitätsstandards deutscher Industrieprodukte dadurch zu beheben, dass eine künstlerisch und technisch gebildete Person Musterstücke entwarf, die die formalen und funktionalen Anforderungen an einen Gebrauchsgegenstand bestmöglich zusammenbrachte. Der Berufsstand der Designer war entstanden.
An dieser Problematik des Mit- und Gegeneinanders von Kunst, Handwerk und Industrie seit dem 19. Jahrhundert entspann sich der Vortrag Joachim Drillers, Dekan der Fakultät Design und Prof. f. Kunst-, Design- und Baugeschichte. Mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung hätten die Kunstgewerbebewegung, der Werkbund und das Bauhaus versucht, Kunst, Handwerk und Industrie zusammenzuführen und damit sowohl gesellschaftliche als auch ökonomische Problemlagen zu lösen. Wie Driller erläuterte, sollte der neue Schultyp der Handwerker- und Kunstgewerbeschulen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, für verbesserte Produkte durch Werkstattunterricht und die Bildung an kunstgewerblichen Vorlagen sorgen. An den Schulen wurde eine Synthese handwerklicher und künstlerischer Tätigkeit angestrebt. Die anfangs von der örtlichen Handwerkerschaft erwünschten Bildungsanstalten hätten wegen ihrer überzogenen Ansprüche und ihrer künstlerischen Orientierung aber bald die lokale Handwerkerschaft gegen sich aufgebracht. Zudem stellten sie eine ernst zu nehmende wirtschaftliche Konkurrenz dar. Zu eben dieser Zeit sei die Idee popularisiert worden, das Handwerk könne durch künstlerische Anleitung eine Vervollkommnung erfahren, der Künstler als Lehrer der Handwerker fungieren. Wenn sich auch alle Vortragenden davon distanzierten, die Kunst dem Handwerk überzuordnen, so scheint der Einwand aus dem Publikum sehr berechtigt, die Abwertung des Handwerks manifestiere sich bereits in der diskursiven Trennung beider Bereiche. Diese Diagnose wird dadurch bestätigt, dass bisher die Geschichte der Abgrenzung und Annäherung von Kunst und Handwerk vorrangig aus der Perspektive der Kunst erzählt wurde. In diesem Narrativ erscheint das Handwerk oft als Werkzeugkasten, dessen die Kunst sich beliebig bedient oder den sie etwas verächtlich beiseite räumt. Stattdessen richtete Driller die Aufmerksamkeit auf den zeitgenössischen Handwerker, der jenseits künstlerischer Ambitionen im Rahmen des tradierten und bewährten Formenkanons schafft. Obwohl mit der Kunstgewerbebewegung, dem Werkbund und dem Bauhaus eine Annäherung zwischen Handwerk und Kunst stattgefunden habe, blieben beide doch voneinander getrennte Tätigkeitsbereiche.
In der Epoche der Klassischen Moderne (1880-1933) und mit der Kunstgewerbebewegung diversifizierten sich die Meinungen darüber, was Kunst sei. Vielen Definitionsversuchen ist dabei eigen, dass der Kunstbegriff gegenüber anderen Tätigkeitsfeldern geöffnet wurde und sowohl das Handwerk als auch die Industrie in den Fokus künstlerischer Tätigkeit rückten. Für die Annäherung von Kunst und Handwerk im Kunstgewerbe stehen in dieser Zeit nicht nur die neu eingerichtete Handwerker- und Kunstgewerbeschulen, sondern auch die etwa zeitgleich entstanden Kunst- und Kunstgewerbemuseen. Kunstgewerbliche Gegenstände wurden in die Kunstsammlungen integriert und neben Gemälden und Skulpturen ausgestellt.[3] Das Museum für Modernes Glas der Veste Coburg und die kunstgewerbliche Sammlung, deren Leiter Sven Hauschke ebenfalls als Referent auftrat, steht in dieser historischen Tradition. Obwohl die Museen als deutungsmächtige Institutionen mit dem Ankauf und der Präsentation von Werken erheblichen Einfluss auf ihre Wahrnehmung als Kunst ausüben, beharrte Hauschke darauf, dass das Museum jenseits der Zuordnung zu Kunst und/oder Handwerk die objektive Aufgabe des „Zeigens“ ausfüllen solle. In der anschließenden Diskussion galt die Aufmerksamkeit der Bedeutung des Kontextes, in dem ein kunstgewerblicher Gegenstand steht. Ob er als Obstschale im Küchenschrank steht oder in einem Museum in gebührendem Abstand zum Betrachter präsentiert wird entscheidet über seine Wahrnehmung und verleiht ihm den Charakter eines Gebrauchsgegenstandes oder eines Kunstwerkes.
Der Frage nach der beruflichen Realität zwischen den Tätigkeitsbereichen Handwerk und Kunst, ging Christoph Henning mit einem Bericht aus einer auf Interviews beruhenden arbeitssoziologischen Studie nach. Sowohl KünstlerInnen als auch GestalterInnen wurden nach ihrer Zufriedenheit mit dem jeweils ausgeübten Beruf gefragt. Für die selbstständig tätigen bildenden KünstlerInnen waren demnach ungehinderte Selbstbestimmung und Souveränität über den Arbeitsalltag und für die GestalterInnen ökonomische Sicherheit und korporative Arbeit für ihre berufliche Vervollkommnung besonders wichtig.
Während der Tagung standen vor allem die begrifflichen Ebenen des Handwerks als kulturelle Praxis und des Handwerks als normativ aufgeladener Begriff im Zentrum. Das Handwerk in seiner ursprünglichen und allgemein sanktionierten Bedeutung einer "überwiegend mit Hand und (einfachem) Werkzeug ausgeübte[n] Berufstätigkeit"[4] wurde vor allem im Werkstattbericht der Porzellanmacherin Maria Raab anschaulich. Anhand ihrer kunsthandwerklichen Tätigkeit, benannte sie wesentliche Elemente handwerklichen Selbstverständnisses. Sie beschrieb das handwerkliche Schaffen als „Ringen nach der besten Form“ in andauernder Auseinandersetzung mit dem zugrunde liegenden plastischen Material. Als Kern ihrer Arbeit identifizierte sie das aus langjähriger Erfahrung erwachsende Zusammenspiel von haptischem und theoretischem Begreifen. Das der handwerklichen Tätigkeit innwohnende schöpferische Potential, rückt es in die Nähe zur künstlerischen Tätigkeit. Trotz ihrer filigranen Erscheinung und außergewöhnlichen Formgebung sind die Ergebnisse ihrer bildnerischen Arbeit für den Alltagsgebrauch bestimmt.
Aus kulturanthropologischer Perspektive thematisierte auch Hajo Eickoff das Handwerk als grundlegende menschliche Tätigkeit, die die Gesellschaft von Beginn an begleitet und geprägt habe. Seit die Maschine einen Großteil der Warenproduktion übernommen und das Handwerk zurückgedrängt habe, sei das Design zum Teil an seine Stelle getreten. Sowohl Handwerk als auch Design sieht Eickoff in gesellschaftlicher Verantwortung, indem beide der Qualität verpflichtet das menschliche Wohlbefinden als primäres Ziel verfolgten. Wie Richard Sennett, der zu Beginn der Tagung als Referenz für die Anschauung des Handwerks als einer ethischen Haltung benannt wurde, beschreibt Eickoff ein handwerkliches Ethos bzw. eine Ethik des Designs. Während Sennett das Streben, etwas um seiner selbst willen gut zu machen, als Kern des handwerklichen Geistes benennt, sei es darüber hinaus das primäre Ziel der gestalterischen Tätigkeit – ob beim Produktdesign oder der Unternehmensgestaltung – positive Gefühle über die sinnliche Wahrnehmung hervorzurufen.[5]
Die Freude an der Entwicklung neuer Dinge als Ausdruck eines globalen Kulturphänomens machte Anne Bergner zum Gegenstand des finalen Vortrages. Das "makers movement" unterscheide sich zwar begrifflich vom Handwerk, teile aber dessen innovativen Gehalt als Kern des Gestaltungsprozesses. Im Gegensatz zu dem Handwerk im Verlauf der Tagung mehrfach zugeschriebenen Merkmal der Perfektion, die aus der Versenkung in eine Tätigkeit entstehe, sei der "maker" gekennzeichnet durch seine Lust am Basteln, am Experiment, an der Improvisation. Das Ziel der "maker" sei dabei nicht die Entwicklung gewinnträchtiger Massenprodukte, sondern Lösungen für individuelle Probleme zu finden und über das Web 2.0 anderen zugänglich zu machen. Die dem Handwerk zu Beginn der Tagung zugeschriebenen Werte der Individualität und Kreativität bilden insofern zentrale Inhalte einer gegenwärtigen Bewegung, die sich im "Repaircafé" an der Ecke genauso äußere wie im "urban gardening" und cyberphysikalischen Prototypen, die in Garagen auf der ganzen Welt nachgebaut würden. Mit den Ausführungen Anne Bergners lässt sich auf die eingangs von Christian Holtorf gestellte Frage nach dem Wie kulturellen Wandels antworten, dass Handwerk im Sinn der Selbstverwirklichung durch Selbermachen ein Motor gesellschaftlicher Selbsterneuerung ist. Erneut rückte in der anschließenden Diskussion das individuelle Glück in den Fokus, das dem Schaffenden bei seiner Tätigkeit erwächst und das zuvor schon als Kern des Handwerks beschrieben wurde.
Dass das Handwerk weit über die Beschreibung beruflicher Zugehörigkeiten hinausgeht und auch im normativen Bereich Geltung besitzt, ist ein wesentliches Ergebnis der Tagung. Eine Schlüsselrolle nimmt im Prozess dieser Bedeutungsverschiebung die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert ein. Das Handwerk erhält mit seiner Verdrängung aus der Warenproduktion durch die Maschine neue Bedeutung und eine ethische Aufladung. Handwerk erscheint angesichts der Massenhaftigkeit, Gleichförmigkeit und oft minderen Qualität der Produkte als Sehnsuchtsort des Individuums nach dem Guten und Schönen. Im "makers movement", das der tendenziellen Privatisierung und Individualisierung der gesellschaftlichen Gegenwart Rechnung trägt, erlangen dem traditionellen Handwerk zugeschriebene Werte neue Attraktivität. Aus den Augen geriet dabei die engere Fragestellung nach dem Grenzbereich zwischen Handwerk und Kunst. Eine systematische Annäherung an die beide Bereiche verbindende und trennende Merkmale in soziologischer und ideeller Hinsicht wäre lohnenswert fortzuführen.
Anmerkungen
[1] So ist im Veranstaltungsprogramm die grundlegende Fragestellung des Symposiums vorangestellt.
[2] Vgl. Marina Linares, Kunst an der Grenze: Grenzgänger der Kunst – Grenzgänge in die Kunst, in: kunsttexte.de, Nr. 1, 2010 (16 Seiten), www.kunsttexte.de, S. 1/2.
[3] So betrachtete Max Sauerlandt, Museumsdirektor des hallischen Kunst- und Kunstgewerbemuseums 1908 bis 1919, das Kunstgewerbe als Bereich der Kunst. Vgl. Baumann, Beatrice, Max Sauerlandt. Das kunstkritische Wirkungsfeld eines Hamburger Museumsdirektors zwischen 1919 und 1933. Hamburg 2002, S. 22.
[4] Vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer, München 2004, S. 505.
[5] Vgl. Richard Sennett, Handwerk, Berlin 2008, S. 19 ff.
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Tagungsprogramm:
Penal I Gefallen und Gebrauchen
- Dr. Hajo Eickoff (Philosoph, Kulturhistoriker und Berater, Berlin Zürich)
"Poesie der Gestaltung. Über den Umgang mit Naturstoff"
- Prof. Dr. Joachim Driller (Professor für Kunst-, Design- und Baugeschichte, Hochschule Coburg)
"Schreinermeister Heese und der Stuhl zum Sitzen. Zum historischen Verhältnis von Kunst, Handwerk, Industrie und Gestaltungsausbildung"
Penal II Zeigen und Anwenden
- Maria Raab (Porzellanmacherin, Coburg)
"Das Glück der hundert Stücke"
- Dr. Sven Hauschke (Leiter Sammlung Kunsthandwerk und Europäisches Museum für Modernes Glas, Kunstsammlungen der Veste Coburg)
"Museen zwischen Kunst und Handwerk"
Penal III Improvisieren und Üben
- Prof. Dr. Kai Hiltmann (Professor für Konstruktion und Produktinnovation, Hochschule Coburg)
"Ist Kreativität eine Rechenmethode?"
- Dipl.-Soz. Päd. Ina Driemel (Theaterpädagogin, Universität der Künste Berlin)
"Die 'Arbeitsecke'"
Penal IV Gestalten und Anfertigen
- PD Dr. Christoph Henning (Junior-Fellow, Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, Universität Erfurt)
"Kreativität als Beruf?"
- Prof. Anne Bergner (Professorin für Grundlagen des Gestaltens, Designtheorie und digitale Darstellung, Hochschule Coburg)
"Maker: neue Spielarten des Handwerklichen in der vierten industrielle Revolution"
Empfohlene Zitation:
Isabell Schmock-Wieczorek: [Tagungsbericht zu:] „alles bleibt anders… Handwerk als Gestaltung / Gestaltung als Handwerk“ (Coburg, 13.05.2015). In: ArtHist.net, 30.06.2015. Letzter Zugriff 27.12.2024. <https://arthist.net/reviews/10658>.
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